Di 26.03.2002
Hauptanliegen des Volksbegehrens ist die Erweiterung des Artikel 1 der österreichischen Bundesverfassung um einen Absatz, beginnend mit der Aussage: “Österreich ist ein Sozialstaat.” Weiters wird eine sogenannte Sozialverträglichkeitsprüfung für alle Gesetze gefordert.
Fragliches Mittel
Die Organisatoren des Volksbegehrens begründen ihre Initiative damit, dass Österreich, neben Großbritannien, der einzige Staat in der EU ist, in dem die soziale Verantwortung des Staates nicht in der Verfassung festgeschrieben sei. Doch hat diese Verfassungsverankerung die EU-Länder daran gehindert Einsparungen und Kürzungen vor zu nehmen? Alle “Richtwerte” beweisen das Gegenteil: z.B. sind 18 % der EU-Haushalte akut von Armut bedroht. Im reichsten EU-Staat - Deutschland - verfügen die Hälfte der Einwohner gerade einmal über 4,5 % des Gesamteinkommens. “Sozialstaat” - das ist eben ein dehnbarer Begriff der auch von den Organisatoren des Volksbegehrens nicht näher definiert wird. Das Vertrauen auf die soziale Kompetenz von Verfassungsrichtern, kann nach Meinung der SLP Sozialabbau jedenfalls nicht stoppen. Denn um Einsparungen und Kürzungen verhindern zu können, sind Massenbewegungen nötig. Auch wenn Hundertausende ArbeitnehmerInnen und Jugendliche aus Protest gegen den sozialen Kahlschlag das Volksbegehren unterzeichnen, verpufft diese Energie wirkungslos. Nicht zuletzt deshalb, weil dieses Referendum - vor allem von der SPÖ-Spitze zum “Dampfablassen” - instrumentalisiert wird.
Regierung ohne FPÖ und alles wird gut?
Weder SPÖ, nach Grüne, oder gar die Unterstützer aus dem Bereich der Christgewerkschafter vertreten eine sehr simple Forderung: Rücknahme aller Maßnahmen der blau-schwarzen Regierung. Aus gutem Grund: Dieses Volksbegehren ist strategisch als Werbekampagne für eine Regierungskonstellation ohne FPÖ angelegt. In irgend einer Weise wollen die ProponentInnen die Sozialpartnerschaft wieder erstehen lassen. Das bedeutet das Gegenteil eines offensiven Kampfes gegen Sozialabbau. Doch egal welches Farbenspiel konkret umgesetzt werden würde: Jede Regierungskonstellation würde weiteren Sozialabbau betreiben. SPÖ-Spitze, “liberale” ÖVPler, grüne Wirtschaftsprofessoren - alle zusammen stellen neoliberale Kernpunkte wie die Pensionsreform überhaupt nicht in Frage. Den Vogel hat Alfred Gusenbauer abgeschossen der nicht nur den Sozialstaat, sondern auch gleichzeitig den Kampfbegriff des Neoliberalismus - das Nulldefizit - in der Verfassung festschreiben will. All diese Kräfte haben vor allem eines gemeinsam: Panische Angst vor der Entwicklung von Streiks und Klassenkämpfen.
ÖGB muss kämpfen
Der ÖGB ruft massiv auf das Volksbegehren zu unterschreiben, da “dieses die wichtigsten Forderungen der im Herbst durchgeführten Urabstimmung für soziale Gerechtigkeit beinhaltet” (Solidarität, März 2002). Doch was ist seit der Urabstimmung passiert? Der ÖGB hat in alter sozialpartnerschaftlicher Manier ein neues Abfertigungsmodell ausverhandelt, welches zwar einen Anspruch auf Abfertigung ab dem ersten Tag der Beschäftigung garantiert, im Endeffekt den “Abfertigungstopf” jedoch schrumpfen lässt und somit weniger Geld für die Summe der ArbeitnehmerInnen zur Folge hat (siehe Vorwärts Nr. 116). Jetzt ruft dieser eben zur Unterstützung des Volksbegehrens auf. Da stellt man/frau sich schon die Frage was mit den 800.000 ArbeitnehmerInnen geschehen ist die im “Notfall für Kampfmaßnahmen” gestimmt haben. Die SLP meint, dass dieser Notfall schon längst eingetreten ist. Ein aktuelles Beispiel wäre da die Forderung der Wirtschaft nach einer weiteren Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Der ÖGB muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Sozialpartnerschaft zu Ende ist und es daher keinen Sinn macht, die Mitglieder auf so etwas wie das vorliegende Volksbegehren zu vertrösten. Es ist die Aufgabe des ÖGB eigenständig durch die enorme Kraft der 1,4 Millionen Mitglieder gegen vergangene Sparpakete und für Verbesserungen für ArbeitnehmerInnen wie z.B. eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich oder eine ordentliche Reichtumsbesteuerung, zu kämpfen.