Linz: Chaos oder doch Notwehr der Jugend?

Nici

Über 200 junge Menschen auf den Straßen von Linz. Manche werfen Steine, andere Böller. Vielmals wurde die Halloween-Nacht in Linz von österreichischen Medien als “Gewaltexzess” und „Randale“ beschrieben. Was sind die tatsächlichen Hintergründe und warum sind diese komplizierter als sie auf den ersten Blick erscheinen? 

Sicher spielten Partystimmung, Gruppendynamik und “Männlichkeit” eine Rolle und Medien und Politik haben die Situation von Anfang an aufgebauscht, um Stimmung zu machen. Doch schnell wird klar, dass im Kern die Wut auf ein System steckt, das diese jungen Menschen zurücklässt, schikaniert und unterdrückt.

Vom Film Athena inspiriert

Schon einige Tage vor den Ausschreitungen wurde auf Social Media Plattformen dazu aufgerufen, aus Linz “Athena 2.0” zu machen. “Athena” ist ein französischer Netflix-Film, in dem sich Jugendliche gegen die Staatsgewalt auflehnen. Hintergrund der gewaltsamen Auseinandersetzungen ist im Film der Mord am Bruder der Hauptfigur durch die Polizei. Auch im Film wehren sich vor allem junge Männer mit Migrationshintergrund gegen die Gewalt und Willkür der Polizei. 

Der politische Aspekt

Offensichtlich trifft der Film die Erfahrung, die viele Menschen mit Migrationshintergrund tagtäglich in Österreich machen. Rassistische Diskriminierung durch die Polizei, am Arbeits- und Wohnungsmarkt ist seit Jahrzehnten allgegenwärtig. Es gibt kaum Perspektive auf eine lebenswerte Zukunft. Vor allem junge Männer mit Migrationshintergrund werden vom Staat pauschal als Bedrohung dargestellt und leiden am stärksten unter permanenter Schikane durch die Polizei.

Also sehr verständlich, dass ein Film, der sich mit Ausgrenzung, Rassismus und (staatlicher) Unterdrückung von migrantischen Menschen beschäftigt, junge Menschen zur Rebellion inspiriert. Die Planung und der Aufruf, an den Aufständen teilzunehmen, ist ein klarer Ausdruck der Wut und Enttäuschung über die Ausgrenzung durch die österreichische Gesellschaft und den Staat.

Die Reaktionen der Regierungsvertreter*innen zeigen gleich nochmal dieses rassistische System und wie egal ihnen die Probleme dieser jungen Menschen sind. Anstatt der Frage nach besseren sozialen Angeboten für Jugendliche oder Auseinandersetzung mit der Perspektivlosigkeit, von der sich viele wohl erschlagen fühlen, kam sofort das “Versprechen” der Asylaberkennung und Abschiebung sogar in Länder wie Afghanistan oder Syrien. Noch bevor überhaupt klar war, wie sich die Gruppen zusammensetzten, wurde schon zu rechter Hetze gegriffen.

Klar ist: Auf die Herrschenden können sich junge Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Frauen und queere Personen nicht verlassen. Die Wut gegenüber dem System und staatlicher Gewalt drückt sich allerdings nicht nur in Randalen aus. Auch Black Lives Matter Proteste oder die Auseinandersetzungen am Karlsplatz 2021 zeigen diese Wut. Klar ist auch, dass eine Randale keine wirkungsvolle Form des Protestes ist. Aber durch die Schwäche der Arbeiter*innenbewegung und deren “unsere Leute zuerst” Politik die dazu führt, dass Nicht-Österreicher*innen nicht als Kolleg*innen, sondern als Problem gesehen werden und durch die Schwäche der antirassistischen Bewegung gibt es wenig Erfahrung darüber, wie wir uns am besten gegen dieses System wehren können. Es ist die Aufgabe von Sozialist*innen, diesen Kampf zu organisieren. Z.B. hat die ISA (bzw. unsere Vorgängerorganisation die SLP) in Linz Kampagnen gegen rechte Gewalt und die Schließung von Jugendzentren und in Linz und Wels gegen Überwachung und Schikane durch die Stadtwache organisiert. Solche Kampagnen können Ansatzpunkte sein, die berechtigte Wut in wirkungsvollen Widerstand zu verwandeln. 

 

Info:

Die Krisen unserer Zeiten treffen die Jungen noch mal härter: Fast jede*r Vierte leidet unter psychischen Problemen, und über 60% der unter 26-Jährigen stehen vor finanziellen Problemen. Die Jugendarbeitslosigkeit stieg während der Pandemie auf das Doppelte und die jungen Menschen, die beschäftigt sind, müssen oft mit schlechten Arbeitsbedingungen, miserablen Löhnen oder befristeter bzw. illegaler Anstellung rechnen.

Besonders die migrantische Bevölkerung wurde von Corona und den Teuerungen noch stärker getroffen: “Eingesperrt” in kleinere Wohnungen, weniger finanzielle Rücklagen, kaum Rücksichtnahme bei Anti-Pandemie-Maßnahmen. 

Gleichzeitig ist in systemrelevanten Berufsgruppen der Anteil migrantischer und junger Beschäftigter überdurchschnittlich - die Berufsgruppen, die jetzt mit Lohnabschlüssen UNTER der Inflationsrate abgespeist werden.

 

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: