Mo 25.08.2014
Die Enttäuschung über die Gewerkschaft ist bei vielen zu Recht groß. Doch die Organisation Gewerkschaft ist nicht mit ihrer führenden Schicht von FunktionärInnen bzw. der Bürokratie identisch. Diese stellt eine soziale Schicht mit Eigeninteressen dar. Sie ist nicht automatisch entstanden, sondern durch eine Kombination von Faktoren: Aufgrund des Wachsens der Gewerkschaften wurden Menschen gebraucht, die hauptberuflich zur Verfügung standen. Doch die Spezialisierung und der täglichen Kleinkampf um Details hatte Folgen. „Die beständig vom ökonomischen Kleinkrieg absorbierten Gewerkschaftsleiter, die es zur Aufgabe haben, den Arbeitermassen den hohen Wert jeder noch so geringen ökonomischen Errungenschaft, jeder Lohnerhöhung oder Verkürzung der Arbeitszeit plausibel zu machen, kommen allmählich dahin, dass sie selbst die größeren Zusammenhänge und den Überblick über die Gesamtlage verlieren.“ (Rosa Luxemburg, 1906). Die Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs und nur wenige Klassenkämpfe (im 19. Jahrhundert, und dann nach 1945) schufen Illusionen in reformistische Konzepte. Verstärkt wurde das durch die mit der Gewerkschaft eng verbundene und zunehmend innerhalb des Kapitalismus verharrende Sozialdemokratie, die auf den bürgerlichen Staat setzte.
Die Diskussion über die Bürokratie ist nicht neu. Gewerkschaften sind Kampforganisationen der ArbeiterInnenklasse. Wenn die Bürokratie durch ihre ökonomische Situation, ihre sozialen Privilegien, nicht mehr die Interessen der ArbeiterInnenklasse vertritt, kann sie zur Agentur der Bourgeoisie in der ArbeiterInnenklasse werden.
Praktisch haben die Gewerkschaften in einer langen Periode der „Sozialpartnerschaft“ das Kämpfen verlernt und aufgegeben. Die Bürokratie hat sich daran gewöhnt, mit Unternehmen am grünen Tisch zu verhandeln und die Brosamen des Aufschwungs für die ArbeiterInnen abzubekommen. Doch das ist nicht der Normalzustand des Kapitalismus. Der Normalzustand ist Krise und Klassenkampf, Lohnkürzung, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau – genau das, was wir seit einigen Jahren erleben. Deshalb haben Unternehmen auch längst die „Sozialpartnerschaft“ gekündigt und durch Klassenkampf von oben ersetzt. Die Gewerkschaftsbürokratie fleht die Unternehmen an, die „Sozialpartnerschaft“ aufrechtzuerhalten und „an den Verhandlungstisch zurückzukehren“.
Es scheint, als käme die Bürokratie gar nicht auf die Idee, gewerkschaftliche Kernaufgaben wahrzunehmen, d.h. Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Das ergibt sich auch aus der sozialen Stellung, die Ursache und Auswirkung ihrer ideologischen Orientierung auf den Kapitalismus ist. Hohe FunktionärInnen in ÖGB und Fachgewerkschaften sind von Angriffen der Unternehmen nicht selbst betroffen und verdienen ein Vielfaches derer, die sie vertreten sollen. Der Kampf gegen die politische Rolle der Bürokratie muss mit dem Kampf gegen ihre sozialen Privilegien verbunden werden: z.B. durch einen durchschnittlichen FacharbeiterInnenlohn für FunktionärInnen und deren jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit.
Die enge Verbindung zwischen SPÖ und ÖGB-Spitze ist ein weiterer Grund dafür, dass die Gewerkschaften lahmgelegt sind. Viele hohe GewerkschaftsfunktionärInnen sind Nationalratsabgeordnete und FunktionärInnen der SPÖ. Doch die SPÖ ist nicht einmal mehr reformistisch, sondern vollständig verbürgerlicht und macht rassistische und neoliberale Politik. Die GewerkschafterInnen beeinflussen den Kurs der SPÖ nicht, doch die SPÖ setzt über die Gewerkschaftsspitze ihren Kurs um. Anders der Druck in den mittleren und unteren Ebenen der Bürokratie: Diese steht unter dem Druck der Basis. Am unmittelbarsten ist dieser Druck der Mitgliedschaft wohl bei den BetriebsrätInnen. Druck von unten zwingt die Bürokratie in Kampagnen oder Demonstrationen, da Mitgliederschwund den eigenen Job gefährdet. Doch wenn gerade in Krisenzeiten eine über den Tellerrand des Kapitalismus schauende Perspektive fehlt, stehen diese Aktionen isoliert da, haben keine Eskalationsstrategien und enden in faulen Kompromissen.
Doch Gewerkschaften bleiben auch mit Bürokratie Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Es wäre falsch, ihnen den Rücken zuzukehren. Ohne Organisation stehen ArbeitnehmerInnen völlig entwaffnet da und sind den Unternehmen – aber auch der etablierten Politik – völlig ausgeliefert. Darum ist ein politischer Kampf gegen die Bürokratie und ihre Ideologie notwendig. Und gerade dafür ist es nötig, in der Gewerkschaft zu sein. Druck von unten, von Mitgliedern und AktivistInnen, von jenen, die in Arbeitskämpfen stehen und sich organisieren, wirkt. Damit die Gewerkschaft nicht im täglichen Kleinkrieg stecken bleibt, wäre auch eine politische Organisation für ArbeiterInnen, also eine ArbeiterInnenpartei mit sozialistischem Programm nötig. Während der ÖGB von der SPÖ getrennt werden muss, muss eine ArbeiterInnenpartei eng mit den Gewerkschaften verbunden sein, um dort für Demokratie, kämpferischen Kurs und dafür zu sorgen, dass der Kampf für wirkliche und nachhaltige Verbesserung des Lebens von ArbeiterInnen durch Abschaffung der Lohnarbeit, des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Überwindung des Kapitalismus nicht aus den Augen verloren wird.