Palästina: Streik im öffentlichen Dienst bringt Hamas-Regierung ins Wanken

„Seit heute gibt es keine Regierung mehr!“
Shahar Ben-Korin, CWI-Israel

Palästinensische ArbeiterInnen und Angestellte, die im Dienst der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen, haben am 2. September 06 einen unbefristeten Streik ausgerufen, um ihrer Forderung nach sofortiger Zahlung der ausstehenden Bezüge Ausdruck zu verleihen. Diese Bewegung nahm ihren Anfang während eines Militärangriffs des israelischen Regimes auf palästinensische Gebiete. Das Embargo gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (Palestinian National Authority; PNA), das seit dem Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 seitens israelischer Regierung, den Vereinigten Staaten und der EU verhängt wurde, bedeutet, dass 165.000 Beschäftigte der Behörde seit über sechs Monaten keine Löhne mehr erhalten haben. Von diesen Löhnen sind annähernd eine Million PaläsinenserInnen direkt abhängig. Der Streik umfasst ca. 100.000 ArbeiterInnen und Angestellte und wirft wichtige Fragen bezüglich der politischen Situation innerhalb der palästinensischen Gebiete nach den Wahlen auf.

Seit der Streik ausgerufen wurde, klagt die Hamas-Führung die Fatah (bis zu seinem Tode unter der Führung von Yassir Arafat stehende, größte und einflussreichste Organisation innerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation, PLO) an, sie unterstütze den Streik, um die neue palästinensische Hamas-Regierung zu sabotieren und somit den Weg der Fatah zurück an die Macht zu ebnen.

Zum Hintergrund

Seit einigen Monaten schon breiten sich die Proteste gegen den Auszahlungsstopp der Löhne überall in den palästinensischen Gebieten aus. Durch den Israel-Libanon-Krieg wurden die Proteste zwar zeitweilig unterbrochen, am 14. August, dem Inkrafttreten der Waffenruhe, aber wieder aufgenommen. Seit Anbeginn fanden die Proteste in einer schrecklichen Notsituation statt, mit fortwährenden Einfällen des israelischen Militärs (IDF) in die palästinensischen Gebiete, Artilleriebeschuss und einer ständigen Verarmung für die große Mehrheit der PalästinenserInnen.

Als die israelische Armee sich 2005 aus dem Gazastreifen zurückzog, war der Effekt auf die PalästinenserInnen eher symbolischer Natur. Diese mussten weiterhin in einem Belagerungszustand leben und keines der wirtschaftlichen oder sozialen Probleme wurde gelöst. Die herrschende Elite in Israel hoffte, dass ihre eigenen Probleme ein Ende nähmen, wenn sie den Gazastreifen abschotten und den PalästinenserInnen jede Bewegungsfreiheit verweigern würde. Die herrschende Klasse in Israel benutzte das „Zugeständnis“ des Rückzugs aus dem Gazastreifen gleichzeitig als Rechtfertigung für brutale Militärangriffe auf das besagte Gebiet, wann auch immer sie ihre Interessen in Frage gestellt sahen. Seit besagten Rückzug der IDF aus dem Gazastreifen sind über 500 Menschen ums Leben gekommen und 3000 weitere wurden durch den staatlichen Terror Israels verwundet.

In den palästinensischen Straßen herrscht Verzweiflung und ein Gefühl von Hilflosigkeit. Die Armut weitet sich aus und die meisten Familien sind gezwungen, sich auf den eigenen alltäglichen Überlebenskampf zu beschränken. Eine weitere Folge ist, dass die organisierte Kriminalität zu einem immer größeren Problem wird und viele mittelständische Betriebe und Geschäfte Opfer von Erpressungen werden. Das durchschnitlliche Pro-Kopf-Einkommen in den palästinensischen Gebieten ist auf 700,-$ pro Jahr gesunken. Im Vergleich dazu liegt es in Israel bei 20.000,- $. Zwei Drittel der Bevölkerung im Gazastreifen besitzen nicht die Mittel, um sich mit Grundnahrungsmitteln eindecken zu können und sind auf Unterstützung und Spenden angewiesen. Laut Weltbank-Bericht wird „2006 [...] das schlechteste Jahr in der trostlosen palästinensischen Wirtschaftsgeschichte“.

Die kapitalistischen Kräfte Europas sind immer besorgter über den völligen Zusammenbruch der PNA infolge von Bürgerkrieg oder weiterer Aufstände. So führte diese Sorge denn auch zu dem Druck aus Europa, der die Grenzübergänge Karni/El Mantar und Rafah zeitweilig für humanitäre Hilfslieferungen öffnen ließ. Jan Egeland, im Gazastreifen Chef der örtlichen UNRWA (UN-Hilfsorganisation für die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten), appellierte an die internationale Gemeinschaft, Finanzmittel an die PNA zu transferieren, um „die Zeitbombe zu entschärfen“ (TVNZ, 29 August 2006). Wie dem auch sei, alle diese humanitären Bemühungen werden nichts als Versuche bleiben, den Grad der Unterdrückung zu regulieren – sowohl in militärischer wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Eine unkontrollierte Explosion von unten soll unter allen Umständen vermieden werden. 

Die kapitalistischen Kräfte Europas sind immer besorgter über den völligen Zusammenbruch der PNA infolge von Bürgerkrieg oder weiterer Aufstände. So führte diese Sorge denn auch zu dem Druck aus Europa, der die Grenzübergänge Karni/El Mantar und Rafah zeitweilig für humanitäre Hilfslieferungen öffnen ließ. Jan Egeland, im Gazastreifen Chef der örtlichen UNRWA (UN-Hilfsorganisation für die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten), appellierte an die internationale Gemeinschaft, Finanzmittel an die PNA zu transferieren, um „die Zeitbombe zu entschärfen“ (TVNZ, 29 August 2006). Wie dem auch sei, alle diese humanitären Bemühungen werden nichts als Versuche bleiben, den Grad der Unterdrückung zu regulieren – sowohl in militärischer wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Eine unkontrollierte Explosion von unten soll unter allen Umständen vermieden werden.

Überraschender Wahlausgang

Die Ergebnisse der Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung der PNA waren ein Schuss vor den Bug der imperialistischen Mächte. Diese haben die Wahlen scheinbar nur deshalb unterstützt, um zu sehen, wie die PalästinenserInnen die Hamas gewählt und der Fatah ihre schwerste Niederlage denn je beigebracht haben. Tatsächlich haben sowohl Hamas wie auch die Fatah ungefähr gleich viele Stimmen erhalten. Beide kamen auf jeweils etwa 400.000 Stimmen. Doch die Spaltungen innerhalb der Fatah führten zu konkurrierenden Kandidaturen innerhalb derselben Wahlkreise. Das verhinderte, dass die Fatah eine parlamentarische Mehrheit bilden konnte. Die Stimmengewinne der Hamas bedeuten hauptsächlich eine Reaktion auf die korrupte Politik der Fatah-Regierung und ihrer Politiker. Umfragen deuten darauf hin, dass dies das Hauptmotiv für 40% der Menschen war, die sich dafür entschieden für Hamas zu stimmen. Auch die Wut über die Kapitulation der Fatah-Führung vor der fortsetzenden israelischen Aggression war dabei ein weitere entscheidender Faktor.

Für Israel und die imperialistischen Staaten war der Wahlsieg der Hamas eine Herausforderung ihrer Autorität. Die herrschende Klasse in Israel führt in Einklang mit den USA und der EU eine wohl durchdachte und konsequente Kampagne mit dem Ziel, die örtliche Hamas-Führung mittels kollektiver Bestrafung der palästinensischen Massen durch das Einbehalten palästinensischer Steuereinnahmen (der israelische Staat organisiert die Steuerabrechnungen für die PNA) und das Aussetzen internationaler Hilfe für die palästinensische Führung zur Annahme ihrer Forderungen zu zwingen.

Der Grund für diese Maßnahmen ist, dass sämtliche imperialistischen Mächte, Israel eingeschlossen, die Mitarbeit der unterwürfigen Teile innerhalb der palästinensischen Elite verlangen bzw. benötigen, damit diese wie Agenten handeln, die Wut der Massen niederhalten und so für Stabilität sorgen. Genau dies ist die Rolle des Flügels um Mahmud Abbas innerhalb der Fatah-Bewegung. Und die Hamas füllt diese Rolle zur Zeit eben nicht aus. Sie ist eine populistische Kraft, die ihre Basis in den Slums hat. Sie will die Unterstützung der verarmten Massen und deren Widerstand gegen die imperialistischen Attacken, von denen diese selbst betroffen sind. Dennoch ist das ideologische Fundament der Hamas trotz der Massenunterstützung, die sie von großen Teilen der palästinensischen Bevölkerung erhält, reaktionär und gegen die ArbeiterInnenklasse gerichtet.

Aushungern der PalästinenserInnen

Die Reaktion auf den Wahlsieg der Hamas war ein koordiniertes Embargo seitens Israel, der Vereinigten Staaten und der EU. Sogar die Arabische Liga kollaborierte indem sie zu diesem Punkt in Schweigen verharrte. 30 Mio. Dollar an zugesagter Unterstützung für die PNA wurden zurückgehalten und Israel stoppte den Transfer der Steuereinnahmen an die PNA, die sich auf 60 Mio. Dollar pro Monat belaufen. Weil auch sie Sanktionen durch die USA befürchteten, fügten sich auch die jordanischen Banken, die ihre Geschäfte in den palästinensischen Gebieten betreiben, der finanziellen Belagerung. Sie weigerten sich auch, internationale Spendengelder weiterzuleiten. Das Ergebnis ist der finanzielle Zusammenbruch der PNA und ihre 165.000 Beschäftigten haben somit seit März keine Bezüge mehr erhalten. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit im Gazastreifen arbeiten 73% aller Beschäftigten dort für die PNA. In der West Bank (Westjordanland) sind es 14%.

Mehr und mehr Familien fehlt schon jetzt der Zugang zu den notwendigsten Dienstleistungen und Gütern. Seit Anfang November 2005 verschlechtert sich die Lage zunehmend. Zu jenem Zeitpunkt startete die israelische Regierung einen groß angelegten Angriff auf das Westjordanland als Antwort auf die beginnenden Katjuscha-Attacken auf Israel von palästinensischem Gebiet aus.

Es sollte erwähnt werden, dass die örtliche Hamas-Führung nicht zu Verteidigungszwecken erforderliche Raketenangriffe ab Februar 2005 ablehnt. Dieses Verbot war Teil der „Tahadiya“ („Beruhigung“), die von Abbas auf dem Treffen von Scharm El-Scheich verkündet wurde. Der Raketenbeschuss, der im November 05 zum Einmarsch israelischer Truppen im Westjordanland führte, ging aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Konto einer anderen Organisation, wurde aber vom israelischen Regime als Vorwand genutzt, um das Westjordanland anzugreifen und die Hamas-Regierung zu schwächen.

Konflikt zwischen Hamas und Fatah

Die ortsansässige Hamas-Führung war von dem eigenen hohen Stimmenanteil selbst überrascht. Und offensichtlich war die Panik, die die Führung heimsuchte, als sie den palästinensischen Massen in der Regierungsverantwortung Antworten schuldig blieb. Durch ihr weiches Auftreten während der vergangenen Krise hat das Ansehen der Hamas sehr gelitten. Sie traute sich nicht, irgendwelche radikaleren Maßnahmen zu ergreifen, um das Leiden der Massen zu verringern. Die örtlichen Banken wurden beispielsweise nicht daran gehindert, ihre Geschäfte so zu regeln, wie es ihnen gefiel. Auf der anderen Seite zeigten viele ArbeiterInnen, welche unter der Finanzblockade der imperialistischen Mächte sehr zu leiden hatten, und viele Familien, die Opfer der Militärangriffe der IDF wurden, mit dem Finger auf die wahren Schuldigen, das israelische Regime zum Beispiel und seine internationalen Verbündeten.

Das Gefühl von Hilflosigkeit kam zusammen mit der breiten Unterstützung für eine Regierung der nationalen Einheit, an der alle Parteien zur Überwindung der momentanen Krise teilhaben sollten.

Wer dies verstanden hatte, war die Fatah-Führung. Sie nutzte diese Situation aus, um in einigen Gebieten neue Unterstützung zu gewinnen. Das führte in einzelnen Gegenden wiederum zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Fatah- und Hamas-Aktivisten, in erster Linie Studierende. Sie standen einander plötzlich in einem Kampf um die Vorherrschaft über die Straße gegenüber. An einem Abend wurden sogar die Büroräume der Palästinensischen Autonomiebehörde Opfer der Gewalt und das ganze Ausmaß der Lage mit der Möglichkeit eines sich ausbreitenden Bürgerkriegs wurde bewusst. Die Führungen beider Seiten haben jedoch kein Interesse daran, einen Bürgerkrieg anzuzetteln und schon wurden Gespräche aufgenommen, die zu einem Waffenstillstand führten.

Zur selben Stunde veröffentlichten die organisierten palästinensischen politischen Gefangenen, denen in den palästinensischen Straßen überaus großer Respekt entgegengebracht wird und die vom israelischen Regime innerhalb Israels inhaftiert wurden, ein neues Dokument, das allgemein als „Papier der Inhaftierten“ bekannt ist.  Dies Papier wurde unter Federführung Marwan Barghutti aufgesetzt, dem letzten übriggebliebenen populären Fatah-Führer, der in Israel im Gefängnis sitzt. Es stellt einen Versuch dar, zwischen Hamas und Fatah einen Kompromiss zu finden. Und obgleich diese Erklärung auch von inhaftierten Mitgliedern aus Hamas und Islamischem Jihad unterzeichnet wurde, orientiert sich die Argumentationslinie darin und die Vorschläge, die es enthält, eher an der offiziellen Politik der Fatah.

Anfangs lehnte die Hamas-Führung das „Papier der Inhaftierten“ ab, weil es indirekt den Staat Israel anerkennt. Doch aufgrund des Drucks von Abbas, der damit drohte eine Volksabstimmung über die Frage der Anerkennung Israels durchführen zu lassen, weil sie irgendeine Art Lösung in dem inner-palästinensischen Konflikt zu finden wünschten und um ihren eigenen Wahlsieg zu konsolidieren akzeptierte die ortsansässige Hamas-Führung schließlich das Papier.

Auf diese Weise vergrößerten sie die Spannungen zwischen ihnen und der extremer eingestellten Hamas-Führung im Ausland. Diese Spannungen könnten in der Zukunft zu einer Spaltung der Hamas führen. Auf alle Fälle sind sie der Grund, weshalb weitere Vereinbarungen zur Gründung einer Regierung der nationalen Einheit vertagt wurden.

Streik!

Die Proteste der ArbeiterInnen, die während des Israel-Libanon-Kriegs zeitweilig ausgesetzt wurden, wurden wieder aufgenommen, sobald der Waffenstillstand unterzeichnet war. Die Tatsache, dass die Hisbollah einen Teilsieg gegenüber der mächtigen israelischen Militärmaschinerie einfuhr, gab den Protestierenden im Gazastreifen und Westjordanland neues Selbstvertrauen. Um gegen die Versuche der Banken zu protestieren, Teile der Streikgelder zu konfiszieren, die den Beschäftigten als Ausgleich für Lohnausfälle zustehen, stürmten DemonstrantInnen in den besetzten Gebieten die Büros der entsprechenden Geldinstitute.

Der Arbeitskampf wurde von den ArbeiterInnen am selben Tag wieder aufgenommen und Gerüchte über einen bevorstehenden Generalsteik machten die Runde.

Nachdem eine ganze Anzahl vereinzelter Arbeitsniederlegungen stattgefunden hatte, begann die Gewerkschafts-Dachverband in den palästinensischen Gebieten (PGTU) mit der Vorbereitung eines Generalstreiks aller PNA-Beschäftigten für den 2. September.

Am Anfang bezog dieser Streik 37.000 LehrerInnen, 25.000 Beschäftigte im Gesundheitssektor und 15.000 weitere ArbeiterInnen und Angestellte des öffentlichen Diensts mit ein.

Der Mathematiklehrer Mohammed Kheirallah wurde aus der Website IslamOnline am 2. September 2006 zitiert: „Im Juni, nach drei Monaten ohne Lohnzahlung, wollten wir nicht in den Streik treten, weil wir die Abschlussprüfungen nicht gefährden wollten. Aber heute haben wir genug! Wir wollen endlich unsere Bezüge sehen!“

Vor dem Parlamentsgebäude kam es wiederholt zu Demonstrationen mit Tausenden von TeilnehmerInnen, die die ausstehenden Bezüge, Arbeitslosenunterstützung und die Schaffung neuer Jobs einforderten. Slogans wurden gerufen, Steine auf das Gebäude geworfen und das Eingangsportal gestürmt bis die gewaltbereite Polizei die Leute brutal auseinandertrieb.

Am 30. August demonstrierten 3.000 Menschen vor dem Tagungsort in Ramallah, wo sich Abbas mit dem UN-Generalsekretär Kofi Anan traf. Die DemonstrantInnen skandierten: „Ab heute gibt´s keine Regierung mehr. Ab heute gibt´s kein Parlament mehr!“ und: „Wir haben kein Geld mehr in unseren Taschen.“

Kein weiterer symbolischer Arbeitskampf

Es war der erste von unten organisierte Generalstreik in den besetzten Gebieten seit Gründung der PNA 1994. Diese wichtige Tatsache macht den Stellenwert dieses Arbeitskampfs gegenüber den „Generalstreiks“ aus, die in früheren Zeiten wahlweise von der PNA selbst, der Fatah oder noch von Vertrauenspersonen Arafats organisiert wurden. Häufig wurden diese Generalstreiks in der Vergangenheit organisiert, um die politischen Ziele von Organisationen wie PLO oder Fatah zu befördern.

Der Streik übte gewaltigen Druck auf die örtlichen Führungen der Hamas aus, weil diese den ArbeiterInnen keine Konzessionen machen konnte. Die ortsansässige Hamas-Führung verurteilte den Streik im Nachhinein als von der Fatah initiierten verantwortungslosen Akt, um die neu gewählte Hamas-Regierung zu destabilisieren. Hamas-Sprecher A’azi Khamad bezeichnete den Ausstand als „unzulässig“. Der Streik wurde sowohl von Hamas als auch Fatah für ihre politischen Eigeninteressen ausgeschlachtet, aber es wäre falsch, diesen Arbeitskampf lediglich als Episode in der Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Organisationen zu sehen.

Palästinensische Gewerkschaften

Sämtliche Gewerkschaftsführer sind der Fatah verbunden. Der palästinensische Gewerkschaftsverband wurde in den 1990ern gegründet und brachte damals die bereits existierenden Einzelgewerkschaften unter einem Dach zusammen. Die Führung wurde nie demokratisch legitimiert und bis heute erhalten die Bürokraten auf der Vorstandsebene ihre Bezüge von der Fatah. Niemals hat die Gewerkschaftsführung die Interessen der Arbeiterklasse unabhängig von der Fatah-Regierung verteidigt. So haben sie auch beispielsweise nie für Mindestlöhne gekämpft und statt dessen mit NGOs zusammengearbeitet, um Vorschläge etwa für fairen Handel zu unterstützen, der alternativ Arbeitskämpfen stehen sollte und Arbeitsbedingungen wie Löhne absichern sollte. Während die Gewerkschaftsbürokraten einem Wiedereintritt der Fatah in die palästinensische Regierung also positiv gegenüber steht, kann dies von den Streikenden selbst keineswegs behauptet werden.

„Genug ist genug!“

Als die imperialistischen Mächte realisierten, dass der Streik außer Kontrolle geraten könnte und sogar einen Bürgerkrieg hätte auslösen können, entschied sich die EU, einen Fonds mit 340,- Dollar pro StreikendeR zu transferieren. Inas Abu Samra, 33jähriger Englischlehrerin und Mitglied der Lehrergewerkschaft in Gaza, erklärte: „Sie tun dies, damit wir den Arbeitskampf beenden. Wir werden das Geld annehmen, aber den Streik werden wir auf jeden Fall fortsetzen. Wir haben eine demokratische Regierung, die demokratisch gewählt wurde. Sie müssen akzeptieren, dass dieser Streik der Demokratie ein Gesicht gibt“.

Abu-Samra sagte auch, dass die palästinensische Bevölkerung zu Beginn des Embargos gegen die von der Hamas geführte PNA vereint hinter der Regierung stand. Doch ohne Löhne, ergänzte sie, überlebt die Bevölkerung nur wegen der Essengutscheine und der humanitären Hilfe. Doch „wir haben uns entschieden: genug ist genug! Die PNA hat uns versprochen, dass wir einen Wandel unserer wirtschaftlichen Situation erleben werden. Aber was ist passiert? Die Lage verschlechtert sich nur noch mehr!“

Ein 26jähriger Lehrer aus Gaza beschrieb es folgender Maßen: „Der Streik wird im Westjordanland erfolgreich sein, aber nicht hier im Gazastreifen, wo in jedem Haushalt mindestens ein Hamas-Mitglied wohnt. Die Menschen hier ziehen es vor, der Hamas eine weitere Chance zu geben. Sie glauben, dass die Finanzkrise kein Fehler der Hamas ist“ (aus der ägyptischen Zeitung „Al-Aharam“ vom 31. August 2006).

Als der Streik anfing, erklärte die Regierung, dass dieser ein Mißerfolg und die Mehrzahl der Schulen weiter in Betrieb sei. Sie nutzen die Tatsache für sich aus, wonach ein Drittel der Schulen in den palästinensischen Gebieten nicht unter der Kontrolle der Regierung stehen und sich deshalb nicht an dem Streik beteiligten.

Doch entgegen der Propaganda, die der Hamas eigene Radiosender verbreitete, war der Streik ein voller Erfolg. Über 90% der PNA-Beschäftigten im Westjordanland nahmen teil. ArbeiterInnen errichteten Zelte in den Straßen und begannen mit Appellen für Solidaritätsstreiks in den mittelständischen Betrieben. Am ersten Tag der Arbeitsniederlegung im öffentlichen Sektor blieben auch die Kleinbetriebe geschlossen.

Im Gazastreifen erreichte der Arbeitskampf einen niedrigeren Grad an Massenunterstützung mit ungefähr der Hälfte aller PNA-Beschäftigten allerdings der Mehrzahl der LehrerInnen, die sich beteiligten. Die meisten öffentlichen Schulen nahmen am Streik teil und die Krankenhäuser verrichteten „Dienst nach Vorschrift“. Versuche von bewaffneten Hamas-Aktivisten, die Streikenden sofort zurück an den Arbeitsplatz zu zwingen, scheiterten.  Doch was auf niedriger Flamme begann, wuchs mit nicht weniger als Tausenden von Polizisten, die sich am fünften Streiktag anschlossen und durch die Straßen von Gaza zogen. Sie widersetzten sich Abbas und der Fatah, indem sie deren Statements ignorierten, wonach die Streikenden nicht das Recht hätten, sich gegen die Regierung zu stellen.

„Wir sind nicht gegen die Regierung, sogar wenn wir nicht ihrer Meinung sind. Aber wir leiden darunter, dass wir seit sieben Monaten keine Löhne mehr erhalten haben“, sagte Nidal Khader, ein Polizist, der an der Demonstration teilnahm (AP, 6. September 2006).

Die DemonstrantInnen stürmten das Parlament, sie bewarfen es mit Steinen und schlugen die Fenster und Türen ein. Ihr Versuch, das Gebäude zu besetzen, wurde von Polizisten vereitelt, die sich nicht an dem Streik beteiligten. Am selben Tag demonstrierten 30 Beschäftigte des Büros des Premierministers zusammen mit Dutzenden weiterer ArbeiterInnen in Gaza unter dem Banner: „Wir wollen unsere Löhne. Wir haben das recht unsere Kinder zu ernähren!“

Nein zu einer Regierung der nationalen Einheit

Der Streik ist ein wichtiges Ereignis, weil er aufgrund unabhängiger Klassen-Initiative der palästinensischen ArbeiterInnenklasse zustande kam. Er brach aus, weil mensch sich des fortdauernden und zunehmenden Leids erwehrte. Der Druck auf die örtliche Hamas-Führung war so stark, dass diese sich schon vor Ausbruch des Arbeitskampfes zur teilweisen Auszahlung der Arbeitslosenunterstützung bereit erklären musste. Außerdem erklärte sie sich damit einverstanden, weiterhin für freien Zugang zu Bildung zu sorgen mit lediglich freiwilligen Gebühren von den Eltern, die es sich leisten können.

Vor weniger als einem halben Jahr redete die ortsansässige Hamas-Führung noch von der Möglichkeit einer Intifada gegen die PNA. Jetzt beginnt sie zu verstehen, dass sie selbst zum Ziel eines Aufstands werden kann. Die Regierung befindet sich in Verhandlungen mit den Streikenden und es scheint, als könnte der Konflikt zu einem einvernehmlichen ende gelangen. Politisch entwickelt sich alles in Richtung einer Regierung der nationalen Einheit. Langfristig wird diese scheitern, weil eine solche Regierung nicht in der Lage sein wird, wenigstens die grundlegendsten Probleme der Massen zu lösen.

Ja zur Einheit

Die palästinensischen Massen brauchen neue politische Gliederungen auf Basis der Klasseninteressen der ArbeiterInnen. Eine solche Formation könnte mit der jetzigen sozialen Ordnung brechen und zum Beispiel die jordanischen Banken übernehmen, die mit dem von den USA initiierten Embargo kollaborieren, das zu Hunger und Erschöpfung unter den palästinensischen Massen führt. Solch eine Organisation würde die Notwendigkeit zur Übernahme des Eigentums der palästinensischen Eliten auf´s Tapet bringen, um mit der Aufgabe klarzukommen, die Gesellschaft in Krisenzeiten zu organisieren.

Sie könnte ebenfalls an die jüdischen ArbeiterInnen und die Armen in Israel appellieren, die noch dem israelischen Regime als UnterstützerInnen dienen.

Die nationalen Eliten, palästinensische wie israelische, haben keine Mittel, um die Bedürfnisse der Massen zu befriedigen und es gibt kein Programm, das fähig wäre deren Probleme zu lösen. Nur ein Kampf, der auf der ArbeiterInnenklasse und der Klassen-Einheit aufbaut, kann die Besatzung zurückschlagen und die auf dem Kapitalismus basierende Armut beenden.

Um den Massen-Kampf zu organisieren müssen anerkannte Komitees in den besetzten Gebieten gegründet werden, eine unabhängige Arbeiterpartei muss her, die die erniedrigten Schichten der Gesellschaft repräsentiert und die Gewerkschaften zu kämpferischen und demokratischen Kräften macht.

Das zeitweilige Ende der Militärbesatzung macht die Gefahr einer erneuten Invasion nicht obsolet, wie die jüngsten Beispiele im Gazastreifen und im Südlibanon gezeigt haben. Das konsequente Ende der Besetzungen, einschließlich des Abbaus der Checkpoints und der „Mauer“, die Wiederherstellung erstrebenswerter Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten verlangen einen revolutionären Kampf in den Palästinensichen Gebieten wie auch in Israel zur Errichtung einer sozialistischen Demokratie als Teil eines umfassenden Kampfes für einen sozialistischen Nahen Osten. Nur im sozialistischen Rahmen wird es möglich sein, neben einem Staat Israel einen wirklich unabhängigen Staat Palästinia zu gründen, frei von imperialistischer und kapitalistischer Vorherrschaft.