Do 29.06.2006
Lateinamerika befindet sich derzeit an der vordersten Front des Klasssenkampfes. Derzeit findet ein kontinentaler Aufstand - vom Rio Grande im Norden hin zum Punto del Fuego im Süden - statt, und zwar gegen die Regierungen und herrschenden Eliten, die dem Neoliberalismus für mehr als ein Jahrzehnt kompromisslos gefolgt sind, Tony Saunois, der unlängst Brasilien und Chile besucht hat, berichtet.
Sie war ein Geschenk an die multinationalen Konzerne, die den Kontinent plünderten haben, indem sie privatisierte Betriebe und Ressourcen zu Spottpreisen erstanden. Den Preis haben die ArbeiterInnen und Armen gezahlt deren Lebensstandards weiter und weiter nach unten getrieben worden ist. Mit mehr als 215 Millionen Menschen offiziell unter der Armutsgrenze, leben 41% von weniger als zwei Dollar pro Tag und weitere 18% kämpfen mit einem Dollar pro Tag ums überleben.
Die 80er Jahre wurden auch „verlorene Dekade“ genannt in Lateinamerika. Die 90er waren nur wenig besser, da der Kontinent brutalst von den imperialistischen Mächten und den korrupten herrschenden Klassen geplündert wurde. Diese beiden Dekaden haben klar die Unmöglichkeit einer Entwicklung dieser Wirtschaften sowie eines Endes der Massenarmut innerhalb des kapitalistischen Systems gezeigt. 1978, war das Pro-Kopf Einkommen der imperialistischen Länder 5x größer als das der am weitesten entwickelten Länder in Lateinamerika wie Argentinien und Brasilien. Die Kluft zwischen den ärmsten Ländern wie Bolivien und Ecuador und den wichtigsten Imperialistischen Ländern war zwölf mal so groß. Im Jahr 2000 ist diese Kluft auf 7 bzw. 30 mal angewachsen. Jegliche Hoffnung der ArbeiterInnen, BäuerInnen und Armen in Lateinamerika darauf, dass Privatisierung und der „Freie Markt“ zu einem anhaltenden Wachstum und wirtschaftlicher Entwicklung führen würde haben sich längst in Luft aufgelöst.
Diese neoliberale Politik hat zu Massenopposition gegen die Regierungen die diese Maßnahmen umgesetzt haben geführt. In Ecuador haben Massenaufstände drei Präsidenten gestürzt. In Argentinien wurden innerhalb weniger Wochen vier Präsidenten aus dem Amt gejagt als das Finanzsystem 2001 zusammenbrach. In Bolivien wurden 2005 mit Massendemonstrationen Wiederverstaatlichung der Energieindustrie gefordert und das Land stand am Rande des Bürgerkriegs. Der Druck der Bewegung führte im Januar 2006 zur Wahl von Evo Morales. Kämpfe von ArbeiterInnen, BäuerInnen, Studierenden und anderen die von Kapitalismus und Imperialismus in Peru, Argentinien, Mexiko, Kolumbien und vielen anderen Ländern ausgebeutet werden sind in den letzten Jahren immer wieder zum Ausbruch gekommen.
In Mexiko findet zur Zeit in der Provinz Oaxaka ein LehrerInnenstreik von 70 000 für höhere Löhne statt. Allerdings wurden als Reaktion darauf 1700 Polizisten eingesetzt, die die LehrerInnen attackierten. Nur bewaffnet mit Stecken und Steinen bekämpften die LehrerInnen die Polizei und bezwangen sie schließlich. Die Bewegung hat sich nun in einen regelrechten Volksaufstand ausgeweitet, der den Rücktritt des Staatsgouverneurs Ulises Ruiz fordert. Ruiz ist Teil der korrupten Diktaturspartei PRI (Partido Revolucionario Institucional) die Mexiko für mehr als 70 Jahre bereits regiert. Die ArbeiterInnen sind mit Transparenten auf die Straße auf denen „Widerstand des Volkes“ und „Revolution – raus mit Ulises“ zu lesen war. Einigen Berichten zufolge haben die LehrerInnen mehr als 20 Rathäuser in kleinen Dörfern übernommen und die Hauptplätze in einen einzigen Protestzug verwandelt.
Innerhalb dieser Revolten und Massenbewegungen ist die Ablehnung des Neoliberalismus und die Unterstützung für Staatsinterventionen und Verstaatlichung klar in den Forderungen der Massen zu erkennen. In einigen dieser Forderungen sind auch erstmals die Frage von Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus aufgetaucht und wird innerhalb einiger Schichten diskutiert. Diese Revolten haben den Weg für das was viele Kommentatoren als „Revival der Linken“ und Machtübernahme durch „linke“ Regierungen bezeichnen geebnet. Am Prominentesten unter diesen Vertretern „linker“ Regierungen finden sich Hugo Chavez in Venezuela, Ernesto Kirchner in Argenitien und nun Evo Morales in Bolivien wieder. Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Populist Lopez Obrador, ehermaliger PRD Bürgermeister in Mexiko City in Mexiko an die Macht kommt, Tür an Tür mit dem US-Imperialismus.
Als Populist hat er an die Armen appelliert, versprochen die Korruption zu bekämpfen und die Präsidents-Gehälter zu halbieren. Er hat auch die Neuverhandlung des FTAA (Free Trade Agreement of the Americas) gefordert. Zur selben Zeit hat er aber keine Verstaatlichung gefordert und erklärt innerhalb des Kapitalismus agieren zu wollen – er gilt als sich zwischen der Figur eines Chavez und eines Lulas bewegend. Ein Regime das von ihm angeführt wird wäre für George Bush und den US-Imperialismus sehr irritierend, die bis jetzt mit dem US-freundlichen Thatcheristischen Präsidenten Vincente Fox zusammenarbeiten konnten. Sein Sieg wird vermutlich eine Flut von neuen Kämpfen der Mexikanischen ArbeiterInnen und BäuerInnen auslösen. Das wird wichtige Folgen nördlich der Grenze zu den USA unter der US-Latino-Bevölkerung haben, die bereits in eine Massenbewegung gegen das Bush-Regime hineingezogen worden sind.
Die Wahl von Evo Morales war von den lateinamerikanischen Massen als enormer Sieg gesehen worden. Ein wichtiger Faktor darin ist dass er aus der indigenen Bevölkerung stammt – Amaya. Das ist das erste Mal, dass ein nicht europäisch-stämmiger Präsident in Bolivien gewählt wurde – trotz der überwiegenden Mehrheit der ingigenen Bevölkerung in Bolivien. Die Revolten der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika standen an der Front von Bewegungn in Ländern wie Bolivien, Peru, Venezuela, Ecuador, aber auch in Mexiko und Chile.
Die Machtübernahme von neuen radikal-populistischen Regierungen in Venezuela, Argentinien und Bolivien stellt eine Abweichung von den ideologischen und wirtschaftspolitischen Tendenzen die noch in den 90er dominant waren dar. Sie spiegeln die massive soziale Krise wieder, die diese drei Länder erschüttert haben und stellen einen Bruch mit der Neoliberalen Politik von Privatisierung und dem „ungezügelten“ freien Markt dar. Sie stellen auch eine Quelle der Irritation und des Konflikts für den US- und Europäischen Imperialismus dar, die wichtige Investitionen in Lateinamerika haben – wie zum Beispiel Spanien oder Frankreich. Diese Entwicklung hat bereits eine Debatte auf der Linken in Latein Amerika eröffnet darüber, welches Programm und welche Art von Regierung nötig sind um mit dem Kapitalismus und dem Imperialismus zu brechen.
Lulas Rolle in Brasilien
Allerdings war dieser Prozess nicht einheitlich. Eine andere Schicht von „Neuen Linken“ Führern sind in Ländern wie Brasilien, Uruguay und Chile an die Macht gekommen. Die Wahl von Lula (Brasilien), Tabare Vazquez (Uruguay) und zuletzt Michel Bachelet (Chile) spiegeln dasselbe anti-neoliberale Bewusstsein wieder, das bereits den gesamten Kontinent erfasst hat. Lucio Gutierrez in Ecuador war als Chavez-ähnliche Figur and die Macht gespült worden auf Grundlage eines anti-neoliberalen Programms, er hat allerdings sofrot gegenüber dem IWF und dem Imperialismus klein beigegeben und neoliberale Maßnahmen angekündigt. Als Folge dessen war er von einer Massenbewegung von ArbeiterInnen, BäuerInnen und der indigenen Bevölkerung 2005 gestürzt worden – der dritte Präsident der in Ecuador seit 1996 von einer Massenbewegung gestürzt worden war.
Die Ausnahmen stellen zu dieser Zeit Kolumbien und Peru dar. In Kolumbien wurde vor einem Hintergrund von Massengewalt und Konflikten zwischen Drogenkartellen, rechten Paramilitärs und Guerilla Kampagnen der FARC und der ELN der von den USA unterstützte Alvaro Uribe wiedergewählt. In Peru war die Alternative des Nationalisten Ollanta Humala nicht attraktiv genug um das Comeback von Alan Garcia, einem Vertreter der ältesten populistischen Partei in Lateinamerika, APRA, die nun nach rechts gerückt ist, zu verhindern. Garcia war in den 80ern von der Macht verdrängt worden, nachdem seine Regierung Preiserhöhungen von bis zu 1 000 000 % zugelassen hat. Allerdings sind im allgemeinen die alten, etablierten Politiker und Parteien aus dem Amt gedrängt worden. Die Vertreter der „Neuen Linke“ (neu wie in „New Labour“) die von der Partido Trabalhadores (PT) in Brasilien, der Partido Socialista in Chile und Frente Amplio in Uruguay angeführt wird, sind unter hohen Erwartungen einer grundlegenden Veränderung an die Macht gekommen. Allerdings sind die Hoffnungen der ArbeiterInnen und Jugendlichen in diesen Ländern sehr rasch enttäuscht worden. Diese Regierungen haben gegenüber den Forderungen des Imperialismus und ihrer eigenen herrschenden Klassen kapituliert und setzen nun die neoliberale Politik ihrer Vorgänger fort.
Dieser Prozess hat in Brasilien mit der Wahl von Lula begonnen, der sogar bereits vor seiner Wahl den IWF und andere imperialistische und kapitalistische Institutionen überzeugt hat, dass er die Politik seines Vorgängers Fernando Henrique Cordoso fortsetzen würde. Er hat nichts getan um die massiven Ungleichheiten die in der Brasilianischen Gesellschaft existieren auszumerzen. Während die reichsten 10% der Bevölkerung 47 % des Nationalen Einkommens konsumieren, bekommen die ärmsten 10% lediglich 0,5% davon.
Die Mehrheit der herrschenden Klasse stützt sich zufrieden auf die Lula Regierung, die weitere Attacken auf die ArbeiterInnenklasse umsetzt. Fortgesetzte Privatisierung, das Nicht-Ergreifen effektiver Schritte zur Armutsbekämpfung und eine Serie von Korruptionsskandalen hätten heftige Kämpfe der ArbeiterInnenklasse und Jugend hervorgerufen, wenn die traditionellen kapitalistischen Parteien und Politiker am Ruder wären. Lula, gemeinsam mit der verräterischen Rolle der Führung des großen Gewerkschaftsbundes CUT, war es teilweise möglich die ArbeiterInnenklasse in den letzten vier Jahren relativ ruhig zu halten. Die Mehrheit der CUT Führung ist nun wenig mehr als ein weiterer Arm der Regierung – das inoffizielle Arbeitsministerium.
Das Anhalten eines sehr fragilen Wirtschaftswachstums aufgrund der Situation der Weltwirtschaft, der Angst vor der Wiederkehr der traditionellen kapitalistischen Parteien, Spaltungen zwischen den kapitalistischen Politikern und das Fehlen einer starken Alternative haben Lula für kurze Zeit erlaub eine Basis unter älteren ArbeiterInnen zu halten. Sein wahrscheinlicher Sieg bei den Wahlen im Oktober wird keine reine Wiederholung seiner ersten Amtszeit sein. Eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, und das sogar vor einer weltweiten Rezession, kann Tür und Tor für machtvolle Kämpfe von ArbeiterInnen, Landlosen, Jugendlichen und der städtischen Bevölkerung nach den Wahlen öffnen. Der Autoproduzent Volkswagen hat zuletzt seine Absicht verkündet, seine Belegschaft von 21500 auf 15500 zu verringern. Das zeigt welche Größenordnung die Attacken annehmen könnten, die von der herrschenden Klasse vorbereitet werden und die sehr wahrscheinlich große Bewegungen und Kämpfe der ArbeiterInnenklasse auslösen werden. Das sind große Möglichkeiten um Unterstützung für eine sozialistische Alternative zu Lulas pro-kapitalistischen Maßnahmen aufzubauen.
Bereits jetzt gibt es wachsende Unterstützung für eine radikale sozialistische Alternative. Wichtige Schichten von SozialistInnen und AktivistInnen der ArbeiterInnenbewegung haben begonnen, eine solche aufzubauen. Die Gründung der P-SOL stellt einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Mit 7-8 % Unterstützung in Umfragen wird die P-SOL während der Präsidentschaftswahlen große Möglichkeiten haben, ihre Basis auszubauen. Wenn die P-SOL sich auf eine Strategie rund um ein radikales sozialistisches Programm einigen kann und es ihr gelingt, zu einem wirklichen Kampfinstrument der ArbeiterInnenklasse zu werden, hat sie die große Chance während und nach den Wahlen zu wachsen. Allerdings findet zur Zeit eine Debatte innerhalb der P-SOL darüber statt, welches Programm sie annehmen soll und wie die Partei aufgebaut werden sollte. Teile der Führung versuchen das Programm abzuschwächen und die Partei nach rechts zu pushen und zu verhindern, dass eine wirklich kämpferische, demokratische Partei, die für Sozialismus kämpft aufgebaut wird. Die P-SOL hat große Möglichkeiten sich zu einer starken Kraft zu entwickeln. Allerdings könnte dieses Potential ungenutzt bleiben, wenn es der Partei nicht gleingt die Idee einer sozialistischen Alternative zu verteidigen und eine Basis durch Kämpfe und Intervention in Klassenkämpfe aufzubauen.
Der Wiederaufbau einer kämpferischen Alternative wird auch in den Gewerkschaften bereits begonnen, mit Vorbereitungsschritten für die Formation einer neuen Dachgewerkschaft. Hunderte von lokalen Gewerkschaften haben sich bereits von der CUT losgelöst oder bereits aufgehört ihre Gewerkschaftsgelder an die CUT zu zahlen.
Studierendenproteste in Chile
Während Lula geschafft hat starke soziale Bewegungen in den letzten Jahren weitgehend zu unterbinden, war Michel Bachelet, „sozialistische“ Präsidentin in Chile, nicht so glücklich. Weniger als drei Monate nachdem sie eingeschworen wurde, musste sie sich bereits der ersten Mobilisierung von SchülerInnen gegenübersehen, die Änderungen im gesamten Bildungssystem forderten, die größte Jugendbewegung in Chile seit dem Militärcoup 1973. Die Bewegung zwang die Regierung zu Zugeständnissen, darunter die Erhöhung des Bildungsbudgets um 200 Millionen und die Abschaffung der Gebühren für die Aufnahmetests an den Universitäten.
Auffällig an diesen Proteste war die scharfe Repression durch die verhasste Polizei. Das gilt auch für die allgemeine Situation. Die Wiederkehr der „Demokratie“ nach den Militärdiktaturen der 1970er und 80er hat nicht das Ende der brutalen Polizeirepression gegen ArbeiterInnen, BäuerInnen, und Armen in den stattfindenden Kämpfen bedeutet. In Chile, Brasilien, Mexiko, Bolivien und anderen Ländern waren die Massen mit Wasserkanonen, Tränengas und in einigen Fällen Patronen konfrontiert wenn sie auf die Straße gingen um für ihre Rechte zu kämpfen. In Chile gilt das alllerdings als „demodura“ (harte Demokratie) im Gegensatz zu „dictatura“ (Diktatur).
Der erste „100-Tage-Plan“ der Bachelet-Regierung war von den SchülerInnenprotesten gestoppt worden. Das brachte die Regierung in eine schwere Krise und öffnet ein neues Kapitel im Kampf der Chilenischen Bevölkerung nach dem Ende der Pinochet-Diktatur 1990. Das Beispiel, dass die Jugend hier gesetzt hat, kann von weiteren Kämpfen von ArbeiterInnen gefolgt sein, die von der Bewegung inspiriert wurden. Auffällig war auch, dass die SchülerInnen instinktiv die Notwendigkeit ihre Unterstützung in der ArbeiterInnenschaft und anderen Teilen der Bevölkerung auszubauen verstanden. Mehr als 80% gaben an, dass sie die Studierenden und SchülerInnen unterstützten, und nur 17% unterstützten die Regierung.
Diese Bewegung hat auch weitere Implikationen. Chile war als wirtschaftliche Erfolgsstory von Lateinamerika präsentiert worden. Mit Rekordwachstum, beeindruckenden Investitionen in die Infrastruktur, besonders im Transportwesen, war Chile das laut kapitalistischer Analyse nachzuahmende neoliberale Modell. Teile der Chilenischen herrschenden Klasse sprachen von ihrem Land sogar als „entwickelter Wirtschaft“. Allerdinsg war das Wachstum stets einseitig. Es hat Seite an Seite mit einer massiven Erhöhung der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse stattgefunden.
Die Bankangestellten sind zur Zeit in eine Kampagne zur Verhinderung der Sonntagsöffnung involviert. Bessere Wohnungen und Häuser, Zugang zu Autos und anderen Konsumgütern sind hauptsächlich durch die Anhäufung massiver Schulden finanziert worden. Die überwiegende Mehrheit des gewachsenen Nationalen Einkommen, das vor allem auf die Kappe von Kupferpreisen und Agrarexporten wie Früchten und Weinen geht, ist von der herrschenden Elite eingestreift worden. Die reichsten 20% der Bevölkerung beziehen 62,2% des nationalen Einkommens, die ärmesten 20% sollen mit 3,3% überleben können!
Bezeichnenderweise entstand diese enorme Jugendbewegung als die Wirtschaft begonnen hatte sich zu verlangsamen. Indem sie die „Marktorientierung“ des Bildungssystem herausforderten, haben die Jugendlichen allerdings das gesamte Neoliberale Modell in Frage gestellt. Sie haben nicht nur die Privatisierung des Bildungssystems in Frage gestellt, sondern auch die Art von Gesellschaft die sie wollen. Die volle Auswirkung dieser Bewegung wird in Chile und am Kontinent erst später spürbar werden. Allerdings ist klar, dass die „sozialistische“ Regierung nicht dieselbe Ruhe spüren wird, wie die Koalitionsregierungen davor seit der „Demokratisierung“. Bachelet und ihre kapitalistische Koalition werden ohne Zweifel versuchen weitere neoliberale Reformen umzusetzen. Allerdings werden diese sich wesentlich größerem Widerstand von Seiten der ArbeiterInnenklasse gegenübersehen. Während der Studierendenproteste fielen Bachelets Umfragewerte von 67% Zustimmung im Mai auf 56% im Juni, nur 3 Monate nachdem sie Präsidentin wurde. Die Verteidigung neoliberaler Politik durch die Regierung und die schnelle Entwicklung von Widerstand gegen Bachelet bestätigen wie falche es von der Kommunistischen Partei Chiles und einiger anderer, die behaupten die Ideen von Marx zu verteidigen, war, Bachelet in der zweiten Wahlrunde zu unterstützen. Die Kommunistische Partei hat für diesen Fehler mit einer massiven inneren Krise gezahlt. Socialismo Revolucionario (das CWI in Chile) hat dagegen für Weiss-Wählen argumentiert und für eine Kampagne zum Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei die für sozialistische Politik kämpft. Die Krise der Kommunistischen Partei steht in krassem Gegensatz zur Popularität eines radikalen Kandidaten in der Präsidentschaftswahl, Mitglied der „Humanistischen Partei“ (Teil eines linken Bündnis, PODEMOS), der in der zweiten Wahlrunde aufgrund von Bachelets Neoliberaler Ausrichtung dazu aufgerufen hat, weiss zu wählen.
Staatsintervention
Der Aufstand gegen den Neoliberalismus hat einer neue Welle von radikalen, linkspopulistischen Regierungen in Venezuela, Argentinien und Bolivien den Weg geebnet. Diese Entwicklung spiegelt den massiven Druck der Massen und die tiefe wirtschaftliche und soziale Krise in diesen Ländern wieder. Diese Regimes, die eine Politik von stärkerer Staatsintervention in der Wirtschaft unterstützen, stellen eine wichtige Änderung in der Weltsituation nach 1990 dar.
Diese Maßnahmen haben begrenzt auch teilweise Verstaatlichung beinhaltet. In Venezuela haben sie Joint Ventures zwischen staatlichen Gesellschaften und privaten Multis beinhaltet. In Argentinien, hat Kirchner die Kontrolle der Verwatung der Flughäfen wieder an sich genommen und 40% der privatisierten staatlichen Fluglinie, Aerolineas Argentinas, erworben. Durch einen Staatsbetrieb hat er ebenso die privatisierte Wasserversorgung der Hauptstadt Buenos Aires übernommen.
Die Verstaatlichung von Öl- und Gasindustrie durch Morales in Bolivien ist allerdings bis jetzt die signifikanteste Entwicklung bis jetzt und hat weitläufige Opposition durch die herrschende Klasse hervorgerufen – besonders in Brasilien und Spanien die den größten Teil dieser Industrien besitzen. In der ArbeiterInnenklasse in ganz Lateinamerika hat diese Verstaatlichung allerdings massive Auswirkungen und ist extrem populär. Brasilien, die größte regionale Macht in Lateinamerika hat massive Investitionen in Bolivien und ist von Boliviens Gasreserven zu 51% abhängig, in Sao Paulo sogar zu 75%. Die Brasilianische Petrobras kontrolliert 46% von Boliviens Gasressourcen und 95% der Raffinerien. Sie fördert in Bolivien Gas im Wert von 19% des Bruttoinlandsprodukts des Landes.
Diese Staatsintervention hat massiven Widerstand von Seiten des Imperialismus und der nationalen Kapitalistenklasse ausgelöst. Sie hat als Bruch mit der Politik der 1990er auch Unterstützung von Seiten der ArbeiterInnen in den betroffenen Ländern gewonnen.
Allerdings repräsentieren diese Maßnahmen nur teilweise Verstaatlichung, in einigen Fällen sogar nur wenig mehr als Joint Ventures. Sogar in Bolivien ist alles was Morales getan hat lediglich, Joint Ventures zu errichten, in denen der Staat 50% plus eine Aktie kontrolliert – und zwar in Betrieben die vor der Privatisierung 1996 ganz in Staatsbesitz waren. Damit steht er weit hinter der Verstaatlichung von Standard Öl 1937 oder Golf Öl 1969 zurück.
Er erfüllt damit aber auch nicht die Forderungen der bolivischen Massen die die Idee der Verstaatlichung von Öl und Gas unterstützen. Diese Teil-Maßnahmen sind völlig unzureichend um mit dem Kapitalismus zu brechen. Im Gegenteil, sie sind Teil einer Alternative die von Morales, Chavez und Kirchner propagiert wird – der Aufbau eines „Andenkapitalismus“ als Alternative zum neoliberalen Modell – ein Kapitalismus mit einem menschlicheren Antlitz.
In Argentinien versucht Kirchner zum traditionellen Peronismus zurückzukehren – vor Carlos Menem – von Staatsinterventionismus abgesichert von einer machtvollen Gewerkschaftsbürokratie. Die neu verstaatlichte Wassergesellschaft hat einen Aufsichtsrat, der Repräsentanten von Peronistischen Gewerkschaften beinhaltet. In der Flugindustrie ist der Vize-Sekretär von Transporte Aerocomercial, Ridardo Ciielli, ein mächtiger Gewerkschaftsführer.
Allerdings ist diese Rückkehr zum Staatsinterventionismus nicht dasselbe wie die Maßnahmen die von den Peronistischen Regimes nach dem zweiten Weltkrieg eingeführt worden waren. Damals erlaubte der Export von Fleisch in ein hungriges Europa der herrschenden Klasse einen Polster, mit dem wichtige Reformen finanziert wurden, von denen die ArbeiterInnenklasse profitierte und die der populistischen nationalistischen peronistischen Bewegung Unterstützung gewannen die auf Jahrzehnte anhielt. Obwohl er zur Zeit breite Unterstützung geniesst, hat Kirchner nicht denselben Raum für Manöver oder dieselben Kapazitäten für nachhaltige Reformen.
Während die Medien Berichte von einem jährlichem Wachstum von mehr als 9% über die letzten vier Jahre ausgeben, haben Millionen nichts davon profitiert – 58% der argentinischen Kinder leben immer noch in Armut. Die restaurierte ehemalige Hafengegend von Buenos Aires, Puerto Madera, ist voll von teueren Cafés und begehrten Appartments. Aber sogar hier hat die Öffnung einer Suppenküche die Fragilität des Booms exponiert sowie die Tatsache, dass die Kluft zwischen arm und reich sich trotz wachsender Wirtschaft ausweitet. Es ist ein labiler Boom, der von Wachstum von Agrarexporten, wie in Chile, sowie der Bauwirtschaft getragen wird. Er dramatisch enden wenn die Weltwirtschaft in Stagnation oder Rezession eintritt. Kirchners Politik von mehr Staatsintervention steht in Kombination mit Attacken und Repression gegen Teile der ArbeiterInnen und Arbeitslosen die in Kämpfe involviert sind.
Regionaler Konflikt
Das Entstehen dieser radikaler populistischer Regime hat Konflikte zwischen diesen Regierungen und dem Imperialismus sowie auch mit den neoliberalen Regierungen in anderen Lateinamerikanischen Ländern verstärkt. Venezuela, Bolivien und Argentinien formieren mit der Unterstützung von Kuba gerade eine Kerngruppe von Ländern, die mit den Interessen des Imperialismus und anderen Regionalmächten wie Brasilien, Kolumbien und Chile in Konflikt geraten sind.
Diese Konflikte spiegeln die unterschiedlichen nationalen Interessen der einzelnen herrschenden Klassen wieder. Während diese „Kernländer“ angeführt von Venezuela auf eine größere regionale Integration spekulieren und Handelsverbindungen mit anderen Kräften als der USA bilden wollen (wie z.B. Europa, China und Russland), favorisieren Chile, Brasilien, Kolumbien und vor allem Mexiko stärkere Kooperation und Integration mit der US-Wirtschaft. Aber sogar diese Entwicklungen sind widersprüchlich. Während der US Imperialismus eine Niederlage beim Gipfel der Amerikas 2005 hinsichtlich seines Vorschlags mit der FTAA fortzufahren einstecken musste, haben viele Lateinamerikanische Länder versucht ihre eigenen bilateralen Verträge mit den USA einzugehen.
Zur selben Zeit gibt es eine Serie von Konflikten zwischen einzelnen Ländern über Handel und Grenzziehungen, die nationalistische Trends verstärkt haben. Argentinien steht in Konflikt mit Uruguay, Bolivien in Konflikt mit Brasilien und Chile, Peru wiederum mit Chile. Dieser Druck hat nationalistische Züge in den radikalen populistischen Bewegungen die in einigen Ländern entstanden sind, verschärft. Das reflektiert zum einen die antiimperialistische Stimmung die in ganz Lateinamerika existiert, aber auch versuche der herrschenden Klassen nationalistische Gefühle innerhalb des Kontinents zu schüren. Das ist eine potentielle Bedrohung für die Massen, die die ArbeiterInnenklasse und Armen überwinden müssen indem sie eine starke sozialistische und internationalistische Alternative zum Kapitalismus und Imperialismus aufbauen.
Die teilweise Verstaatlichung von Petrobras hat Schockwellen in der brasilianischen herrschenden Klasse ausgelöst. Sie versuchten daraufhin eine nationalistische Stimmung gegen Bolivien zu erzeugen. Die Presse warnte vor einer immanenten Bedrohung der Gasversorgung. Lula protestierte gegen die „Art und Weise“ wie Morales die Öl- und Gasbetriebe die Petrobras gehörten „verstaatlicht“ hat. Morales erklärte, dass er eine „politische Geste setzen musste um Destabilisierung zu verhindern – Bolivien hatte in vier Jahren vier Präsidenten“. Wenn Morales nicht Schritte gegen Petrobras und Resprol gesetzt hätte, dann hätte er Probleme mit den ArbeiterInnen und BäuerInnen bekommen, die ihn mit der Forderung nach Verstaatlichung an die Macht gebracht haben. Obwohl Morales gezwungen war, eine teilweise Verstaatlichung von Öl und Gas durchzuführen, hat er zur selben Zeit die Armee benützt um die Flughäfen zu besetzen, als die ArbeiterInnen der bankrott gegangenen bolivischen Fluglinie Lyoyd Aero Boliviano deren Verstaatlichung forderte.
Die Massenarmut in Angriff nehmen
Chavez und Morales war es möglich einige begrenzte Reformen durchzuführen, besonders im Gesundheits- und Bildungssystem sie wie in der Ausgabe billigen Essens. In Venezuela geschieht das durch die Einrichtung von „missiones“ die eine gewisse Erleichterung für Teile der ärmsten Schichten der Gesellschaft gebracht haben. In Bolivien ist der Mindestlohn um 13% von 440 Bolivianos (55 Dollar) auf 500 Bolivianos (63 Dollar) angehoben worden, das ist aber immer noch weit weniger als die in den Wahlen versprochenen 1500 Bolivianos (192 Dollar).
Fast 30% erhalten weniger als den Mindestlohn in den Städten. Die Entsendung von Kubanischen Ärzten nach Bolivien hat erlaubt, 7000 Grauer-Star-Operationen in zwei Monaten an den ärmsten Schichten der Bevölkerung durchzuführen, die sich niemals die 500 bis 700 Dollar leisten hätten können, die in den Privatkliniken in La Paz verlangt werden.
Während diese Reformen zwar freudig begrüßt wurden, haben sie dennoch nicht die Massenarmut beendet, die in diesen Ländern existiert. Der Kapitalismus verurteilt 67,3% der bolivischen Bevölkerung zu einem Leben in Armut. Dasselbe Problem existiert in Venezuela, wo zur Fortsetzung der Armut noch ein Wachsen von Bürokratie und Korruption kommt durch den ausgedehnten Staatssektor aufgrund der Nichtexistenz einer wirklich demokratischen ArbeiterInnenkontrolle und –verwaltung.
Während die Chavez-Regierung vom steigenden Ölpreis am Weltmarkt bis jetzt profitiert, kann dieser Polster in den nächsten Monaten und Jahren schwinden, was eine tiefe soziale und politische Krise auslösen wird. Wenn die ArbeiterInnenklasse nicht die notwendigen Schritte setzt um ihre eigenen unabhängigen Organisationen zu aufzubauen und eine ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierung zu etablieren, kann die Drohung von Konterrevolution und eines Sturzes von Chavez wieder akut werden.
In Bolivien hat Morales sogar noch weniger Raum für Manöver, aufgrund einer weitaus tieferen sozialen und wirtschaftlichen Krise, grassierender Armut und einer starken Tradition von unabhängigem revolutionären Kampf durch die ArbeiterInnenklasse und BäuerInnen. Obwohl Chavez die Sympathie der Massen der ArbeiterInnenklasse hat, hat die Tatsache, dass er nicht mit dem Kapitalismus bricht, die um sich greifende Korruption und wachsende Bürokratie sowie das Fehlen von ArbeiterInnenkontrolle und –verwaltung, bedeutet, dass viele ArbeiterInnen in Lateinamerika seinem Regime gegenüber skeptisch sind.
Eine Umfrage der Brasilianischen Tageszeitung O Estado hat ergeben dass nur 14% der Brasilianer ein positives Bild von Chavez haben, während er in Bolivien durchaus populär ist. Lediglich 10% denken, dass seine „Bolivarische Politik“ ein nachahmenswertes Modell darstellt. Gleichzeitig hat dieselbe Umfrage festgestellt, dass 74% und 78% Maßnahmen wie staatliche Kontrolle über die Multinationalen Konzerne und Banken sowie Preise unterstützen!
Der Aufstand der Massen gegen den Neoliberalismus und die Krise die sich nun im ganzen Kontinent entwickelt verlangt klar nach eigenen politischen und sozialen Organisationen der ArbeiterInnenklasse und armen BäuerInnen mit einem Programm dass mit dem Kapitalismus bricht und den Imperialismus herausfordert. Der Aufbau von ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierungen mit revolutionärem sozialistischen Programm ist dringend nötig. Solch ein Programm muss bei der Verstaatlichung der großen Betriebe, Banken und Multinationalen Konzernen in jedem Land ansetzen, und einem Programm einer wirklichen Landreform, wo diese nötig ist. Nur dann wird es möglich sein, den Kapitalismus zu besiegen und mit dem Aufbau einer geplanten Wirtschaft zu beginnen, die sich nach den Bedürfnissen der Massen richtet.
Solch ein Programm kann sich auch nicht auf ein Land beschränken. Die aktuelle Energiekrise auf dem Kontinent illustriert die Notwendigkeit von regionaler Integration und Planung der Wirtschaft. Chavez hat für die Errichtung einer Lateinamerikanischen Öl- und Gasgesellschaft –Petrosur - aufgerufen. Aber wie wird das auf kapitalistischer Basis möglich sein? Um ein solches Vorhaben zu ermöglichen, müsste die ArbeiterInnenklasse und armen BäuerInnen die Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft übernehmen. Nur dann könnten die riesigen Ressourcen des Kontinents im Sinne der Bedürfnisse der Massen eingesetzt und geplant werden an statt jener der herrschenden Klasse und des Imperialismus. Der Aufbau einer freiwilligen, demokratischen sozialistischen Föderation Lateinamerikas ist die einzig wirkliche Alternative zu Kapitalismus und Imperialismus und der einzige Weg um die Armut und Ausbeutung die den Kontinent plagt auszumerzen. Ein Schritt in diese Richtung wäre die Errichtung einer demokratischen sozialistischen Föderation von Venezuela, Kuba und Bolivien auf Basis der Bildung von demokratischen ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierungen in diesen Ländern. Das ist der erste Schritt, um eine Einigung des Kontinents und eine Planung der Ressourcen und der Wirtschaft zu erreichen, als Alternative zu den kapitalistischen Handeslblöcken und Verträgen die derzeit formiert werden.