Mi 28.05.2008
Die Gesundheitspolitik beherrscht zur Zeit die Debatten in der Innenpolitik. Trotz unterschiedlicher Standpunkte sind sich scheinbar alle darin einig, dass eine „Reform“ notwendig ist. Aber worum geht es wirklich? Was Bundesregierung, UnternehmerInnen und leider auch die ÖGB-Spitze wollen ist keine „Reform“. Was unter dem Stichwort „Gesundheitsreform“ öffentlich diskutiert wird sind in Wirklichkeit weitere Einsparungen. Sie folgen der neoliberalen Sparlogik. Die Unternehmen wollen einerseits unter dem Deckmantel des „Sparens“ ihre finanziellen Beiträge senken und anderseits Schritt für Schritt in das höchst lukrative Gesundheitsgeschäft einsteigen.
Gestritten wird vor allem um die Frage, wie sehr die Einsparungen auf Kosten der niedergelassen ÄrztInnen gehen dürfen. Die „Gesundheitsreform“ ist eine Gefahr für PatientInnen und die Beschäftigen im Gesundheits- und Pflegebereich.
Wir als SozialistInnen meinen: Jeder Mensch hat das Recht auf die bestmögliche medizinische Betreuung - und zwar unabhängig von seinem Einkommen. Wir sind daher für bessere medizinische Versorgung durch die Krankenkassen und die öffentliche Hand, finanziert durch eine wirkliche Umverteilungspolitik. Unternehmen und Regierung argumentieren ihre Kürzungsvorschläge mit pseudowissenschaftlicher Propaganda. Aber gute medizinische Betreuung für alle ist leistbar, wenn der politische Wille zur Finanzierung da ist. Geld ist genug vorhanden, es ist nur in den falschen Händen. Die geplante „Reform“ ist eine Verschlechterung und gehört bekämpft.
1) Die „Gesundheitsreform“ schadet den PatientInnen
Wir sind nicht grundsätzlich gegen „sparen“ – die Frage ist nur bei wem wird warum gespart. Der verstärkte Einsatz von Generika ist gut – aber wird auch sichergestellt, dass der/die PatientIn mitreden kann? Noch hat die Gewerkschaft die Mehrheit in den Sozialversicherungen und bezahlt über die Rezepte die meisten Arzneimittel. Hier wäre ein viel stärkere Druck der Gewerkschaften zur Senkung der Arzneimittelpreise ein wichtiger Schritt. Die Profite der Pharmakonzerne explodieren - dort sollte es Einschnitte geben, nicht bei Kranken!
Dieses „Reformpaket“ wird die Situation für die PatientInnen und die Beschäftigten im Gesundheitsbereich verschlechtern. Die Überprüfung der „Wirtschaftlichkeit“ der niedergelassenen Ärzte wird den Spar- und Kostendruck weiter erhöhen. Was „wirtschaftlich“ sein soll steht nicht in der Regierungsvorlage. Der Trend geht aber eindeutig in die Richtung – je weniger Zeit mit dem Patienten und je billiger die Therapie – desto – „wirtschaftlicher“.
Die Einführung einer „Rechnung“ (Patientenquittung) dient dazu, den PatientInnen ein schlechtes Gewissen zu machen und wohl auch zur Vorbereitung weiterer Kürzungen unter dem Motto („schaut her wie teuer dass ist, dass können wir uns nicht leisten“). Die zeitliche Befristung der Verträge für niedergelassene Ärzte auf fünf Jahre läuft letztlich darauf hinaus die Zahl der niedergelassenen Ärzte zu reduzieren. Wir sind für eine Überprüfung der Ärzte durch demokratische Strukturen von Krankenkassen und PatientInnen – aber nicht nach Kostenkritieren sondern nach ihrer Qualität. Die relativ hohe Dichte von ÄrztInnen sollte beibehalten werden – könnte aber zu regionalen KassenambulatorInnen mit angestellten ÄrztInnen verschoben werden. Die Einsparungen bei den Krankenkasse bedeuten letztlich weniger Personal und wohl auch weniger Leistung. Solange die öffentliche Hand und die Kassen selbst keine – grundsätzlich begrüßenswerten – Alternativen zu den Verschlechterungen bei niedergelassenen ÄrztInnen anbieten, bedeutet die „Reform“ eine Verschlechterung für die PatientInnen.
2) Die „Reform“ schwächt die Gewerkschaften und die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung
2001 griff die ÖVP/FPÖ-Regierung den Hauptverband der Sozialversicherungsträger massiv an. Damals war der Aufschrei in den Gewerkschaften groß. Zu Recht! Ziel und Ergebnis der blauschwarzen „Reform“ war die Zurückdrängung des Einflusses der Gewerkschaften. Der damalige GPA-Chef Hans Salmutter wurde als Präsident des Hauptverbandes hinausgeworfen. Als am 14. Mai 08 die aktuelle Bundesregierung ihre „Reform“ präsentierte, gab es leider keine Proteste von Seiten des ÖGB. Im Gegenteil: über ein vorangegangenes Sozialpartnerpapier ist der ÖGB an der jetzigen Reform beteiligt.
Traurig aber wahr: Weite Teile des ÖGB machen der Regierung immer noch die Mauer obwohl die aktuelle Bundesregierung genau dort weiter macht, wo die blau/schwarz/orange Regierung aufgehört hat:
- Durch das geplante „Einstimmigkeitsprinzip“ muss hinkünftig alles von den Wirtschaftsvertretern (und damit auch von der ÖVP) genehmigt werden. Die Position der ArbeitnehmerInnen wird weiter geschwächt. Die Unternehmerseite kann jede Entscheidung blockieren.
- Durch die Umwandlung des Hauptverbandes in eine „Holding“ wird der Druck zum Einsparen massiv gesteigert. Das heißt für die Zukunft: Kürzungen sowohl bei den Beschäftigen als auch bei den medizinischen Leistungen.
3) Das Wiener Hanusch-Spital kommt neuerlich unter Druck !
Ein Ziel der jetzigen „Reform“ ist eine Schwächung der Wiener Gebietskrankenkasse. Sie ist finanziell besonders angeschlagen: In Wien gibt es auf Grund der Bevölkerungsstruktur relativ wenig Einnahmen (aufgrund der vielen Arbeitslosen, Sozialhilfe-EmpfängerInnen und PensionistInnen). Dem gegenüber stehen sehr hohe Ausgaben - nicht zuletzt weil ca. 40% der Gesundheitsleistungen in Österreich über Wien laufen (Spitäler etc.). Geht die Regierungsvorlage wie geplant durch, wird das wohl letztlich zur Privatisierung des von der Wiener Gebietskrankenkassa geführten Hanusch-Spitals führen!
Wo bleibt der ÖGB?
Eine echte „Gesundheitsreform“ wäre vor allem eine Reform der Finanzierung. Gute Beschlüsse und Vorschläge dazu gibt es von Seiten der Gewerkschaften schon sehr viele und seit langem. Was bei der Gewerkschaftsspitze fehlt, ist der politische Wille zur Umsetzung! Mit einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von den Superreichen hin ins Sozial- und Gesundheitssystem wäre vieles möglich!
Wo kann das Geld für Gesundheitswesen herkommen:
Es ist eine politische Entscheidung, wie viel Geld eine Regierung für Gesundheit in die Hand nimmt. In den letzten 10 Jahren wurden die Krankenkassen durch die verschiedenen „Reformen“ systematisch ausgehungert und ins Defizit getrieben. Um das Gesundheitssystem zu finanzieren müssten die Verschlechterungen der letzten Jahre zurückgenommen werden. Zusätzliches Geld könnte aus folgenden Quellen kommen:
- Eintreibung der Unternehmerschulden bei den Gebietskrankenkassen! (ca. 1. Mrd Euro)
- Einführung einer Wertschöpfungsabgabe: d.h. zur Bemessung der Krankenkassenbeiträge wird nicht nur die Anzahl der Beschäftigten sondern auch die Gewinne, der Umsatz, die Einsatz technischer Geräte und andere Teile der Wertschöpfung herangezogen. Die Einnahmen für die Krankenkassen können so stabilisiert werden.
- Abschaffung der Privatstiftungen: das bringt mehr Steuern für das Sozialsystem!
- Konsequenter Kampf gegen Arbeitslosigkeit statt prekären Arbeitsverhältnisse durch
- Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Gehalt. Dadurch hätten wieder mehr Menschen einen Job und auch dadurch steigen die Einnahmen der Krankenkassen
- Konsequente Lohnpolitik die sich daran orientiert die massiven Teuerungen der letzten Monate auszugleichen
Die Gewerkschaften müssen für eine echte Reform mobilisieren
Die aktuellen „Reform“vorschläge zeigen leider erneut, dass es die “Sozialpartnerschaft“ nur dann gibt, wenn sich der ÖGB dem Wirtschaftsdiktat beugt (z.B. fixiert durch das Einstimmigkeitsprinzip). Gerade im Gesundheitsbereich wäre heute ein kämpferischer Kurs deshalb dringend notwendig!
Viele GewerkschafterInnen lehnen diese geplante „Reform“ ab. Entweder als FunktionärInnen der Sozialversicherung, wie etwa der Zentralsekretär der Metallergewerkschaft Karl Hass in seiner Funktion als Obmann der Pensionsversicherung. Oder der Betriebsratsvorsitzende der VOEST und SPÖ-Abgeordneter Dietmar Keck. Kollege Hass will als PVA-Obmann gegen die „Reform“ klagen (so sie beschlossen wird), Kollege Keck will als Nationalratsabgeordneter der SPÖ gar nicht zustimmen. Wir meinen: dieser Widerstand gehört auch im ÖGB artikuliert und ausgeweitet! Der Vorschlag von Karl Haas nach einem ÖGB-Sonderkongress ist der erste Schritt in die richtige Richtung.
Wenn „Streik während der EURO“ – dann von ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften!
Der Protest der niedergelassenen ÄrztInnen bringt die Regierung unter Druck. Endlich wehrt sich jemand: aber die Proteste der niedergelassenen ÄrztInnen richten sich nur bedingt gegen jene Vorschläge der Regierung welche die Situation der PatientInnen und ArbeitnehmerInnen verschlechtern. Ein Erfolg der Proteste niedergelassenen Ärzte garantiert nicht, dass nicht noch schlimmere Dinge im Rahmen der „Gesundheitsreform“ umgesetzt werden. Es ist eine Schande, dass der ÖGB hier das Heft der Ärztekammer überlässt. Anstatt die "Reform" mitzudesignen sollte der ÖGB lieber dagegen mobilisieren, Massenproteste und die von den ÄrztInnen angedrohten "Streiks" durch die Beschäftigten im Gesundheitsbereich organisieren.
Zur Zeit gibt es Konflikte um die Gehälter und Löhne bei den SanitäterInnen, bei den Sozialversicherungs-Beschäftigten und anderen Gesundheits- und Pflegeberufen. Bei Kampfmaßnahmen dieser Beschäftigten (vor allem der SanitäterInnen) während der EURO müsste die Regierung schnell nachgeben.
Und gerade die Beschäftigen Sozialversicherungen und der Gebietskrankenkassen sind Opfer der „Reform“. Denn nach der „Gesundheitsreform“ soll ja „bei der Verwaltung“ in der Sozialversicherung gespart werden.
Wenn der ÖGB die Interessen der Beschäftigten im Gesundheitsbereich und der ArbeitnehmerInnen insgesamt vertreten wollte, dann ließen sich die aktuellen Auseinandersetzungen hervorragend mit einer Kampagne für eine echte Gesundheitsreform verbinden.
Kernpunkte einer solchen Reform müssten sein:
- Ausbau der medizinischen Versorgung durch die Krankenkassen direkt. Mehr, kleinere und lokale, Kassenambulatorien, und von den Kassen geführte, regional gut verankerte Gemeinschaftspraxen.
- Ausbau der Vorsorgemedizin insbesondere im betrieblichen Bereich
- Echte Selbstverwaltung der Krankenkassen und Sozialversicherungen durch ArbeitnehmerInnen, Jugendliche, Arbeitslose und PensionistInnen. Direktwahl der Kassen- und SV-FunktionärInnen statt undurchschaubares „Umlegen“ der AK-Wahlergebnisse
- Umverteilungspolitik- der von den ArbeitnehmerInnen geschaffen Reichtum muss weg von den Superreichen hinein ins Gesundheitssystem umverteilt werden