Tag 1: Warnstreik an der Charité

„Mehr von uns ist besser für alle“ – Für mehr Personal im Krankenhaus
Sascha Stanicic, CWI Deutschland

„Wir kümmern uns genug um die Patienten und haben auch derzeit ausreichend Personal.” So lautete die Reaktion von Professor Frei, des ärztlichen Direktors des Berliner Universitätsklinikums Charité auf den heutigen Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft ver.di aufgerufen hatte. Als die Streikenden diese hörten, mischten sich Heiterkeit und Wut. Ihre tägliche Erfahrung im Beruf spricht eine andere Sprache. Deshalb streikten erstmals Beschäftigte eines deutschen Krankenhauses nicht etwa für höhere Löhne, sondern für mehr Personal und Gesundheitsschutz – und das mit großen Erfolg.

Vor fast drei Jahren forderte die ver.di Betriebsgruppe an der Charité erstmals eine tarifliche Regelung für eine Mindestpersonalbemessung und Gesundheitsschutz für die Beschäftigten. Die Kernforderungen für den Bereich Pflege sind: Quoten von einer Pflegekraft auf zwei PatientInnen auf Intensivstationen, von eins zu fünf auf Normalstationen und „Keine Nacht allein“. Es geht aber nicht nur um die Überlastung der Beschäftigten, die direkt Dienst am Patienten tun, sondern um die Arbeitsbedingungen aller Charité-MitarbeiterInnen. Zuerst behauptete der Arbeitgeber, diese Forderungen seien „grundgesetzwidrig“, dann musste er sich aufgrund des großen Drucks doch auf Verhandlungen einlassen und verzögerte diese, dann gestand er die Einstellung von achtzig Vollzeitkräften ein, die sich aber als Luftnummer herausstellte. Jetzt kam es – endlich aus Sicht vieler Beschäftigter – zum Warnstreik.

„Streikziel erreicht!“ konnte die ver.di Betriebsgruppe am heutigen ersten Streiktag verkünden! Die Beteiligung, aber vor allem die Streikbereitschaft waren enorm und überstiegen sogar das Ausmaß des großen fünftägigen Erzwingungsstreiks im Jahr 2011. Eine Reihe von Stationen waren erstmals im Streik.

Doch ein Streik im Krankenhaus ist nicht mit einem Streik in der Fabrik vergleichbar, wo in der Regel alle KollegInnen den Hammer fallen lassen können bzw. die Bänder abgestellt werden. Im Krankenhaus muss eine Notversorgung für PatientInnen gewährleistet werden. Ein Umstand, mit dem die ver.di Betriebsgruppe äußerst verantwortlich umgeht – und den die Arbeitgeberseite zur Untergrabung des Streiks auszunutzen versucht. So kam es in den letzten Tagen zu einem regelrechten Guerillakrieg zwischen Leitung der Charité und den streikwilligen Beschäftigten. Plötzlich wurde von Leitungsseite für Stationen ein Mindeststandard verlangt, der an 363 Tagen im Jahr nicht besteht, aber an zwei Streiktagen formuliert wird, um Beschäftigten die Teilnahme unmöglich zu machen. So sollten auf einer Station plötzlich zwei Pflegekräfte pro fünf PatientInnen anwesend sein müssen, wo sie sonst das Vielfache an PatientInnen versorgen müssen. Für die Beschäftigten bedeutet das einen enormen moralischen Druck, da sie als „Patientengefährder“ an den Pranger gestellt werden. Ein nicht zu unterschätzender Erfolg der gewerkschaftlichen Aktivitäten an der Charité ist, dass sich immer mehr Pflegekräfte aus diesem Druck befreien und sagen: die tägliche Realität ist patientengefährdend und nicht unser Kampf für eine Verbesserung der Situation!

Letztlich konnten aber aufgrund der Haltung der Arbeitgeberseite nicht alle Streikwilligen auch am Streik teilnehmen. Besondere Erwähnung fand die Station 13 des Virchow-Klinikums, wo noch am Wochenende von dreißig angeblich nicht verlegungsfähigen PatientInnen die Rede war, von denen dann heute nur noch 17 übrig waren. Trotzdem durfte die Station nicht streiken, was zu regelmäßigen Solidaritätsbesuchen der Streikenden auf der Station führte.

Professor Frei hatte in den Medien verkündet, durch den Streik würden PatientInnen in Geiselhaft genommen. Stephan Gummert von der ver.di-Streikleitung nannte es unfassbar, welche Sprache hier von Arbeitgeberseite verwendet wird, mit dem die Beschäftigten in die Nähe von kriminellen und Terroristen gerückt werden. Er entgegnete: „Wir Beschäftigte sind 365 Tage in Geiselhaft. Wenn Herr Frei eine solche Sprache verwendet, darf er sich über unsere Antwort nicht wundern.“

Eine Besonderheit an dem Arbeitskampf an der Charité ist die enge Kooperation der ver.di-Betriebsgruppe mit dem Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“, an dem sich auch SAV-Mitglieder aktiv beteiligen. Dies ergibt sich aus dem Verständnis, dass es sich bei diesem Arbeitskampf um eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung handelt und die Ziele der KollegInnen im Interesse aller sind, die potenzielle PatientInnen sind. Eine weitere Besonderheit ist, dass die ver.di-Betriebsgruppe eine „Tarifberater“-Struktur entwickelt hat, durch die Delegierte der Stationen und Bereiche informiert werden und in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Streiks an der Charité sind immer aktive Streiks. So gab es auch heute Kundgebungen, eine Schulung zur Krankenhausfinanzierung, Campus-Demonstrationen, Besuche auf Stationen, Unterschriftensammlungen und Flugblatt-Verteilaktionen.

Für das Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ hielten Heike Pelchen und Lucy Redler am Virchow-Klinikum eine Solidaritätsrede. Besonders viel Beifall gab es als Lucy Redler darauf hinwies, dass am selben Tag Postbeschäftigte streiken, sich zur Zeit auch die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste in einer Tarifauseinandersetzung befinden und es höchste Zeit ist, dass alle gemeinsam streiken und demonstrieren. Am Campus Benjamin Franklin in Berlin-Steglitz konnte unter anderen Angelika Teweleit für das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ Solidaritätsgrüße überbringen. SAV-Mitglieder waren an allen drei Sandorten der Charité von sechs Uhr morgens zur Unterstützung des Streiks dabei und verteilten ein Flugblatt mit internationalen Grußbotschaften aus Venezuela, England, Schweden, Österreich und Südafrika.

Morgen geht es weiter. Wir rufen aller Berlinerinnen und Berliner auf, an der gemeinsamen Streikdemonstration aller drei Kliniken teilzunehmen, die um 15:30 Uhr am Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, startet.


Solidaritätserklärung für Charité-Streik aus Irland

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Namen des „Bündnisses gegen Austerität“ (Anti-Austerity Alliance) möchten wir unsere Solidarität für die Beschäftigten der Charité zum Ausdruck bringen, die am 28. und 28. April in den Streik treten.

In Irland haben wir in den letzten sieben Jahren brutale Austeritätsmaßnahmen erlitten. Dazu gehörten auch heftige Kürzungen im Gesundheitswesen. Löhne und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten wurden angegriffen und die Rechte und Pflege der Patientinnen und Patienten wurden verschlechtert. Das hat zu enormen Wartelisten auch für Routineuntersuchungen, überfüllte und unterbesetzte Krankenhäuser geführt.

Wir haben verstanden, dass ver.di eine gesetzliche Regelung für eine Personalmindestbesetzung fordert. Eine solche Gesetzgebung wäre willkommen zu heißen und würden einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Sicherheit der Patientinnen und Patienten bedeuten und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen verbessern.

Unsere Erfahrungen in Irland zeigen, dass es aber wichtig ist, dass neben Kampagnen für gesetzliche Regelungen, die Beschäftigten sich organisieren und selber in Aktion treten. Das ist der beste Weg, um einen maximalen politischen Druck zu erzeugen und kann dazu führen, dass auch im Rahmen eines Tarifvertrags garantierte Mindestpersonalbesetzungen erreicht werden.

Solidarische Grüße

Ruth Coppinger

Joe Higgins

Paul Murphy

Abgeordnete der Anti-Austerity Alliance im irischen Nationalparlament


Solidaritätsbotschaft der SLP

Volle Solidarität mit dem Warnstreik an der Charite

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der Gesundheits- und Sozialbereich steht überall unter Beschuss – und überall regt sich Widerstand. Immer mehr KollegInnen sind – absolut zu Recht – nicht mehr bereit, für Bankenrettungspakete oder Steuergeschenke an Unternehmen noch mehr zu arbeiten. In Österreich gibt es aktuell eine Reihe von Initiativen, die eine bessere Bezahlung und mehr Personal sowie ein Ende der Kürzungen fordern. U.a. am 12. Mai, dem „Internationalen Tag der Pflege“ wird es in mehreren Städten Aktionen zum „Österreichweiten Tag des Pflegeaufstandes“ geben.

Wir haben die Kämpfe der vergangenen Jahre an der Charite mit Interesse und Sympathie verfolgt, gibt es doch viel von Euch zu lernen. Ihr zeigt, dass ein Streik im Sozial- und Gesundheitsbereich nicht nur notwendig, sondern möglich ist. Ihr handelt damit – im Gegensatz zu den scheinheiligen Aussagen der Kürzungs-PolitikerInnen – verantwortungsvoll: Ihr tut etwas dafür, dass es mehr Personal und mehr Geld für die Beschäftigten gibt. Die besten Mittel um Burn-Out, Berufserkrankungen UND eine bessere Betreuung für die PatientInnen/KlientInnen zu erreichen.

Wir wünschen euch viel Kraft, Solidarität und Standhaftigkeit in eurem aktuellen Kampf!

Mit solidarischen Grüßen,

Sonja Grusch, für die SLP

für die Sozialistische LinksPartei SLP