So 01.11.1998
In den westlichen Medien wird das (vorläufige) Ende von „Diktator“ Meciar schlichtweg als Sieg der „Demokratie“ bezeichnet. Die WählerInnen hätten für den Anschluß an Europa - also die EU - gestimmt, meint etwa das „profil“. Tatsächlich sind die SlowakInnen weit weniger euphorisch und die Perspektiven trist.
Bei genauer Betrachtung bedeutet die neue Konstellation im slowakischen Parlament vor allem mehr Instabilität: Meciars HZDS erhielt zwar eine schallende Ohrfeige (- 8 %) blieb aber mit 27 % stärkste Kraft vor der fünf (!) Parteien Koalition „SDK“ (26,4%). Die neue Regierung unter dem Konservativen Dzurinda muß sich auf insgesamt acht Parteien stützen: Christdemokraten, Liberale, Rechtsliberale, Sozialdemokraten, Grüne (zusammen „SDK“) plus „Partei der demokratischen Linken“, Ungarische Minderheit und der „Partei der bürgerlichen Eintracht“. Die Opposition besteht nurmehr aus der HZDS und der - bei den Wahlen deutlich gestärkten - rechtsextremen SNS (9,07 %). Die mit Meciar kooperierende „linke“ ZRS flog aus dem Parlament.
Auch Meciar war für den Kapitalismus
Wurde bei diesen Wahlen ein „ewiggestriger“ Antikapitalist abgewählt? Mitnichten: Meciar stand klar für den kapitalistischen Restaurationsprozeß in der Slowakei. Im Gegensatz zu anderen „Reformstaaten“ wurde die Wirtschaft des Landes zwar nicht an westliches Kapital verschleudert, dafür aber an slowakische Unternehmer (allesamt HDZS-Günstlinge und Funktionäre) verschenkt.
Die Slowakei setzte stärker auf „nationalen Kapitalismus“: So erhält sie z.B. im Pro-Kopf-Vergleich weniger als 12% der Auslandsinvestitionen, die nach Ungarn fließen. Eine engverwobene HDZS-Clique aus Politikern und Wirtschaftskapitänen kontrollierte alles - von der Industrie bis zum Geheimdienst - mit einer Mischung aus Populismus, Rassismus (v.a. gegen die 1,6% Roma) und Repression. Durch Meciars Kurs wurde der Restaurationsprozeß allerdings keineswegs gebremst - er verlief nur anders: Der Anteil des Privatsektors am Bruttoinlandsprodukt liegt in einer vergleichbaren Größe mit Ungarn und Polen. Die Folgen der kapitalistischen Restauration sind ebenfalls jenen anderer Reformstaaten ähnlich (z.B. Tschechien): Nach einem gewissen Wachstumsschub in den letzten Jahren, mußten die Menschen Einbußen im Lebenstandard hinnehmen, die öffentlichen Kassen sind leer, die Banken pleite und die Arbeitslosigkeit steigt. Kein (kapitalistischer) Staat kann sich eben der Dynamik kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten und internationaler Entwicklungen entziehen.
Hat die Slowakei eine Chance?
Ihre Hauptaufgabe sieht die neue Regierung in einem raschen EU-Beitritt und einer Sanierung des Budget und des Leistungsbilanzdefizits, einer „Strukturbereinigung“ der Wirtschaft und einer starken Abwertung der Krone. Wen Sparpakte und Firmenschließungen treffen werden, liegt auf der Hand: Die Masse der fünf Millionen SlowakInnen. Bereits jetzt liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 14 Prozent.
Die neue Regierung versucht die Schuld an allen Problemen einzig Meciar zuzuschanzen. Das mag eine Zeit gutgehen. Bald aber könnte dieser Kitt, welcher die jetzige Koalition eigentlich zusammenhält,. brüchig werden. Tatsächlich liegt das Problem im kapitalistischen Restaurationsprozeß, seinen verheerenden sozialen Folgen und seiner Perspektivlosgkeit. Spätestens mit der Rußlandkrise sind Probleme und Widersprüchlichkeit dieses „Projekts“ offen zu Tage getreten.
Die Slowakei selbst ist mit ihrer traditionell schwachen wirtschaftlichen Struktur zusätzlich benachteiligt. Die wirtschaftlichen Probleme und sozialen Spannungen werden wachsen: Die Wachstumsprognose liegt - nach rund 5 % 1998 - bei nur 1,5% im nächsten Jahr. Eine volle und gleichberechtigte EU-Intergration ist bei den wachsenden sozialen und ökonomischen Widersprüchen eine Illussion. Umgekehrt wird die jetzige Vernüpfung von Sparpolitik und dem Regierungsziel „EU-Beitritt“ zu verstärkter Opposition gegen die Regierung und deren „West-orientierung“ führen. Meciar wurde abgewählt (und das ist gut so). Sein Comeback ist allerdings nicht ausgeschlossen.