Di 27.08.2013
Eine revolutionäre Welle fegte 1989/90 durch die Staaten des „Ostblocks“. Die Menschen stürzten die unfähigen Cliquen, die Gesellschaft und Wirtschaft Richtung Bankrott lenkten. Es war eine echte Chance, einen echten, demokratischen Sozialismus zu erkämpfen. Doch der Westen lockte mit Versprechungen, jetzt schnell allen Menschen zu höherem Lebensstandard zu verhelfen. Kohl versprach „blühende Landschaften“, doch in Osteuropa wurde der Kapitalismus wiedereingeführt.
Was kam, war ein beispielloser Raubzug an öffentlichem Eigentum. Die staatseigenen Betriebe konnten nicht mit den westlichen, kapitalistischen Betrieben mithalten. Sie wurden verkauft und teilweise aufgelöst, nur ein kleiner Teil wurde von den neuen, privaten Eigentümern modernisiert und weitergeführt. Ab jetzt ging es um Profite. Das Lohnniveau, öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Kindergärten, Schwimmbäder usw., alles war zu teuer.
Statt dem erhofften westlichen Lebensstandard hieß es nun, man hätte über die eigenen Verhältnisse gelebt. Der Großteil der Privatisierungsmasse ging an ausländische Investoren. Diese behandelten Osteuropa nicht viel anders als die neokolonialen Staaten: Zunächst wurde die Rohstoffproduktion aufgekauft. Besonders Metalle und Kohle wurde größtenteils in den Westen exportiert. Die großen Profite mit den Rohstoffen wurden außerhalb ihrer Herkunftsländer gemacht. Eine Ausnahme war der Öl- und Erdgasbereich. Die Förderkonzerne blieben lange staatlich und kamen fast ausschließlich einer kleinen Schicht in der Regierung zugute. Das waren in der Regel FunktionärInnen des alten Regimes, die zum für sie richtigen Zeitpunkt ihre Hände auf das Staatseigentum legten. Diese Herrschenden gerieten schnell in Abhängigkeit vom Ausland. Ihre Profite reichten nicht, um sich als starke Klasse Unabhängigkeit zu verschaffen. Stattdessen wirtschafteten sie mit mafiösen Methoden, um im Wettbewerb mitzuhalten. Es entstanden korrupte, abhängige Oligarchien, die je nach ihrer Stärke mal mehr, mal weniger autoritär regierten (je schwächer desto autoritärer).
Mit der Wiedereinführung des Kapitalismus entstand auch für internationale Banken eine freie Spielwiese. Am schnellsten waren Banken aus dem „neutralen“ Österreich. Die Sonderstellung Österreichs hatte es schon vor 1989/90 zu einem regen Ost-West-Handelsplatz gemacht. Heute halten österreichische Banken über 22 % (und damit den größten) Marktanteil in Osteuropa.
Erst Ende der 1990er Jahre wanderte auch wieder Produktion in die Länder. Im globalisierten Markt konnte Osteuropa eine wichtige Ware anbieten: billige, qualifizierte Arbeitskraft. Besonders die Automobilindustrie begann Osteuropa als „verlängerte Werkbank“ zu benutzen. Eigentlich ist hier von Kolonialisierung zu sprechen. Der neue Absatzmarkt und die billigere Produktion halfen, die Wirtschaftskrise, die uns dann aber 2008 traf, noch um einige Jahre nach hinten zu verschieben.
Diese Investitionen brachten vielen Ländern eine Dekade (1998-2008) des Aufschwungs. Die Arbeitslosigkeit sank, allerdings bei niedrigstem Lohnniveau. Durch die staatstragende Rolle, die die meisten Gewerkschaften in den Diktaturen gespielt hatten, verließen die Menschen die Gewerkschaften in Scharen. Tatsächlich hatte sich auch in der Führung der Gewerkschaften wenig verändert. Durch diese Kombination hatten die ArbeiterInnen dem globalisierten Kapital kaum etwas entgegenzusetzen. Trotzdem ging es Vielen besser als noch in den 1990er Jahren. Billige Kredite der internationalen Banken ermöglichten Vielen den Bau eines Eigenheims oder die Gründung eines kleinen Unternehmens. Auch die Regierungen erhielten umfangreiche Kredite, um die industrielle Infrastruktur aufzubauen. Trotzdem blieb Osteuropa arm. Der Strom von ArbeitsmigrantInnen nach Westeuropa riss nie ab.
Österreichische Banken haben in Osteuropa Privat- und Staatskredite in Höhe von ca. 236 Mrd.€ vergeben
Als 2008 die Krise kam, war es damit aus. Besonders die Automobilindustrie war betroffen (weltweite Überproduktion ca. 40 %) und zog sich rasch aus der Region zurück. Auf einmal strebten sie wieder in die Länder mit ihrem Firmensitz, damit deren Regierungen ihnen aus der Krise half.
Gleichzeitig ging auch die Nachfrage nach Importen aus Osteuropa drastisch zurück. Wie in den Ländern der "Dritten Welt" ist Osteuropas Export aber vor allem auf Rohstoffexporte angewiesen. Die kleine verarbeitende Industrie produziert meist nur einfache Produkte, größtenteils für die Binnennachfrage.
Die Menschen verloren die Arbeitsplätze, die sie brauchten, um ihre Kredite zu zahlen, die Regierungen die Steuereinnahmen, um die Staatsschulden zu bedienen. Extrem verschärft wurde das dadurch, dass ein Großteil der Kredite in Fremdwährungen (€, Sfr) vergeben wurden. Solange die nationalen Währungen stabil waren, war das kein Problem. Aber jetzt werteten die Nationalbanken die Währungen ab, um die Exporte wieder anzukurbeln. Dadurch sank auch das Realeinkommen weiter.
Ungarn war 2008, lange vor Griechenland, das erste Land, das Finanzhilfe von EU, EZB und IWF (die „Troika“) annehmen musste.
Österreichische Banken haben in Osteuropa Privat- und Staatskredite in Höhe von ca. 236 Mrd. € vergeben (Quelle: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich). Auch schweizerische und deutsche Banken sind tief verwickelt. Ein guter Teil der Kredite ist nicht mehr einzutreiben. Entsprechend hängt auch die Stabilität des €-Raums an Osteuropa. So ist das Engagement der Troika auch in nicht-€-Ländern zu verstehen.
Griechenland zeigt deutlich, was einem Land unter der Fuchtel der Troika blüht. Auch wenn Sozial- und Bildungsabbau den jeweiligen Herrschenden eher willkommen sein mögen, führt sie der Ausverkauf des Landes an ausländische Unternehmen in totale Abhängigkeit von diesen.
Deshalb warf der ungarische Regierungspräsident Orbán die Troika erst mal aus dem Land. Im Interesse der einheimischen Reichen versuchte er, alle Kürzungen selbst durchzuführen. Die Wut der Massen versuchte er auf Roma abzulenken. Gesetze, die alle ArbeiterInnen trafen, wie Zwangsarbeit für Arbeitslose oder die Abschaffung des Kündigungsschutzes, rechtfertigte er mit angeblich faulen Roma. Andere Regierungen folgten seinen Beispiel. Gleichzeitig geht er heftig gegen jede soziale Opposition vor. Derzeit arbeitet er daran, die LehrerInnen-Gewerkschaften abzuschaffen, nachdem sie sich im Frühjahr 2013 an Protesten beteiligt hatten.
Alle Regierungen Osteuropas sind enorm instabil. Sie werden zerrieben zwischen den Interessen der Bevölkerung bzw. der nationalen sowie westeuropäischen, chinesischen und russischen herrschenden Klasse. Immer schneller verlieren die Länder ihre letzte nationale Souveränität und geraten unter den Einfluss der EU oder Russlands. Besonders Russland lockt mit Zuckerbrot (Erdgaspreise, Investitionen) und Peitsche (Erdgas abdrehen, Georgienkrieg) die Länder in seine Sphäre.
Das Beispiel Osteuropa zeigt ganz deutlich: Eine Lösung der Krise im Rahmen des Kapitalismus und auf nationaler Ebene ist unmöglich!