Di 03.07.2007
In Frankreich und den Niederlanden haben die ArbeitnehmerInnen den Entwurf für die EU-Verfassung in den Referenden 2005 abgelehnt. Die Referenden waren ein klares Misstrauensvotum gegen EU-PolitikerInnen und –Institutionen und haben den EU-Regierungen einen schweren Schock versetzt.
Während die kapitalistischen Regierungen in Europa ständig scheinheilig von Demokratie schwafeln, ignorieren sie geflissentlich, wenn die Bevölkerung einmal ihren Willen ausdrückt. Nur kurz vor den Referenden hat 2005 der luxemburgische Premier diese Haltung klar zusammengefasst: „Wenn es ein Ja gibt, werden wir sagen `legen wir los´, wenn es ein Nein gibt, werden wir sagen `wir machen trotzdem weiter´.“
Und sie machen auch trotzdem weiter. Auf dem EU-Gipfel letzte Woche holten sie die Verfassung aus der Tiefkühltruhe und verpackten sie neu als „Reformvertrag“ um so zu tun, als sei das nun etwas völlig anderes. In einer jüngsten Umfrage der Financial Times darüber, ob es eine Abstimmung über den neuen Vertrag geben sollte, waren 75 % der spanischen Bevölkerung, 71% der deutschen Bevölkerung, 69% der BritInnen, 68% der ItalienerInnen und 64% der FranzosInnen für eine neuerliche Abstimmung. Aber um Referenden zu vermeiden, wird der Vertrag eine „vereinfachte“ Version des Originals genannt, die nicht länger eine Verfassung darstellt, und die von gemeinsamen Symbolen wie Flagge, Motto und Hymne absieht. Die Hauptpunkte des Entwurfs von 2004 bleiben jedoch erhalten. Der/Die EU-RatspräsidentIn wird künftig auf zwei Jahre gewählt, und es wird eineN „hoheN BeauftragteN der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“ geben, der/die dem Rat der Außenminister vorsitzt und gleichzeitig stellvertretenderRKommissionspräsidentIn wird, es wird weniger nationale Vetos geben im Entscheidungsprozess und die EU wird legalen Personenstatus erhalten.
Entscheidungen in der nun 27 Mitgliedsländer umfassenden EU werden mit Doppelmehrheitssystem getroffen. Das bedeutet, dass 55% der Länder die 65% der EU- Bevölkerung repräsentieren für eine Mehrheit erforderlich sind. Die Stimmrechte eines Landes werden damit aus der Bevölkerungszahl abgeleitet. Das bedeutet eine wesentliche Verschiebung in der Gewichtung der Stimmen einzelner Staaten – was die polnische Regierung so erzürnte, dass sie zunächst in strikte Opposition dazu gingen. Sie ließen sich erst umstimmen, als ihnen zugesichert wurde, dass das neue Stimmrecht erst 2017 wirksam wird und als Angela Merkel damit drohte, dass der gesamte Vertrag auch ohne Polens Zustimmung abgesegnet werden könnte.
Veto
Tony Blair (in Absprache mit seinem Nachfolger Gordon Brown) stimmte der Abschwächung des Vetos in vielen Bereichen zu, allerdings bestand er skandalöserweise darauf, dass Britannien von einigen EU-Gesetzen ausgenommen würde, inklusive grundlegender Sozial- und Arbeitsrechte, sowie Kriminalrecht.
Dem neuen französischen Präsident Sarkozy gelang ein Coup indem er die Entfernung des EU-Kernziels des „freien und unbeschränkten Wettbewerbs“ erreichte, einer zentralen EU-Klausel, die die gesamte Dauer des 50-jährigen Bestehens der EU ein Kernpunkt dieser war. Sarkozy will bei den französischen ArbeiterInnen den Eindruck erwecken, dass er den neoliberalen Inhalt des Vertrags entfernt und die französische Wirtschaft und Arbeitsplätze schützt. In Wirklichkeit wird er jedoch eine scharfe neoliberale Agenda in Frankreich selbst umsetzen. Seine Haltung lief auf demagogische Posen gegenüber der französischen Bevölkerung hinaus, mit einer Entschlossenheit, die Interessen des französischen Kapitals zu verteidigen – und bis zu einem gewissen Grad auch jene des europäischen Kapitals.
Dieses Manöver gelang ihm, da die brennendsten EU-NeoliberalistInnen wissen, dass das Ziel von ungehindertem Handel noch an 13 anderen Stellen in der EU-Gesetzgebung festgehalten ist. Allerdings hat dies nicht einen Aufschrei vieler kapitalistischer RepräsentatInnen verhindert. Einer der führenden Anti-Trust Anwälte beschrieb die Veränderung als „Katastrophe“. Andere Top-AnwältInnen argumentieren, wahrscheinlich korrekt, dass die Veränderung es schwieriger macht, Protektionismus zu stoppen, inklusive Staatssubventionen und Kartelle.
John Cridland von der CBI, der britischen UnternehmerInnenvereinigung, beklagte sich: „Es ist nicht nur eine kosmetische Änderung – sie stellt eine langfristige Bedrohung des freien Wettbewerbs dar und wird die Hand des Protektionismus innerhalb der EU auf Jahre stärken." Für die herrschenden Klassen geht das gegen einen der Hauptziele der EU, nämlich das Ziel einen gemeinsamen Markt zu haben, der europäische Unternehmen gegen die Nicht-EU-Weltmächte stärkt. Sie wollen auch die Vorteile von gemeinsamen Grenzen haben sowie die EU als Waffe gegen die ArbeiterInnenklasse – und damit als Instrument für Privatisierungen, Kürzungen im Sozialbereich, Deregulierung etc.
Für ein sozialistisches Europa
Wie stets auf diesen Gipfeln, kamen sich die nationalen Interessen der einzelnen Staaten immer wieder in die Quere. Das feindliche Hickhack gipfelte in einem riesigen Streit in der letzten spätnächtlichen Sitzungen bevor „Einigkeit“ verkündet wurde. Jeder Staat möchte für sich die moralische Hoheit sichern, während sie sich in gegenseitigen Anschuldigungen üben. Zum Beispiel beschwerte sich der italienische Premierminister Romano Prodi über den „Mangel an europäischem Gemeinschaftsgeist“ und sagte: „Erlauben Sie mir, meiner Verbitterung über dieses Schauspiel Ausdruck zu verleihen.“
Der Großteil der 490 Millionen Menschen in der EU werden aus der Debatte herausgehalten. Jedenfalls, wie ein Kommentator der Financial Times, Gideon Rachman feststellte, ist der Reformvertrag „beinahe unmöglich zu lesen oder gar zu verstehen“.
Die Intention der EU-FührerInnen ist es nun, den Freifahrtsschein von allen Mitgliedsstaaten für den Vertrag zu bekommen, um Referenden zu vermeiden, die den Vertrag vielleicht noch kippen könnten (obwohl Irland und Dänemark Abstimmungen in Betracht ziehen, da sie mit Zustimmung zum Vertrag in den Referenden spekulieren). Allerdings sind besonders die niederländische, die französische und britische Regierung sehr darauf bedacht, Referenden zu vermeiden.
In Britannien haben führende Tories bereits Gordon Brown für seinen Unwillen, ein Referendum abzuhalten, kritisiert. Wenn er allerdings eines abhält, wäre das Ergebnis wahrscheinlich ein Nein zum „Reformvertrag“. Laut Umfragen sind ein Drittel der WählerInnen in Britannien für einen Austritt aus der EU, ein weiteres Drittel unentschieden. In einer britischen Umfrage hatten 55% der Menschen entweder noch gar nie von einer EU-Verfassung gehört oder kannten nur den Namen. Allerdings antworteten nur 14% mit Ja auf die Frage, ob sie eineN auf längere Zeit gewählteN EU-Präsidenten/in unterstützen würden. Nur 10% unterstützen, dass EU-Recht ins britische Recht eingreifen kann (wie es das in vielen Fällen tut). Bezüglich Blairs Versuch, die britischen Anti-Gewerkschaftsgesetze gegenüber der Grundrechtscharta im Vertrag zu retten gilt: Die ArbeitnehmerInnen in Britannien sollten die Möglichkeit haben, gegen diesen jüngsten Anti-Arbeiterklasse-Vertrag zu stimmen, aber auch gegen Blair und Browns Versuch, sich gegen die Einführung von Grund- und ArbeitnehmerInnenrechten zu stemmen. Die ArbeiterInnen in ganz Europa sind zu recht misstrauisch gegenüber den Intentionen der EU-FührerInnen.
- Keine Unterstützung für die Projekte der kapitalistischen EU, aber auch nicht für die pro-kapitalistischen Euro-SkeptikerInnen, die eine nationale Agenda verfolgen.
- ArbeiterInnen wollen, dass Jobs und Lebensstandards geschützt und verbessert werden, aber weder Freihandel noch Protektionismus werden das erreichen. Die einzige Lösung ist ein Kampf für ein sozialistisches Europa.
- Die europäische ArbeiterInnenklasse muss in gemeinsamer Aktion erreichen, dass jegliche Verträge den Interessen der 728 Millionen EinwohnerInnen entsprechen und nicht jenen der kapitalistischen Elite, und dass sie einer umfassenden wirklich demokratischen Debatte unterzogen werden, die den ArbeitnehmerInnen volle Kontrolle erlaubt.