Mo 01.06.1998
In der Geschichte gibt es eine Reihe fehlgeschlagener Revolutionen und nur wenige erfolgreiche. Als MarxistInnen versuchen wir, daraus unsere Lehren zu ziehen. Natürlich hat jedes Land, jede Revolution ihre unvergleichbaren Besonderheiten, aber es gibt auch allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten. Um tatsächlich ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung in Indonesien zu erreichen, ist es notwendig, die revolutionäre Praxis mit der marxistischen Theorie zu verknüpfen und aus der Geschichte zu lernen.
Welche Revolution?
Einigkeit herrscht weitgehend darüber, daß Suharto und sein Clan gestürzt werden und seine Diktatur beendet werden soll. Über das danach gehen die Ansichten innerhalb der Opposition aber weit auseinander. Einerseits gibt es die Vertreter einer prokapitalistischen Linie; sie wollen ein kapitalistisches Indonesien, in dem ein „gesunder" Kapitalismus herrscht. Über die Frage von demokratischen Rechten sind sie sich nicht einig, aber auch jene, die solche zugestehen wollen, meinen maximal einen halbherzigen bürgerlichen Parlamentarismus und keine wirkliche Selbstbestimmung der arbeitenden Menschen. Länder wie Südkorea oder die Philippinen zeigen, daß es trotz politischer Veränderungen keine wirkliche Demokratie gibt. An der wirtschaftlichen Ausbeutung wollen sie ohnehin nichts ändern.
Andererseits gibt es die Linken, die nicht nur demokratische Rechte wollen, sondern einen Sturz des Kapitalismus. Wie aber soll daß erreicht werden? Der scheinbar leichtere Weg ist eine erfolgreiche bürgerliche Revolution gemeinsam mit den „fortschrittlichen“ Kräften des Bürgertums (Megawati, Rais), dann Mobilisierung und Organisierung der ArbeiterInnenklasse und dann eine sozialistische Revolution. Diesen Vorschlag nennt man auch „Etappentheorie". Sie wurde in den 30er Jahren von den Stalinisten „erfunden“ und wird bis heute von ihnen vertreten. In der Vergangenheit ist die Umsetzung dieser Theorie nicht nur nicht erfolgreich gewesen, sondern hat in verschiedenen Ländern - China 1927, Chile 1973 - zu einer blutigen Niederlage der Revolution und zum Triumph reaktionärer Kräfte geführt.
Demgegenüber steht die „Theorie der Permanenten Revolution", die Anfang dieses Jahrhunderts von Leo Trotzki entwickelt wurde. Sie geht davon aus, daß für wirtschaftlich zurückgebliebene Länder (sogenannte „3.Welt-Länder") der Weg zur Demokratie nur über den Weg einer sozialistischen Revolution führen kann. Denn in diesen Ländern gibt es kein unabhängiges Bürgertum, das eine bürgerliche Revolution, mit allen ihren Errungenschaften (Landreform, Rede- und Versammlungsfreiheit...), durchführen will. Würden Megawati oder Rais in Indonesien nun an die Macht kommen, so wären sie vom Militär und/oder vom IWF abhängig. Beide sind mit der wirtschaftlich herrschenden Schicht eng verbunden und haben keinerlei Interesse an z.B. einer Landreform. Demokratische Zugeständnisse könnten sie nur in einem sehr beschränkten Maße machen, da diese sofort das herrschende, kapitalistische System in Frage stellen würde. Wirkliche demokratische Rechte können also nur Hand in Hand mit einer sozialistischen Revolution erreicht werden, die nicht nur einen Repräsentanten des Kapitalismus - Suharto - stürzt, sondern das System an sich beseitigt.
Welches Programm?
„Sozialismus" ist in Indonesien ein „Un-Wort", es gibt kein breites sozialistisches Bewußtsein - wie also soll also eine sozialistische Revolution möglich werden, wenn sie kein Putsch einer kleinen Minderheit sein soll? Die unterdrückten und ausgebeuteten Menschen in Indonesien - die ArbeiterInnen, die Armen in den Städten und auf dem Land - haben in den letzten Monaten den Kampf der StudentInnen mit Sympathie verfolgt und haben sich diesem in den letzten Wochen auch aktiv angeschlossen. Sie haben einige Forderungen - Weg mit Suharto, Reduzierung der Preise - die aber keineswegs „sozialistischer" Natur sind. Die Aufgabe von MarxistInnen ist es nun, Programme zu entwickeln, die bei den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschen ansetzen und eine Brücke schlagen zu einer sozialistischen Gesellschaftsveränderung. Ein solches Programm nennen MarxistInnen „Übergangsprogramm"
Es reicht natürlich nicht, einmal so ein Programm zu erstellen, und das war es dann. Es muß ständig überarbeitet und an das Bewustsein der Bewegung angepaßt werden. Es muß eine Diskussionsgrundlage sein anhand derer erklärt werden kann, warum der Kapitalismus an sich gestürzt werden muß und wie eine neue Gesellschaft errichtet werden kann.
Wer „macht“ die Revolution?
Eine sozialistische Revolution ist kein Putsch, sie wird nicht von einer handvoll schwerbewaffneter Kader durchgeführt, sondern von der Mehrheit der aktiven Bevölkerung mitgetragen. Verschiedene Teile der Unterdrückten und Ausgebeuteten müssen sich daran beteiligen - wie die Kleinbauern und Landarbeiter und die Armen am Land und in den Städten. Aber nur die ArbeiterInnenklasse hat Erfahrung mit kollektivem Arbeiten und mit der Notwendigkeit, sich zu organisieren. Nur sie kann als revolutionäre Klasse in einer sozialistischen Revolution eine führende Rolle spielen. Auch in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern ist die ArbeiterInnenklasse heute eine zahlenmäßig starke Kraft, in Indonesien sind das 30-40 Millionen Menschen (15-20 % der Bevölkerung). Um die ArbeiterInnenklasse in diesem Kampf zu organisieren und zu zum Sieg zu führen, um aus einer Revolte eine siegreiche Revolution zu machen, braucht es noch den „subjektiven Faktor", also die revolutionäre Partei - eine Organisation, die analysiert und erklärt was geschieht, die Lehren aus der Vergangenheit zieht, an der Spitze des Kampfes steht und die tagtäglichen Forderungen und Schritte mit eine sozialistischen Perspektive verknüpft.
In Indonesien existieren heute viele der „klassischen" Zutaten einer Revolution, eine kämpferische Jugend, breite Schichten der Bevölkerung die sich am Aufstand beteiligen, eine ArbeiterInnenklasse, die in den Kampf eingetreten ist und nicht zuletzt die Krise und die Spaltungen in der herrschenden Klasse, die zwischen Konzessionen und Repression schwankt. Nun gilt es mit diesen Zutaten den Kuchen der Revolution fertigzubacken!