Sa 03.06.2006
Nach Tagen der Spekulation darüber, wer die Abstimmung einer Stockholmer Tageszeitung zum „Bürger des Monats“ gewinnen wird, schlug das Endergebnis ein wie eine Bombe. Aufgrund einer beispiellosen Medienkampagne rund um den 60. Geburtstag König Carls XVI. Gustaf am 20 April 2006 gingen die meisten davon aus, dass das Staatsoberhaupt das Rennen machen würde. Eine weitere Aspirantin war die populäre Musikerin Kajsa Grytt und als drittes nominiert waren Mattias Bernhardsson und Joel Eriksson, Mitglieder der Rättvisepartiet Socialisterna (RS; sozialistische Gerechtigkeitspartei - Schwesterpartei der SLP in Schweden).
Mattias und Joel gelangten über Medienberichte zu gewisser Prominenz, weil sie Ende März einen berüchtigten Vergewaltiger in dem Städtchen Jordbro, südlich von Stockholm, stellen konnten. Zu jenem Zeitpunkt wurden sie als Helden betitelt.
Und in der Tat handelten sie mutig und verantwortungsvoll. So, wie es sich eigentlich für jeden Menschen – speziell mit sozialistischem Hintergrund – unter den gegebenen Umständen gehören sollte. Der Gefasste hatte zwei Nächte nacheinander in der Nähe einer Schule in Jordbro Frauen überfallen. Was geschah, als Mattias und Joel mitbekamen, dass der Verdächtige vor der Polizei flüchtete, erklärten sie in einem Interview mit der Zeitung der RS, Offensiv: „Wir sahen uns erst gegenseitig an und rannten dann los, als ginge es um Leben und Tod. An einem Park nahmen wir eine Abkürzung und konnten den Typen vor einer Müllsammelstelle stellen.“
Das Ergebnis der Beliebtheits-Umfrage kam nicht vollkommen unerwartet. Nur 25% der Stimmen der 625.000 täglichen LeserInnen der Zeitung entfielen auf den König. Kajsa Grytt erhielt nur 4% und Mattias und Joel erreichten großartige 68%! Für sich genommen weist dies darauf hin, wie hoch die Gefühle kochen, wenn es um Gewalt an Frauen geht. Darüber hinaus zeugt das Ergebnis davon, dass der aufrichtigen und spontanen Reaktion von Mattias und Joel hohe Anerkennung zuteil wurde.
Das alles stellt einen ziemlichen Gegensatz zu den reißerischen Headlines der Medien dar, wenn sie von neuerlichen Überfällen auf Frauen berichten und somit suggerieren, dass man nichts dagegen tun könne. Die Zunahme gemeinschaftlicher Vergewaltigungen unter Jugendlichen macht aber mehr als deutlich, dass eine Debatte über Lösungsansätze nötiger denn je geworden ist. Die Unmenge an pornografischen Seiten im Internet verschärft noch die Situation, in der Frauen wie Rohstoff behandelt werden und Sex mit Gewalt verbunden wird.
Die RS kämpft gegen jegliche Form von Sexismus und Frauen-Unterdrückung in der Gesellschaft. An Schulen führten wir bereits gemeinsam mit Elevkampanjen (schwedische Sektion von International Socialist Resistance; SWI in Österreich) Aktionen gegen sexuelle Belästigung durch. Dabei gingen wir auch in die Schulen und forderten mehr Mittel für den Kampf gegen die ekelhaften Probleme, denen sich Frauen gegenüber sehen – jung wie alt. Wir haben Kampagnen für mehr, auch nachts geöffnete Jugendeinrichtungen geführt, für die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge (z.B. die Einbeziehung einer Behandlung auch von geistig Behinderten), für ausreichende Transportmöglichkeiten (Ausbau des ÖPNV) und beleuchtete Wege.
Mattias Bernhardsson ist der Spitzenkandidat der RS für die im September stattfindenden Ratswahlen in Jordbro. Er war auch bei den beschriebenen Aktivitäten mit dabei. Über die Tatsache, dass es in Jordbro entgegen des herrschenden umfassenden Bedarfs nach sicheren Plätzen für Frauen nur zwei Frauenhäuser gibt, die es ihnen erlauben, vor ihren gewalttätigen Männern sicher zu sein, äußerte er sich missbilligend.
„Wichtig ist“, sagte er, „dass wir uns klarmachen, dass lediglich eine geringe Anzahl von Vergewaltigungen im Freien stattfindet. Die meisten Übergriffe geschehen zu Hause, durch Männer, die den Opfern persönlich bekannt sind. Um die wachsende Zahl von sexuellen Übergriffen zu verringern, bedarf es natürlich mehr als nur beleuchteter Straßen. Wir werden kontinuierlich Kampagnen führen gegen jegliches Auftreten von Frauen-Unterdrückung und -Ausbeutung. Dabei muss es immer darum gehen, Gelenkstellen zu den Kämpfen der Arbeiterklasse zu bauen, um die Gesellschaft als Ganzes und entlang sozialistischer Leitlinien zu verändern.“