Di 04.07.2006
Der kommende Wahlkampf wirft seine Schatten voraus. Nicht nur von Seiten der FPÖ werden Rassismus und politische Angriffe auf MigrantInnen härter, wie die Forderung nach Abschiebung von arbeitslosen ImmigrantInnen seitens der Noch-Regierungspartei BZÖ zeigt. Auch die ÖVP versucht im Wahlkampf mit Ausländerfeindlichkeit zu punkten. SPÖ und Grüne fordern neue Beschränkungen. Es wird Zeit, diesen Zuständen eine schlagkräftige Bewegung für gleiche Rechte entgegenzusetzen. Die Wahlkampagne der SLP wird unter anderem in diesem Sinn geführt werden.
Historischer Ausgangspunkt: die Gastarbeit
Österreich ist in den vergangenen Jahrzehnten zum Einwanderungsland geworden. Knapp 800.000 Menschen bzw. fast ein Zehntel der Bevölkerung hat nicht die österreichische StaatsbürgerInnenschaft. Der Zahl der Personen mit Migrationshintergrund – d.h., nicht nur ausländische StaatsbürgerInnen, sondern auch Eingebürgerte und Nachkommen von MigrantInnen – kann nur geschätzt werden, liegt aber weit über einer Million.
Der wichtigste historische Ausgangspunkt der Migration nach Österreich ist die Gastarbeit der 1960er und 70er Jahre. Zahlreiche Faktoren – u.a. der Wirtschaftsaufschwung oder der Ausbau des Bildungs- und Pensionssystems – hatten damals zu einem relativen Arbeitskräftemangel geführt. Aus Sicht der Unternehmen eine unangenehme Situation: die ArbeiterInnenklasse befand sich in einer guten Verhandlungssituation. Um gegenzusteuern, wurde mit der organisierten Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte begonnen. Innerhalb von nur zehn Jahren verdreifachte sich die Zahl der in Österreich lebenden AusländerInnen. Parallel stieg der Anteil ausländischer StaatsbürgerInnen an der unselbstständigen Beschäftigung von 0,7% (1962) auf 8,7% (1973).
Die GastarbeiterInnen hatten eine klare Funktion zu erfüllen: billige und flexible Arbeitskräfte zu sein. Dem Konjunkturverlauf entsprechend sollten sie kommen und gehen – und entsprechend erst gar keine dauerhafte Aufenthaltsperspektive entwickeln. Darauf war neben einer weitgehenden Isolation von österreichischen ArbeiterInnen und der Unterbringung in Baracken auch die rechtliche Situation ausgerichtet: MigrantInnen hatten kein eigenständiges Aufenthaltsrecht – die Beschäftigungsbewilligung wurde dem Unternehmen, nicht der/dem MigrantIn ausgestellt.
Diese Rechnung ging nicht auf. Unternehmen fanden Gefallen an ihren ausländischen Arbeitskräften und gingen dazu über, sie dauerhaft zu beschäftigen. Da die meisten ArbeitsmigrantInnen aufgrund ihrer schlechten Bezahlung ihre Sparziele bei weitem verfehlten, kam ihnen die Verlängerung ihres Aufenthalts entgegen. Unter der Hand wurde so aus einer dem Konjunkturverlauf entsprechend zu regelnde Arbeitskräftequelle eine Bevölkerungsgruppe mit mittelfristiger Aufenthaltsperspektive.
Mit der dauerhaften Niederlassung wurde nicht nur die desolate soziale Lage der MigrantInnen offensichtlich, auch das komplexe System an ideologischen, sozialen und rechtlichen Diskriminierungen, das eine Ausbeutung erst ermöglicht hatte, zeigte seine Wirkung.
Das Erbe der Gastarbeit
Dieser Geist der Arbeitsmigration prägt bis heute die österreichische Migrationspolitik. Wer nach Österreich kommt, um hier auch zu arbeiten, erhält nach wie vor zunächst eine Beschäftigungsbewilligung, die dem Unternehmen ausgestellt wird. Nach einem Jahr mehr oder weniger ununterbrochener Beschäftigung kann eine Arbeitserlaubnis erworben werden, die zumindest den Wechsel zu einem Arbeitgeber derselben Branche im selben Bundesland zulässt. Erst nach weiteren Jahren der Beschäftigung in solchen Abhängigkeitsverhältnissen besteht die Chance, den so genannten Befreiungsschein zu erhalten, der eine formale Gleichstellung am Arbeitsmarkt bedeutet.
Als Folge dieser Politik stehen AusländerInnen und Personen mit Migrationshintergrund - eingebürgerte MigrantInnen, Kinder aus MigrantInnenfamilien etc. – überwiegend in schlecht bezahlten und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Das mittlere Einkommen ausländischer StaatsbürgerInnen liegt rund 15 % unter jenem inländischer. Entsprechend sind MigrantInnen überdurchschnittlich von Armut betroffen. Während 11% der in Österreich geborenen Personen als armutsgefährdet gelten können, sind es bei eingebürgerten MigrantInnen 23% und bei ausländischen StaatsbürgerInnen 28%.
Auch von Arbeitslosigkeit sind MigrantInnen überproportional betroffen. Allein in den Jahren 1988 bis 1998 verdreifachte sich die Zahl der arbeitslosen AusländerInnen – die Arbeitslosenquote von ausländischen StaatsbürgerInnen liegt seit Beginn der 1980er stabil über jener von InländerInnen, obwohl nach wie vor ein Teil der Arbeitslosigkeit von AusländerInnen “exportiert” wird (viele AusländerInnen verlieren bei Verlust ihres Jobs ihre Aufenthaltsberechtigung). Nicht berücksichtigt sind dabei all jene, häufig in unsicheren Jobs beschäftigten Menschen, die im Lauf der Jahre die österreichische StaatsbürgerInnenschaft erworben haben.
Ein Problem, bei dem die Wechselwirkung von kulturellen, rechtlichen und sozialen Problemen besonders deutlich zu Tage tritt, ist die Wohnsituation. Nicht-StaatsbürgerInnen waren von weiten Teilen des sozialen Wohnbaus ausgeschlossen. Als Folge kamen viele MigrantInnen in Substandardwohnungen unter – zu mehr reicht ihr Einkommen nicht. Noch im Jahr 2000 wohnten in Wien über 30% der ausländischen StaatsbürgerInnen in Wohnungen der Kategorie C oder D. Für diese zahlen sie überteuerte Preise. Trotz der niedrigeren Wohnqualität zahlten AusländerInnen 2000 pro Quadratmeter Wohnfläche um rund ein 25% mehr als ÖsterreicherInnen.
Die Probleme beginnen schon bei der Bildungssituation. Die Kinder von ArbeitsmigrantInnen haben deutlich geringer Chancen auf Bildungsaufstieg und besuchen überwiegend Schulen, die im besten Fall zu einem Lehrabschluss führen. Ein Teufelskreis: aufgrund der niedrigen Einkommen der Eltern sind viele gezwungen, früh zum Familieneinkommen beizutragen. Der niedrige Bildungsabschluss verhindert gleichzeitig einen beruflichen Aufstieg. Gemessen am Geldwert verdienen die zweite und dritte Generation weniger als die GastarbeiterInnen der 1960er.
Die Antwort der Herrschenden: Schuldumkehr
Die fatale Situation, in der sich ImmigrantInnen und Neo-ÖsterreicherInnen befinden, wird in der politischen und medialen Debatte weitgehend ausgeblendet. Statt die Probleme der MigrantInnen zu diskutieren, werden sie selbst zum Problem gemacht: Sie sollen schuld sein an Arbeitslosigkeit, Parallelgesellschaften aufbauen, für “unser” schlechtes Abschneiden bei PISA verantwortlich sein und nebenbei Gewalt in die Schulen bringen. Garniert werden diese Feindbilder mit heuchlerischen Kommentaren zur Unterdrückung von Frauen. Als gäbe es in österreichischen Familien keine Gewalt. Auf dieser Grundlage braucht dann nicht über Gleichberechtigung geredet werden – zunächst müssen MigrantInnen ihre “Integrationswilligkeit” unter Beweis stellen. Dieser Mechanismus funktioniert gut: Weil AsylwerberInnen unter den Generalverdacht gestellt werden, Drogendealer zu sein, muss sich die Regierung nicht für die menschenverachtende Schubhaft rechtfertigen, sondern Flüchtlinge müssen ihre Gesetzestreue beweisen. Der Polizeigewalt wird dadurch massiv Vorschub geleistet: Übergriffe bis hin zu toten AsylwerberInnen sind möglich, ohne dass es ernsthafte Konsequenzen gäbe.
Nicht nur die FPÖ will sich profilieren, indem sie dieses Spiel spielt. Die ÖVP hat nicht nur aktiv die Hetze von Haider, Strache & Co. in Gesetze gegossen, sie versucht ausserdem durch plumpe AusländerInnenfeindlichkeit WählerInnen von BZÖ und FPÖ zu gewinnen. Die SPÖ bläst mit ihrem brandneuen Zehnpunkteprogramm zum Thema Migration ins selbe Horn. Und die Grünen tun dort, wo sie die Möglichkeit hätten (etwa in Oberösterreich) wenig mehr, als die aktuelle Politik mitzutragen.
Rassismus geht uns alle an
Je größer die Kluft zwischen ImmigrantInnen und Nicht-ImmigrantInnen, desto schwieriger ein gemeinsamer Kampf für Verbesserungen. Solange die ausländischen KollegInnen als Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit gesehen werden, ist so ein Kampf sehr schwierig. Damit sind ausländerInnenfeindliche Gesetze oder Verordnungen ein Hindernis für die Verbesserung für alle ArbeitnehmerInnen.
Ein Beispiel sind die – vom ÖGB geforderten und mitgetragenen – Übergangsbestimmungen für ArbeiterInnen aus den neuen EU-Ländern. Diese fördern die Scheinselbständigkeit und Lohndruck. Eine Kollegin aus Polen kann in Österreich legal wohnen, darf aber nicht “normal” arbeiten. Will sie etwa als Reinigungskraft arbeiten, muss sie ein Gewerbe anmelden. Als “Selbstständige” unterliegt sie keinem Kollektivvertrag. Stundenlöhne von 4 Euro sind so keine Seltenheit. Als Vermittler treten eigene Firmen auf, die sich eine goldene Nase verdienen.
Wenn kämpferische BetriebsrätInnen in einer betroffenen Firma die Zusage auf einen fixen Arbeitsplatz für diese ReinigungskollegInnen erreichen, sind sie trotz dieses kleinen Erfolges in einer politischen Zwickmühle: Denn die scheinselbständige Kollegin kann aufgrund der Übergangsbestimmungen keine Arbeitsgenehmigung bekommen. Der Betriebsrat steht so vor einer schlechten Wahl: Kommt eine neue Kollegin mit normalen Dienstvertrag, wird die alte Kollegin arbeitslos (oder kommt in eine miesere Firma), bleibt die scheinselbständige Kollegin, muss er der Lohndrückerei in der eigenen Belegschaft zusehen. Mit seinen Forderungen nach Beschränkungen und Quoten hat der ÖGB der Spaltung der österreichischen ArbeitnehmerInnen Vorschub geleistet.
Wo bleiben da die Gewerkschaften?
ImmigrantInnen sind ein wichtiger Teil der österreichischen ArbeiterInnenklasse geworden. Im ÖGB zeigt das kaum Wirkung. Gemeinsame Kampagnen oder gar Aktionen für gleiche Rechte hat es vom ÖGB nie gegeben. Zwar sind viele MigrantInnen Gewerkschaftsmitglieder – eine (in ihrer Sprache angebotene und auf ihre Probleme zugeschnittene) Beratung gibt es aber nicht. Das Hinterherhinken in der Beratungskultur ist ein Hinweis darauf, dass nichtösterreichische ArbeitnehmerInnen unerwünscht sind. Typisch dafür ist auch, dass der ÖGB seit den 80er Jahren die Forderung nach einem passiven Betriebsratswahlrecht zwar in seinem Programm hat, diese Forderung aber von der EU-Bürokratie “durchgesetzt” wurde. Außer einem versteckten Hinweis auf der ÖGB-Homepage schweigt der ÖGB dazu. Zufall??? Dabei könnten mit dem neuen Betriebsratswahlrecht – verbunden mit einer entsprechenden Kampagne – viele neue Betriebsräte von ausländischen KollegInnen gegründet werden.
Von den knapp 4.000 Gewerkschaftsangestellten haben kaum welche einen Migrationshintergrund. In gewerkschaftlich gut organisierten Großbetrieben gibt es kaum Betriebsräte mit ImmigrantInnen-Background. Eine große Firma (etwa im Reinigungsbereich), in der von tausenden Beschäftigen einer der wenigen gebürtigen ÖsterreicherInnen (und Männer) in der Belegschaft der Betriebsratsvorsitzende ist, ist keine Seltenheit. Auf allen gewerschaftlichen Ebenen sind MigrantInnen unterrepräsentiert. Eigene Gewerkschaftsstrukturen für ImmigrantInnen wären dringend nötig.
Diese würden den ÖGB nicht schwächen, sondern stärken. Der Aufbau einer kämpferischen und demokratischen Gewerkschaftsopposition bzw. einer neuen Gewerkschaftsbewegung kann nur unter aktiver Einbeziehung von ImmigrantInnen funktionieren.
Die SLP fordert
- Volle soziale und demokratische Rechte für alle Menschen, die hier leben.
- Abschaffung aller diskriminierenden Gesetze