Mi 12.07.2017
Gewalt und Terror sind die Folgen eines Systems, das Sicherheit dem Profit unterordnet
Sicherheit, Kriminalität und Terror dominieren die österreichische Innenpolitik in den letzten Monaten. Strache und Kurz treten sowieso als Hardliner in dieser Frage auf, aber auch die SPÖ versucht, sich mit Verteidigungsminister Doskozil als entschlossene Kraft für autoritäre Sicherheitspolitik zu positionieren. Laut einer aktuellen Kurier-Umfrage ist „Sicherheit und Zuwanderung“ für 36% der Befragten in Österreich das wichtigste Wahlmotiv (noch vor Soziales und Einkommen mit 29%).
Das bedeutet aber nicht, dass soziale Themen weniger wichtig geworden sind. Viel mehr äußert sich in dem Wunsch nach Sicherheit, auch unter Eindruck der vermehrten Terroranschläge, eine allgemeine soziale Unsicherheit. Auch im zehnten Jahr der Wirtschaftskrise ist kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Im Gegenteil, gerade in Österreich beginnen sich die Folgen erst abzuzeichnen: Sozialkahlschlag, Rekordarbeitslosigkeit, Massenarmut. Unsere Lebensplanung und Alltag wird unsicherer. Wer weiß schon, was in fünf oder zehn Jahren sein wird? Es ist auch der Wunsch nach Stabilität, der sich im Ruf nach Sicherheit ausdrückt – auch wenn etwa die Zahl der verurteilten VerbrecherInnen in Österreich seit den 1970er Jahren stetig abnimmt, von ca. 80.000 pro Jahr auf heute 30.000. Gewalt, Terror und die Angst davor sind Folgen systemischer sozialer Unsicherheit, nicht umgekehrt.
Davon versuchen die etablierten Parteien bewusst abzulenken – und sich als VerteidigerInnen von Recht und Ordnung darzustellen. Wenn sie „Sicherheit“ sagen, meinen sie nicht Schutz vor der täglichen Gewalt, die etwa Frauen in Haushalt und Familie erleiden oder die konstante Unsicherheit und Diskriminierung, mit der ArbeiterInnen und Jugendliche ohne österreichischen Pass leben müssen. Doch die steigende Anzahl an Anschlägen zeigt, dass auch ihre eingeschränkte „Sicherheitspolitik“ nicht funktioniert. Gerade deshalb dürfen SozialistInnen das Thema nicht den bürgerlichen Parteien überlassen. Auf Kurz, Kern, Strache und Co. Können wir nicht vertrauen, wenn es darum geht, unsere Lebensstandards, unser Sozialsystem und unsere Arbeitsbedingungen zu schützen. Genauso wenig können wir auf sie vertrauen, uns gegen Terror zu schützen und Sicherheit zu garantieren.
Alle „Lösungen“ der Herrschenden verschärfen die Probleme nur weiter. Das beste Beispiel dafür ist der „Krieg gegen Terror“, der seit den Anschlägen vom 11. September 2001 geführt wird. Er hat bereits hunderttausenden Menschen im Nahen und Mittleren Osten ihr Leben gekostet. Trotzdem, oder vielmehr gerade deshalb, hat der Terror seit 2001 zugenommen. Die Bomben der westlichen Staaten, aber auch Russlands, Saudi-Arabiens und der Türkei, treiben die Menschen in die Arme terroristischer Organisationen – wenn diese von jenen Staaten nicht sogar als Bündnispartner in lokalen Kriegen hochfinanziert werden. Die Kriege im Irak und in Afghanistan haben erst die Basis für den Aufstieg des IS geschaffen.
Internationale Konzerne profitieren aus Kriegen im Nahen und Mittleren Osten. Der Irakkrieg wurde nicht aufgrund von „Massenvernichtungswaffen“ geführt, sondern wegen des Zugangs zu Rohstoffen. Auch bei der Militärintervention in Libyen 2011, heute ein „Failed State“ in dem fundamentalistische Gruppen rasant wachsen, ging es nicht um Demokratie. Noch bevor der Diktator Gaddafi gestützt wurde, besuchten bereits Vertreter westlicher Regierungen und Konzerne die künftigen Machthaber, um Öl-Verträge auszuhandeln. Über Waffenverkäufe in Kriegsgebiete verdienen Konzerne Milliarden. Erst im Mai schloss US-Präsident Trump einen Vertrag mit Saudi-Arabien über Rüstungslieferungen im Wert von 110 Milliarden. Saudi-Arabien ist Sponsor zahlreicher fundamentalistischer Gruppen. Auch österreichische Konzerne sind mit dabei. Österreich ist der fünftgrößte Exporteur von Kleinwaffen, die immer wieder in den Händen von TerroristInnen auftauchen. Zwischen 2008 und 2013 gingen Waffen um 18 Millionen Euro aus Österreich nach Saudi-Arabien. Die OMV macht Geschäfte im kurdischen Teil der Türkei. Immer wieder sind in den letzten Jahren Berichte aufgetaucht, dass über Nordkurdistan vom IS gefördertes Öl an europäische Staaten verkauft wurde. Aber auch ohne Kriege hält die Wirtschaftspolitik internationaler Institutionen wie des IWF neokoloniale Länder in Armut und Abhängigkeit. Nicht nur Afrika und Asien werden konstant durch imperialistische Profitjagd destabilisiert. In den kapitalistischen Zentren, Europa und Nordamerika, werden durch das Kürzungsdiktat in Folge der Krise die sozialen Bedingungen immer schlimmer – und der Nährboden für Gewalt und Terror wächst.
Die „Sicherheitspolitik“ der Herrschenden bringt nur noch mehr Unsicherheit
Die dutzenden Anti-Terror-Gesetze, die in den letzten Jahren beschlossen wurden, haben Anschläge nicht verhindern können. Mehr Überwachung, Polizei und Repression bringt keine Sicherheit. Einige Attentäter posieren sogar absichtlich vor Überwachungskameras. Einer der Terroristen, die im Sommer 2016 einen Pfarrer in Nordfrankreich ermordeten, trug eine Fußfessel. Der IS profitiert sogar von der repressiven Politik und dem Rassismus der europäischen Staaten. Die ständige Unterdrückung durch Staat und Polizei, unter der MigrantInnen und Muslime leiden, ist ein besserer Anwerber für FundamentalistInnen als jeder Online-Hassprediger. Das zeigt sich etwa am Brüsseler Stadtteil Molenbeek, der in den internationalen Medien als „Hochburg des Terrorismus“ dargestellt wird. Tatsächlich ist Molenbeek vor allem Hochburg der sozialen Probleme: die Erwerbslosigkeit liegt bei 30%, unter jungen Menschen sogar bei 60%. Diese Armut und Perspektivlosigkeit ist die perfekte Basis für die Rekrutierungsversuche der FundamentalistInnen. Die Lebensläufe vieler AttentäterInnen ähneln einander: Menschen, die schon in der Jugend jede Chance auf ein menschenwürdiges Leben verlieren, sich dann zwischen Arbeitslosigkeit und Kleinkriminalität herumschlagen müssen und schlussendlich zur Gewalt greifen. Die Anti-Terror-Gesetze werden aber gegen Proteste eingesetzt, die sich gegen die Zustände richten, die so etwas möglich machen. Das beste Beispiel dafür ist Frankreich, wo durch den Ausnahmezustand zwar keine Terroranschläge verhindert wurden, dafür aber Demonstrationen von Gewerkschaften und UmweltaktivistInnen.
Es sind nicht PolitikerInnen, BankerInnen und WaffenlobbyistInnen die im Bataclan, am Brüsseler Flughafen oder in der Manchester Arena sterben – und schon gar nicht in Bagdad, Kabul oder Damaskus. Es sind ArbeiterInnen und Arme, die in Europa an Terror sterben und unter der „Sicherheitspolitik“ der Regierungen leiden. Sie sind es auch, die im Nahen und Mittleren Osten durch den „Krieg gegen den Terror“ ihr Leben verlieren oder fliehen müssen. Aber sie sind es auch, die der Spirale aus Unsicherheit und Terrorismus ein Ende bereiten können. Der echte Kampf gegen Terrorismus ist der Kampf gegen soziale Ungleichheit, Kriege, Ausbeutung und Rassismus – und für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft.