Do 17.05.2018
Am 14. Mai hat der Stadtrat der US-amerikanischen Metropole Seattle eine als historisch zu bezeichnende Unternehmenssteuer beschlossen, die für Amazon und weitere ortsansässige Konzerne gelten wird. Darüber soll die Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum in öffentlicher Hand dauerhaft sichergestellt werden. Treibende Kraft hinter diesem Erfolg war die Stärke unserer Bewegung namens „#TaxAmazon“. Angeführt von Mieter-AktivistInnen, Socialist Alternative, den „Democratic Socialists of America“ und Stadträtin Kshama Sawant (die Mitglied von Socialist Alternative ist) hat unsere Bewegung das Thema im vergangenen Herbst auf die Tagesordnung gebracht. Wir haben für eine Nacht das Rathaus besetzt und unseren Kampf bis in die Haushaltsberatungen hineingetragen, die im November im Stadtrat stattgefunden haben.
In der Woche vor der letztlichen Abstimmung haben die Konzerne und ihre gekauften PolitikerInnen (wie beispielsweise Bürgermeisterin Jenny Durkan) noch wie wild daran gearbeitet, dass die Gesetzesvorlage abgeschwächt wird und Schlupflöcher für die Unternehmen eingebaut werden. Bürgermeisterin Durkan von den „Demokraten“ brachte einen Gegenentwurf ein, der die bis dato diskutierte Steuer im Umfang von 75 Millionen Dollar um fast die Hälfte auf vierzig Millionen pro Jahr schrumpfen ließ. Der Großteil der Einnahmen sollte demnach in die FinanzierunVertreiben von Obdachlosen finanziert werden und nicht mehr der Bau von langfristigen und bezahlbaren Wohnungen. Wegen der Stärke unserer „#TaxAmazon“-Bewegung wurden ihre Vorschläge im Finanzausschuss des Stadtrats jedoch abgelehnt. Am Wochenende, als die Bewegung auf der Straße aktiv war, um für das 75 Millionen-Paket ohne Schlupflöcher zu kämpfen, traf sich der Rest des Stadtrats mit der Bürgermeisterin und Konzernvertretern, um eine Übereinkunft zu treffen. Der Deal, den sie dabei getroffen haben, ist nur unwesentlich besser als der frühere Vorschlag aus der Feder von Durkan und AmazonChef Bezos. Im ersten Gegenentwurf zu unserem 75 Millionen Dollar umfassenden Antrag ging es um lediglich 40 Millionen Dollar an zusätzlichen Einnahmen für die Stadtkasse. Jetzt sollten es 48 Millionen Dollar sein, die jedes Jahr vom Reichtum der Konzerne abgezogen und den arbeitenden Menschen der Stadt übergeben würden. Ohne den Kampf, den wir geführt haben, wäre auch das niemals möglich gewesen.
Genau wie im Fall des Mindestlohns in Höhe von 15 Dollar, den wir auf Grundlage der Stärke einer von uns ins Leben gerufenen Bewegung erreichen konnten, war auch jetzt unsere Fähigkeit, weiter öffentliche Unterstützung zu mobilisieren, und unsere Fähigkeit, die Argumente der Konzern-Seite auf politischer Ebene zurückzuweisen, ausschlaggebend. Amazon hat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diese Steuer gekämpft, und wir haben jetzt Millionenbeträge aus den Händen von Bezos entreißen können, um davon bezahlbaren Wohnraum zu finanzieren.
Erpressung durch Amazon und die allgemeine Abwärtsspirale im Kapitalismus
Im Vorfeld der abschließenden Abstimmung hat Amazon eine erpresserische Drohung an die Adresse der Beschäftigten in Seattle gesendet. Das Unternehmen stellte einen Baustopp in Seattle in Aussicht, sollte diese Steuer eingeführt werden. Damit wurden über 7.000 Beschäftigte in der Baubranche in Geiselhaft genommen!
Wir wollen an dieser Stelle ganz klar sein: Für Amazon macht es kurzfristig und aus finanzieller Sicht überhaupt keinen Sinn, den Bau des entsprechenden Projekts zu stoppen, das schon halb fertiggestellt ist. Und die besagte Steuer kratzt auch nur unwesentlich an den enormen Profiten, die der Konzern in Seattle macht. Es handelte sich folglich um einen beschämenden Mobbing-Versuch der Milliarden-schweren Oberschicht und einen offensichtlichen Versuch, die Arbeitnehmerschaft von Seattle spalten zu wollen. Der Steueranteil von Amazon ist für Jeff Bezos, den reichsten Mann der Welt, nichts mehr als Kleingeld. Diese Form der Erpressung war der Versuch, die Lokalpolitik unter Kontrolle zu halten, indem man die Muskeln (in Form des vorhandenen Konzernkapitals und der wirtschaftlichen Bedeutung für die Stadt Seattle) spielen lässt. Es war aber auch ein Signal, das darauf abzielte, die Beschäftigten auch in anderen Städten der USA einzuschüchtern, in denen Amazon Niederlassungen und Versandzentren unterhält. Als SozialistInnen sind wir keineswegs naiv, was die enorme Macht von Amazon oder die Anzahl der Arbeitsplätze angeht, über die der Konzern herrscht. Was wir aber voll und ganz ablehnen, ist die Abwärtsspirale, die im Kapitalismus angestrebt wird: Wohnungsbau soll gegen Arbeitsplätze ins Spiel gebracht werden, Städte werden gegen andere Städte aufgebracht und ArbeiterInnen gegen ArbeiterInnen.
Es sind Drohkulissen wie diese, die in der Praxis nur bestätigen wie brutal die Abwärtsspirale ist, ohne die der Kapitalismus nicht auskommt. Großkonzerne wie Amazon wollen um jeden Preis Kosten senken, und die abhängig Beschäftigten sind die Leidtragenden dieser Angriffe. Das ist üblich in einem System, das den Profit und Reichtum einiger weniger über die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Gesellschaft stellt. Der Reichtum von Jeff Bezos ist das Ergebnis der harten Arbeit von zehntausenden von ArbeiterInnen, und es sind die ArbeiterInnen, die den Laden am Laufen halten und für dessen Einnahmen sorgen. Wir brauchen eine grundlegend andere Gesellschaft, eine sozialistische Gesellschaft, in der man nicht vor den Erspressungsversuchen der Konzerne auf die Knie fällt sondern in der wir Konzerne wie Amazon in demokratisches öffentliches Eigentum überführen und selbst – durch die vor Ort Beschäftigten – verwalten. Bahnbrechende Erfolge von SozialistInnen wie die Steuer für Amazon oder die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar die Stunde sind ganz entscheidende Schritte. Allerdings dürfen unsere Bewegungen an dieser Stelle nicht Halt machen.
Notwendigkeit des sozialen Wohnungsbaus
Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, qualitativ hochwertigen und bezahlbaren Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen. Deshalb müssen wir für eine Alternative zum kaputten privatwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarkt und für Mieterschutz kämpfen. Was wir brauchen ist eine massive Ausweitung auf zehntausende Einheiten an Sozialwohnungen in öffentlicher Hand und unter öffentlicher Verwaltung. Das aber ist mit den Interessen des Marktes nicht vereinbar. Anstatt dass die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre und die Lobby der Baulöwen darüber verfügt, wie viel ein Mensch für Wohnen bezahlt, könnten wir damit beginnen, eine Alternative für die arbeitenden Menschen anzubieten. Wir können darüber hinaus auch sicherstellen, dass alle Mieteinnahmen direkt in den Erhalt und Ausbau des öffentlichen Wohnungsbaus fließen, anstatt steigende private Profite zu ermöglichen. Und schließlich können wir uns dafür einsetzen, dass die entsprechenden Wohnungen in vollem Umfang von ArbeiterInnen gebaut werden, die tariflich beschäftigt sind. Priorität sollte dabei haben, Aufträge an in erster Linie an lokale Firmen und Betriebe zu geben, die von Angehörigen der Minderheiten geführt werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass den ArbeiterInnen aus Seattle ein Maximum zuteil wird.
Wir sind bereit zu kämpfen! – Eine andere Welt ist möglich!
Der Erfolg, den unsere Bewegung in Seattle erreichen konnte, hat das Potential, im ganzen Land erzielt zu werden. Auch wenn wir unsere Forderungen nicht vollständig durchsetzen konnten und viel weniger geschafft haben, als eigentlich nötig wäre, so geht es doch um beinahe fünfzig Millionen Dollar mehr, als das, was Amazon und andere Großunternehmen zu zahlen bereit waren. Es ist auch das Doppelte von dem, was die etablierten Ratsmitglieder vergangenen Herbst im Zuge der Haushaltsanhörungen noch abgelehnt hatten. Indem wir eine entschlossene und kompromisslose Bewegung aufgebaut haben, konnten wir eine der fortschrittlichsten Unternehmenssteuern der USA durchsetzen! Die führende Rolle, die Socialist Alternative und Kshama Sawant in dieser Bewegung eingenommen haben, darf nicht unterschätzt werden. Indem wir uns auf die potentielle Macht der arbeitenden Menschen verlassen haben, den „üblichen Gang der Dinge“ durchbrechen zu können, haben wir die gesamte Geschäftswelt und das Polit-Establishment in Seattle zur Kapitulation vor unserer Bewegung gebracht.
Jetzt muss der Kampf weitergehen. Wir werden nicht mehr stillhalten und zusehen, wie das Establishment in unserer Stadt es den Großkonzernen und Baulöwen erlaubt, Amok zu laufen und uns, unseren Freundinnen und Freunden und NachbarInnen das Recht auf sicheren und bezahlbaren Wohnraum vorenthält. Wir müssen nicht nur für kurzfristige Ziele im Hier und Jetzt kämpfen sondern für eine Alternative zum bankrotten System des Kapitalismus. Es geht um eine Zukunft, in der niemand einsam auf der Straße sterben muss, in der niemand gezwungen ist, sich zwischen Obdachlosigkeit oder eineR gewalttätigen LebenspartnerIn entscheiden zu müssen. Es darf auch niemand gezwungen werden, die Stadt, in der man arbeitet, verlassen zu müssen.
Wir kämpfen für eine Stadt und für eine Welt, in der Solidarität gelebt wird, Gerechtigkeit herrscht und Demokratie existiert. Maßgabe müssen die Bedürfnisse und Ziele aller arbeitenden Menschen und unterdrückten Communities sein. Wir müssen unsere Kämpfe zusammenführen – um Amazon und die Großkonzerne zu besteuern, flächendeckend den Mindestlohn von 15 Dollar zu bekommen, eine ausreichend finanzierte Bildung, das Ende der Polizeigewalt durchzusetzen und die Aufhebung des Systems der Massen-Verhaftungen. All das gehört zum Kampf für eine andere Form von Gesellschaft. Wir haben eine Welt zu gewinnen.