Mi 29.04.2015
Am 27. und 28. April wurde ein Stück Gewerkschaftsgeschichte geschrieben: erstmals streikten an einem deutschen Krankenhaus Beschäftigte für eine tarifvertragliche Regelung zur Personalbemessung, sprich: für mehr Personal. Und das mit großem Erfolg: 400 Operationen wurden abgesagt, 500 Betten konnten nicht belegt werden, ein finanzieller Schaden von zwei Millionen Euro für Deutschlands größtes Universitätsklinikum verursacht.
„Im Nachtdienst kommen 31 Patienten auf eine Pflegekraft“, „es geht hier sowohl um Eigengefährdung als auch um Patientengefährdung“, wir haben weder ausreichend Zeit für die Patienten, noch für die Angehörigen“, bei der Medikamentenvergabe haben wir keine Zeit, die nötige Sorgfalt aufzubringen“, „Kolleginnen und Kollegen schleppen sich krank zur Arbeit, das ist auch für Patienten unverantwortlich“ – unzählige solcher Aussagen konnte man an den zwei Streiktagen von Beschäftigten vernehmen. Sie geben einen Eindruck von den katastrophalen Zuständen an deutschen Krankenhäusern.
Dagegen sind die Beschäftigten an der Charité nun aufgestanden und haben ein deutliches Zeichen gesetzt. Darauf mussten nun auch Vertreter der Parteien reagieren, die für die Misere verantwortlich sind. Der gesundheitspolitische Sprecher der Berliner SPD, Thomas Isenberg, behauptete, seine Partei stünde an der Seite der Streikenden. Und trat gleichzeitig auf die Bremse, als er Finanzierbarkeit und schrittweise Umsetzung von Verbesserungen betonte. Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) sprach sich für „rechtssichere Personalschlüssel“ aus, allerdings nur für die Intensivpflege und möglicherweise für Nachtdienste. Auf diese Herren sollten und können die Beschäftigten nicht hoffen, aber deren „verständnisvolle“ Reaktion zeigt, welchen Druck der Warnstreik erzeugt hat und wie groß die Unterstützung in der Bevölkerung für die Forderungen der ver.di Betriebsgruppe an der Charité ist.
Große Demo-Beteiligung
Das zeigte sich auch bei der zentralen Streikdemonstration am Dienstag Nachmittag, an der 1.500 Menschen teilnahmen – nicht nur die circa 500 Streikenden, sondern MitarbeiterInnen, die aus aufgrund der Notversorgung nicht am Streik teilnehmen konnten, und UnterstützerInnen aus dem Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“, sozialen Bewegungen, der LINKEN und anderen Gewerkschaften.
Zum Auftakt sprach der Krankenpfleger und Gewerkschafter Stephan Gummert und verlas unter anderem die Solidaritätserklärung der drei irischen Parlamentsabgeordneten der Anti-Austerity Alliance (Bündnis gegen Austerität). Solidaritätsreden gab es auch von der ver.di-Landesbezirksleitung, einer Kollegin der Vivantes-Kliniken, Medizinstudierenden, dem Bündnis für den Mietenvolksentscheid in Berlin und dem LINKE-Vorsitzenden Bernd Riexinger. Auch Vertreter von SPD und Grünen erklärten ihre Unterstützung. Wie weit entfernt der SPD-Vertreter Isenberg von der Lebensrealität der Beschäftigten ist, zeigte er mit dem Satz: „Danke, dass sie sich Zeit für den Warnstreik genommen haben.“ Entsprechend höflich und bescheiden viel der Applaus aus. Für das Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ sprachen Lucy Redler und Heike Pelchen. Lucy Redler nahm das Argument, die ver.di-Forderungen seien nicht finanzierbar auseinander, indem sie darauf hinwies, dass die laufenden Kosten für zwei Monate Flughafen BER-Baustelle oder 55 Meter der Baukosten der so genannten Kanzler-U-Bahn ausreichen, um die Forderungen für ein Jahr zu erfüllen. Sie machte klar, dass es darum geht, ob das Gesundheitswesen nach Profit funktioniert oder bedarfsgerecht und unterstrich den politischen Charakter des Streiks. Heike Pelchen, selbst Ärztin, forderte die Ärzteschaft dazu auf, sich solidarisch an die Seite der Pflegekräfte und anderen Beschäftigten zu stellen.
Carsten Becker, ver.di-Betriebsgruppenvorsitzender, brachte die Stimmung auf den Punkt, als er sagte: „Wir haben einen langem Atem, aber wir haben keine Geduld!“
Mit dieser Streikbereitschaft und schwindenden Geduld muss sich die Charité-Leitung nun auseinandersetzen. Legt sie kein Angebot vor, dass für wirklich alle Beschäftigtengruppen Verbesserungen beinhaltet, kann es schon bald zu einer Urabstimmung und einem Erzwingungsstreik kommen.