Fr 17.08.2007
In den letzten Wochen gab es in Frankreich und Deutschland fundamentale Angriffe auf das Streikrecht. In beiden Fällen wird mit dem „Gemeinwohl“ argumentiert, dass über dem „Egoismus“ der ArbeitnehmerInnen stehen müsse.
Frankreich: Sarkozys Angriff
In Frankreich hat die Regierung Sarkozy beschlossen, dass bei Streiks im Öffentlichen Verkehr künftig eine Minimalversorgug aufrecht bleiben muss, dass ArbeitnehmerInnen, die in Streik treten wollen, das 48 Stunden vorher anmelden müssen und dass acht Tage nach Streikbeginn eine Urabstimmung über die Fortsetzung des Arbeitskampfes abgehalten werden kann, sofern dies ArbeitnehmerInnen oder ArbeitgeberInnen beantragen. Natürlich geht es hierbei nicht um „mehr Demokratie“ oder das „Allgemeinwohl“ sondern um Versuche, das Streikrecht einzuschränken. Die massivsten Angriffe auf einen funktionierenden öffentlichen Verkehr finden durch Privatisierungen und Kürzungen statt – da interessiert ein „Minimalbetrieb“ die Regierung auch nicht. Mehr innergewerkschaftliche Demokratie wäre zwar sicher anzustreben, aber durch eine solche Maßnahme ist sie nicht erreichbar. Hier geht es darum, Beschäftigte leichter unter Druck setzen zu können um so ein Votum für ein Streikende zu erreichen.
Deutschland: Mit Verboten gegen Streiks
In Deutschland hat das Arbeitsgericht Nürnberg den geplanten Streik der LokführerInnengewerkschaft GDL verboten. Auch hier ist den RichterInnen das „Gemeinwohl“ völlig egal, geht es um die Einschränkung eines Grundrechtes. Nicht ein Streik der LokführerInnen hätte Millionen Deutsche in ihrem wohlverdienten Urlaub behindert, sondern die Reallohnverluste und Preissteigerungen (nicht zuletzt bei der Deutschen Bahn) sind schuld daran, dass Viele heuer gar keinen Urlaub machen können.
Warum Jetzt?
Angriffe auf das Streikrecht gibt es seit längerem, die härtesten seit den 1940er Jahren gab es unter der „Eisernen Lady“, Margret Thatcher, in den 1990ern in Britannien. Auch Blairs New Labour Party hat - trotz Versprechen, diese Abzuschaffen - diese beibehalten und davon beim weiteren Sozialabbau profitiert. Die jetzigen Angriffe finden vor dem Hintergrund eines „Aufschwungs“ statt. In den 1980er und 1990er Jahren fand eine neoliberale Offensive statt, die die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse durch erhöhten Arbeitsdruck und sinkende Reallöhne erhöht hat. Möglich war dies auch wegen der politischen Schwäche der ArbeiterInnenbewegung in dieser Periode (als Folge der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und dem Wegfallen einer Systemalternative).
Nach jahrelangem „wir müssen den Gürtel enger schnallen“ fordern in ganz Europa heute ArbeitnehmerInnen nun eine Verbesserung ihres Lebensstandards. Sozialabau, Privatisierung und Hartz IV auf der einen Seite - stark steigende Unternehmensgewinne und ManagerInnenbezüge auf der anderen: das macht wütend. Die globale Protestbewegung der 1990er Jahre und die zunehmenden Klassenkämpfe der letzten Jahre haben auch ein – noch schwaches aber wachsendes – Klassenbewußtsein geschaffen. Die „geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“-Propaganda zieht nicht mehr.
Aus Angst vor kommenden, größeren Klassenkämpfen geht die Bourgeosie in die Offensive. Von ihrer Warte aus ist sie dazu auch gezwungen, da der momentane Aufschwung keineswegs ein starker, solider Aufschwung ist, sondern auf äußerst wackeligen Beinen steht. Es wächst eben nicht die geamte Weltwirtschaft, es profitieren nicht „alle“ davon, sondern der Wettbewerb zwischen Unternehmen (mit nach wie vor nationalstaatlicher Basis) ist hart. Ein Streik ist ein „Wettbewerbsnachteil“ – und soll daher verhindert werden.
Kein Verlass auf den Staat
Deutlich machen die Angriffe auch, dass Regierungen und Staaten nicht neutral sind, nicht im Sinne der „Allgemeinheit“ agieren, sondern die Interessen einer Gruppe vertreten. Die Rhetorik vom Gemeinwohl ist vorgeschoben, um Unternehmensinteresse zu verteidigen. Dieselben Staaten und Regierungen privatisieren den öffentlichen Verkehr, schließen unprofitable Nebenlinien, erhöhen die Transportpreise – und pfeiffen dabei aufs „Gemeinwohl“. (Massen)Entlassungen, die ja auch massive Auswirkungen aufs Gemeinwohl haben, werden von denselben Gerichten nicht verboten. Die Staaten übernehmen auch hier wieder die Funktion einer Schutzmacht der KapitalistInnen, die als Einzelne in vielen Fällen auch zu schwach wären, um gegen die ArbeiterInnenklasse vorzugehen. Die Staaten springen hier ein und sehen es als ihre Aufgabe, GewerkschafterInnen und AktivistInnen der ArbeiterInnenbewegung - auch durch Verbote - einzuschüchtern.
Streik ist ein Grundrecht der ArbeiterInnenbewegung das immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss
Die rechtlichen Grundlagen für Streiks sind von Land zu Land unterschiedlich. In Österreich gibt es keine „positivrechtliche“ Grundlage – also keine Gesetze darüber ob/wann/wie ein Streik erlaubt bzw. verboten ist. In Deutschland gibt es z.B. fixe „Spielregeln“. Aber egal wie der rechtliche Rahmen aussieht, wird immer wieder versucht, Streiks zu verhindern, zu erschweren oder zu verbieten. Streik ist aber ein politisches Grundrecht der ArbeiterInnenbewegung – unabhängig davon, was in den Gesetzesbüchern steht. Das gilt für kleine, lokale bzw. auf einzelne Betriebe beschränkte Streiks ebenso wie für Streiks in einer ganzen Branche, im öffentlichen Dienst oder auch für Generalstreiks. Streiks sind eine harte Waffe, die nicht leichtfertig eingesetzt werden sollte – aber auch nicht verschrottet werden darf, wie es die Gewerkschaftsbürokratie de facto macht.
Im Kapitalismus gibt es keine gleichen Chancen für ArbeiterInnen und KapitalistInnen. ArbeiterInnen haben auch heute "nichts zu verkaufen als ihre Arbeitskraft" - sie sind von ihrem Job abhängig. KapitalistInnen hingegen können sehr gut auch von ihrem Reichtum leben (unsere bescheidenen Sparbücher reichen hingegen nicht lange). Obwohl wir uns auf die bürgerlichen Staaten bei der Verteidigung von ArbeiterInnenrechten nicht verlassen können, verteidigen wir jedes Recht - wie Schutzmaßnahmen, Arbeitszeitgesetze, Jugendschutzgesetze, aber eben auch streikrechtliche Bestimmungen - das sich die ArbeiterInnenbewegung erkämpft hat.
Will die ArbeiterInnenbewegung den Lebensstandard, die Arbeitsplätze, die sozialen und politischen Rechte der ArbeiterInnen verteidigen, so wird sie künftig auch das Recht zu streiken verteidigen müssen.