Nationalratswahlen 2017: Bilanz & Ausblick

Das Ergebnis ist weit komplizierter, als nur ein „Rechtsruck“.
SLP-Bundesleitung

Die Wahlen sind geschlagen, die Regierungsbildung ist offen, die Perspektiven scheinen düster. Die ÖVP hat gewonnen, aber schwächer als sie bereits gehandelt wurde. Die FPÖ hat zugelegt, ist weit entfernt vom Platz 1, auf dem sie letztes Jahr monatelang in den Umfragen gehandelt worden war. Die SPÖ schafft doch Platz 2 und sogar ein kleines + vor dem Komma. Die Grünen verloren noch dramatischer als erwartet. Pilz und die Neos ziehen ein.

Die Ursachen des Ergebnisses

Kurz‘ türkis lackierte ÖVP konnte von einer weit verbreiteten Stimmung profitieren, die „Business as usual“-Politik ablehnt – aber keine linke Alternative sieht. Zu einem Gutteil kamen ihre Stimmen jedoch auch aus der Konkursmasse von Stronach und dem BZÖ sowie von der FPÖ. Wenn Strache die ÖVP beschuldigt, ihren Kurs kopiert zu haben, dann hat er recht. Die ÖVP hat einen selten rassistischen Wahlkampf geführt, Kurz verbindet Wirtschaftsliberalismus mit einem stramm konservativ- autoritären Kurs. Letzterer war auch der Grund, dass noch Platz für die Neos übrig geblieben ist.

Die SPÖ wurde – ob das eine gezielte, aber riskante Strategie war, ist eine interessante Frage – in den Umfragen zu tief bewertet. Wie schon bei den letzten Wien-Wahlen hat das eine Panikstimmung losgetreten, die eine mobilisierende Wirkung hatte: die Wahlbeteiligung ging nach oben und eine Reihe von WählerInnen, die sonst Grün oder kleinere Listen (oder gar nicht) gewählt hatten, wählten doch (wieder) die SPÖ. Mit Begeisterung für die Politik oder das Programm der Partei hat das nichts zu tun. Auch zeigt sich die Problematik des „taktisch Wählens“ - jene ex-GrünwählerInnen, die aus taktischen Gründen die SPÖ gewählt haben, haben nun auch das Ergebnis, dass die Grünen massiv geschwächt sind.

Die FPÖ konnte zulegen und landete doch nur auf Platz 3. Weder konnte sie das bisher historisch beste Ergebnis von 27% (1999) erreichen, noch auch nur in die Nähe des Hofer-Ergebnisses von 2016 (49,7%) kommen oder den Platz 1 erringen, den ihr Umfragen noch vor wenigen Monaten prophezeit hatten. Die FPÖ wurde einerseits Opfer der aggressiv-rassistischen Linie der ÖVP und andererseits ihres eigenen Auftretens. Seit längerem gibt sich die FPÖ „schaumgebremst“. Strache versucht mit Brille, Haimbuchner mit dem Atterseekreis ein Bild von Seriosität und Regierungsfähigkeit zu zeichnen, das nicht bei allen WählerInnen funktioniert. In diesem Wahlkampf konnte sich die FPÖ auch nicht im selben Ausmaß wie in der Vergangenheit als Anti-Establishment Partei präsentieren. Beides ließ sie hinter dem Umfragehoch von vor einem Jahr zurückliegen.

Der größte Wahlverlierer sind die Grünen. Sprachen sie bei der Wiener Wahl noch von „Leihstimmen“ für die SPÖ, so hat sich ihr Niedergang diesmal deutlich manifestiert. Ihr historisch bestes Ergebnis mit dem Einzug eines Grünen in die Präsidentschaftskanzlei ist noch keine 12 Monate her, doch seither findet eine Selbstzerfleischung (Junge Grüne, Pilz, Heumarkt-Debatte) statt, die nur Ausdruck für die politische Normalität der Grünen ist. Inhaltlich ist sie schon länger in vielen Fragen eine ökologischere ÖVP, sozialpolitisch setzen sie in diversen Landesregierungen Kürzungspolitik um. Auch methodisch hat man sich längst vom Aktionismus der Anfangsjahre verabschiedet. Wer „etwas anderes“ will, der ist bei den Grünen schon längst falsch.

Die Grünen haben den Preis für ihre angepasste, von PR-Agenturen durchdesignte Politik gezahlt. Pilz hat aber nur einen Teil seiner Stimmen von Ex-Grünen bekommen. Die meisten Pilz-WählerInnen wählten ihn, weil er ein klares Anti-Establishment-Image hat. Die Anlehnung an die FPÖ durch Hetze gegen Muslime hat nichts gebracht: Pilz bekam kaum Stimmen von FPÖ-WählerInnen. In gewisser Weise zeigt der Erfolg von Pilz das Potential, das eine Linke hat, die sich gegen die Mächtigen stellt. Pilz wird es nicht nützen: Die Hauptanliegen der Liste kreisen um die Interessen von kleinen und mittelgroßen UnternehmerInnen. Die Liste Pilz erinnert an die Liste von Hans Peter Martin bei den EU-Wahlen 2004. Auch jener war als Aufdecker angetreten, von der Krone unterstützt worden und konnte mit dem Image als „Rebell“ ein starkes Ergebnis einfahren – und stellte sich letztlich als nicht anders als der Rest des Establishments heraus.

Vor uns liegt eine instabile Periode

Die bürgerliche Demokratie und ihre Parteien sind seit längerem in der Krise. Dies ist Ausdruck der fundamentalen ökonomischen Krise des kapitalistischen Systems und der Unfähigkeit der etablierten Parteien, darauf eine Antwort zu geben. Die Regierungsparteien haben – durchaus unüblich in so einem Szenario (zerkrachte Regierung, vorzeitige Neuwahlen, Kürzungspolitik) – nicht verloren, sondern konnten sich halten oder sogar ausbauen. Dies ändert allerdings nichts an der zugrundeliegenden Instabilität, die wieder aufbrechen wird.

Aktuell ist noch offen, wie lange Koalitionsverhandlungen dauern werden. Jede der drei Varianten (ÖVP-SPÖ, ÖVP-FPÖ, SPÖ-FPÖ) hat BefürworterInnen und GegnerInnen in den Parteien. Die ÖVP steht unter Druck der Wirtschaft und ihrer Bünde, die durchaus unterschiedliches wollen (Stichwort: Kammermitgliedschaft). Die FPÖ erinnert sich an die Zentrifugalkräfte, die ihre Koalition mit der ÖVP 2000 auslöste und will daher diesmal hoch pokern. Die SPÖ ist zerrissen zwischen dem Wunsch, an der Macht zu bleiben und dem Versuch, sich nicht völlig unterzuordnen. Es ist daher auch zu wenig, gegen „schwarz-blau“ aufzutreten, da damit die Illusion geschürt wird, eine ÖVP-SPÖ-Koalition wäre erstrebenswert. Tatsächlich hat aber diese in den letzten Jahren jede Menge rassistischer Maßnahmen und Sozialkürzungen durchgeführt.

Schon die Koalitionsverhandlungen werden die durch den Wahlkampf nur mühsam überdeckten internen Spannungen in allen Parteien an die Oberfläche bringen, eine künftige Regierung wird sowohl zwischen den Koalitionspartnern als auch innerhalb der beteiligten Parteien alles andere als stabil sein.

Hintergrund dafür ist die ökonomische Situation Österreichs. Die Wirtschaft befindet sich aktuell in einer leichten Erholung, aber keineswegs in einem soliden Aufschwung. Aufgrund der starken Exportorientierung der heimischen Wirtschaft stellt aus Sicht des Kapitals die Senkung der Produktionskosten eine wesentliche Aufgabe einer künftigen Regierung dar. „Reformen“, die der breiten Masse zu gute kommen sind daher nicht zu erwarten, die Regierung kann sich also Unterstützung in der ArbeiterInnenklasse auch nicht erkaufen. Die konkreten Maßnahmen werden daher entweder v.a. symbolischer Art sein (aber nichts kosten und daher auch nichts bringen) oder auf Kosten der ArbeiterInnenklasse gehen. Vom Aufschwung wird die ArbeiterInnenklasse auch künftig nichts haben, aber mit Maßnahmen konfrontiert sein, die den Lebensstandard verschlechtern werden. Schon in den letzten Jahren haben wir immer wieder kleinere Proteste v.a. im Sozial- und Gesundheitsbereich gesehen. Auch im Bildungsbereich gibt es schon vor drohenden weiteren Angriffen Unmut. Wenn es zu Angriffen auf die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung kommt (Schwächung der Arbeiterkammer, wie es FPÖ und ÖVP wollen bzw. weitere Schwächung der Kollektivverträge, was bereits begonnen hat), wird die Gewerkschaftsführung schon aus Eigeninteresse Proteste organisieren. Wenn die SPÖ nicht in der künftigen Regierung ist, wird sie die Gewerkschaftsführung auch weniger bremsen. Klassenkampf findet bereits statt, und zwar von oben. Statt dem bisherigen Kuschelkurs der Gewerkschaftsführung braucht es Klassenkampf auch von unten. Auf diesen müssen wir uns aktiv vorbereiten. Damit er stattfindet und damit Kämpfe auch gewonnen werden.

Rechtsruck?

Einfach von einem „Rechtsruck“ zu sprechen, wäre eine Vereinfachung. Das Ergebnis zeichnet ein widersprüchliches Bild und v.a., dass es höchste Zeit ist, konsequente linke Antworten zu organisieren!

Die hohe Wahlbeteiligung zeigt, dass „die Menschen“ keineswegs so unpolitisch sind, wie oft behauptet. Für viele war der Grund zu wählen, eine andere Partei zu verhindern oder auch der Wunsch nach „Veränderung“. Kurz ist tief verwurzelt im Establishment und steht für genau diese Politik. Dennoch ist es ihm (wie auch Pilz) gelungen, von dieser Stimmung zu profitieren. Dieser Veränderungswunsch ist Ausdruck für ein tiefes Misstrauen mit dem bestehenden System und eine Ablehnung von Korruption.

Der Wahlkampf war vom Flüchtlingsthema, aber stark auch von sozialen Themen geprägt. Dass die FPÖ stark mit dem Fairnessbegriff arbeitete und auch die SPÖ sich als „sozial“ zu präsentieren versuchte, zeigt, wie groß der Unmut über die Politik der Reichen ist. Doch den etablierten Parteien ist es gelungen, die Aufmerksamkeit weg von sozialen Themen und der Verantwortung von Politik und Wirtschaft, hin zu Fragen von Migration und Flüchtlingen abzulenken bzw. soziale Probleme als Folge der Flüchtlingsfrage zu präsentieren. Kurz und Doskozil sind hier zentral verantwortlich für eine Verschärfung des Tones, der Rassismus schürt. Jahrelange rassistische Hetze durch die Herrschenden geht natürlich nicht spurlos am Bewusstsein vorbei – doch ist das auch keine Einbahnstraße. Im Zuge der großen Flüchtlingsbewegung 2015 gab es enorme Solidarität, die aber keine Antworten auf die sozialen Fragen gab, sondern auf der moralischen Ebene steckenblieb. Die sozialen Ängste und die „Antworten“ darauf wurden der Rechten überlassen. Hier haben v.a. die ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen die Aufgabe, der Teile-und-Herrsche-Strategie des Rassismus offensiv entgegenzutreten.

Schwaches Ergebnis für die Linke – Was jetzt?

Der zentrale Grund für den Erfolg der diversen Rechten, Konservativen und Neoliberalen liegt in der Schwäche der Linken und v.a. dem niedrigen Level von Klassenkämpfen. Die sozialpartnerschaftliche Orientierung der Gewerkschaften verhindert Klassenkämpfe und führt zu einem sinkenden Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse. Sie lässt der AbeiterInnenklasse als Ventil für Unzufriedenheit im Wesentlichen die Wahlebene, auf der aber keine starke linke Alternative existiert. Das Wahlergebnis hat auch einmal mehr gezeigt, dass taktisch wählen nichts bringt. Das Gesamtergebnis wird dadurch nicht nach links gedrückt, aber ein sichtbares linkes Zeichen reduziert.

Die Konzentration auf die großen Parteien und die Panikmache der SPÖ waren wichtige Gründe für das schwache Abschneiden der beiden linken Kandidaturen. Sowohl KPÖ+ als auch die SLP haben ein stimmenmäßig schwaches Ergebnis eingefahren. Die SLP hatte damit gerechnet, KPÖ+ aber bis zum Schluss auch unter den eigenen AktivistInnen die Illusion aufrechterhalten, ein Einzug wäre im Bereich des Möglichen.

Der Wahlkampf von KPÖ+ war wesentlich dynamischer und lebendiger als frühere KPÖ-Wahlkämpfe. Auch wurde stärker als in der Vergangenheit auf soziale Themen gesetzt. Leider blieb es im Wesentlichen bei der Propaganda – aktive Teilnahme an den existierenden Protesten etwa im Sozialbereich oder bei den DruckerInnen gab es augenscheinlich nicht. Es ging eben doch mehr um Stimmen und Wahlkampf als um den Aufbau von Verankerung und den langfristigen Aufbau einer neuen linken Kraft. Doch auch der intensivste Wahlkampf und die ausgeklügeltste PR-Strategie kann keine künstliche Dynamik erzeugen. Wenn soziale Bewegungen und Klassenkämpfe fehlen, gibt es keine Basis für ein starkes linkes Ergebnis. In Zeiten, wo diese Kämpfe (noch) fehlen, kann ein Wahlkampf daher auch nur „im Kleinen zeigen, was im Großen nötig wäre“ und hat v.a. eine Aufgabe: MitstreiterInnen zu gewinnen, Organisationen aufzubauen und den Widerstand für danach vorzubereiten. KPÖ+ hat Schritte für „danach“ angekündigt, wir sind gespannt, was hier kommen wird.

Die SLP hat in ihrem Wahlkampf nicht auf Stimmen gesetzt und eine Reihe von Aktionen durchgeführt, die nichts mit Stimmen zu tun hatten, wie Proteste angesichts der Ereignisse in Katalonien, Proteste gegen die Repression in Hongkong oder in Bundesländern, in denen wir gar nicht angetreten sind. Wir haben nicht versucht, unser Programm zu verstecken, sondern haben gesagt, was nötig ist: nämlich eine andere Gesellschaft. Diese Klarheit ist nicht nur inhaltlich nötig, sondern v.a. auch um Menschen auf der richtigen Basis für den politischen Kampf zu gewinnen. Die SLP geht aus dem Wahlkampf gestärkt und gut vorbereitet auf die kommenden Kämpfe heraus. Auch deshalb können wir – trotz eines schwachen Stimmenergebnisses – Erfolg bilanzieren.

Zentral für Linke ist die Frage: was jetzt? Neben einer Bilanz der Wahlkämpfe und des Ergebnisses braucht es eine Perspektive für das Wie Weiter. Hier sollten nicht die nächsten Wahlkämpfe, sondern der Widerstand gegen die kommenden Regierungsmaßnahmen (egal wie diese letztlich zusammengesetzt sein wird) im Zentrum liegen. Die Widerstandsbewegung 2000 war nicht erfolgreich, weil sie sich auf Demonstrationen beschränkt hat. Die Gewerkschaft hat ihre Kämpfe auf halbem Weg abgebrochen. Die Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen 2015 musste einer rassistischen Regierungspolitik weichen, weil sie sich auf moralische Appelle beschränkt hat, anstatt klar zu sagen, dass genug Geld für alle da ist, wenn man es von den Reichen holt. Diesmal werden die Angriffe noch aggressiver stattfinden, symbolische Proteste reichen nicht. Es braucht Klassenkampf gegen Rechtsruck und Sozialabbau. Und es braucht ernsthafte Schritte in Richtung einer starken Linken. Beides ist nicht voneinander zu trennen. Nur gewerkschaftliche Proteste und Klassenkämpfe können die Grundlage für eine neue starke Linke legen. Der Kampf gegen den 12-Stunden-Tag und gegen die Angriffe auf die Kollektivverträge wird hier ein wichtiges Feld sein. Die Kämpfe der Metaller für +4%, des Sozialbereichs für +150 Euro und der Drucker für ihren KV finden aktuell statt und sollten im Fokus der Linken stehen. Das sind die realen Klassenkämpfe, die es gibt, in ihnen und den kommenden Auseinandersetzungen kann der Keim für eine starke Linke liegen, wenn sie mit einem klaren Programm und einer kämpferischen Strategie Teil davon ist und der Sieg solcher Proteste wäre ein Schlag gegen die Politik und die Regierung der Reichen.