So 01.07.2001
Roma und Sinti sind in der Slowakischen und der Tschechischen Republik diskriminierte Minderheiten. Der Fall von Mario Bango hat das wieder einmal deutlich gemacht. Vorwärts führte ein Interview mit Alexandra Geisler von Socialisticka alternativa Budoucnost, der tschechischen Sektion des CWI.
Ihr macht seit längerem Arbeit mit Roma und Sinti - warum?
Die Situation von Sinti&Roma in der Tschechischen und Slowakischen Republik ist gekennzeichnet durch extrem hohe Arbeitslosigkeit, Vorurteile, gesellschaftlichen Ausschluss und Isolation, rassistische Angriffe und Morde etc. In den meisten Orten im Osten der Slowakei können Sinti&Roma keine Gaststätten, Geschäfte oder Kirchen betreten. Für ihre Kinder wurden gesonderte Klassen und/ oder Schulen eingerichtet. Die Mehrheit lebt in unzulänglichen Behausungen, oft ohne fließendes Wasser oder Elektrizität. Da wundert es kaum, dass die Lebenserwartung unter Sinti&Roma für Männer bei nur 55 Jahren und für Frauen bei 59 Jahren liegt.
Unter dem Stalinismus hat man versucht die Sinti&Roma zwangsanzusiedeln, d.h. Plattenbauten errichtet und sie dort hineingepfercht. Für Sinti&Roma brachten diese staatlichen Zwangsmassnahmen gravierende Probleme. Oft mussten sie mit ihren Traditionen und Lebenweisen brechen und die geplante Integration wurde mehr zur erzwungenen Anpassung. Doch seit der Wiedereinführung des Kapitalismus hat sich die Situation erheblich verschlechtert. Und der Rassismus gegen Sinti&Roma bedient die Interessen der Kapitalisten, indem er die ausländischen und inländischen ArbeiterInnen trennt und gegeneinander kämpfen lässt.
Worum gehts beim Fall Mario Bango?
Mario Bango, ein 18 jähriger Sinti&Roma Aktivist aus der Slowakei, soll mit 12 Jahren Gefängnis bestraft werden, weil er seine Familie bei einem rassistischen Angriff verteidigt hat.
Am 10. März fuhren Mario, sein Bruder Edo und seine Mutter mit dem Bus durch
Bratislava, als Edo von einem Nazi angegriffen wurde. Mario leistete seinem Bruder Hilfe, und in dem Handgemenge erlitt der Angreifer einen Messerstich in die Lunge. Die beiden Brüder riefen die Polizei und warteten auf deren Ankunft, während der Nazi in ein Krankenhaus gebracht wurde. Das war nicht der erste Übergriff, unter dem die Bango Familie zu leiden hatte. Erst vor einem Jahr lag Edo eine Woche im Krankenhaus, nachdem er von rassistischen Skinheads verprügelt worden war. Solche Erfahrungen sind heutzutage “Routine” für Sinti&Roma in der Slowakei. Mario wurde sofort festgenommen. Als der Nazi einige Tage später starb, wurde auch Edo angeklagt. Obwohl der Verstorbene ein aktives Mitglied einer Nazi-Organisation war, wird er von den Medien und rechten Politikern als unschuldiger Junge dargestellt, der von Sinti und Roma angegriffen wurde. Das Parlament hielt sogar eine Schweigeminute für den getöteten Nazi, für die über hundert durch Rassisten ermordeten Menschen haben sie noch nie zum Gedenken geschwiegen. Ca. 2 Wochen nach diesem Vorfall wurde ein junger Mann von Skinheads im Bus angegriffen und dabei getötet. Die Polizei spricht nicht von einem rassistischen Hintergrund für die Tat denn der Getötete war angeblich ja kein Sinti oder Roma, sondern nur ein Homosexueller.
Warum kümmert ihr Euch als TschechInnen um einen Fall in Bratislava?
Die Sinti und Roma sind mit offiziell ca. 500.000 zahlenmäßig die zweitgrößte ethnische Minderheit in der Slowakei. Sinti und Roma sind in der Slowakei zahlenmässig stärker vertreten als in der Tschechischen Republik, doch ihre Situation ist vergleichbar.
Da wir Mario aus den Protesten gegen IWF und Weltbank in Prag kennen und seitdem mit den Brüdern in Kontakt sind, haben wir direkt von diesem Vorfall erfahren. Unsere tschechische Partei, sowie die Schwesterparteien in anderen Ländern, haben eine klare internationale Ausrichtung. Wir versuchen internationale Unterstützung zu organisieren sowie einen gemeinsamen Kampf mit den ArbeiterInnen und Jugendlichen der Nachbarländer und der ganzen Welt. Da in der Slowakei kaum anti-faschistische Organisationen, kämpferische Gewerkschaften oder aktive linke Parteien existieren, die zudem auch nicht bereit waren, im Unterstützungskommittee für Mario mitzuarbeiten, war es von großer Bedeutung für die AktivistInnen in der Slowakei. Wir haben wiederholt GenossInnen nach Bratislava geschickt, um konkret vor Ort mit zu arbeiten und zu unterstützen, sowie international Druck auf den Slowakischen Staat ausgeübt. Und wir werden natürlich auch in Zukunft im Sinne der “internationalen Solidarität” aktiv sein.