Mo 26.03.2007
Rom 25. März, 1957: Feierlich wird der „VERTRAG ZUR GRÜNDUNG DER EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTSGEMEINSCHAFT“ unterzeichnet. Die KapitalistInnen agieren ganz selbstverständlich international, auf europäischen Kongressen, Konferenzen und bei geheimen Treffen, besprechen sie, was die nächsten Schritte sein sollen, um noch effektiver ihre Profitinteressen in neue Gesetze und Verordnungen zu gießen.
In den "Römischen Verträgen" von 1957 erklären die VertreterInnen von Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg, der BRD und Italien: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens“ und eine „beschleunigte Hebung der Lebenshaltung“ zu fördern. (Artikel 2)
Im Vertrag über die Europäische Union vom 2. Februar 1992 werden als sozialpolitische Ziele hinzugefügt: „ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz“.
Inzwischen ist die EU von 6 auf 27 Mitgliedsländer angewachsen. Zuletzt wurden am 1. Januar Rumänien und Bulgarien aufgenommen.
Während in diesen Tagen bei vielen Empfängen VertreterInnen aus Politik und Wirtschaft mit Sekt auf 50 Jahre EU anstoßen, gibt es für die Beschäftigten hierzulande wenig zu feiern. Nehmen wir als Beispiel die ArbeiterInnen in einem Schlachthof in Niedersachsen: Schweine werden im Akkord geschlachtet, ausgenommen, zerlegt. Das war schon immer eine schwere Arbeit, aber die Löhne sind dramatisch gesunken „Vor zehn Jahren, da haben wir gut verdient. Sogar Hilfsarbeiter haben 3- bis 4.000 DM bekommen, die Aufhänger, die haben im Akkord gearbeitet, die bekamen 4.000 DM. Diese Zeiten sind vorbei, heute bekommen die nur noch rund tausend Euro, um die Hälfte weniger“, berichtet ein ehemaliger Schlachter.
Viele Schlachthöfe arbeiten mit Werkverträgen oder geringfügig Beschäftigten. „Per Werkvertragsarbeit sind bei uns im Schlachtbereich mittlerweile etwa 80 Prozent aller Beschäftigten beschäftigt. D.h. die Betriebe, die dort schlachten und zerlegen, arbeiten gar nicht mehr mit eigenen Leuten, sondern nur noch mit Fremdbeschäftigten, die dort abteilungsweise die Arbeitsplätze übernehmen und vornehmlich zurzeit aus Osteuropa kommen - mit etwa einem Anteil von 60 Prozent“, beschreibt ein Sekretär der Gewerkschaft NGG die Lage.
Die BilliglohnarbeiterInnen erhalten oft nur zwischen drei und sechs Euro pro Stunde. (Mehr Infos dazu gibt es in der Studie „Prekäre Beschäftigung in der DGB-Region Oldenburg/Wilhelmshaven“.)
Viele SchlachterInnen haben ihren Arbeitsplatz verloren oder wurden gezwungen, neue Verträge mit deutlich weniger Lohn zu unterschreiben.
Diese Praktiken haben teilweise schon vor der letzten großen Erweiterungsrunde im Jahr 2004 begonnen, aber danach haben sie neuen Schub bekommen. Und die Fleischindustrie ist nur ein Beispiel von vielen bezüglich Lohndumping, Arbeitsplatzvernichtung und Abbau von Rechten der Beschäftigten. Mit jeder Erweiterung ergeben sich für die Unternehmen neue Möglichkeiten, auch ganz legal die Lohnunterschiede in Europa auszunutzen.
Dabei ist das offiziell erklärte Ziel der EU, die Harmonisierung der Lebensverhältnisse in allen Mitgliedsstaaten. Tatsache ist: würde diese Harmonisierung eines Tages gelingen, dann würde das Projekt EU für die KapitalistInnen seinen Reiz verlieren: das lukrative an der EU ist doch, dass sie Waren und Kapital frei hin- und herschieben können und dadurch erst die sehr unterschiedlichen Löhne und Lebensverhältnisse optimal für ihre Profitmaximierung ausnutzen und die Beschäftigten gegeneinander ausspielen können. Angenommen, in allen 27 Mitgliedsländern der EU wäre alles harmonisiert, das heißt gleiche Durchschnittslöhne, gleiche Lebenshaltungskosten und Lebensstandard, gleiche Gesetze und Verhältnisse in den Bereichen Rente, Gesundheit, Umwelt, Arbeitsrecht. Dann würde doch niemand mehr aus Krakau 1000 Kilometer fahren um in Köln Parkett zu legen. KeinE ArbeiterIn aus Rumänien würde Freunde oder Familie verlassen, um in einem anderen Land zum Teil 16 Stunden am Tag zu schuften und zusammengepfercht in einem Container zu „wohnen“. Man könnte den Beschäftigten nicht mehr drohen, die Produktion in andere EU-Länder zu verlagern, weil es ja offensichtlich bei gleichen Löhnen und Gesetzen keinen Anreiz dafür gäbe.
Kolonisierung ohne Kolonialkrieg
Wenn man die Sache aus dieser Perspektive betrachtet, braucht man sich nicht mehr wundern, in welchem Tempo die EU um Länder erweitert wurde, die wirtschaftlich viel schwächer sind.
In Zeiten des Nachkriegsaufschwungs mögen die KapitalistInnen und Europa-PolitikerInnen noch von einem einheitlichen, harmonisierten Europa geträumt haben, - als Gegengewicht zu den Staaten des damaligen Ostblocks und als einheitliche Kraft im Konkurrenzkampf gegen die Wirtschaftsblöcke unter Führung der USA und Japans. Im Nachkriegsaufschung konnten die Profite noch über rasches Wirtschaftswachstum gesteigert werden, heute werden die Gewinne durch verschärfte Ausbeutung der Beschäftigten erzielt, in den neuen und den alten EU-Ländern. Die EU-Osterweiterung ist eine Kolonisierung ohne Kolonialkrieg.
Die EU ist uneinheitlicher denn je, 13 Länder haben den Euro eingeführt, sieben Ländern haben ihre Währung per Wechselkursmechanismus an den Euro gekoppelt, eines (Bulgarien) hat seine Währung auf anderem Weg an den Euro gebunden, sechs weitere Länder sind währungspolitisch mehr oder weniger unabhängig. Es gibt Länder ohne und Länder mit Grenzkontrollen. Gegenüber den neuen Beitrittsländern gelten bei vielen gesetzlichen Bestimmungen alle möglichen Sonderregelungen. Für die KapitalistInnen ist ein Europa mit wahrhaft einheitlichen Lebensstandard und sozialen Rechten auf hohem Niveau eine Horrorvorstellung, für die über 200 Millionen abhängig Beschäftigten muss das aber das Ziel sein.
Was tun?
Die EU in der Hand der KapitalistInnen ist für diese ein großartiges Werkzeug, um per Gesetz ihre Gewinne auf Kosten der Beschäftigten zu erhöhen. Der Kampf dagegen ist gar nicht so einfach, weil die mächtigste Waffe, die die Beschäftigten zu ihrer Verteidigung haben, die Gewerkschaften, derzeit ziemlich stumpf ist. Wie bekommt man eine Gewerkschaft dazu zu kämpfen, deren Führung sich meistens darauf beschränkt zu rufen „Das werden wir so nicht hinnehmen“, um anschließend dann doch von Leiharbeit bis Betriebsverlagerung jede Schweinerei mehr oder weniger kampflos hinnimmt. Oder sich gleich darauf beschränkt, Gipfel des Stumpfsinns, an die patriotische Verantwortung der deutschen Konzerne zu appellieren.
Es gibt aber einen Weg, Widerstand zu organisieren. Der Druck muss von unten kommen. Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass ein Angriff auf die KollegInnen in irgendeinem Land gleichzeitig ein Angriff auf alle anderen ist. Ausgangspunkt ist die Überzeugung, das ein erfolgreicher Kampf für höhere Löhne in einem anderen Land auch ein Erfolg für die Beschäftigten in Deutschland ist.
Da die bestehende Gewerkschaftsführungen nicht die kämpferischsten sind, und im großen und ganzen gilt das für jedes Land, muss Druck gemacht werden und eine Alternative zu der bestehenden Führung aufgebaut werden und zwar politisch und praktisch.
Politisch, indem wir in den Gewerkschaften fordern, dass die Führung aufhört, das Projekt einer EU der KapitalistInnen zu unterstützen. Jeder Schritt den Wirtschaft und Regierung vorschlagen, muss abgelehnt werden, an vorderster Stelle die europäische Verfassung, die demnächst wieder auf die Tagesordnung kommt. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern im Gegenteil, die Gewerkschaften in allen EU-Ländern sollen ja in einer gemeinsamen, internationalen Kampagne die Verfassung ablehnen.
Praktisch bedeutet das, in den Gewerkschaften zu fordern, dass die Beschäftigten aus den verschiedenen Ländern zusammengebracht werden und gemeinsame Aktionen bis hin zu Streiks, durchgeführt werden.
Wenn wieder einmal mit Verlagerung gedroht wird, sollten wir fordern, doch mal Delegierte aus allen oder möglichst vielen Betrieben der Branche zu einer europäischen Konferenz zusammen zu holen. Da könnte man sich dann einen Überblick über die Lage in den einzelnen Ländern, die Argumente und Propaganda der Unternehmerseite verschaffen und gemeinsame Forderungen und Aktionen vereinbaren.
Bei der Gelegenheit kann man auch mal die Frage stellen, was den der europäische Dachverband der jeweiligen Gewerkschaft eigentlich das ganze Jahr so tut?
Parallel dazu muss der politische Kampf geführt werden. Dabei reicht es nicht mit der Europäischen Linkspartei einen Papiertiger zu schaffen, der in einigen Ländern, wie in Italien, sogar dazu genutzt wird die Mitgliedspartei (dort Rifondazione Comunista) zu entradikalisieren. Nötig sind praktische gemeinsame internationale Kampagnen, Solidaritätsaktionen für streikende Belegschaften und vor allem koordinierte internationale Demonstrationen und Streiks.
Die KapitalistInnen agieren ganz selbstverständlich international, auf europäischen Kongressen, Konferenzen und bei geheimen Treffen, besprechen sie, was die nächsten Schritte sein sollen, um noch effektiver ihre Profitinteressen in neue Gesetze und Verordnungen zu gießen. In der Realität handeln die Einrichtungen der Europäischen Union (u.a. die Kommission und Zentralbank) mit ihrem riesigen bürokratischen Apparat im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen in Europa.
Internationale Solidarität der ArbeiterInnenbewegung ist deshalb keine Romantik sondern Notwendigkeit.
Die SAV und die SLP sind daher Teil einer europa- und weltweiten Organisation, dem Komitee für eine ArbeiterInneninternationale (englisch CWI). Die Losung am Ende des Kommunistischen Manifests „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ ist aktueller als jemals zuvor.
EU-Erweiterungen:
1973: Dänemark, Irland, Großbritannien
1981: Griechenland
1986: Portugal, Spanien
1995: Finnland, Österreich, Schweden
2004: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn, Zypern.
2007: Bulgarien, Rumänien
Beitrittskandidaten und potenzielle Bewerberländer (laut EU)
Beitrittskandidaten (Kroatien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Türkei) sowie die potenziellen Bewerber (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien und das Kosovo gemäß Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats)