Fr 18.02.2011
Die Massen Tunesiens und Ägyptens haben es bewiesen: selbst die mächtigsten Diktatoren können gestürzt werden, wenn eine Massenbewegung entschlossen kämpft!
In den 18 Tagen der revolutionären Bewegung in Ägypten gingen sechs Millionen Menschen auf die Straße. Sie ließen sich nicht durch die brutalen Angriffe der Mubarak-Schergen einschüchtern, sondern verteidigten erfolgreich ihren Protest auf dem Tahrir-Platz. Entscheidend für den Sturz des „Pharaos“ war die Entschlossenheit der DemonstrantInnen in Kairo, der Beginn einer Solidarisierung von einfachen Soldaten und Unteroffizieren mit den revolutionären Massen und der Eintritt der Arbeiterklasse durch Streiks und Betriebsbesetzungen in die revolutionäre Bewegung. Mubarak musste weg, um einen Aufstand zu verhindern, der nicht nur ihn, sondern das ganze Regime hätte hinwegfegen können.
Kein Vertrauen in die neuen, alten Machthaber!
Doch die Revolution hat erst einen ersten Schritt vollbracht – den Sturz des Diktators, ein Element einer politischen Revolution. Das Volk ist damit jedoch noch nicht an der Macht, wirkliche Demokratie ist noch nicht gewonnen. Frei nach dem Motto „es muss sich etwas ändern, damit alles beim Alten bleibt“, hat die Militärführung die Kontrolle übernommen, nicht einmal die alte, von Mubarak eingesetzte Regierung, wurde abgesetzt. Wahlen sollen erst in sechs Monaten stattfinden, aber erst nachdem das Militär die neue, durch eine von ihr eingesetzte Kommission auszuarbeitende, Verfassung akzeptiert haben wird. Das sind sechs Monate, in denen die Militärführung und die reichen Eliten des Landes versuchen werden, die Dynamik der Revolution zu brechen und sich „demokratisch geläutert“ zu reorganisieren. Sie versuchen sich unter Anwendung demokratischer Rhetorik an die Spitze der Bewegung zu stellen, um dieser ihres Inhalts zu berauben. Die Militärführung selbst gehört zum „System Mubarak“ und zur reichen Elite des Landes. Den Generälen gehören große Teile der privatisierten ehemaligen Staatsbetriebe. Sie werden ihren Reichtum und ihre Macht als Teil der herrschenden kapitalistischen Klasse verteidigen wollen. Sie haben damit begonnen, indem sie die DemonstrantInnen auffordern den Tahrir-Platz zu räumen, Demonstrationen und Streiks zu unterlassen.
Die Massen forderten Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Dem Januar 2011 ging in den letzten Jahren eine enorme Zunahme von Streiks, Arbeiter- und Jugendprotesten voraus. Unabhängige Gewerkschaften wurden gegründet als Alternative zu den mit dem Regime verbundenen offiziellen und undemokratischen Gewerkschaften. Soziale Gerechtigkeit und wirkliche Demokratie kann es nicht geben solange die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse unangetastet bleiben. Solange weiterhin einhundert Familien neunzig Prozent des Reichtums Ägyptens besitzen, kann es keine soziale Gerechtigkeit geben. Solange die Betriebe in den Händen dieser Familien und multinationaler Konzerne sind, wird auch die Demokratie am Betriebstor enden.
Auch eine von Teilen der Oppositionsbewegung propagierte Regierung „der nationalen Einheit“, eine Koalition von bürgerlich-prokapitalistischen, linken und ggf. auch islamistischen Kräften kann keine Perspektive für die Erfüllung der sozialen und demokratischen Aspirationen der Massen sein. In einer solchen Regierung würden zwangsläufig die linken Kräfte die Zugeständnisse an die prokapitalistischen Kräfte machen und eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung verhindert. Linke Kräfte sollten sich nicht an einer solchen Regierung beteiligen.
Für demokratische ArbeiterInnenräte
Der einzige Garant dafür, dass die Ziele der Revolution nicht verraten werden, ist die Aufrechterhaltung der revolutionären Bewegung selbst!
Es müssen erstens unabhängige, demokratische und kämpferische Gewerkschaften in allen Betrieben gegründet werden. Dieser Prozess hat begonnen, er muss aber unter der demokratischen Kontrolle der ArbeiterInnen selber stattfinden. Die Hilfe, die gerade von VertreterInnen der bürokratischen westlichen Gewerkschaften angeboten wird, sollte mit Vorsicht begegnet werden. Diese wollen Gewerkschaften nach ihrem prokapitalistischen Vorbild schaffen.
Zweitens sollten demokratische Räte und Milizen in den Betrieben, Nachbarschaften und unter einfachen Soldaten gebildet werden, die die Kontrolle über die Gesellschaft in die Hand nehmen können, so wie in den Tagen der Massenbewegung Nachbarschaftskomitees die Kontrolle über ganze Stadtviertel ausübten und in Betrieben begonnen wurde durch Besetzungen die Kontrolle auszuüben. Sie könnten VertreterInnen zu lokalen, regionalen und nationalen Kongressen entsenden, in denen demokratisch über die Zukunft des Landes entschieden wird. Die dorthin entsendeten VertreterInnen müssten jederzeit Rechenschaft ablegen, wähl- und abwählbar sein und dürften keine materiellen Privilegien genießen, sondern auf der Basis eines durchschnittlichen Arbeiterlohns das Leben derjenigen leben, die sie vertreten – und damit auch deren Interessen teilen.
Eine Versammlung von Eisen- und Stahlarbeitern in Helwan hat eine Erklärung mit folgenden Forderungen verabschiedet:
- Die Beschlagnahmung aller Konten und des Eigentums aller Repräsentanten des Regimes und aller der Korruption überführten Personen.
- Eisen- und Stahlarbeiter (…) rufen alle ArbeiterInnen auf, gegen die mit dem Regime und der herrschenden Partei verbundenen Gewerkschaftsföderation zu revoltieren, diese aufzulösen und neue, unabhängige Gewerkschaften zu gründen, ohne die Erlaubnis und Zusage des Regimes, das jede Legitimität verloren hat.
- Die Beschlagnahmung aller früheren Betriebe des öffentlichen Dienstes, die verkauft, geschlossen oder privatisiert wurden und deren Verstaatlichung im Namen des Volkes und deren Verwaltung durch ArbeiterInnen und TechnikerInnen.
- Die Formierung von Arbeiterkontrollkomitees in allen Betrieben zur Überwachung der Produktion, Preise, Verteilung und Löhne.
- Eine allgemeine Versammlung aller Bereiche und politischen Strömungen des Volkes zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Wahl wirklicher Volkskomitees ohne auf die Zustimmung unter auf Verhandlungen mit dem Regime zu warten.
Solche Forderungen weisen den Weg, den die Revolution gehen muss, um siegreich sein zu können. Ein von oben eingesetzter Verfassungsrat soll nun eine neue Verfassung ausarbeiten. Dies muss zurückgewiesen werden! Es muss Sache des ägyptischen Volks selber sein, eine neue Verfassung auszuarbeiten – zu diskutieren und zu entscheiden, in was für einem Staat es leben will. Dazu sollte die freie und demokratische Wahl zu einer revolutionären Verfassunggebenden Versammlung gefordert werden. Diese müsste unter der Kontrolle der Arbeiter- und Nachbarschaftsräte durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass wirkliche VertreterInnen des Volks gewählt werden und ArbeiterInnen, BäuerInnen und Arme die Mehrheit in einer solchen Versammlung stellen.
Für eine Regierung der ArbeiterInnen und BäuerInnen
Auf der Basis solcher Maßnahmen kann die Macht der Repräsentanten des alten Regimes, die nun zu demokratischen Wendehälsen werden, der Kapitalisten und Militärs gebrochen werden und eine Regierung der ArbeiterInnen und der einfachen Bäuerinnen und Bauern gebildet werden. So können wirkliche demokratische Rechte und tatsächliche Unabhängigkeit von den westlichen imperialistischen Staaten erreicht werden. In diese darf kein Vertrauen gesetzt werden. Das einzige Ziel von Obama, Merkel und Co. ist die Aufrechterhaltung der Ausbeutungsverhältnisse in der arabischen Welt. Will man diese abschaffen, muss die Wirtschaft in die Hände des Volkes übergehen. Dazu ist die Verstaatlichung unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch Arbeiterräte der Banken und großen Unternehmen des Landes nötig. Eine Regierung der ArbeiterInnen und einfachen Bäuerinnen und Bauern könnte auf dieser Basis einen demokratischen Plan zum Aufbau der Wirtschaft, der Hebung des Lebensstandards und zum Ausbau des Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesens entwickeln.
Die ägyptische Revolution muss in die zweite Phase eintreten: den sozialen und wirtschaftlichen Umbau des Landes. Die Massen haben die große Chance wirkliche Demokratie, sozialistische Demokratie, zu erkämpfen – ein System, in dem die Interessen der Menschen in den Mittelpunkt rücken und nicht die Profitinteressen einer kleinen Minderheit. Um diese Chance zu nutzen, muss die Mehrheit der Bevölkerung für ein solches Programm gewonnen werden. Dazu ist der Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Arbeiterpartei nötig, die in den Bewegungen, Betrieben und Gewerkschaften solche Vorschläge vertritt und an ihrer Umsetzung arbeitet.
Dann könnte der Aufbau eines neuen Ägyptens zum Ausgangspunkt für die Veränderung der ganzen Region werden. Der revolutionäre Funke springt gerade nach Algerien, Libyen, Bahrain, Jemen und andere Staaten über. Die SAV und das Komitee für eine Arbeiterinternationale treten für eine freiwillige, demokratische und sozialistische Föderation der arabischen Ländern ein, die Demokratie, Freiheit und einen angemessenen Lebensstandard für alle garantieren kann.