Fr 27.03.2009
"Zukunftsentwurf für einen Sozialstaat unter geänderten nationalen und internationalen Rahmenbedingungen" - so benennt der ÖGB-Bundesvorstand einen der Schwerpunkte in Vorbereitung des ÖGB-Bundeskongresses 2009. Eine entsprechende Resolution listet einzelne richtige und wichtige Punkte auf: Armutsvermeidung durch Anhebung der Nettoersatzrate bei Arbeitslosenunterstützung und Notstandshilfe zum Beispiel. Gleichzeitig werden einige Begriffe aus der aktuellen Debatte kritiklos übernommen, so u.a. "Gesundheitsreform und Krankenkassensanierung umsetzen". Das könnten die Regierungsparteien nicht besser formulieren. Ebenso wird weiter der Pensionsraub unter schwarz-blau nicht angetastet; lediglich die "Hacklerregelung" soll evaluiert und überarbeitet werden. Bei der Finanzierung des Sozialstaats nennt der ÖGB immerhin die Wertschöpfungsabgabe. Ob im Sinne einer "aufkommensneutralen Maßnahme" für die Unternehmerseite oder als echte Umverteilungsforderung, z.B. um Geld für bessere Sozialleistungen zu bekommen, bleibt allerdings offen. Weiters heißt es: "Neben der Sicherung der Sozialsysteme müssen auch die Leistungen der Daseinsvorsorge durch die öffentliche Hand außer Frage gestellt werden. Mit Liberalisierungen in existenzsichernden Bereichen muss Schluss gemacht werden, denn sie sind eine ernsthafte Bedrohung für die Versorgung der Menschen mit grundlegenden Leistungen wie Wasserversorgung, Energie, Bildung Gesundheit, auf die sie ein Anrecht haben."
Von der Wirtschaftskrise ...
Auch wie die Krise den "Sozialstaat" treffen könnte, scheint dem ÖGB zumindest bewusst. "Wir werden vor dem Sommer die Auswirkungen der Finanzmarktkrise in der Realwirtschaft wahrscheinlich noch viel stärker spüren. Und es gilt auch zu verhindern, dass die ArbeitnehmerInnen nach der Krise die nun nötigen Maßnahmen ein weiteres Mal mit Sozialabbau bezahlen. Dafür werden wir uns beim Bundeskongress rüsten", betont der geschäftsführende Präsident des ÖGB, Erich Foglar. Tatsache ist allerdings auch, dass der ÖGB weder inhaltlich noch organisatorisch derzeit tatsächlich dafür gerüstet scheinen, dieses "Zahlen durch Sozialabbau" zu verhindern. Politisch fehlen im ÖGB-Konzept - mit Ausnahme der Wertschöpfungsabgabe - offensive Ideen. Diese könnten von der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich (statt Kurzarbeit), über Vermögenssteuern (statt Subventionen für Banken und Konzerne), über die bedingungslose Öffnung der Bücher und der Forderung nach Abschaffung des Bankgeheimnisses, bis zum offensiven Ausbau des Sozialstaates durch die öffentliche Hand (statt Privatisierung und Ausdünnung der Leistungen) sowie Vergesellschaftung von Betrieben (statt Sozialpartnerschaft und Standortlogik) reichen. Aber auch organisatorisch sind mit der Krise eine Reihe von Herausforderungen verbunden, auf welche die Antworten fehlen.
... in die gewerkschaftliche Defensive?
Schon bisher war der ÖGB bei den "Prekären" schwach vertreten. Es sind jene schlechtbezahlten, in unsicheren Verhältnissen Beschäftigten, die besonders unter der Aushöhlung des "Sozialstaats", dem Status quo bei Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe, sowie den Verschlechterungen beim Pensionsrecht leiden. Hierauf gilt es nicht nur ein besonderes Augenmerk beim "Zukunftsmodell Sozialstaat" zu legen. Ebenso ist die Frage der gewerkschaftlichen Organisation und Vertretung hier von besonderer Bedeutung: Die Frage von Vollzeitarbeitsplätzen als Recht und vernünftigen Einkommen als Pflicht (z.B. Mindestlohn von 1.100.- netto) muss auf die gewerkschaftliche Agenda. Derzeit drohen dem ÖGB durch die Krise gerade in gut organisierten Bereichen massive Mitgliederverluste. Die Antwort kann nicht sein das Minus an Jobs und Mitgliedern mitzuverwalten und möglichst moderat zu gestalten; dann ist es nämlich nur eine Frage der Zeit, wann sich die Gegenseite mit ihren Forderungen nach Nulllohnrunden und Sozialabbau durchsetzt.
Wo ansetzen? Z.B. bei einem neuen Pensionswesen!
Die Krise erleichtert in verschiedenen Bereichen sicher nicht die konkrete gewerkschaftliche Organisationsaktivität - im Gegenteil. Gleichzeitig können Gewerkschaften heute bei einem grundsätzlichen Bewusstseinswandel ansetzen. So sehen tausende ihre betriebliche und private Pensionsvorsorge derzeit durch die Krise davonschwimmen - das macht es nötig aber auch möglich eine offensive Kampagne gegen Privatisierung und Liberalisierung auf die Beine zu stellen. Zu sehen ist davon allerdings momentan wenig. Liegt es vielleicht daran, dass der ÖGB z.B. das Aufbrechen der staatlichen Pensionsvorsorge in der Vergangenheit selbst mitzuverantworten hat - etwa durch die Abfertigung neu/Mitarbeitervorsorge-Veranlagung? Eine offene und kritische Bilanz am Bundeskongress in Kombination mit dem Start einer entsprechenden Kampagne gegen das was der ÖGB zurecht als gescheiterte "Liberalisierung der Daseinsvorsorge" versteht, könnte der erste Schritt für einen entsprechenden Kurswechsel Richtung "Zukunftsmodell Sozialstaat" sein.