Di 18.07.2006
Unter Bezugnahme auf die jüngsten offiziellen Veröffentlichungen wird der G8-Gipfel in St. Petersburg über eine Million US-Dollar verschlingen. Nicht inbegriffen sind die Kosten für die massiven „Sicherheitsvorkehrungen“. Seine Gäste und Wladimir Putin selbst, Präsident der so bezeichneten Energie-Supermacht der Welt, werden zwei Tage damit verbringen, Themen wie Demokratie und Krieg auszuklammern. Statt dessen werden sie darin übereinstimmen mit einer Politik fortzufahren, die das Schicksal der Mehrheit der Weltbevölkerung um keinen Deut verbessert, die nicht ein Jota davon abweicht Armut und Ängste fortbestehen zu lassen.
In der Gegend um den Konstantinovsky Palast, im Süden der Stadt, wo der G8-Gipfel stattfindet, stehen alle hundert Meter Gruppen von Polizisten und Soldaten auf den Gehwegen. „Die Menschen beschweren sich zwar darüber, in Wirklichkeit tun ihnen die Beamten allerdings eher leid“, beschreibt Nadeschda Romanovna von Sozialistischer Widerstand (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Russland) die momentane Situation. „Sie stehen dort in glühender Hitze und in voller Montur mit Schlagstöcken, Gewehren und möglicherweise sogar mit Pistolen unter ihren Jacken“. Wie die Fabrik, in der Nadeschda arbeitet, sind noch einige andere für zwei Tage geschlossen worden. „Aus Sicherheitsgründen, sagen sie. Allerdings wurden wir für zwei Tage nach Haus geschickt, ohne dass man uns dafür bezahlt. Andere KollegInnen in Strelny durften schon seit dem 10. Juli nicht mehr arbeiten. Sie stehen seitdem ebenfalls ohne Löhne da. Gleichzeitig werden keine Kosten und Mühen für die VIPs gescheut. Um nur ein Beispiel zu nennen: 60 neue, Elektro-PKWs wurden gekauft, die wahrscheinlich nur dazu benutzt werden, um auf dem ausgedehnten Gelände des alten Zarenpalastes herumzufahren“.
Unterdessen wurden Hunderte von AktivistInnen daran gehindert zum Gegengipfel in die Stadt zu kommen. Sie wurden im Vorfeld zuhause von der Polizei besucht, aus Zügen abgeführt, einige wurden in Gewahrsam genommen oder im Vorfeld anderweitig festgehalten, einige wurden misshandelt, andere wieder freigelassen. Die OrganisatorInnen des russischen Sozialforums, das im Petersburger Kirov Stadion stattfindet, sprechen von rund 800 TeilnehmerInnen, die es bis dorthin geschafft haben. Doch selbst heute früh wurde noch ein Reisebus mit potentiellen TeilnehmerInnen abgefangen. Bis zum jetzigen Augenblick haben sie das Gelände nicht erreicht.
Zur Eröffnung des Sozialforums erschienen dann Pution-Fans, die sich selbst als „Liga der anderen Globalisierer“ bezeichnen. Sie begannen damit, reaktionäre Sprüche zu rufen wie „Russland, wir stehen zu dir!“. GenossInnen von Sozialistischer Widerstand (SR) waren allerdings schnell zur Stelle, um die Störer von dem Gelände zu begleiten. „Wir nennen sie Staats-Patrioten“, erklärte Sergej, SR-Mitglied aus Moskau. „Andere nennen sie einfach nur Faschisten. Was sie mit `anderer Globalisierung´ meinen? – keineR weiß das. Aber sie haben bei dieser Veranstaltung keinen Platz. Es ist eine Provokation!“.
Kurz nach diesem Vorfall erreichte ein weiterer Anhänger Putins das Gelände in einer Limousine: Die Gouverneurin der Stadt, Valentina Matvienko. Gefolgt von einem Tross JournalistInnen und Fernsehteams nahm sie ihren Weg ins Stadion und ging geradewegs auf den Stand von Sozialistischer Widerstand zu (dem ersten und einzigen stand, der vor Eröffnung des Sozialforums aufgebaut worden war und seitdem von unzähligen BesucherInnen bevölkert wird). Sofort sah sich Matvienko mit einer Tirade unangenehmer Fragen konfrontiert. Mit überwältigender Heuchlerei begrüßte sie die Forums-TeilnehmerInnen und redete davon, wie „demokratisch” doch ihre Administration sei. Sie sagte, dass die gegen Anti-G8-AktivistInnen stattgefundenen Repressionen nicht von ihr zu verantworten seien usw. In der Stadt wurden nach ihren Angaben keine Kundgebungen verboten, sondern nur die Demozüge. Doch gerade eine der Hauptveranstaltungen war eben der geplante Protestmarsch gegen den G8-Gipfel, der dort enden sollte, wo das bekannte Kriegsschiff „Aurora“ vor Anker liegt.
Die ArbeiterInnen des Lada-Werks aus Togliatti
An dem Sozialforum nehmen viele junge Leute und auch GewerkschafterInnen teil. Unter ihnen auch ArbeiterInnen aus dem Lada-Werk in Togliatti, der größten Autofabrik des Landes. Außerdem sind natürlich viele GlobalisierungskritikerInnen sowohl russische als auch ausländische anwesend, für die das Hauptproblem nicht der globale Kapitalismus, sondern die „unfaire“ und „inhumane“ Art ist, mit der dieser auftritt. Dennoch war der meist gehörte Slogan auf dem Gelände: „Nieder mit dem Kapitalismus!“ und unterschiedlichste sozialistische Gruppen sind ebenfalls anwesend. Zwar werden auf den Hauptveranstaltungen und Workshops die Lage der Welt und andere essentielle Themen nicht erörtert, trotzdem finden einige wichtige Debatten über die diversen Erfahrungen zu den Aspekten Wohnungssituation und Bildung statt.
Mit einer lebhaften Delegation nehmen letztlich mehr als 20 Mitglieder von Sozialistischer Widerstand an den Veranstaltungen teil. Mit einem breit verteilten, speziell für das Sozialforum verfassten Flugblatt wecken sie großes Interesse an unserer Arbeit unter den ForumsbesucherInnen und die Zeitung von Sozialistischer Widerstand, die Linke Vorhut, verkauft sich so gut wie das neueste Infoheft von uns mit dem Titel „Warum Sozialismus?“. Heute Nachmittag wird ein Treffen unter demselben Titel stattfinden, auf dem der Autor dieses Pamphlets, Ivan Ovsiannikow, zusammen mit CWI-GenossInnen aus Polen, Irland und Britannien reden wird.
Im Vorfeld des russischen Sozialforums wurde eine zweitägiges Symposium über Globalisierung und Neoliberalismus veranstaltet. Dort wurde viel diskutiert und nur wenig über die konkreten Kämpfe gesprochen, die zur Zeit von ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen die Auswirkungen der Globalisierung auf ihr tägliches Leben geführt werden. Die Konferenz wurde in erster Linie von der deutschen „Rosa Luxemburg Stiftung“ organisiert, die der Linkspartei.PDS in Deutschland nahe steht. Mitglieder des CWI nahmen daran teil und machten deutlich, wie ironisch die OrganisatorInnen sich doch verhalten, wenn sie in Russland Veranstaltungen gegen eine neoliberale Globalisierung durchführen und gleichzeitig in Berlin und anderen deutschen Städten selbst neoliberale „Reformen“ durchführen.