Do 18.03.2021
Vor 150 Jahren versuchte ein Arbeiter*innenaufstand in Paris eine neue Gesellschaftsform aufzubauen, die als Kommune bekannt wurde – eine Anspielung auf die revolutionäre Regierung von Paris, die in den frühen Tagen der Französischen Revolution von 1789 bestanden hatte. In den 72 Tagen ihres Bestehens, vom 18. März bis zum 28. Mai 1871, schockierte die Pariser Kommune die herrschenden Klassen in ganz Europa – und inspiriert Revolutionär*innen bis heute.
1870 lebten etwa 65 % der französischen Bevölkerung (38 Millionen Menschen) auf dem Lande. Von den zwei Millionen Einwohner*innen von Paris waren etwa 70% in Handel und Industrie beschäftigt. Die wachsende Arbeiter*innenbewegung stellte zunehmend offensive Forderungen. Unter dem Druck der Kämpfe wurde den Arbeiter*innen durch die Aufhebung des „Koalitionsverbots“, durch das die Gründung von Gewerkschaften und Verbänden illegal gewesen war ein eingeschränktes Streikrecht zugestanden. Dies geschah 1864, im selben Jahr, in dem die Internationale Arbeiterassoziation gegründet wurde, besser bekannt als die Erste Internationale. Ihre französische Sektion wurde im Jahr 1868 gegründet. Die Zugeständnisse des Zweiten Französischen Kaiserreichs (1852-1870) reichten den Arbeiter*innen jedoch nicht aus.
Neben der Bedrohung durch die aufstrebende Arbeiter*innenklasse gab es weitere ernste politische Probleme in Frankreich. Um davon abzulenken, betrieb der Kaiser, Napoleon III., eine risikoreiche Außenpolitik. Am 19. Juli 1870 erklärte er Preußen den Krieg. Dieser Krieg entwickelte sich zu einem völligen Desaster. Eineinhalb Monate später, am 2. September, kapitulierte der Kaiser in der Stadt Sedan. Unter dem Druck der Massen und der Nationalgarde, die den Bourbonenpalast stürmte und den Sturz des Kaisers forderten, wurde am 4. September eine französische Republik ausgerufen. Nach der Kapitulation von Sedan fielen die preußische Armee und ihre Verbündeten in Nordfrankreich ein und belagerten ab dem 18. September Paris.
Bedingungen für die Revolution reifen heran
Die Nationalgarde sollte bei den Ereignissen um die Kommune eine führende Rolle spielen. Ursprünglich war sie eine bürgerliche Miliz. Als sie während des Krieges mit Preußen vergrößert wurde veränderte sich ihre Zusammensetzung, sie wurde zu einer Volksmiliz. Am 2. September 1870 beschloss die Miliz, die Offiziere, Unteroffiziere und Korporale der Bataillone der Seine-Nationalgarde abzusetzen und sich selbst Neue zu wählen. Am 4. September wurde das Recht auf Rede- und Versammlungsfreiheit eingeführt. Zeitungen, Vereine und verschiedene Organisationen blühten auf. Die meisten von ihnen betonten die führende Rolle der Nationalgarde.
Die neue französische Regierung hatte bald mehr Angst vor der bewaffneten Bevölkerung als vor den ausländischen Truppen. Am 28. Januar 1871 wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet. In Artikel 7 des Waffenstillstandsabkommens hieß es: „Die Nationalgarde behält ihre Waffen; sie ist mit der Bewachung von Paris und der Aufrechterhaltung der Ordnung beauftragt.“ Bismarck, der starke Mann Preußens, warnte die französische Regierung vor den Gefahren dieser Bestimmung. Es dauerte nicht lange, bis sich die Feinde von gestern zusammen schlossen, um ihre Klasseninteressen zu verteidigen.
Die am 8. Februar gewählte Nationalversammlung hatte eine royalistische Mehrheit. Sie beschloss, in Versailles zu tagen und nicht im bevölkerungsreichen und gefährlichen Paris. Der ehemalige Innenminister Adolphe Thiers wurde zum Chef der Exekutive ernannt.
Am 24. Februar 1871 versammelten sich rund 2000 Delegierte aus den 200 Bataillonen der Nationalgarde in Paris. Sie verabschiedeten einen Antrag, in dem sie erklärten, dass sich die Nationalgarde von der Regierung Adolphe Thiers nicht entwaffnen lassen würde. Die Bevölkerung des übrigen Landes wurde aufgerufen, dem Beispiel von Paris zu folgen. Später wurde ein Zentralkomitee der Nationalgarde gewählt. Es enthielt keine Delegierten der bürgerlichen Bataillone. Am 11. März beendete die Regierung unerwartet das Moratorium für die Rückzahlung von Handelsschulden und Mietrückständen, das zu Beginn des Krieges verhängt worden war. Sie schaffte auch die Zulage für die Mitglieder der Nationalgarde ab. Die Situation spitze sich drastisch zu.
Der Aufstand
Am 18. März 1871 rückten reguläre Truppen der Regierung Thiers auf Paris vor, um die Waffen der Nationalgarde zu beschlagnahmen. Doch die Soldat*innen verbrüderten sich mit der Bevölkerung. General Lecomte gab den Befehl, auf die Menge zu schießen, wurde aber von seinen eigenen Soldat*innen aufgehalten. Er wurde später zusammen mit einem anderen Gefangenen hingerichtet: General Clément-Thomas, der einer der Befehlshaber bei der blutigen Niederschlagung des Aufstandes vom Juni 1848 gewesen war. Innerhalb von 24 Stunden zogen sich die Regierung und die regulären Truppen nach Versailles zurück und überließen die Hauptstadt den Aufständischen. Dies war der Beginn der Pariser Kommune.
Das Zentralkomitee der Nationalgarde quartierte sich im Rathaus ein. Am nächsten Tag kündigte das Komitee Wahlen für einen Kommune-Rat an und begann sofort mit der Einführung sozialer Maßnahmen: Die Besoldung der Nationalgarde und die Stundung der Mieten und Raten wurden wieder eingeführt.
Die Wahlen für den Kommune-Rat fanden am 26. März 1871 statt. Mehr als 230.000 Wähler*innen nahmen daran teil. Die Befürworter*innen der Kommune gewannen mit überwältigender Mehrheit. Am 28. März proklamierten die 90 gewählten Vertreter*innen auf dem Platz vor dem Rathaus inmitten einer Menschenmenge von etwa 200.000 Personen die Kommune.
Unter den vielen Erfolgen der Kommune waren unter anderem:
- die Trennung von Kirche und Staat;
- Maßnahmen für die Bildung und Erziehung des Volkes: freier und verpflichtender weltlicher Unterricht, auch für Mädchen;
- die Möglichkeit der Absetzung der gewählten Vertreter*innen: „Die Mitglieder des Gemeinderats, die unter der ständigen Aufsicht und Kontrolle des Volkes stehen, können abgesetzt werden und müssen sich für ihre Handlungen verantworten.“
- Die Ersetzung der Armee durch die Nationalgarde, d.h. durch die bewaffnete Bevölkerung;
- soziale Maßnahmen zum Schutz von Mieter*innen, Arbeiter*innen, Arbeitslosen, Obdachlosen, … ;
- die Übergabe von Betrieben, die von ihren Eigentümer*innen aufgegeben wurden, an Arbeiter*innen und an Vereinigungen von Produzent*innen;
- die Gleichheit zwischen ehelichen und unehelichen Kindern.
Paris wurde erneut belagert, diesmal von der französischen Armee. Am 21. Mai begann die „Blutige Woche“: Die Truppen von Versailles marschierten in Paris ein, die Repression war grauenhaft und gab eine Vorstellung vom Hass und der Angst der herrschenden Klasse vor dem Keim eines Arbeiter*innenstaates. Zwischen 20.000 und 35.000 Kommunard*innen – oder Menschen, die man dafür hielt – wurden hingerichtet, darunter viele Frauen und Kinder. In den Jahren 1871 und 1872 verhängten Militärgerichte mehr als 50.000 Urteile, darunter mehrere Todesurteile, lebenslängliche Zwangsarbeit und Deportationen in Gefängnisse in abgelegenen Gegenden.
Ehrung der Kommune durch Fortsetzung des Kampfes
Nach den Erfahrungen der Kommune nahmen Marx und Engels eine Änderung an ihrem bekannten Manifest der Kommunistischen Partei vor. Sie argumentierten, dass der bürgerliche Staat zerschlagen werden muss, um eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen; es reiche nicht aus, die Kontrolle über den bestehenden Staat zu übernehmen. Sie wiesen auch auf den Fehler hin, das Vermögen der Bank von Frankreich mit Sitz in Paris nicht zu beschlagnahmen.
„Am schwersten begreiflich ist allerdings der heilige Respekt, womit man vor den Toren der Bank von Frankreich ehrerbietig stehnblieb. Das war auch ein schwerer politischer Fehler. Die Bank in den Händen der Kommune – das war mehr wert als zehntausend Geiseln. Das bedeutete den Druck der ganzen französischen Bourgeoisie auf die Versailler Regierung im Interesse des Friedens mit der Kommune bedeutet.“ (Friedrich Engels: Einleitung zur dritten deutschen Auflage von Karl Marx’ “Bürgerkrieg in Frankreich”, 1891.)
Auch spätere Revolutionäre wie Lenin und Trotzki schenkten den Erfahrungen der Pariser Kommune vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Russischen Revolution große Aufmerksamkeit. In Lenins „Staat und Revolution“ nimmt die Kommune einen großen Raum ein.
„Die Kommune zeigt uns den Heroismus der werktätigen Massen, ihre Fähigkeit, sich zu einem festen Block zusammenzuschließen und sich aufzuopfern, sie zeigt uns aber auch gleichzeitig ihr Unvermögen, den richtigen Weg zu wählen, die Bewegung in die richtigen Bahnen zu lenken, und ihre verhängnisvolle Neigung, nach dem ersten Erfolg Halt zu machen und dem Feind so die Möglichkeit zu geben, seine Stellungen zurückzuerobern und zu festigen.“ Leo Trotzki: Die Lehren der Pariser Kommune, 1921).
Trotzki betonte, dass die Kommune jede Chance hatte, am 4. September 1870 die Macht zu ergreifen, aber in Ermangelung einer Partei, die die Lehren und Erfahrungen vergangener Revolutionen, vergangener Kämpfe und des wiederholten Verrats der bürgerlichen Demokratie zusammenführte, wurde die Initiative der Bourgeoisie überlassen. „Diese sechs Monate waren ein unwiederbringlicher Verlust. Wenn im September 1870 an der Spitze des französischen Proletariats eine straff organisierte Partei der revolutionären Aktion gestanden hätte, würde die Geschichte Frankreichs und damit die ganze Geschichte der Menschheit eine andere Richtung eingeschlagen haben.“
Am 18. März kam die Macht in Paris in die Hände der arbeitenden Massen. Dies geschah nicht als bewusster Akt: Die Feinde hatten Paris einfach verlassen. Eine kostbare Gelegenheit ging verloren, als die Regierung mit ihrer Flucht aus Paris einer Verhaftung entging.
Die Erfahrung der Pariser Kommune ist voll von Lehren für zukünftige Revolutionen. Der beste Weg, die heldenhaften Opfer der Kommunard*innen zu ehren, ist, ihren Kampf mit der gleichen Flexibilität, historischen Initiative und dem gleichen Opfergeist fortzusetzen. Diese Elemente der Pariser Kommune ließen Marx bewundernd von den Pariser*innen sprechen, die „den Himmel stürmten.“