Fr 02.05.2008
1968 waren die Debatten hitzig: Wohin wollte man? Welche Gesellschaft sollte das Ziel sein? Die stalinistischen Staaten waren wenig attraktiv, insbesondere nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Die westlichen Demokratien waren mäßig demokratisch, so wurden z.B. in Österreich die Nazi-Täter nicht wirklich zur Verantwortung gezogen. Der Kapitalismus hatte zwar seit 1945 noch keine tiefe Krise erlebt, aber Arbeitsdruck und soziale Ungerechtigkeiten existierten dennoch.
In allen revolutionären Situationen und bei großen Bewegungen stellt sich die Frage nach einer politischen und wirtschaftlichen Alternative. Und wie das Amen im Gebet kommt immer wieder die Idee eines “dritten Weges” (Otto Bauer). Oder einer “Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus” wie Christian Felber von Attac Österreich in seinem jüngsten Buch schreibt.
Erfolgreiche 68er?
Glaubt man rechten KommentatorInnen, dann waren die 68er erfolgreich mit ihrem dritten Weg und haben sich in Staat und Gesellschaft breit gemacht. Tatsächlich sind manche der Ideen der 68er Generation bezüglich Frauenbefreiung, Sexualität, Kindererziehung etc. heute “common sense”. Und ja, es gibt eine Reihe von Ex-68ern, die wichtige Posten z.B. in den Medien haben. Aber gerade die 68er sind ein gutes Beispiel für die Beschränktheit in Umfang und Dauer eines dritten Weges. Auch wenn Gleichberechtigung heute “eh klar” ist, verdienen Frauen nach wie vor ein Drittel weniger als Männer. Und der freie Bildungszugang als Mittel in Richtung Chancengleichheit wurde schon längst wieder abgeschafft.
Woher kommt der dritte Weg?
Seit den Anfängen der ArbeiterInnenbewegung gibt es unterschiedliche Programme und strategische Vorstellungen, die sich grob in reformistische und revolutionäre Ideen einteilen lassen. Das Konzept des dritten Weges behauptet zwar dazwischen zu stehen, meint aber letztlich die (Ab-)Lösung von Ausbeutung und Unterdrückung ohne die revolutionäre Abschaffung des Kapitalismus. Das hat bedeutet, dass z.B. Lassalle hoffte, mittels Konsumgenossenschaften Nischen für die ArbeiterInnenklasse zu schaffen. Otto Bauer lehnte die Oktoberrevolution in Russland ab und verhinderte tatkräftig eine sozialistische Revolution in Österreich 1918.
Globalisierungskritik und dritter Weg
Im Zuge der globalisierungskritischen Bewegung seit den 1990er Jahren wird wieder heftig über Alternativen zum Kapitalismus diskutiert. Eine Reihe von KapitalismuskritikerInnen hat eine Vielzahl von Büchern geschrieben, die die kapitalistischen Ungerechtigkeiten, die Ausbeutung und Plünderung von Mensch und Natur sowie die fehlende Demokratie sehr gut aufzeigen. Und sich dann, wenn es zur Frage kommt: “Was ist die Alternative?”, auf moralische Appelle beschränken.
Felbers alte “Alternative”
Diesen Weg geht auch Christian Felber, Mitbegründer von Attac. In seinem Buch “Neue Werte für die Wirtschaft – Eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus” bringt er eine Menge interessanter und guter Beispiele für die Perversionen des Kapitalismus. Gängige neoliberale Schlagworte wie “geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut” werden leicht verständlich zerlegt. Aber das war es dann auch schon. Während er bei der Analyse des Kapitalismus jede Menge Fakten und Quellen benützt, beschränkt sich seine Analyse des “Kommunismus” auf in einer Handvoll von Sätzen wiedergegebenen Standardvorurteilen. Kommunismus wird mit den stalinistischen Staaten gleichgesetzt. Historische Veränderungen (z.B. die Entwicklung von der Oktoberrevolution zum Stalinismus und der Kampf gegen den Stalinismus) kommen nicht vor. Über den Lebensstandard, der durch die Planwirtschaft (trotz der Einschränkungen durch die Bürokratie) erhöht wurde, verliert er kein Wort. Sein Urteil beschränkt sich auf “persönliche Initiative, Kreativität und Mitbestimmung sind nicht gefragt”. Die Initiative und Kreativität von tausenden KommunistInnen in der Revolution, die Mitbestimmung in den demokratischen Strukturen unmittelbar nach der Revolution, die globale Bewegung nach 1917 – das alles gibt es für ihn nicht.
Felbers “Alternative” konzentriert sich dann auf ein neues Wertesystem, in dem nicht Gewinnstreben und Egoismus, sondern das Allgemeinwohl im Zentrum steht. So weit, so gut. Aber wie auch andere VerfechterInnen eines “dritten Weges” übersieht er dabei die Frage “wer soll das umsetzen”. Beziehungsweise übergibt er die Verantwortung dafür einem scheinbar neutralen Staat. Wie schon Hans-Peter Martin mit der “Globalisierungsfalle” geht er davon aus, dass der Staat (bei HP Martin war es noch die EU) die Rahmenbedingungen für eine nach einem solchen neuen Wertesystem ausgerichtete Wirtschaft fixieren sollte. Zuerst wird die Macht der Unternehmen – auch über die Politik – erklärt, dann soll sich eben jene Politik plötzlich aus dieser Fessel befreien und im Sinne der Allgemeinheit agieren. Eine Illusion, die ignoriert, dass der Staat vor allem ein Instrument der herrschenden Klasse ist. Ein Staat der heute zudem immer weniger als “Sozialstaat” agiert, sondern sich zuweilen (wieder) recht offen als Überwachungs- und Polizeiapparat präsentiert.
Echte Demokraten?
Otto Bauer trat für eine Leitung der Betriebe durch eine Drittelparität aus Beschäftigten, KonsumentInnen und Staat ein. Christian Felber ist für ein “demokratisches Vierer-Kleeblatt”, das Bauers Modell um den Feminismus (Gender-Gremium) ergänzt. Beide Modelle sollen im Rahmen des Kapitalismus funktionieren, beide meinen damit dem Kapitalismus die Schärfe nehmen zu können. Und beide gehen davon aus, dass die ArbeiterInnenklasse nicht in der Lage ist, Wirtschaft und Gesellschaft selbst zu organisieren, zu planen und zu verwalten. Dafür gibt es bei Felber, nachdem er korrekt kritisiert hat, dass es in den Betrieben keine Demokratie gibt, weiterhin eine Regierung und eben den Staat(sapparat).
Sozialismus statt Sackgasse dritter Weg
Die Idee des dritten Weges kommt in revolutionären Perioden immer wieder auf, weil er eine scheinbar “leichtere” Lösung ist, als eine sozialistische Revolution. Auch 1968 wurde so gebremst. Faktisch ist der dritte Weg aber gar keine Lösung, da er nicht in der Lage ist, an den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus auf Dauer etwas zu ändern. Zwar kann als Reaktion auf die revolutionäre Energie das Kapital Zugeständnisse machen – aber diese werden rasch wieder zurück genommen, wenn sich das Kräfteverhältnis ändert. Trotzdem: Der dritte Weg ist und bleibt eine kapitalistische Sackgasse. Genauso bemerkenswert stellt sich aber der Umstand dar, dass wir heute wieder verstärkt über Konzepte diskutieren, wie Alternativen zum Kapitalismus aussehen können. Insofern ist Felbers Buch auch ein willkommener Beitrag zur Debatte um Programm und Strategie der Bewegung.