Do 13.02.2020
Über 120.000 Beschäftigte im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich (SWÖ) sind im Arbeitskampf. Gleichzeitig verhandeln die kirchlichen Träger Diakonie (ca. 7500 Beschäftigte) und Caritas (ca 15.000 Beschäftigte) mit der gleichen Forderung: Die Einführung der 35h Woche. Nach dem scheitern der Verhandlungen im SWÖ am 10.02. riefen die Gewerkschaften GPA djp und VIDA zum Streik auf.
Hat die Gewerkschaft sich verspekuliert?
Viele Kolleg*innen konnten der Strategie der Gewerkschaft, sich allein auf die Arbeitszeitverkürzung zu konzentrieren, nicht viel abgewinnen. Der Sozial- und Gesundheitsbereich ist ein Niedriglohnsektor, viele arbeiten längst am Rande der Armutsgrenze. So notwendig die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich auch ist, so wichtig ist auch eine saftige Lohn- und Gehaltserhöhung für alle! Dazu kommt die Erfahrung der Abschlüsse der letzten Jahre: Viel zu oft hat die Gewerkschaft sehr niedrige Ergebnisse erzielt und schlechte Kompromisse geschlossen. Ein schlechter Kompromiss bei der Arbeitszeitverkürzung käme aber teuer: Wenn zB, was wohl im Gespräch ist, die Verkürzung über 5 Jahre stückweise vollzogen würde, wäre das mit den Personalausgleich schwer realisierbar. Jedes Jahr 30 min/Woche reduzieren hieße bei den kleinen Belegschaften pro Standort in der Branche, dass sich kaum ein neuer Arbeitsplatz ausgehen würde. Die Kolleg*innen würden also vielleicht kürzer, aber intensiver arbeiten. Und in 5 Jahren würden die Arbeitgeber dann argumentieren, dass es ja es zu klappen scheint die gleiche Arbeit mit weniger Personal zu machen… angesichts von rekord-burnout Raten in der Branche eine Rechnung auf Kosten der Gesundheit! Wir brauchen die Arbeitszeitverkürzung sofort!
Eine andere Sorge ist die nach dem vollen Lohn: über 70% arbeiten Teilzeit und laut Gewerkschaft würde die 35h Woche für sie zwar nicht weniger Arbeitszeit, aber ca 8% mehr Lohn/Gehalt bedeuten. Für die Vollzeitbeschäftigten gibt es nur die Forderung nach “vollem Lohn”. Nicht mal ein Inflationsausgleich ist vorgesehen, das heißt die Vollzeit-Kolleg*innen machen ein Minus bei diesem Abschluss, obwohl auch sie das Geld dringend brauchen! Das kann es ja wohl nicht sein, wir brauchen mehr Geld für alle!
Die Strategie der Gewerkschaft bei der Verhandlung ist es sich auf die 35h-Woche zu konzentrieren und so den Druck zu erhöhen. Nach Berichten von den ersten Verhandlungsrunden schien die Arbeitgeberseite da auch Gesprächsbereit zu sein. Aber inzwischen stellen sie auf stur und sind nicht mehr bereit auch nur darüber zu reden. Die Verhandlungen stocken, also ist kämpfen die einzige Möglichkeit! Sich hier auf die eine Forderung versteift zu haben schwächt dabei die Position der Gewerkschaft eher, denn es macht die Mobilisierung unter den Kolleg*innen schwerer.
Also kämpfen wir!
“Wir sollten mal so kämpfen wie in Frankreich”, das hören wir immer wieder wenn wir mit den Leuten auf den Kundgebungen oder Betriebsversammlungen sprechen. Tatsächlich gibt es wenig Tradition für Streiks, besonders in dem Sozial- und Pflegebereich, wo streiken ja nochmal schwerer ist. Wer hier streikt setzt sich dem Vorwurf aus die Klient*innen, Kund*innen oder Patient*innen im Stich zu lassen. Irgendwie muss eine Grundversorgung immer gewährleistet sein und die Frage was das absolute Minimum ist was an Arbeit geleistet werden muss ist schwer zu beantworten.
Auch der ökonomische Druck ist in der Branche viel schwerer zu erzeugen. Wenn die Metaller*innen streiken tut das den Arbeitgebern unmittelbar erstmal weh. Ein Streik im SWÖ oder bei Caritas und Diakonie wird dann am Ehesten von Angehörigen aufgefangen, die sich dann oft frei nehmen müssen. Das erzeugt schon ökonomischen Druck, genauso wie ein ÖBB Streik dazu führt, dass Leute massenhaft zu spät zur Arbeit kommen und dadurch andere Betrieb unter Druck geraten. Aber in der Pflege oder der Behinderten-Betreuung, in der Suchthilfe oder der Kinder Nachmittagsbetreuung ist der Verantwortungsdruck eben nochmal größer.
Streikmaßnahmen müssen also umso mehr so ausgerichtet werden, dass sie größtmöglichen politischen Druck erzeugen. Die Finanzierung hängt sehr direkt an der öffentlichen Hand, also muss sie neben den Trägern (wie Volkshilfe, ASB, Bildung im Mittelpunkt...) auch mit Protesten überzogen werden.
Mit dem Streikaufruf der Gewerkschaften wurden oft auch Vorschläge an die Betriebsrät*innen und Streikkomittees ausgeschickt wie denn der Streik zu verbringen sei: Gesellschaftsspiele, Karaoke, Urlaubserinnerungen austauschen etc… jedenfalls drinnen bleiben, den Betrieb nicht verlassen.
Das Gegenteil davon brauchen wir! Streiks müssen im öffentlichen Raum stattfinden! Wir brauchen um politischen Druck zu erzeugen die Sichtbarkeit und die Solidarität der Angehörigen, der Klient*innen usw.. Extrem viele Menschen halten die Forderungen für gerechtfertigt, die müssen wir für unsere Aktionen gewinnen. Kolleg*innen aus anderen Branchen können sich so anschließen, wie zB die Deutschtrainer*innen im BaBe-KV oder die Beschäftigten in den Spitälern.
Die Spaltung der Branche in unterschiedliche KVs macht keinen Sinn und schwächt unsere Verhandlungsposition. Es ist absurd, wenn bei der Caritas Streikaktionen für den 24.02. geplant sind, falls die nächste Verhandlungsrunde scheitert, und im SWÖ ab dem 26.. Was soll das? Wenn schon nicht gemeinsam verhandelt wird, obwohl die Forderungen genau die gleichen sind, dann sollte wenigstens gemeinsam gestreikt werden. In Linz gab es auf Initiative von Caritas Betriebsrät*innen bereits eine am 12.02. eine gemeinsame Aktion, allerdings sehr kurzfristig und nur intern mobilisiert.
Der nächste Streik soll die ganze Branche erfassen und es sollte Demos in allen Landeshauptstädten geben!
Die Caritas in Ost-Österreich hat am 11.02. schon eine öffentlich Betriebsversammlung als Protest organisiert, am nächsten Tag gab es eine von kämpferischen Betriebsrät*innen organisierte Kundgebung in Wien. Ca 1500 Kolleg*innen aus mindestens 13 Betrieben waren dabei! Die Aktion wurde eben nicht von der Gewerkschaft organisiert, was eigentlich ein Skandal ist, hatte dadurch aber einen anderen Charakter als zB die GPA&VIDA Kundgebung am Stephansplatz eine Woche zuvor: Statt der sich leider oft wiederholenden Stehsätze gab es wirklich spannende Reden von Betriebsrät*innen oder Streikkomitee-Mitgliedern. Dabei bekam auch die Politik der letzten Jahre der Gewerkschafts-Bürokratie unter Beschuss: “Wir streiken bis zum Sommer, wenn es sein muss” kam gleich mehrfach vor. “Keine schlechten Kompromisse”, “Arbeitszeit runter, Löhne rauf!” und “35 Stunden- Jetzt sofort” fassen die Stimmung ganz gut zusammen. Sowohl bei der Caritas BV als auch bei der Streikkundgebung wurde auch eine Urabstimmung gefordert. Von Seiten der Gewerkschaft heißt es immer wir sollen dem Verhandler*innenteam vertrauen, das sind Expert*innen, die eben raus holen was möglich ist. Aber das Ergebnis der Verhandlungen betrifft eben alle und wir alle sollen ja auch dafür kämpfen. Streiks sind riskant für die Streikenden, für dieses Risiko steht uns ganz besonders eine Stimme zu! Eine Abstimmung vor dem Abschluss gibt uns die Möglichkeit dazu. Das Verhandlungsteam hat sicher Gründe dafür, warum es meint, dass kein besserer Abschluss möglich ist und ein weiterer Kampf sich nicht lohnt. Diese Gründe können sie uns ja erklären und dann stimmen wir ab, ob wir dem zustimmen oder eben nicht. Urabstimmungen sind in vielen Ländern üblich und stärken das Verhandlungsteam gegenüber den Arbeitgeber-Verhandler*innen. Denn bei jedem Vorschlag gilt es nicht nur das Team zu überzeugen, sondern die über 120.000 Beschäftigten!
Urabstimmung aller Beschäftigten über das Verhandlungsergebnis und ein mögliches Ende der Kampfmaßnahmen!
Das stärkste Argument der Arbeitgeberseite ist immer, dass eben nicht mehr Geld von den Regierungen zu bekommen sei. Das stimmt nur teilweise: tatsächlich unterbieten sich die Träger bei Verhandlungen mit Regierungsvertreter*innen oft gegenseitig, immerhin stehen sie in Konkurrenz zueinander. Wenn die Caritas anbietet zB Geflüchtete für 1€ weniger/Tag als der Arbeitersamariterbund zu betreuen dann erlauben sie der öffentlichen Hand hier noch mehr Geld einzusparen. Aber trotzdem: Am Ende des Tages gilt es mehr Geld für Gesundheit und Soziales vom Staat zu erkämpfen! Das MUSS Teil einer gewerkschaftlichen Strategie für die Branche sein! Dazu braucht es eine breit angelegte und offensive Kampagne. In der Steiermark und in Wien stehen bald wieder Wahlen an, das lässt sich nutzen um die Politik unter Druck zu setzen. Für Wien ist ein Nulldefizit beschlossen, mit dem jetzt gegen die notwendigen Mehrausgaben argumentiert wird. Sowas muss der ÖGB zu Fall bringen!
Mehr Geld vom Staat für Gesundheit und Soziales!
Die SLP mischt bei dem Streik mit. Wir bauen die Basisinitiative “Sozial Aber Nicht Blöd” mit auf, weil wir so auch Druck innerhalb der Gewerkschaftsbewegung aufbauen können. Als Betriebsrät*innen, als Mitglieder in Streikkomittees, als Beschäftigte, als solidarische Klient*innen oder einfach als Unterstützer*innen dieses wichtigen und berechtigten Kampfes kämpfen wir mit. Schon jetzt lässt sich sagen: Andere Branchen können sich von der Entschlossenheit und Kampfbereitschaft im Sozial- und Gesundheitsbereich Einiges abschneiden! Die öffentliche Streikaktion vom 12.02. setzt Maßstäbe für kommende Kämpfe. Bauen wir darauf auf und gewinnen wir diesen Kampf!