Mi 07.02.2018
2018 werden für zehn Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge ausgehandelt. Die größten Bereiche sind die Metall- und Elektroindustrie mit 3,5 Millionen Beschäftigten sowie die 2,5 Millionen Beschäftigten in Bund und Kommunen. Dazu kommen Bereiche wie die Post, bei der 2015 mehrere Wochen gestreikt wurde, die Telekom, VW, sowie das Bauhauptgewerbe und andere. Neben den Forderungen nach einem höheren Anteil an erwirtschafteten Gewinnen und Überschüssen geht es auch um die Frage der Arbeitszeiten.
Die Forderungshöhe liegt bei allen ähnlich – um die sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt. Angesichts der allgemeinen Entwicklung von Löhnen und Gehältern im Vergleich mit Gewinnen und Vermögen, ist dies noch eine bescheidene Forderung. Dazu kommt, dass im letzten Jahr die Inflation gestiegen ist, nämlich auf 1,8 Prozent. Auf der anderen Seite gibt es sowohl Überschüsse in den öffentlichen Kassen, als auch erneut Rekordgewinne von deutschen Konzernen. Es ist also eigentlich genug Geld da – es geht um die Frage der Verteilung. Angesichts dessen sollte in den aktuellen Tarifrunden mehr denn je die volle Durchsetzung der Forderungen zum Ziel gesetzt werden, anstatt routinemäßig bei knapp der Hälfte des Geforderten abzuschließen.
Angriff auf Arbeitszeiten
Die Frage der Arbeitszeit ist wieder auf der Tagesordnung. Zum einen durch die Arbeitgeber: Sie streben eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten und eine Ausweitung der Höchstarbeitszeiten an. Stichworte wie „Digitalisierung“ werden als Argumente angeführt. Im Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD steht: „Wir werden über eine Tariföffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz Experimentierräume für tarifgebundene Unternehmen schaffen, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt zu erproben. Auf Grundlage von Betriebsvereinbarungen kann insbesondere die Höchstarbeitszeit wöchentlich flexibel geregelt werden.“
In der Konsequenz bedeutet das einen weitreichenden Angriff auf ArbeitnehmerInnen. Dennoch werben die Gewerkschaftsführungen für die Fortsetzung der GroKo, ohne dieses Vorhaben zum Thema zu machen. Vermutlich sind sie zufrieden, weil sie der Meinung sind, dass in dieser Formulierung ihre Rolle als Tarifpartner anerkannt wird und dass die Gesetzesänderungen mit ihnen abgestimmt werden sollen. Doch das wird höchstens bedeuten, dass die Verschlechterungen stückchenweise eingeführt werden. In der Praxis wird es höhere durchschnittliche Arbeitszeiten bedeuten sowie noch mehr Flexibilisierung – in den meisten Fällen im Sinne der Arbeitgeber.
Auf der anderen Seite steht das wachsende Bedürfnis von vielen Beschäftigten, dem massiv angewachsenen Arbeitsdruck zu entfliehen. Ein Hebel dafür ist Arbeitszeitverkürzung. Einige flüchten sich schon in Teilzeit, doch viele können sich das nicht leisten. Deshalb ist es wichtig, dass die Gewerkschaften den Kampf um Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich aufnehmen.
IG Metall und Kampf um Arbeitszeit
Die IG Metall hat mit ihren Forderungen zum ersten Mal seit langem das Thema Arbeitszeitverkürzung auf die Tagesordnung gesetzt. Das ist positiv und ist bei vielen KollegInnen auf Widerhall gestoßen. Allerdings wurde die Forderung in verschiedener Hinsicht begrenzt: es soll sich nur um einen Anspruch für bestimmte Gruppen von KollegInnen handeln, ihre Arbeitszeit für den begrenzten Zeitraum von zwei Jahren auf 28 Stunden zu reduzieren, und das auch nicht bei vollem Lohnausgleich, sondern einem Teillohnausgleich. Es ist schade, dass gerade die kampfstarke IG Metall bescheiden an die Frage der Arbeitszeitverkürzung heran geht.
Das nutzen auch die Arbeitgeber, um die Auseinandersetzung in ihre Richtung zu lenken. Entsprechend haben die Verhandlungsführer der Metallarbeitgeber ins Spiel gebracht, kompromissbereit zu sein, wenn die IG Metall auch eine flexible Verlängerung der Arbeitszeiten auf 40 Stunden pro Woche tarifvertraglich möglich macht.
Ein Kompromiss, der eine weitere Flexibilisierung nach oben zulässt, wäre fatal. Das, was mit der 35-Stunden-Woche Mitte der 80iger Jahre erkämpft wurde, würde weiter ausgehöhlt. Schon jetzt liegen die realen Arbeitszeiten durch die Aufweichung der Flächentarifverträge, wie es durch das so genannte Pforzheimer Abkommen von 2004 verabredet wurde, höher. Dazu kommt, dass in Ostdeutschland nach wie vor längere Arbeitszeiten gelten und dass einige Betriebe zusätzlich nicht an die Tarife gebunden sind. Hier ist es nur im Bezirk Berlin-Brandenburg gelungen, die Forderung nach der 35-Stunden-Woche auch für Ostdeutschland innerhalb der IG Metall durchzusetzen. Im Durchschnitt werden laut IG Metall 40,6 Stunden pro Woche in der Metall- und Elektroindustrie gearbeitet.
Es darf keine Kompensationen geben. Deshalb ist wichtig, dass Druck auf die IG Metallführung und Verhandlungskommissionen gemacht wird, um nicht in die Defensive zu geraten.
Volle Durchsetzung der Forderungen möglich?
Die Ausgangsposition für Streik ist extrem gut für die Beschäftigten! Die Durchsetzung der Forderungen ist möglich – ohne Kompromiss. In den ersten Wochen des Jahres waren 920.000 den Aufrufen der IG Metall gefolgt. Die Stimmung war kämpferisch und selbstbewusst. Das wurde dadurch verstärkt, dass die IG Metall auf ihrem Gewerkschaftstag beschlossen hatte, zu 24-Stunden-Warnstreiks aufzurufen, anstatt nur, wie bisher, für wenige Stunden. Allein damit könnte angesichts der Auftragslage und der Just-in-Time-Produktion ein sehr großer Druck erzeugt werden. Das gilt umso mehr, wenn zu Urabstimmung und Streik aufgerufen würde.
Wenn die Arbeitgeber mauern, sollte in der IG Metall die Diskussion aufgemacht werden, ob man stattdessen die Forderung noch ausweitet. Es ist ein Skandal, dass die Arbeitgeber, die keine Probleme haben, KollegInnen durch Fremdvergabe und Leiharbeit zu unterschiedlichen Löhnen für die gleiche Arbeit nebeneinander arbeiten zu lassen, jetzt bei der Forderung nach dem Anrecht auf Arbeitszeitverkürzung meinen, das sei unzulässig, weil Ungleichheit geschaffen würde. Dennoch – wenn sie darauf bestehen, könnte man auch das Argument umdrehen und sagen – dann fordern wir die Arbeitszeitverkürzung für alle – bei vollem Lohn- und Personalausgleich – zum Beispiel auf 30 Stunden für alle und unbefristet. Das wäre völlig gerechtfertigt, angesichts des Produktivitätszuwachses seit der letzten Arbeitszeitverkürzung, die vor 35 Jahren vereinbart wurde. Und es wäre eine klare Forderung, die mobilisierend auf alle Kolleginnen und Kollegen wirken würde. Das Argument, dass es einigen nichts bringt oder Ungleichheit hervorruft, könnte so aus der Welt geschafft werden. Und die höhere Wirkung von Streiks aufgrund der wirtschaftlichen Auslastung sollte unbedingt genutzt werden, um in die Offensive zu kommen.
Öffentlicher Dienst
Auch im öffentlichen Dienst haben KollegInnen immer wieder ihre Streikbereitschaft gezeigt. Auch hier spielt nicht nur die Lohnhöhe eine große Rolle. Viele fühlen sich überlastet und möchten mehr Personal und mehr Freizeit. Deshalb ist es gut, dass auch in ver.di inzwischen begonnen wurde, über eine Kampagne für Arbeitszeitverkürzung nachzudenken. Schon in der jetzigen Tarifrunde, die wahrscheinlich vor allem um höhere Löhne geht, sollten Versammlungen von Streikenden auch genutzt werden, um eine Kampagne für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich für die nächste Runde vorzubereiten.
Personalmangel
Es ist dringend nötig, die Bezahlung im öffentlichen Dienst zu verbessern, insbesondere in den unteren und mittleren Gehaltsgruppen. Denn sonst wird das Problem des Personal- und Fachkräftemangels, wie er zur Zeit von den Krankenhäusern über die Kitas zu den Schulen, beklagt wird, nicht zu lösen sein. In deutschen Krankenhäusern besteht laut ver.di ein Bedarf an 162.000 zusätzlichen Beschäftigten. Auch in den meisten Ämtern gibt es große Probleme. Das hat massive Folgen für die Beschäftigten, die unter der Last der anfallenden Arbeit teilweise zusammenbrechen. Viele können sich nicht vorstellen, ihren Beruf bis zur Rente durchzuhalten. Gleichzeitig wird die Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge enorm verschlechtert. Um eine deutliche Aufwertung der Berufe im öffentlichen Dienst zu erreichen, wäre nötig, mindestens einen Sockelbetrag wie in den letzten Tarifrunden, wenn nicht gar eine tabellenwirksame Festgeldforderung aufzustellen, um so besonders die unteren und mittleren Gehaltsgruppen stärker anzuheben.
Egal, wie die Forderung ausfällt: Natürlich werden die Arbeitgeber ihre alte Leier wiederholen, es sei alles nicht finanzierbar. Dem muss selbstbewusst begegnet werden. Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ argumentiert:
„Uns interessiert die Lage der Beschäftigten – und die der NutzerInnen. Geld ist in der Gesellschaft in ausreichendem Maße vorhanden. Es ist nur in den falschen Händen und wird falsch eingesetzt. Denken wir allein an die Enthüllungen der Paradise Papers: insgesamt wurden weltweit 7,9 Billionen (!) Euro in Steueroasen gehortet. Etwa 1000 Milliardäre, Reiche, Spekulanten, Unternehmer, Politiker, verurteilte Betrüger aus Deutschland sind daran beteiligt. So mancher Einkommensmillionär oder Großkonzern hat weniger Steuern gezahlt als ein Krankenpfleger oder eine Ingenieurin im Bauamt. Unmengen an Geld wurden beiseite geschafft, mit denen massive Investitionen in öffentliche Daseinsvorsorge – Krankenhäuser, Kitas, Schulen, Unis – und anständige Löhne und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten getätigt werden könnten.
Die stetige Anhäufung von Reichtum von einigen Wenigen könnte gestoppt werden. Allein durch den Wegfall der Vermögenssteuer fehlen der öffentlichen Hand jedes Jahr 20 Milliarden Euro. Allein bei einer bescheidenen Anhebung der Vermögenssteuer auf fünf Prozent ab einer Million Euro (Forderung der LINKEN) kämen 85 Milliarden Euro jährlich mehr in die Kasse – alles im Interesse des Allgemeinwohls anstatt im Interesse einer kleinen reichen Minderheit. Deshalb ist klar – es muss Druck aufgebaut werden – durch Streikmaßnahmen, Demonstrationen, Solidarität in der Bevölkerung aufgebaut werden.“
Streiktaktik
Äußerungen von Teilen des Gewerkschaftsapparats bezüglich der Streiktaktik sind angesichts der Herausforderungen besorgniserregend: Während die IG Metall inzwischen mit 24-stündigen Warnstreiks droht, geht die ver.di-Führung scheinbar einen Schritt zurück. So gab es Äußerungen, dass die Warnstreiks in dieser Runde auf 4 Stunden begrenzt werden sollen.
ver.di-Chef Frank Bsirske sprach davon, dass man in der diesjährigen Tarifrunde ein höheres Ergebnis brauche, als beim letzten Mal. Das lässt sich aber sicher nicht erreichen, wenn man mit der Handbremse in die Tarifauseinandersetzung geht. Stattdessen sollte auch ver.di sehr schnell mit einem Paukenschlag möglichst viele KollegInnen auf die Straße bringen. Es ist Zeit, Tarifrunden nicht mehr als Routine zu betrachten, wo man die KollegInnen für ein paar Stunden zu Warnstreiks aufruft, und am Ende wieder bei weniger als der Hälfte des Geforderten stehen zu bleiben.
Gemeinsame Mobilisierungen mit KollegInnen von KollegInnen in der Metall-und Elektroindustrie, dem öffentlichen Dienst, Post, Telekom und anderen könnten organisiert werden, um gemeinsam Stärke zu zeigen und den Druck ökonomisch und politisch zu erhöhen. So könnten die Streiks ausgeweitet und zu einer gesellschaftspolitischen Bewegung für eine längst überfällige Umverteilung von oben nach unten gemacht werden.
So wäre es möglich, wieder in die Offensive zu kommen. Das wäre auch das beste Mittel, um endlich den Rückgang der Mitgliederzahlen bei ver.di und IG Metall aufzuhalten.
Angelika Teweleit ist betriebs- und gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV. Auf den Sozialismustagen diskutiertiert sie mit Winfried Wolf zur Lage der Autoindustrie