Di 01.06.2004
Die EU steckt nach den Erweiterungsfeiern in einer Existenzkrise. Ihr Herzstück – der neoliberale Stabilitäts und Wachstumspakt – ist tot. Das Vertrauen in die europäischen Institutionen befindet sich auf einem Tiefpunkt. Aber auch die meisten nationalen Regierungen stehen auf extrem wackeligen Beinen. Die Gegenwehr der ArbeiterInnenklasse ist in den letzten Jahren durch Streiks und Kämpfe massiv gewachsen. Die Ansätze zu einer politischen, konsequent antikapitalistischen Alternative sind hingegen noch immer sehr gering. Das enorme politische Vakuum wird – noch - nicht durch eine neue, sozialistische ArbeiterInnenpartei gefüllt. Frust und Protest drücken sich – deshalb - vor allem in einer sinkenden Wahlbeteiligung aus. In Österreich lag sie 1996 noch bei 68%, 1999 nur mehr bei 49%, in Deutschland gar nur bei 45%. Ebenso sind Erfolge von jenen, oft rechten, Listen zu erwarten, die sich besonders kritisch gegenüber der EU geben.
EU heute: Hort des Nationalismus
Seit ihrer Gründung ist die EU eine Organisation, die im Interesse der optimalen Kapitalverwertung und nicht der sozialen Interessen agiert. Die EU steht nicht für Frieden und Völkerfreundschaft, sie reflektiert vor allem die Forderungen – aber auch Widersprüche - der stärksten europäischen Bourgeoisien. Ein gemeinsames Ziel der europäischen Kapitalisten liegt in der wirtschaftlichen Stärkung und Vergrößerung des EU-Binnenmarkts, um mit den beiden anderen Wirtschaftsblöcken, USA und Südostasien, mithalten zu können. Die EU-Erweiterung erschließt Konzernen den Zugang zu billigen Rohstoffen, Arbeitskräften und Produktionsstandorten sowie vergrößert die Absatzmärkte ihrer Produkte. Umgekehrt wird die Erweiterung auch als Druckmittel gegen die ArbeiterInnenklasse im Westen eingesetzt. Löhne und soziale Rechte sollen mit dem Verweis auf das – nach der kapitalistischen Konterrevolution - niedrige Sozialniveau in den neuen EU-Staaten abgebaut werden. Der Boden auf dem sich Nationalismus ausbreitet wird aber nicht nur durch dieses “gegeneinander Ausspielen” aufbereitet. Das gesamte EU-Projekt wurde immer wieder als der absolut einzige Weg der “Integration” dargestellt. Bereits beim Stabilitäts und Wachstumspakt (Verträge von Maastricht und Amsterdam) und dem Sozialabbau den dieser bedeutete, verfolgten die EU-Gremien gemeinsam mit den nationalen Regierungen diese Strategie: Die Konvergenzkriterien seien ohne Alternative – Widerstand deshalb angeblich zwecklos. Heute ist der Pakt – vor dem Hintergrund der katastrophalen Konjunkturentwicklung - nicht mehr das Papier wert, auf dem er gedruckt wurde. In der Krise streben die nationalen Bourgeoisien und ihre Regierungen wie eh und je wieder auseinander. Deutschland und Frankreich werden die Kriterien – trotz massivem Sozialabbau - auf Dauer nicht erfüllen. Auch während dem Irakkrieg zeigte sich deutlich wie unterschiedlich die strategischen Interessen der europäischen Kapitalisten gelagert sind. Insgesamt fällt die “Anti-EU” Stimmung in Europa nicht vom Himmel. Der wachsende Nationalismus hat seine reale Basis nicht zuletzt im wieder stärkeren Auseinanderdriften der einzelnen Bourgeoisien.
Massive Korruption als “europäisches” Element?
Zur Ablehnung der EU als neoliberales Projekt durch große Teile der ArbeiterInnenklasse und zum durch die europäische Entwicklung stärker geschürten Nationalismus, kommen noch eine Reihe unfassbarer Skandale in den “europäischen” Institutionen. Im Jahr 2002 flog die Vetternwirtschaft rund um Forschungskommissarin Edith Cresson auf, deren Ressort in “kreativer” Selbstbedienungsmanier über Jahre hinweg 100 Millionen Euro veruntreute. Im Herbst 2003 wurde ein weiterer Skandal rund um die EU-Statistikbehörde Eurostat aufgedeckt. Eurostat ist unter anderem für die Verteilung von Subventionen an die EU-Mitgliedsstaaten zuständig. die auf Grundlage der statistischer Daten erhoben werden. Seit Ende der neunziger Jahre hat diese Behörde über fingierte Verträge und aufgebauschte Aufträge Millionen Euro an Steuergeldern abgezweigt. Insgesamt sollen bis zu 50 Prozent der Einnahmen an den Rechnungsbüchern vorbei in schwarze Kassen und in die Taschen von Mitarbeitern geflossen sein. Korruptionsfälle dieser Art verdeutlichen, dass die EU auf allen Ebenen eine Union der Herrschenden und der Handlanger des Kapitals ist. Seit jeher wurde die Wut über solche Skandale von populistischen Kräften aufgegriffen. Einfache Lösungen werden versprochen. Das Spektrum reicht vom EU-Austritt bis hin zur Selbstdarstellung einzelner Personen und Listen als “demokratische Kontrollinstanz”. Vor allem Hans Peter Martin, ehemals Spitzenkandidat der SPÖ im Europaparlament, hat sich das Image des Saubermanns und Spesenaufdeckers verpasst. Themen wie Arbeitslosigkeit, Aufrüstung, Abbau sozialer Rechte oder Privatisierungen werden von ihm – im Gegensatz zu früher – nicht angesprochen. Dafür ist ihm die Unterstützung der Kronenzeitung sicher – ein mächtiger Partner, dem gerade gerichtlich bescheinigt wurde Antisemitismus und Rassismus zu verbreiten. Aber selbst bei den Spesen kritisiert “HPM” nur Auswüchse und nicht die Tatsache, dass mit dem monatlichen Grundgehalt eines österreichischen EU-Abgeordneten jeder durchschnittliche Arbeitslose weit mehr als ein Jahr auskommen muss!
EU Wahlkampf – heuchlerisch und sinnentleert
Ein generelles Merkmal aller etablierten Kräfte ist ein verstärktes Setzen auf populistische Phraseologie, die mit ihrer tatsächlichen Politik nichts zu tun hat. Die Slogans erscheinen ebenso wie diese Parteien austauschbar. Nachdem Martin die Spesentransparenz der Parlamentarier angekündigt hatte, sprangen nun auch alle anderen Parteien auf den Zug auf und kritisierten die jahrelang genossenen Privilegien. All das wirkt auf immer mehr Menschen heuchlerisch und abstoßend. Doch auch wenn beispielsweise der Neoliberalismus in der EU populistisch von der SPÖ aufgegriffen wird, ist das eine Farce. Ein Blick auf Gemeinde- oder Länderebene mit SPÖ-Mehrheit zeigt, dass auch dort Kürzungs- und Ausgliederungspolitik als Vorbereitung für Privatisierungsschritte an der Tagesordnung sind (siehe Sozialbereich Wien, Hanusch-Krankenhaus, ...). Auch rechtspopulistische Töne sind deutlich zu vernehmen: Spitzenkandidat Swoboda warnte vor einem EU-Beitritt der Türkei. Nicht zuletzt zeigt ein Blick über die Grenzen - nach Deutschland - dass die Sozialdemokratie in Europa nicht einmal das kleinere Übel mehr darstellt. “Österreich stark vertreten” lautet der wenig “europäische” Slogan der ÖVP. Zu den übrigen – völlig beliebigen - Ansagen “Frieden”, “Freiheit” und “Sicherheit” reicht es wohl einfach Fragezeichen auf die Plakate zu malen. Diese Partei steht für die NATO-Beitritt, Militarisierung, Ausbau polizeilicher Überwachungsmethoden, Liberalisierung und Pensionsraub. Auch Johannes Voggenhuber (Grüne) spielt im Wahlkampf der Grünen ein populistisches Doppelspiel: einerseits kritisiert er die Demokratiedefizite in der EU und fordert einen politischen Wandel weg von Bürokratie und Machtblöcken hin zu einem sozialen “Friedenprojekt Europa”. Andererseits legte er einen Entwurf für die neue EU-Verfassung vor, in welchem die gegenseitige militärische Beistandspflicht für alle EU-Mitglieder vorgesehen ist. Von freiheitlicher Seite werden wieder einmal rassistische Ressentiments bedient, “Türkei in die EU? Mit mir nicht!” ist einer der Sprüche von Spitzenkandidat Hans Kronberger. Um die FPÖ in dieser Hinsicht noch deutlicher zu poitionieren, wurde der rechtsextreme “Umvolkungsexperte” Andreas Mölzer, unterstützt von Volksanwalt Ewald Stadler und Bundesrat John Gudenus, auf Listenplatz 3 gesetzt.
Und nach den Wahlen?
Insgesamt ist zu erwarten, dass das Wahlergebnis – nicht nur in Österreich – die jeweils regierenden Parteien weiter schwächt. Für die schwarz-blaue Koalition wäre das nach den Landtags- und AK-Wahlen die nächste Schlappe in Serie. Eine entschiedene Initiative der Gewerkschaften gegen die bereits geplanten, nächsten Angriffe – z.B. im Gesundheitswesen – könnte Schüssel und Co. sehr schnell zu Teufel jagen. Die Wahlen zum EU-Parlament werden aber auch die Krise der europäischen Institutionen weiter verstärken. In einzelnen Staaten - beispielsweise Polen – könnte sogar die Mehrheit der künftigen EU-Abgeordneten offen “EU skeptisch” sein. Eine entscheidende Aufgabe von SozialistInnen besteht darin gegen den Mißbrauch von Slogans wie internationale Integration, Überwinden von Grenzen, Bekämpfung von Rassismus etc. durch die Europäische Union zu kämpfen. Diese EU spaltet und schürt Nationalismus! Gleichzeitig gilt es “unser” Europa konkret durch die internationale Zusammenführung und Vernetzung von Kämpfen aufzubauen. Die SLP und unsere Internationale – das CWI – verfolgt darüber hinaus auch eine klare politische Gegenstrategie zum Europa der Konzerne: Das vereinigte, sozialistische Europa als Schritt zum Sozialismus weltweit.