Neuwahlen – Was bringts?

Stellungnahme des SLP-Bundesvorstandes zur aktuellen Situation (Wien, 2.3. 2008)
  1. Die aktuelle Koalition war von ihrem ersten Tag an eine von beiden Seiten ungewollte und daher auch instabile. Die permanenten Koalitionsstreitigkeiten drücken einen ständigen „Wahlkampf in der Koalition“ aus. Das ist insofern eine neue Situation, als frühere Große Koalitionen von Stabilität und Langlebigkeit geprägt waren – die letzte dauerte immerhin 14 Jahre).
  2. In den letzten Wochen hat sich das Klima noch einmal verschärft. Grund dafür sind einerseits die NÖ-Landtagswahlen am 9. März. 1,4 Wahlberechtigte – erstmals auch 16jährige – werden abstimmen. Obwohl nicht davon auszugehen ist, dass die ÖVP ihre Führungsrolle (53,3% bei der letzten Wahl) einbüssen wird, so ist es doch in starkem Maß auch eine Testwahl für die Bundesregierung bzw. das Kräfteverhältnis zwischen SPÖ und ÖVP.
  3. Daneben gibt es aber auch inhaltliche Differenzen und Schwerpunktsetzungen sowie offensichtliche Animositäten. Die inhaltlichen Differenzen sind zwar keineswegs fundamental und Animositäten für eine Regierung nicht zentral, aber vor dem Hintergrund der permanenten Streitigkeiten und des indirekten Drohens mit der Neuwahlkeule kann sich die Entwicklung verselbstständigen. Ob für eine der beiden Regierungsparteien Neuwahlen aus taktischen Überlegungen überhaupt sinnvoll wären, ist zum momentanen Zeitpunkt nicht zu sagen, da es täglich neue „Enthüllungen“ gibt und damit wechselt, wer gerade mehr Probleme hat bzw. wer eher in der Offensive ist (Ermittlungsfehler Kampusch, SPÖ-Finanzierung durch Bawag, Stellenvergabe nach Parteibuch…). Beide Regierungsparteien befinden sich in einer „loose-loose“ Situation, ihr Image ist angeschlagen und der größte Gewinner bei Neuwahlen wäre voraussichtlich die FPÖ.
  4. Neuwahlen sind daher zwar wahrscheinlicher als noch vor einigen Monaten, hängen aber nicht zuletzt auch vom Ergebnis der NÖ-Landtagswahlen ab. Aber was würden Neuwahlen bringen? Vor welchem Hintergrund finden sie statt?

Aufschwung schon vorbei

  1. Der „Aufschwung“ war ein kurzer und für die ArbeiterInnenklasse ohne Verbesserungen. Nach einem kurzen Jubel kühlt die Industriekonjunktur bereits wieder stark ab, die Exporte sind im Februar 2008 sogar gesunken. Die wirtschaftlichen Probleme sind nicht nur „importiert“ sondern strukturell, was sich u.a. in der Schwäche und Kürze des Aufschwunges zeigt. Das bedeutet auch, dass die ohnehin schwache Entspannung am Arbeitsmarkt schon bald vorüber sein dürfte.
  2. Sehr konkret fühlt die ArbeiterInnenklasse die wirtschaftlichen Probleme in der eigenen Geldbörse. Die Inflation ist auf dem höchsten Stand seit Juni 1993 – die Reallöhne stagnieren bzw. sinken sogar. Der Aufschwung hat also nicht zu einer Verbesserung des Lebensstandards der ArbeiterInnenklasse geführt. Seit langem gab es keine so öffentlich geführte Debatte über Inflation und den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse mehr – auch das drückt die Stimmung aus.
  3. Der ÖGB war nicht in der Lage, den schwachen Aufschwung zu nutzen, um Verbesserungen für die ArbeiterInnenklasse herauszuverhandeln bzw. zu erkämpfen. Im Gegenteil saß man der Aufschwung-Propaganda auf und verhandelte Lohnerhöhungen, die kaum jenseits der Inflation liegen. („Wir haben den Kaufkraftverlust trotz toller Lohnrunden" – Hundstorfer)
  4. Nun wird als Lösung für die Reallohnverluste eine Steuerreform propagiert. Obwohl die kalte Steuerprogression (d.h. durch Lohnerhöhungen in eine höhere Steuerklasse zu fallen) zweifellos ein Problem ist, geht sie doch am wesentlichen – nämlich den ständig steigenden Preisen und Gebühren und damit den Reallohnverlusten vorbei. Auch wenn die Frage einer Steuerreform zzt zur Koalitionsfrage hochgespielt wird, sind die Differenzen zwischen SPÖ und ÖVP nicht fundamental. Die SPÖ setzt zwar etwas stärker auf neokeynsianische Elemente und auf mehr Tempo – aber dahinter versteckt sich kein soziales Gewissen und schon gar kein kapitalismuskritischer Gedanke, sondern Wahlkampftaktik.
  5. Auch der Gusi-Hunderter (bzw. der ÖVP-Heizkosten-Fünfziger) ändern am grundlegenden Problem nichts.
  6. Der ÖGB hat in Bezug auf Inflation und sinkenden Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse kein eigenes Programm, sondern greift Forderungen der SPÖ nach einer Steuerreform auf. Statt einen kämpferischen Kurs für Realllohnerhöhungen zu fahren, zieht sich die ÖGB-Führung mit Forderungen wie die Verdoppelung der Negativsteuer aus der Verantwortung.
  7. Die SLP ist für eine Abschaffung von indirekten Steuern, die stets Menschen mit niedrigeren Einkommen stärker belasten, und tritt für eine starke Steuerprogression auf Einkommen und insbesondere Vermögen ein.
  8. Durch den deutschen Steuerskandal (Vermögende hatten ihr Geld nach Lichtenstein verschoben um in Deutschland keine Steuern zahlen zu müssen) wird das Thema „Steuern“ breiter diskutiert. Die Ungerechtigkeiten in der Einkommens- und Steuersituation wird immer offensichtlicher. Nach den Spitzeneinkommen von ManagerInnen ist diese Steuerhinterziehung nur ein weiteres Beispiel dafür.
  9. Wie schon bei der Debatte um das Erbschaftsrecht spielt sich insbesondere die ÖVP als „Verteidiger“ des „kleinen Mannes“ auf, wenn sie sich gegen die Aufhebung des Bankgeheimnisses stellt. Zweifellos profitieren auch manche KleinverdienerInnen vom Bankgeheimnis (z.B. wenn das AMS nichts vom Sparvermögen erfährt) – aber die Nutznießer im großen Stil sind die GroßverdienerInnen und die Reichen.

Was bringen Neuwahlen?

  1. Kurz gesagt: Für die ArbeiterInnenklasse nicht viel. Im Parlament würde es voraussichtlich keine großen Veränderungen geben. Das Kräfteverhältnis zwischen ÖVP/SPÖ und Grüne/FPÖ um den 1. bzw. 3. Platz könnte sich verschieben. Das wahrscheinlichste Ergebnis wäre eine neue Große Koalition, ev. unter ÖVP-Führung. Diese wäre noch instabiler als die bisherige – ihr einzige Stabilität bestünde darin, dass andere Konstellationen noch instabiler wären. An der Politik und ihren Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse würde das aber wenig ändern.
  2. Nach einem Jahr SPÖVP sind zwei Drittel mit der Regierung unzufrieden – die gleiche Anzahl ist aber auch gegen Neuwahlen. Das drückt auch eine Alternativlosigkeit aus. Die Grünen werden immer stärker zu einer normalen Partei und biedern sich – wie aktuell in Graz – an die ÖVP an. Das BZÖ spielt mit Ausnahme von Kärnten keine Rolle und liefert sich mit der FPÖ ein Rennen um die rassistischeren Forderungen.
  3. Die größte Partei könnte auch bei den kommenden Wahlen jene der Nicht-WählerInnen sein. Dass die Wahlbeteiligung seit längerem sinkt liegt nicht an einer allgemeinen „Politikverdrossenheit“, sondern daran, dass die Parteien sich immer stärker ähneln, dass ihre Politik von breiten Schichten abgelehnt wird und PolitikerInnen insgesamt als nicht Vertrauenserweckend gesehen werden.
  4. Die große Gewinnerin bei Neuwahlen wäre voraussichtlich die FPÖ. Auch wenn die FPÖ-Spitze eine Regierungsbeteiligung nicht mehr so eindeutig zurückweißt wie noch vor einigen Monaten, ist diese praktisch nicht zu erwarten. Aber da ihr Wahlkampf mit Sicherheit neue rassistische Höhepunkte bieten wird, werden SPÖ und ÖVP versuchen mit ebenfalls rassistischen Ausritten in diesem WählerInnenspektrum zu fischen.
  5. Wir erleben in Diskussionen immer stärker den Wunsch nach einer politischen Alternative. Diesen Wunsch gibt es sowohl unter unorganisierten Menschen aus der ArbeiterInnenklasse, als auch in Teilen der organisierten Klasse, in Teilen der Gewerkschaften. Labournet stellt die Frage: „Warum gibt es in Österreich trotz sozialer Polarisierung, Krise der Sozialdemokratie und Regierungskrise keine Anzeichen hin zum Aufbau einer Linkspartei?“ Die Frage ist berechtigt, denn das Fehlen einer solchen stärkt die FPÖ und führt zu einer sinkenden Wahlbeteiligung.
  6. Wir haben immer erklärt, dass die Herausbildung einer neuen Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche das Ergebnis von sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen, von der Herausbildung einer neuen Schicht von KämpferInnen sein wird. Ansätze für eine solche neue Bewegung können auch auf regionaler Ebene beginnen und ausgetestet werden.
  7. Der wesentliche Grund dafür, dass sich in Österreich nicht wie in Deutschland eine neue linke Partei herausbildet ist das weitgehende Fehlen von Klassenkämpfen. Seit dem Streikjahr 2003 hat es keine größeren Klassenkämpfe gegeben. Ein weiterer Grund liegt in der Krise des ÖGB, der in Teilen des ÖGB den ohnehin existierenden Konservativismus („nur nix ändern, nur nix neues“) noch verstärkt hat. Diese Teile klammern sich nach wie vor an die SPÖ und versuchen der objektiven und von der SPÖ betriebenen Trennung entgegen zu wirken. Hier bleibt zu beobachten, wie sich Teile der Gewerkschaftsbasis und FunktionärInnen bei kommenden Angriffen durch eine SPÖ in der Regierung verhalten werden. Auch entlang der Frage einer möglichen Koalition mit der FPÖ können sich in der SPÖ Bruchlinien auftun.
  8. Die fehlenden Klassenkämpfe und die defensive Position des ÖGB haben bis jetzt auch nicht zur Herausbildung von Persönlichkeiten geführt, die in einem Neuformierungsprozess Impulse setzen könnten. Solche Persönlichkeiten (wie Lafontaine in Deutschland) können Klassenkämpfe und die mit ihnen verbundene Politisierung und Aktivierung der ArbeiterInnenklasse nicht ersetzen, aber sie können aufgrund ihrer Bekanntheit und Autorität entscheidende Initiativen setzen. Solche Persönlichkeiten fehlen in Österreich.
  9. Die SLP hält Neuwahlen für eine mögliche Option und bereitet sich in sofern darauf vor, als sie ihren Beitrag für die Schaffung einer wählbaren Alternative leisten wird.
  10. Die SLP bereitet sich aber v.a. auf die kommenden Angriffe vor: Die Regierungsparteien sind sich grundsätzlich einig in ihrem Sparkurs der weitere Angriffe in den Bereich Gesundheitswesen, Arbeitsflexibilisierung und Arbeitslosigkeit bringen wird. Das Ende des Aufschwungs vor Augen soll die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse weiter verschärft werden. Im Liebäugeln mit den WählerInnen der FPÖ wird der staatliche Rassismus intensiviert.
  11. Für die ArbeiterInnenklasse hätten Neuwahlen einen einzigen Vorteil: solange sich die Parteien im Wahlkampf befinden bzw. es keine neue Regierung gibt, werden keine Angriffe durchgeführt. Eine Verschnaufpause, die die Gewerkschaften nutzen sollten, um Widerstand vorzubereiten und nicht um der SPÖ den Wahlhelfer zu machen. Denn die SPÖ hat in den vergangenen Monaten einmal mehr gezeigt, dass sie nicht einmal ein "kleineres Übel" ist. Sie ist keine Unterstützung gegen Sozialabbau und keine Bastion gegen die FPÖ.
  12. Von den Entwicklungen in und um die Gewerkschaften wird es zentral abhängen, ob es bei kommenden Wahlen eine Alternative auf der Wahlebene geben wird und ob Widerstand gegen die Angriffe, die jede neue Regierung gegen die ArbeiterInnenklasse fahren wird, organisiert wird.
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