Mi 01.10.1997
In 11 der 15 EU-Staaten stellen Sozialdemokraten die Regierung oder sind daran beteiligt. Nach Tony Blair gewann auch Jospin die Wahlen. Jospin führte seinen Wahlkampf mit einem relativ linkem Programm. Auf einem Treffen des Komitees für eine Arbeiterinternationale (KAI/CWI) führte Sonja Grusch ein Gespräch mit Jean-Yves Lesage, Mitglied des Nationalen Büros der Gauche Revolutionaire (französische Schwesterorganisation der SOV).
Vorwärts: Was ist aus den Versprechungen, die Jospin im Wahlkampf gemacht hat, geworden?
Jean-Yves Lesage: Versprochen hat er Arbeitszeitverkürzung, die Schaffung von 300.000 Jobs für Jugendliche sowie die Privatisierung der Telekommunikation und der Air France zu stoppen. Nun, was die Jobs angeht, im Öffentlichen Dienst wurden einige geschaffen - aber die Verträge sind auf ein Jahr befristet und die Jugendlichen bekommen gerade mal den Mindestlohn. Bezüglich der Arbeitszeit findet am 10.10. ein „Sozialpartner“tTreffen statt an dem neben Regierungsvertretern alle Unternehmerorganisationen und die fünf wichtigsten Gewerkschaften teilnehmen. Die Unternehmer haben klargemacht, daß sie das Treffen boykottieren werden, wenn eine generelle Regelung auch nur diskutiert wird - sie setzen auf Einzelverträge. Und Jospin hat erklärt, daß eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust nicht möglich wäre, weil das „nicht ökonomisch“ sei! Die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust war DAS Versprechen von Jospin, darum ist der Ausgang dieses Treffens auch so wichtig. Die französischen Arbeiter-Innen werden die Regierung Jospin vor allem auch daran messen!
V: Die Kommunistische Partei Frankreich (KPF) stellt mit Jean-Claude Gayssat den Transportminister, der auch für die Privatisierung der Air France zuständig ist.
JYL: Die Führung der KPF stellt sich nicht gegen die Privatisierung, sie meint, es gebe keine Prinzipien bezüglich des Öffentlichen Sektors, man müsse da „pragmatisch sein“. Sie haben auch gegen die Teilprivatisierung der Post, die Jospin gemäß den Plänen von Juppe durchführt, nichts getan. Sie verstecken sich dahinter, daß sie sagen „wir haben halt nur 10 %, da ist nicht mehr drinnen“. Aber Teile der Basis der KPF sind damit überhaupt nicht einverstanden. Offiziell sind 20 % gegen die Teilnahme der KPF an der Regierung, aber die Ablehnung der Politik der KPF in der Regierung ist wohl weit größer. Der Parteivorsitzende Robert Hue wurde sogar am jährlichen Pressefest von der Basis ausgebuht.
V: Maastricht&Euro waren Gründe für die vorgezogenen Wahlen. Wie verhält sich Jospin zur EU.
JYL: Den „Stabilitätspakt“ hat er unterschrieben, obwohl er im Wahlkampf erklärte, nicht dafür zu sein. Die einzige Änderung ist, daß Frankreich die 3 % (jährliches Defizit, Anm.d.Red.) nicht schon 1998, sondern erst 1999 erreichen muß. Er hat sich nun auch für die Europäische Währungsunion ausgesprochen. Und obwohl Jospin bisher recht geschickt vorgegangen ist, gibt es bereits Schritte für weiteren Sozialabbau.
V: Was meinst Du da konkret?
JYL: Z.B. wird zur Zeit eine Kampagne gegen LehrerInnen und ihre angeblichen Privilegien gemacht. Das deutet an, daß Kürzungen im Bildungswesen geplant sind. Ganz allgemein: das Vertrauen in die Regierung Jospin ist nicht allzu groß. Am 10. Juni haben die wichtigsten Gewerkschaften eine Demo organisiert, die wohl als sanfte Warnung an die Regierung verstanden werden kann.
Daran haben immerhin 70.000 teilgenommen. Und in den nächsten Wochen sind eine Reihe von Demonstrationen und Streiks geplant. Am 30. September haben die TelekomunikationsarbeiterInnen gestreikt, und auch die EisenbahnerInnen und die LehrerInnen bereiten Aktionen vor.
V: Was tut Gauche Revolutionaire?
JYL: Einerseits fordern wir weiterhin die Arbeitszeitverkürzung auf mindestens 35-Stunden bei vollem Lohn. Hier darf es keine Abstriche geben. Ein anderes wichtiges Thema sind immer noch die rassistischen Gesetze der Regierung gegen ImmigrantInnen und die sogenannten „Papierlosen“. Jospin hat diese - entgegen seinen Ankündigungen - nur geändert, und hier nicht alles zum Guten! Insgesamt ist viel zu tun, denn Jospin entpuppt sich immer mehr als französischer Blair, dessen Politik sich von jener der bürgerlichen Parteien nicht unterscheidet!