Sa 05.04.2008
Das könnte „das Ende des Mythos des billigen rumänischen Arbeiters sein“, titelte die rumänische Tageszeitung Adevarul über den aktuellen Streik der Dacia-Arbeiter in Rumänien.
Nach Angaben der Gewerkschaft befinden sich über 80 Prozent der 13.000 Beschäftigten der Fabrik in Pitesti (Südrumänien) seit Montag 7.00 Uhr im unbefristeten Streik. Die KollegInnen, deren durchschnittlicher Monatslohn zur Zeit bei ca. 285 Euro liegt fordern 60 Prozent mehr Lohn. „Wir arbeiten wie in Frankreich aber bekommen nur Peanuts“, es ist an der Zeit „für Löhne wie in Frankreich zu kämpfen“ so die Gewerkschaft. Das Unternehmen Dacia war 1999 billig von Renault aufgekauft worden, seitdem wird dort erfolgreich der Logan produziert.
Zwar wären die rumänischen Löhne auch mit der geforderten Lohnerhöhung noch weit von denen der französischen Kollegen entfernt (ein Renaultbeschäftigter in Frankreich bekommt ca. 2.200 Euro Brutto im Monat), symbolisch kommt dieser Forderung jedoch große Bedeutung zu, da sie ein Versuch ist, die Spaltung der Beschäftigten zu überwinden. Einer der Hauptslogans bei einer Kundgebung mit 9.000 Streikenden am Donnerstag (27.3.) in Mioveni war demnach: „Unitate“ (Einheit).
Der Arbeitgeber reagierte entsprechend empfindlich, bezeichnete die Lohnforderung als inakzeptabel und wollte den Streik per Gericht verbieten lassen. Auf Antrag der Gewerkschaft wurde die Gerichtsentscheidung darüber auf den 2. April vertagt.
In einem offenen Brief, der in der Zeitung „Evenimentul Zilei“ veröffentlicht wurde, drohte der geschäftsführende Direktor von Dacia, François Fourmont, prompt mit Verlagerung: „Diese Forderungen können die Zukunft des Werks gefährden, vor dem Hintergrund, dass bis zum Jahr 2010 Renaultwerke in Marokko, Indien und in Russland eröffnet werden, die in der Lage sein werden den Logan zu produzieren.“
Solche Drohungen sind den Kollegen in Westeuropa wohl bekannt. In den letzten Monaten haben einige westliche Großkonzerne Teile ihrer Produktion nach Rumänien verlegt oder zumindest damit gedroht. So hat der amerikanische Autohersteller Ford gerade das Daewoo-Werk in Craiova übernommen, Nokia will bekanntlich seine Produktion von Bochum nach Jucu verlagern und Daimler spricht davon ein neues Werk in Cluj Napoca zu eröffnen.
Unternehmerparadis Rumänien?
Dabei argumentieren die westlichen Großkonzerne vor allem mit niedrigen Produktionskosten und erzählen den Kollegen in Deutschland oder Frankreich, dass sie zu teuer und anspruchsvoll seien. Die Zusage einer Werkseröffnung bekommt Rumänien aber keineswegs umsonst. Für das geplante Nokia-Werk, hat der rumänische Staat und der Landkreis Cluj etwa 33 Millionen Euro ausgegeben. Gas- Strom- und Wasserleitungen wurden zu dem entlegenen Gelände gebaut, sogar Schienen aus dem Dorf zur Fabrik verlegt. Dazu kommen üble Arbeitsbedingungen. Bei Romsteel Cord (eine hundertprozentige Tochter von Michelin) wehren sich die rumänischen Beschäftigten gerade gegen unbezahlte Überstunden, nicht gewährten Urlaub und Probezeiten von bis zu 18 Monaten.
Und, die rumänischen Nokia-Angestellten sollen sieben bis acht mal weniger Lohn bekommen als ihre deutschen Kollegen. Dabei führen rasant steigende Lebenshaltungskosten und Hungerlöhne schon heute dazu, dass wer irgend kann, Rumänien den Rücken kehrt. Vier Millionen Rumänen arbeiten bereits im Ausland, das sind rund zwanzig Prozent der Bevölkerung. Und das, obwohl es alles andere als einfach ist ein Arbeitsvisum zu bekommen. Wirtschaftsexperten warnen deshalb bereits vor einem Arbeitskräftemangel in Rumänien. In der rumänischen Industrie arbeiten stattdessen oft Beschäftigte aus dem noch ärmeren Moldawien oder China. So streikten im Februar 2007 etwa 400 chinesische Textilarbeiter in Bacau im Nordosten Rumäniens. Diese Woche veröffentlichte die moldawische Regierung Zahlen, nach denen 75.000 moldawische Kinder ohne ihre Eltern aufwachsen weil diese im Ausland arbeiten.
Streik ist kein Ballet!
Doch Wut und Selbstbewusstsein der Kollegen sind groß.
Auf der einen Seite hat Dacia 2007 mit einem Plus von 17,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein Rekordergebnis erwirtschaftet und die Kollegen wollen endlich ihren Teil davon sehen. „Wir sind keine französische Kolonie!“, so ein wütender Streikender gegenüber der rumänischen Presseagentur Rompres, „die Beschäftigten stellen alle 52 Sekunden ein Auto her, aber das Geld wird zu Gunsten Frankreichs aus Rumänien abgezogen.“
Auf der anderen Seite wissen viele nicht mehr, wie sie ihre Familie ernähren sollen. Nach dem Anstieg der Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren sind einige Grundnahrungsmittel wie Milch oder Fleisch heute sogar teurer als in Frankreich oder Deutschland. Die Preissteigerung für Speiseöl betrug 2007 z.B. 44,1 Prozent, Brot wurde um 13,27 Prozent teurer. Zusätzlich steigert die niedrige Arbeitslosigkeit (wegen der Kollegen die im Ausland arbeiten!) das Selbstbewusstsein. Die Zeitung Cotidianul drückt die Befürchtungen der Arbeitgeber folgendermaßen aus: „Das goldene Zeitalter der Vergünstigungen für die multinationalen Konzerne ist vorbei, während der Mangel an Arbeitskräften dabei ist eine neue «Diktatur des Proletariats» zu errichten.“
Fakt ist, dass das Unternehmen bereits am vierten Streiktag ordentlich unter Druck geraten ist. Nach Angaben der Gewerkschaft werden durch den Streik jeden Tag 1.300 Autos weniger produziert. In den Medien ist von einem Verlust zwischen 8 und 10 Millionen Euro pro Tag die Rede. Die Unternehmensleitung hat ihr Angebot deshalb bereits von 12 auf 16, 7 Prozent erhöht. Für dieses „Angebot“ hatten die Kollegen allerdings nur ein Pfeifkonzert übrig. In Sprechchören riefen sie „Mafia“, „Diebe“, „Wir bleiben hier“.
Ariel Ungureanu, Berater von Barnett McCall Recruitment, warnt mit Blick auf Ford: „Die amerikanische Gruppe, die dabei ist ihre zukünftigen Investitionen in Rumänien abzuwägen, wird jetzt zweifelsohne denken, dass ihre Beschäftigten in den nächsten zwei Jahren ebenfalls Forderungen nach 70-prozentigen Lohnerhöhungen stellen werden.“
Und dabei könnte er gar nicht so Unrecht haben, denn zumindest wenn die Kollegen von Dacia erfolgreich sind, wird ihr Beispiel bald Nachahmer finden. Bei der Kundgebung am vierten Streiktag waren bereits auch Kollegen von Avione Craiova, der Posta Romana sowie des kürzlich von Ford übernommenen Werkes in Craiova anwesend. Die Gewerkschaft sprach von 1.500 Kollegen aus anderen Betrieben die aus Solidarität nach Mioveni gekommen waren. Ebenfalls anwesend war ein Vertreter des französischen Betriebsrats und die bei Renault vertretenen Gewerkschaften haben eine Solidaritätserklärung verabschiedet.
Der Betriebsratsvorsitzende Nicolae Pavelescu erklärte der Nachrichtenagentur Rompres, er erwarte eine Radikalisierung des Konflikts in den nächsten Tagen: „Ein Streik ist kein Ballet , die Kollegen können eine deutlichere Sprache sprechen. Vielleicht nicht am ersten Tag, aber es ist möglich das in den nächsten Tagen zu tun. Die Leute wissen dass sie ihre Rechte nur durch Streik durchsetzen und sind bereit mehrere Tage zu protestieren.“
Der Streik der Dacia-Arbeiter und die Forderung nach Löhnen wie in Frankreich könnte ein erster Schritt sein, der Abwärtsspirale der Löhne durch Abwanderung in Rumänien etwas entgegenzusetzen. Gerade in einem internationale Werk wie Renault sind Solidarität über die Ländergrenzen und gemeinsame Forderungen dringend notwendig. Das Beispiel Dacia muss bei KollegInnen in Westeuropa bekannt gemacht werden. Sollte der Konzern versuchen Produktionsausfälle durch Mehrarbeit an anderen Standorten wieder reinzuholen müssen sich die Kollegen in Frankreich oder anderswo weigern. Wenn Konzerne trotz Rekordgewinnen versuchen die Kollegen der verschiedenen Länder gegeneinander auszuspielen indem sie mit Abwanderung drohen, Stellen vernichten oder Hungerlöhne zahlen. gibt es es aber nur eine effektive Antwort: die Überführung des Konzerns in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten.