Kurdistan/Türkei

Durchs brave Kurdistan
Nicole Hofmann und Pia Abel

Als „Wendepunkt in der Geschichte der kurdischen und türkischen Völker“ bezeichnet der Führungsrat der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) den Aufruf Abdullah Öcalans. Ab 1. September wird der bewaffnete Kampf eingestellt. In einer Erklärung, die Anfang August an die Medien ging, erklärte der militärische Arm der PKK (ARGK), Öcalans Aufruf werde als Befehl betrachtet.
Die offiziell verlautbarten Erwartungen in diese einseitige Aufgabe des Kampfes sind ebenso hochgesteckt wie unrealistisch: „Dieser Schritt ist die effektivste Vorgehensweise, um die verhinderte Demokratisierung der Türkei und die Verschlossenheit gegenüber der kurdischen Frage zu überwinden. Dieser Schritt wird alle Interessen und die Zukunft des kurdischen Volkes vertreten, allen Feindseligkeiten ein Ende setzen sowie den Frieden und die Brüderlichkeit entwickeln.“

„Waffen niederlegen...“

Ohne zu zögern haben die PKK-Gremien Öcalans Aufruf zugestimmt. Sicherlich kann man sich die Frage stellen, ob es die Inhaftierung Öcalans war, die innerhalb der PKK zu dieser recht dynamischen Einsichtsfähigkeit in die neuen Beschlüsse geführt hat. Doch letztlich wird hier von Öcalan und der PKK-Führung etwas umgesetzt, was das US-State-Departement und das deutsche Außenministerium der PKK immer wieder direkt und indirekt mitgeteilt haben: Waffen niederlegen, sich in zivile Strukturen auflösen - dann sei der Westen in der Lage etwas für die Menschenrechte in Kurdistan zu tun.
Dieser Auforderung hat die PKK lange widerstanden, weil sie nicht daran geglaubt hat. Und weil sie eine gewisse Kontrolle über die Ausgestaltung eines möglichen Friedensprozesses behalten wollte. Jetzt erfüllt die PKK alle Forderungen des Westens - ohne daß ein Friedensprozeß überhaupt eingeleitet wurde, oder ein Dialog stattfände.

Keine Zugeständnisse Ankaras

Von Ankara erwartet sich die PKK eine „vernünftige, verantwortungsvolle und respektvolle Haltung“ (sic). Der türkische Ministerpräsident Ecevit hat erklärt, über einen Rückzugsplan werde mit der PKK nicht verhandelt, allerdings „wären alle zufrieden, wenn der Terrorismus ein Ende fände“. Die Regierung ist unter keinen Umständen bereit mit Vertretern der PKK zu sprechen. Ankara will die PKK weiterhin als separatistische, staatsfeindliche, terroristische Organisation verfolgen.
Die seit 1984 kämpfende PKK war die einzige Organisation, die als Antwort auf die KurdenInnenfrage auf sozialistische Rethorik gesetzt hat, und sich bei ihrem Kampf auf eine Massenbasis stützen konnte.
Doch ist das Verständnis als „ArbeiterInnenpartei“ seit 1978 immer weiter hinter nationale Bestrebungen zurückgestellt worden. Im PKK-nahen „Kurdistan Report“ (Nr80/1996) heißt es: „Der kurdische Bauer, der früher noch dem Großgrundbesitzer ängstlich ausgewichen ist, kämpft im Zuge des nationalen Befreiungskampfes mit ihm gemeinsam und gleichberechtigt.“ Die seit 15 Jahren praktizierte Guerillataktik und der  individuelle Terror haben sich zur Erreichung der Ziele als untaugliche Mittel erwiesen. Doch die jetzige Anbiederung an den Westen ist blanker Zynismus gegenüber jenen PKK-KämpferInnen, die im NATO-Staat Türkei im Gefängnis sitzen.
Die PKK setzt voll auf die Worte eines Joschka Fischers und anderer  westlicher Politiker und hofft auf die Einsicht des türkischen Establishments. Daß diese Rechnung aufgeht, ist unmöglich. Wer daran glaubt, muß die anhaltende und vom Westen gebilligte Repression gegen die kurdische Bevölkerung aus seiner Betrachtung ausklammern.
Die einzige wirkliche Lösung der Kurdenfrage ist eine langfristige, nämlich die kurdische Bewegung in eine revolutionäre Entwicklung der gesamten Region einzubetten. Speziell nach dem Erdbeben hat sich die soziale Lage der ArbeiterInnenschaft im größten Industriegebiet der Türkei extrem verschlechtert. Gegen die zu befürchtenden Repressionen des türkischen Staates - Ausnahmezustand unter dem Vorwand der „nationalen Sicherheit“ - wird sich Widerstand regen.
Hier könnte der Schlüssel zu einer Annäherung zwischen kurdischer und türkischer ArbeiterInnenschaft und der Beginn einer wirklichen Lösung das Kurdenkonfliktes liegen. Das dies heute nicht gerade ein Kinderspiel scheint, macht eine Alternative im Rahmen der westlichen Hegemonialpolitik nicht realistischer.

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