Fr 05.10.2018
Im Kampf gegen 12-Stundentag und andere Regierungsgrauslichkeiten wurde die Debatte über die Sozialpartnerschaft neu belebt. Woher kommt sie? Wie funktioniert sie? Funktioniert sie überhaupt? Und lohnt es sich, um sie zu kämpfen?
Mythos 1: “Die Sozialpartnerschaft ist eine österreichische Eigenart.“ Tatsache ist: Die Sozialpartnerschaft ist zwar in Österreich besonders ausgeprägt gewesen, Formen von kooperativer Gewerkschaftspolitik gibt es aber überall dort, wo Gewerkschaften keine systemüberwindende Perspektive und Unternehmen ein Interesse an „Einbindung“ derselben haben. Institutionalisiert war sie u.a. in den skandinavischen Ländern, Irland und Deutschland.
Mythos 2: „Nach dem Krieg wollte man das Lagerdenken überwinden und gemeinsam Österreich aufbauen.“ Tatsächlich aber verstanden nach 1945 viele ArbeiterInnen Krieg und Faschismus als unmittelbare Folgen des kapitalistischen Systems. Die Stimmung war in weiten Teilen der Bevölkerung antikapitalistisch. Zusätzlich entstanden um Österreich herum stalinistische Staaten. Dort gab es zwar keine echte sozialistische Demokratie, aber die Unternehmen wurden enteignet. Die Angst der Bourgeoisie vor der antikapitalistischen Stimmung und einer möglichen Enteignung war ein wichtiges Motiv für die Kooperation mit ÖGB und Arbeiterkammern. Dazu kamen wirtschaftliche Gründe: Der schwachen österreichischen Bourgeoisie fehlte das Geld zum Investieren. Der ÖGB auf der anderen Seite wurde nicht in erster Linie von unten gegründet, sondern von ehemaligen FunktionärInnen. Anstatt mit dem Kapitalismus zu brechen, der ins Verderben geführt hatte, hofften sie, dass ein besser kontrollierter Kapitalismus und eine Zusammenarbeit mit dem Klassengegner zu einem harmonischen „Zusammen“ führen würde. Diesem Glauben liegt eine falsches Grundverständnis des Kapitalismus zugrunde: Die Interessen von Arbeit und Kapital stehen im permanenten Widerspruch. Es ist der Kampf darum, wer wieviel von den in der Produktion von den ArbeiterInnen neu geschaffenen Werte bekommt.
Mythos 3: „Die Sozialpartnerschaft brachte Wohlstand.“ An der Wiege der österreichischen Sozialpartnerschaft standen fünf „Lohn- und Preisabkommen“ mit denen die Erhöhungen von (niedrigen) Löhnen und (hohen) Preisen festgeschrieben wurde. Die Gewerkschaft hielt sich daran, Unternehmen und Schwarzmarkt nicht. Der Nachkriegsaufschwung wurde gerade in Österreich mit lang anhaltender Armut in großen Teilen der ArbeiterInnenschaft finanziert. Die Gewerkschaftsführung verzichtete für das „Gesamtwohl“ auf Verbesserungen für die ArbeiterInnen. Forderung nach Lohnerhöhung wurden abgelehnt mit dem Hinweis, man wolle der Wirtschaft nicht den „egoistischen Willen der Arbeiterschaft“ aufzwingen! Doch gegen die Verlängerung des sozialen Elends durch die Abkommen wehrten sich zehntausende ArbeiterInnen mit Streiks, etwa im Oktoberstreik 1950. Die Niederschlagung des Oktoberstreiks auch durch die ÖGB-Führung unterstreicht, dass diese bereit war, auch mit Gewalt ein System, das vor allem dem Kapital nutzt, aufrecht zu erhalten.
Zur Erhöhung des Lebensstandards ab den 1960er Jahren kam es durch die Kombination aus Wirtschaftsaufschwung und Angst vor der Systemkonkurrenz im Osten. Die Unternehmen kalkulierten: Es war billiger, Verbesserungen zuzustimmen, als Klassenkämpfe mit eventuell weitreichenden Folgen zu riskieren. Doch mit dem Abflauen des Aufschwunges ab Ende der 1960er Jahre, der zahmen Gewerkschaftspolitik und dann ab Ende der 1980er dem Wegfall der stalinistischen Staaten gab es keine Notwendigkeit mehr für eine „Kooperation“ von Seiten des Kapitals.
Mythos 4: „Die Sozialpartnerschaft garantiert hohe soziale Standards“. Der ÖGB-Spitze ging es nie um eine Abschaffung des Kapitalismus, sondern darum, das Profitsystem so anzukurbeln, dass auch etwas verteilt werden kann. Aber im Kapitalismus gehts nicht ums Verteilen. Das Kapital muss danach streben, bestmöglich Profit zu machen, und die Bedingungen, um Profit zu machen, permanent zu verbessern. Das Kapital ist nicht zur „Partnerschaft“ fähig. Aber die Idee der Sozialpartnerschaft passte und passt zur reformistischen Ideologie der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsspitze. Dazu gehört auch ein utopisches Verständnis vom Staat. Viele ÖGB-SpitzenfunktionärInnen mein(t)en, er würde eine Rolle als „fairer Schiedsrichter“ bei den Verhandlungen am grünen Tisch einnehmen. Dass der Staat in seiner Rolle als „ideeller Gesamtkapitalist“ im Wesentlichen das Kapital bei seinem Streben nach besseren Profitbedingungen unterstützt, wurde ausgeblendet. Durch die enge Verbindung mit der SPÖ wurde diese Haltung noch verstärkt. Jahrzehntelang glaubten ÖGB-FunktionärInnen, durch das Besetzen von staatlichen Funktionen und durch ihren Einfluss in der SPÖ, soziale Verbesserungen erreichen und sichern zu können. Solange die SPÖ eine ArbeiterInnenpartei war, spiegelten sich Forderungen aus der Gewerkschaftsbewegung in ihr wider. Doch mit der Verbürgerlichung der SPÖ und dem Ende des Nachkriegsaufschwunges war Schluss damit.
Mythos 5: „Mit Verhandlungen erreicht man mehr als mit Kampf.“ Heute sehen die KapitalistInnen keinen Grund mehr, Zeit und Geld in eine „Partnerschaft“ zu investieren. Selbst wenn es diese Bereitschaft noch gäbe: Vor dem Hintergrund der Krise des Kapitalismus fehlt das Geld dafür. Die Sozialpartnerschaft ist längst am Ende. Doch die Gewerkschaftsführung hängt daran, weil sie zur Ideologie geworden ist und weil sie Nutzen daraus zieht. Um die Gewerkschaftsführung „einzukochen“ erhielt sie Privilegien, durfte sich wichtig fühlen. Heute will sie am Verhandlungstisch bleiben, um diese Privilegien zu halten. Dafür gab und gibt es eine hohe Bereitschaft zu Zugeständnissen. Schwache Lohnrunden, Reallohnverluste einer Mehrheit der arbeitenden Menschen, während gleichzeitig bei fast allen Verhandlungsrunden auf Streiks verzichtet wurde, Verschlechterungen bei der Arbeitszeit, Privatisierung der Verstaatlichten, uvm. Argumentiert werden die faulen Kompromisse damit, dass „halt nicht mehr drinnen ist“. Wie sonst ist es zu erklären, dass kurz vor der Beschlussfassung des 12-Stundentages im Nationalrat der ÖGB der Regierung anbot, eine Kommission zu schaffen, die im Schnellverfahren (!) über die Zulassung eines 12-Stundentages entscheidet. Regierung und Unternehmen führen einen aggressiven Klassenkampf von oben. Die Gewerkschaft aber verzichtet auf ihre schärfste Waffe: Den Unternehmen die Arbeitskraft in einem Streik vor zu enthalten und so ihre Profite zu beschneiden. Kampfbereitschaft ist die beste Grundlage für erfolgreiche Verhandlungen.
Tatsächlich bleibt der Gewerkschaftsführung nur die neoliberale Logik von Regierung und KapitalistInnen, wenn sie im engen Korsett der kapitalistischen Logik verhaftet bleibt. Kämpfe werden auch deshalb abgelehnt, weil man Angst vor ihren Konsequenzen hat: Was, wenn die Beschäftigten nicht zu denselben Zugeständnissen bereit sind wie die Gewerkschaftsführung? Wenn sie bereit sind, weiter zu kämpfen? Wenn sie die Regierung wegstreiken? Wenn sie die Betriebe übernehmen? Wenn sie der vermeintlichen „Partnerschaft“ zwischen Kapital und Arbeit die echte Partnerschaft der Beschäftigten entegegensetzen. Davor fürchten sich nicht nur die KapitalistInnen, sondern auch die Spitzen der Gewerkschaft!