Mi 22.07.2020
Antwort an COACC nach unserer ersten Stellungnahme:
Zu Beginn wollen wir nochmal betonen, dass wir es als falsch erachten, diese Auseinandersetzung auf verschiedenen Social Media Plattformen auszutragen. Es ist angesichts der öffentlich geführten Debatte eine Tatsache, dass aufgrund des ausdrücklichen Wunsches der betroffenen Person, die allermeisten Leser*innen keine ausreichenden Informationen haben. Indem wir ihren Wunsch respektieren und unsere Übereinkunft einhalten, geraten wir in eine Situation von Mutmaßungen und Spekulationen. Das trägt eher zur Verwirrung als zu einem angemessenen Umgang bei.
Wir können den Wunsch, sich Gehör verschaffen und - in der Annahme, dass dies nicht anders möglich sei - dies auch durch öffentlichen Druck erreichen zu wollen verstehen.
Wir wollen unser mehrmals übermitteltes Gesprächsangebot erneuern, das aber bisher unerwidert geblieben ist: Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass ein direktes Gespräch zwischen uns und der Betroffenen sowie, wenn gewünscht, Vertrauenspersonen und durch Zuziehung einer unabhängiger Moderation am besten wäre.
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Was ist aus unserer Sicht das Ziel von Maßnahmen?
Doch die Debatte wird bereits öffentlich geführt. Trotz der für alle unangenehmen Online-Auseinandersetzung bemühen wir uns deshalb im Folgenden, die aus unserer Sicht zentralen Punkte noch einmal zu erläutern.
Wir haben schon in unserer letzten Stellungnahme geschrieben, dass die Umsetzung des sofort beschlossenen Kontaktverbotes unzureichend umgesetzt wurde. Wir haben nach Bekanntwerden der Vorwürfe, noch vor einem ersten Gespräch mit der Betroffenen, gegenüber dem Beschuldigten ein Kontaktverbot ausgesprochen. Die Umsetzung davon und Kommunikation zwischen uns, dem Beschuldigten und der Betroffenen war aber offensichtlich unzureichend und ein Aufeinandertreffen wurde nicht effektiv von uns verhindert. Nochmal: Das bilanzieren wir als Fehler. Das hätte nicht passieren dürfen und das haben wir nicht “einfach hingenommen”.
Wir teilen nicht die Forderung, dass das beschuldigte Mitglied grundsätzlich keine politische Arbeit mehr machen dürfe, aber selbstverständlich muss die Betroffene ihrerseits politisch aktiv sein können, und zwar ohne Angst vor einem Zusammentreffen. Wir haben daher “nachgeschärft”. Das Mitglied wird voraussichtlich vorerst bis Jahresende an keinen politischen Veranstaltungen wie Demonstrationen, Veranstaltungen anderer Organisationen etc. teilnehmen. Die Entscheidung über die Dauer dieser Maßnahme liegt in den demokratisch gewählten Strukturen unserer Organisation. Teil der beschlossenen Maßnahmen ist die Evaluierung der bisherigen Maßnahmen Ende 2020 - und zwar unter Einbeziehung der Betroffenen, was von Anfang an geplant war und auch beim Gespräch über die von uns beschlossenen Maßnahmen mitgeteilt wurde. Tatsache ist, wir haben die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigt, Maßnahmen entsprechend angepasst, diese mit ihr kommuniziert und sie einbezogen. Unsere Entscheidungen werden im Rahmen unserer demokratischen Strukturen getroffen. Diese sind gegenüber der Mitgliedschaft rechenschaftspflichtig. Überdies gestehen wir jedem Beschuldigten das Recht zu, sich zu verteidigen. Dies bedeutet nicht im Mindesten, dass wir die strukturell sexistischen Muster der bürgerlichen Gesellschaft übernehmen oder die Wahrnehmung des Opfers ignorieren würden.
Wir weisen die Anschuldigung, wir würden psychische und physische Übergriffe sowie sexistisches Verhalten verharmlosen entschieden zurück. Wir bewegen uns hier auch nicht im Rahmen der (sexistischen) bürgerlichen Justiz. Ob wir ein Verhalten kritisieren bzw. dagegen vorgehen hängt nicht davon ab, ob es strafrechtlich relevant oder “sichtbar” ist oder nicht - das gilt auch für diesen Fall. Wir wissen, dass die bürgerliche Justiz strukturell Opfern von sexistischen Übergriffen nicht glaubt, eine große Bandbreite von Übergriffen und Grenzüberschreitungen nicht als solche anerkennt und Täter schützt. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft mit patriarchalen Unterdrückungsmustern, die uns alle prägen. Daher ist auch keine Organisation frei von reaktionären Einflüssen - wir sind aber der Meinung, dass für Mitglieder von linken Organisationen ein anderer Maßstab dafür gelten muss, wie sie sich verhalten und ihr Verhalten reflektieren.
Für uns als Organisation ist die zentrale Fragestellung im Rahmen unseres Handlungsspielraums: Was tun, wenn es zu einem Fehlverhalten / sexistischen Grenzüberschreitungen / Übergriffen gekommen ist? Und: Wie kann eine Wiederholung verhindert werden?
Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden, die Frage ist also: Was ist das Ziel von Sanktionen bzw. Maßnahmen? Einerseits müssen betroffene Personen geschützt werden, hier soll ein Kontaktverbot greifen. Andere Maßnahmen hängen von der Zielsetzung ab und davon, welches grundlegende Verständnis von Menschen, ihrer Prägung und ihrer Lernfähigkeit man hat; davon, ob die Person, die ein falsches Verhalten an den Tag gelegt hat bereit ist, daran zu arbeiten und dieses Verhalten zu ändern.
Aus der Sicht eines Opfers verstehen wir den Wunsch nach harten Strafen absolut. Aber Strafe kann nichts ungeschehen machen und ist auch ein ungeeignetes Mittel, um eine Verhaltensveränderung zu erreichen.
Als Marxist*innen gehen wir an die Frage von Maßnahmen daher - nach (und keinesfalls vor) dem Opferschutz - von der Fragestellung aus, ob die Person, die ein falsches oder auch nur problematisches Verhalten an den Tag gelegt hat, bereit ist, daran zu arbeiten und dieses zu ändern. Wir glauben nicht an biologistische Erklärungen für Verhalten, nicht an pathologisch “böse” Menschen, sondern sind zutiefst davon überzeugt, dass jeder Mensch im Wesentlichen das Produkt der Gesellschaft und ihrer Zwänge und Drücke ist. Wir sind aber auch überzeugt, dass jeder Mensch die Verantwortung hat, an Fehlern zu arbeiten und diese zu korrigieren. Diese Bereitschaft ist eine Voraussetzung für uns, damit jemand nach einem Fehlverhalten Mitglied in unserer Partei bleiben kann.
Uns wird “mangelnde Transparenz” vorgeworfen. Wir haben die Betroffene von Anfang an über jeden unserer Schritte und unser Prozedere informiert. Falls wir das zu einem Zeitpunkt unzureichend oder nicht ausreichend sensibel gemacht haben, wollen wir uns dafür entschuldigen. Wir halten uns in der Frage der Öffentlichkeit an unsere zu Beginn der Untersuchung gemachte Zusage der Vertraulichkeit. Das führt allerdings dazu, dass mit Schlagworten agiert wird und es für Außenstehende schwer ist, die Vorwürfe nachzuvollziehen. “Gewalt” und “Übergriff” triggern bei jedem/r unterschiedliche Vorstellungen in der gesamten Bandbreite möglicher Handlungen. Wir halten das für wenig hilfreich.
Uns ist bewusst, dass eine völlig objektivierbare “Kategorisierung” von Übergriffen nicht möglich ist, da viele Parameter berücksichtigt gehören wie z.B. Fragen von ev. Abhängigkeits- und Machtverhältnissen u.Ä. Wir werden auch keine Beurteilung des Leidensdrucks von betroffenen Personen vornehmen. Wir halten aber eine Methode, die dazu führt, dass keinerlei Unterscheidungen mehr zwischen verschiedensten Handlungen in diesem sehr weiten Spektrum mehr möglich ist (was nichts daran ändert, dass jede dieser Handlungen ein Problem darstellt!), für nicht hilfreich, um Gewalt, Diskriminierung und sexuelle Übergriffe erfolgreich zu bekämpfen. Wir gehen jeden Fall daher mit der Fragestellung an, welche Maßnahmen geeignet sind, um eine Veränderung zu erreichen und damit auch eine Wiederholung des Vorfalls zu verhindern. Dazu haben wir im Rahmen der zweimonatigen Untersuchung versucht, uns ein Gesamtbild zu verschaffen, um daraus Vorschläge für geeignete Maßnahmen zu entwickeln.
Wir haben die Wahrnehmung der Betroffenen nie in Frage gestellt. Dazu kommt die Notwendigkeit, jeden individuellen Fall als Ausdruck einer gesellschaftlichen Problemlage zu sehen. Das bedeutet nicht, Individuen aus der Verantwortung zu ziehen und ihr Verhalten mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu rechtfertigen; aber Sexismus und andere Formen der Unterdrückung können nur bekämpft werden, wenn uns dieser Rahmen bewusst ist. In jedem Fall spielen Details und Umstände eine wichtige Rolle für ein Gesamtbild. Wir wissen, dass dies für ein Opfer mit schmerzhafter Aufarbeitung verbunden sein kann und bemühen uns daher so sensibel wie möglich vorzugehen. Gleichzeitig streben wir einen Umgang an, der niemanden aus der Verantwortung entlässt und den Anspruch hat, einen Veränderungsprozess einzuleiten und zu begleiten.
Konkret bedeutet das: Die Wahrnehmung der Betroffenen ist Grundlage für nötige Schutzmaßnahmen. Aber als Partei haben wir auf Grundlage unserer politischen Überzeugung die Verantwortung, über angemessene Maßnahmen, die über diesen Opferschutz hinausgehen zu entscheiden. Wir verstehen den Wunsch, das Gefühl der Machtlosigkeit zu überwinden, doch entspricht es nicht unserer Vorstellung von Empowerment und gesellschaftlicher Verantwortung, individuelle Opfer zu Richter*innen in ihrem eigenen “Fall” zu machen.
Wir bedauern, wenn die Betroffene mit den von uns beschlossenen Maßnahmen nicht übereinstimmt, doch wir glauben, dass eine intensive therapeutische und eine intensive politische Beschäftigung mit den involvierten Themen in diesem Fall mehr bewirkt als eine Strafe. Wir glauben, dass die Übernahme von Verantwortung der eigenen Handlungen und deren Reflexion mehr bewirkt als Ausschluss aus politischen (oder auch sozialen) Zusammenhängen.
Wir haben die Forderungen der Betroffenen wahrgenommen und zur Kenntnis genommen. Wir machen uns Entscheidungen, die wir treffen, nicht leicht. Es gibt hier offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen darüber, was die Rolle einer politischen Organisation in so einem Prozess ist - wir dachten, wir hätten unsere Herangehensweise und unser Verständnis dazu im ersten Gespräch mit der Betroffenen deutlich gemacht. Sollte uns das nicht gelungen sein, tut uns das leid.
Wir haben den Eindruck, dass hier verschiedene politische Zugänge existieren. Wir haben Maßnahmen auf Grundlage unserer Einschätzung des Vorfalls und der Bereitschaft zur Arbeit an sich selbst getroffen sowie auf Basis des oben beschriebenen Verständnisses über unsere Rolle und Aufgabe.
Wir stehen auch weiterhin zu konstruktiven Diskussionen im Interesse einer Klärung zur Verfügung. Wir werden uns an keiner social media Auseinandersetzung beteiligen, sondern hoffen mit unseren beiden Stellungnahmen unsere politische Herangehensweise, unseren Umgang mit dem Fall und unsere Überzeugung, dass eine Debatte über einen konkreten Fall in der Öffentlichkeit (die nicht informiert genug ist, um zu verstehen worum es geht) niemandem hilft, deutlich genug gemacht zu haben.
Solidarische Grüße,
Die Bundesleitung der SLP