Fr 12.12.2014
Dieses Referat wurde beim Ortsgruppentreffen der SLP Wien-Nord gehalten.
Die revolutionäre Situation, die sich 1917 zur ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution der Geschichte zuspitzte, fiel nicht vom Himmel, sondern hatte sich lange aufgestaut. Um sie zu verstehen, ist es nötig, einen kurzen Blick zurück auf die Geschichte des modernen Russland zu werfen. Vom Spätmittelalter bis ins frühe 18. Jahrhundert hatte Russland kaum technische oder ökonomische Fortschritte erzielt und hinkte den sich bildenden modernen europäischen Großmächten in jeder Hinsicht um mehrere Jahrhunderte hinterher. Russland schien eines der vielen Länder zu werden, die die Modernisierung verpasst hatten und früher oder später von irgendeiner europäischen Macht kolonisiert würden. Zar Peter, genannt der Große, der Westeuropa gut kannte und die dramatische Unterlegenheit des in mittelalterlichen Formen erstarrten Russland begriff, unterwarf Wirtschaft, Verwaltung, Militär und Kultur um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert einem radikalen Modernisierungs- und Verwestlichungsprogramm und gründete als Ausdruck seines Ehrgeizes die städtebaulich und architektonisch in rein westlichem Stil erbaute Reißbrettstadt St. Petersburg, die die traditionelle Hauptstadt Moskau ersetzte und Russlands Wendung nach Europa versinnbildlichte. Die großen Reformprojekte trugen Früchte, und Russland blieb nicht nur von westlicher Kolonisierung verschont, sondern entwickelte sich im Laufe des 18. und frühen 19. Jahrhunderts selbst zu einer Großmacht, die aktiv in die europäische Politik eingriff und sich territorial immer weiter ausdehnte - in Osteuropa, auf dem Balkan, in Sibirien, in Zentralasien und im Kaukasus.
Aber eine moderne Bourgeoisie entwickelte sich, zumindest außerhalb der beiden Hauptstädte, nur sehr langsam, denn das Feudalsystem wurde von den Reformen Peters nicht nur nicht angetastet, sondern sogar noch erheblich verschärft. Der russische Adel hatte sich politisch zwar dem aufstrebenden absolutistischen Staat der Zaren beugen müssen, aber dieser zaristische Zentralstaat garantierte ihnen dafür die uneingeschränkte Beherrschung und Ausbeutung ihrer BäuerInnen. Freie Bauern gab es in Russland nun fast gar keine mehr, nahezu die gesamte Bevölkerung bestand aus Leibeigenen, deren rechtlicher Status praktisch dem von Sklaven entsprach. Die Adligen durften ihre Bauern nicht nur ökonomisch bis aufs Letzte auspressen und zur Zwangsarbeit einsetzen, es war auch an der Tagesordnung, dass sie von ihren Herren misshandelt, geschlagen, vergewaltigt oder sogar ermordet wurden, alles vollkommen legal. Erst nach einer Reihe von Skandalen unter Zarin Katharina im späten 18. Jahrhundert, als Orgien aufgedeckt wurden, bei denen Adlige bei ihren Saufgelagen zahlreiche leibeigene BäuerInnen erst Gruppenvergewaltigungen unterzogen und dann umgebracht hatten, wurde ein Erlass verabschiedet, wonach es nun immerhin untersagt war, seine Bauern grundlos zu töten.
Freie StadtbewohnerInnen machten im 18. Jahrhundert lediglich 4% der russischen Bevölkerung aus, und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg dieser Anteil nur auf 6%. Die anderen 96 bzw. 94% waren leibeigene BäuerInnen, denen ihre Herren alles abpressten, was über das lebensnotwendige Minimum hinausging. Eine kapitalistische Wirtschaft konnte sich unter diesen Bedingungen aus zwei Gründen nur sehr schleppend entwickeln. Erstens war diese Masse von Leibeigenen viel zu arm, um als zahlungskräftige KäuferInnen von Fertigprodukten infrage zu kommen. Und zweitens durften die Leibeigenen das Gut ihres Herrn nicht verlassen und keine Arbeit in den Städten suchen - es gab also so gut wie keine verfügbaren freien Arbeitskräfte. Manufakturen wurden zwar in bescheidenem Umfang gegründet, waren aber darauf angewiesen, dass Adlige ihnen Leibeigene als ArbeiterInnen vermieteten, wobei sie i.d.R. nicht nur den gesamten Arbeitslohn selbst einsteckten, sondern auch noch eine saftige Gebühr verlangten, was die Arbeitskosten hochtrieb. Besser als das industrielle entwickelte sich das Handelskapital, das aber aufgrund des schwachen russischen Binnenmarktes bald ebenfalls an Grenzen stieß und darauf angewiesen war, dass der Staat durch territoriale Expansion und Schaffung abhängiger Protektorate neue Absatzmärkte schuf, den Markt also quantitativ ausdehnte, wenn es schon unmöglich war, ihn ohne Umsturz des Gesellschaftssystems qualitativ auszudehnen.
Die enorme territoriale Ausdehnung Russlands im frühen und mittleren 19. Jahrhundert war kein Imperialismus im modernen Sinne, der ja gerade Ausdruck einer sehr entwickelten kapitalistischen Wirtschaft ist, sondern ganz im Gegenteil der Versuch, dem schwachen russischen Kapitalismus Expansionsmöglichkeiten zu bieten, ohne den russischen Binnenmarkt entwickeln zu müssen, wofür man das Feudalsystem hätte umstürzen müssen. Als Zar Nikolaus I. gegen Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte, das marode Osmanische Reich zum russischen Protektorat zu machen, das ganz den Interessen des russischen Handels unterworfen wäre, rief das Frankreich und England auf den Plan, die ihre eigenen kolonialen Interessenssphären in Gefahr sahen.
Im blutigen Krimkrieg von 1853-1856 wurde Russland von Frankreich und England besiegt und musste seine Pläne begraben, ganz Vorderasien für den russischen Handel zu gewinnen. Wenn das russische Kapital jetzt noch auf seine Kosten kommen wollte, musste das durch Wachstum des russischen Binnenmarktes geschehen. Dafür war aber notwendig, dass Millionen Leibeigene zu freien LohnarbeiterInnen würden, sprich: War es notwendig, das alte feudale Gesellschaftssystem in eine moderne bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft umzuwandeln. Dieses Projekt nahm Nikolaus´ Nachfolger, Zar Alexander II. in Angriff. 1861 wurde die sogenannte Bauernbefreiung proklamiert, durch die die Leibeigenschaft formell aufgehoben wurde, die Freiheit der BäuerInnen aber trotzdem beschränkt blieb: Ohne Genehmigung des Mir, der vom Grundherrn abhängigen dörflichen Selbstverwaltung, durften sie immer noch nicht wegziehen und Arbeit suchen. Außerdem erhielten die Adligen eine riesige finanzielle Entschädigung für den teilweisen Verlust ihrer Herrschaftsrechte - die BäuerInnen mussten zwangsweise die kleinen Grundstücke, die sie bisher unentgeltlich für den Eigenbedarf hatten bebauen dürfen, zu einem völlig überhöhten Preis abkaufen. Der Staat zahlte die gesamte Entschädigungssumme auf einen Schlag an die Adligen aus, und die BäuerInnen mussten sie in Raten abzahlen, was viele von ihnen ruinierte.
Die Dorfgemeinschaft spaltete sich immer mehr in zwei Klassen. Einerseits die kleine Schicht von Kulaken, wohlhabenden Bauern, die die Grundstücke ihrer ruinierten Nachbarn aufkauften und damit zu erfolgreichen kapitalistischen KleinunternehmerInnen wurden. Andererseits die Mehrheit der immer mehr verelendenden dörflichen Armut, von denen ein erheblicher Teil bald in die Städte strömte und zum Industrieproletariat wurde. Verstärkt wurde diese Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert noch durch die Reformen von Innenminister Stolypin, der die gemeinsame Steuerhaftung der Dorfgemeinschaft aufhob, um bewusst eine Klasse kapitalistischer BäuerInnen von der armen Dorfbevölkerung abzusondern und zu einer der sozialen Stützen des zaristischen Staates zu machen.
Russland blieb zwar bis zur Revolution ein agrarisches Land mit nur wenigen städtischen Inseln, aber in absoluten Zahlen hatte sich im Laufe der Zeit trotzdem eine bedeutende Industrie entwickelt - um 1900 bspw. hatte Russland in absoluten Ziffern sowohl in der Textil- als auch in der Metallindustrie Frankreich überholt. Das Industrieproletariat umfasste im frühen 20. Jahrhundert schon mehrere Millionen Menschen, und diese arbeiteten zu einem überdurchschnittlich hohen Teil in besonders modernen Riesenfabriken mit über 1000 Beschäftigten - der prozentuale Anteil dieser Großfabriken war höher als in den größten europäischen Industriemächten Deutschland und Großbritannien. Mit der Entstehung moderner Industrie entwickelte sich langsam auch eine immer politisiertere ArbeiterInnenbewegung, die bereits in den 1870er und 1880er Jahren viele große Streiks veranstaltete, zunächst aber nicht über begrenzte rein ökonomische Forderungen hinausging.
Die radikalste und aufsehenerregendste Widerstandsbewegung gegen den zaristischen Staat waren im späten 19. Jahrhundert allerdings die Narodniki (Volksfreunde), kleine Intellektuellenzirkel, die glaubten, die Revolution könne nur von der Bauernschaft ausgehen und die versuchten, eine solche Revolution durch individuellen Terrorismus auslösen zu können, indem sie hohe Verwaltungsbeamte, Polizisten und Offiziere erschossen. Der Höhepunkt ihrer Kampagne war im Jahr 1881 die Ermordung von Zar Alexander II. durch die Geheimorganisation Narodnaja Wolja (Volkswille). Aber all ihre Aktionen lösten kaum Resonanz bei den BäuerInnen aus, und so kamen viele radikale Intellektuelle zum Schluss, dass nur eine auf dem Marxismus basierende Massenagitation der ArbeiterInnen zur Revolution führen könne.
Georgi Plechanow machte als erster den Marxismus unter russischen Intellektuellen und IndustriearbeiterInnen populär und erkannte, dass die Narodniki irrten, wenn sie glaubten, die Dorfgemeinschaft könne in einem in Richtung moderner Kapitalismus fortschreitenden Staat Keimzelle des Sozialismus sein. Die ArbeiterInnen müssten die Führung übernehmen und die politisch viel passiveren BäuerInnen mit sich mitreißen. Der bedeutendste von Plechanows theoretischen Schülern war der junge Lenin. Trotz des Verbots fast aller marxistischen Literatur und ständiger Verfolgungen durch die Geheimpolizei bildeten sich überall in Russland marxistische Agitationsgruppen, die auf die Schärfung des politischen Bewusstseins der ArbeiterInnen hinwirkten. Die 1898 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands machte trotz aller polizeilichen Schikanen große Fortschritte, wobei sich bald interne programmatische Konflikte aufbauten, die 1903 zur Spaltung der Partei in Menschewiki und Bolschewiki führte. Die Menschewiki verstanden sich zwar weiterhin als MarxistInnen, glitten unter dem Einfluss der in der als Vorbild gesehenen deutschen Sozialdemokratie immer mehr dominierenden Ideologie Bernsteins aber mehr und mehr in reformistisches Fahrwasser.
Die Bolschewiki mit Lenin als ihrem wichtigsten Kopf hingegen betrachteten sich als revolutionäre Kaderorganisation, die eine Elite theoretisch gut geschulter und entschlossener Berufsrevolutionäre aufbauen wollten, deren primäre Aufgabe in der Vorbereitung auf eine revolutionäre Situation bestand, in der sie die Führung übernehmen und sie in eine echte Revolution überführen könnten. Unter den Bedingungen der zaristischen Despotie, wo legale reformistische Tätigkeit kaum möglich war, schien der Ansatz der Menschewiki immer mehr SozialistInnen absurd und erlangten die Bolschewiki bald die Oberhand.
Der unter der Oberfläche brodelnde Klassenkampf im maroden zaristischen Staat erlebte 1905 eine erste große Explosion, als die sich abzeichnende russische Niederlage im Krieg gegen Japan und damit verbundene schwere ökonomische Probleme die Legitimität der Regierung untergruben und es in der Hauptstadt zu riesigen Arbeiterdemonstrationen kam. Diese Demonstrationen trugen anfangs noch einen sehr gemäßigten Charakter, aber die Situation eskalierte, als die Armee das Feuer auf eine Arbeitermenge eröffnete, die dem Zaren eine Petition für politische und wirtschaftliche Reformen hatte überreichen wollen, wobei es hunderte Tote gab. Nun kam es im ganzen Land zu Streiks, Bauern solidarisierten sich und nahmen das Ackerland der Adligen in Besitz, Arbeiterräte wurden gebildet, Armeeeinheiten liefen zu den Aufständischen über und in den Randgebieten des Reiches entstanden Sezessionsbewegungen. Zwei Revolutionäre, die später entscheidend für die russische und die deutsche Revolution sein sollten, traten 1905 prominent in Erscheinung: In Petersburg wurde Leo Trotzki Vorsitzender des neugebildeten Sowjets, und im russisch besetzten Warschau stürzte sich die aus Deutschland angereiste Rosa Luxemburg in die Revolution, wurde von den zaristischen Truppen gefangengenommen und wäre beinahe erschossen worden. Eine Weile sah es danach aus, dass der ganze zaristische Staat zusammenbrechen würde, aber schließlich setzte sich das Regime noch einmal durch, nachdem der Großteil des Bürgertums sich nach einigem Schwanken entschlossen auf Seite des Zaren gestellt hatte, als ihm klarwurde, dass eine erfolgreiche Revolution weit über bloße bürgerlich-demokratische Ziele hinauswachsen und zur Bedrohung werden könnte.
Anfang 1906 war die Revolution weitgehend erloschen, und für einige Jahre erreichte das zaristische Regime wieder eine relative Stabilität und versanken viele RevolutionärInnen in Hoffnungslosigkeit. Ein paar schwache liberale Reformen wie die Einrichtung eines Scheinparlaments ohne echte politische Bedeutung sollten das Bürgertum zufriedenstellen. Aber nach 1910 stieg der Klassenkampf in Russland wieder steil an, die Zahl der Streiks nahm dramatisch zu, die Forderungen der ArbeiterInnen wurden immer schärfer, und 1914 stand die Hauptstadt am Rand revolutionärer Straßenkämpfe, als der Erste Weltkrieg ausbrach und die sich abzeichnende Revolution noch einmal abrupt für einige Jahre abwürgte.
Russland, das gleichzeitig Züge eines imperialistischen Staates und einer Halbkolonie aufwies, gleichzeitig Großmacht und völlig vom westeuropäischen Kapital abhängig war, war lange Zeit mit Deutschland verbündet gewesen, dann aber zum französischen und englischen Bundesgenossen geworden, als das französische Finanzkapital als Investor in der russischen Industrie und als Abnehmer russischer Staatsanleihen immer dominanter geworden war. So war der Zar 1914 an der Seite Frankreichs und Großbritanniens in den Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn eingetreten, musste aber bald feststellen, dass es zur wirksamen Kriegführung gegen eine vollentwickelte moderne Industriegroßmacht wie Deutschland nicht fähig war. Unmittelbar nach Kriegsbeginn waren russische Armeen in Ostpreußen eingerückt, dort aber in der Kesselschlacht von Tannenberg von einer zahlenmäßig weit unterlegenen deutschen Armee eingeschlossen und vernichtet worden. Obwohl Deutschland, das den Großteil seiner Truppen an die Westfront werfen musste, immer nur einen kleinen Teil seiner Armee im Osten gegen Russland einsetzen konnte, wurden die zaristischen Armeen von den Deutschen immer weiter zurückgedrängt, erst in langsamem Tempo, ab 1916/17 dann in immer beängstigenderer Geschwindigkeit. 1,9 Millionen russische Soldaten wurden getötet, weitere zehn Millionen verwundet oder gefangengenommen. Allein 1916 desertierten 1,5 Millionen russische Soldaten, die im Weiterkämpfen keinen Sinn mehr sahen.
Anfang 1917 war offensichtlich, dass Russland den Krieg verlieren würde, was den Zaren und seine unfähige militärische Führung bei der Bourgeoisie diskreditierte, die gehofft hatte, Russland würde als größere Imperialmacht gestärkt aus dem Krieg hervorgehen. Vor allem aber gärte es unter den ArbeiterInnen, BäuerInnen und Soldaten, deren Versorgungslage durch das ökonomische Chaos des Krieges immer schlimmer wurde. Bald gab es zehntausende Hungertote, und während die Menschen auf den Straßen erfroren und verhungerten, konnten die adligen und großbürgerlichen Eliten in ihren Nobelrestaurants weiterhin Partys mit sündhaft teuren Delikatessen zu Schwarzmarktpreisen feiern. Die Armeelieferanten machten in den Kriegsjahren unvorstellbare Gewinne und konnten dem Staat Waffen, Munition, Uniformen und alles, was sonst zur Kriegführung benötigt wurde zu märchenhaften Phantasiepreisen verkaufen. In dieser Lage wuchsen unter den ArbeiterInnen Wut und revolutionäre Entschlossenheit, und viele begannen mit Sympathie auf die Bolschewiki zu blicken.
Diese hatten sich unter Lenin gleich bei Ausbruch des Krieges kompromisslos gegen jede Unterstützung des russischen Staates gestellt, ganz anders als die meisten anderen sich als marxistisch verstehenden Parteien Europas, die sich, durch jahrelange reformistische Degeneration innerlich zersetzt, plötzlich als gute regierungstreue Patrioten gezeigt hatten, die proklamierten, der Klassenkampf müsse warten, bis die eigene imperialistische Regierung gegen die angebliche Aggression einer angeblich noch schlimmeren imperialistischen Regierung verteidigt sei. Besonders würdelos war der Zusammenbruch der deutschen Sozialdemokratie, als größte und am besten organisierte marxistische Partei der Welt bisher Vorbild der ganzen sozialistischen ArbeiterInnenbewegung. Aber 1914 zeigte sich, dass Bernsteins reformistische Ideologie mittlerweile völlig in der Partei vorherrschte und revolutionäre MarxistInnen wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin nur noch eine isolierte kleine Minderheit bildeten.
Als Lenin die Nachricht erreichte, dass die SPD im Reichstag für die Bewilligung der Kriegskredite gestimmt und die Arbeiter aufgerufen hatte, für Kaiser und Vaterland an die Front zu ziehen, hielt er das zuerst für eine unglaubwürdige alliierte Propagandalüge. Als ihm klar wurde, dass das den Tatsachen entsprach und die meisten anderen sozialistischen Parteien Europas sich auch nicht anders verhielten, analysierte er dieses Umfallen sogleich als intellektuellen und moralischen Tod der II. Internationale. Im Gegensatz dazu rief Lenin im Oktober 1914 in "Der Krieg und die russische Sozialdemokratie" die russischen ArbeiterInnen dazu auf, nicht zu vergessen, dass die russische Regierung ihr natürlicher Feind sei und an ihrem Sieg nichts Wünschenswertes. Bei den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal 1915 und 1916 nahm Lenin Verbindung zu den wenigen anderen MarxistInnen auf, die 1914 standhaft geblieben und nicht dem patriotischen Delirium verfallen waren. Dort anwesend war auch Trotzki, der das berühmte Zimmerwalder Manifest abfasste und damals zwar kein Mitglied der Bolschewiki war, sich Lenin aber zunehmend wieder annäherte, nachdem sie jahrelang zerstritten gewesen waren.
So hatten die Bolschewiki im Gegensatz zu vielen anderen marxistischen Parteien ihre volle moralische Integrität bewahrt, als der Krieg in seine dramatische Schlussphase eintrat. Doch auch die Bolschewiki wurden vom Ausbruch der ersten Phase der Revolution im Februar 1917 überrascht. Es begann mit einem Streik von ArbeiterInnen der riesigen Putilow-Rüstungswerke in Petrograd, wie die Hauptstadt seit 1915 hieß, weil man es peinlich gefunden hatte, eine Hauptstadt mit deutschem Namen zu haben, während man mit Deutschland Krieg führte.
Als die Direktion mit der Aussperrung von 30 000 ArbeiterInnen reagierte, kam es zu Großdemonstrationen und solidarischen Streiks, die sich wie ein Lauffeuer auf alle Wirtschaftsbereiche ausdehnten. Schnell war der Großteil des Petrograder Proletariats mit roten Fahnen auf der Straße, die angestaute Frustration über den Hunger und das Kriegselend entluden sich in einem Ausbruch revolutionärer Energie, der bald auch große Teile der Petrograder Garnison ansteckte, die ja überwiegend aus armen Bauernsöhnen bestand, die den Arbeitern mit Sympathie begegneten. Die Soldaten stellten sich schützend vor die DemonstrantInnen, jagten die Polizei auseinander, und innerhalb weniger Tage löste sich der zaristische Verwaltungs- und Repressionsapparat erst in der Hauptstadt, dann auch in den anderen größeren Städten auf.
Der Zar befahl den Truppen von seinem Feldhauptquartier aus, den Aufstand niederzuschießen, aber unter den Soldaten interessierte sich kaum noch jemand für seine Befehle, und nur sporadisch trafen die ArbeiterInnen und übergelaufenen Soldaten auf bewaffneten Widerstand, der mühelos überwältigt wurde. Als klar war, dass die Armee eine Offensive gegen die rebellische Hauptstadt verweigern würde, musste der Zar abdanken und wurde mit seiner Familie gefangengenommen. Der zaristische Staat hatte sich innerhalb einer Woche fast gewaltlos aufgelöst. Entscheidend dafür war, dass es außer einer handvoll adliger Reaktionäre keine gesellschaftliche Klasse mehr gab, die noch Sympathien für dessen überholtes absolutistisches Regime besaß. Die ArbeiterInnen standen ihm ohnehin feindlich gegenüber. Die Bauern waren seit Kriegsbeginn immer feindseliger geworden, seitdem man ihre Lebensmittel beschlagnahmte oder zu Spottpreisen zwangsweise einkaufte und seitdem man ihre Söhne millionenfach zur Armee einzog, von wo sie oft nicht mehr lebend zurückkamen.
Und das Bürgertum zweifelte zunehmend an der Fähigkeit des Zaren, den Krieg erfolgreich zu Ende zu führen, ja, man mutmaßte sogar, dass er vor Deutschland kapitulieren und sein schwankendes Regime dadurch retten wolle, während die russische Bourgeoisie hoffte, sich bis zum erwarteten Sieg der Westalliierten weiterschleppen und dann die imperialistischen Früchte des Sieges auskosten zu können. Die wirren Ideen des Zaren von mittelalterlichem Gottesgnadentum und seine wachsende Unterordnung unter den ekstatisch-religiösen Hokuspokus des ehemaligen Mönches Rasputin taten ein Übriges, die Geduld der Bourgeoisie überzustrapazieren, die als ökonomisch tonangebende Klasse nun auch politisch mitbestimmen wollte.
Die ArbeiterInnen, die den Zaren mit ihrem improvisierten Aufstand im ersten Anlauf gestürzt hatten, hatten das mit einer wenn auch noch nicht immer klar formulierten, aber eindeutigen sozialistischen Zielsetzung getan und sich eine neue Regierung gewünscht, die den Krieg beendet und die ökonomischen Interessen der ArbeiterInnen und armen BäuerInnen durchsetzt. Aber die von der Situation überrumpelten linken Parteien dachten gar nicht daran, die ihnen auf dem Silbertablett angebotene Macht anzunehmen, und die Bolschewiki, die während des Krieges verboten worden waren, tauchten gerade erst wieder aus dem Untergrund auf, um sich zu reorganisieren.
So bildete sich aus den im Parlament vertretenen legalen Parteien eine bürgerliche provisorische Regierung unter der Regie Pawel Nikolajewitsch Miljukows, des Fraktionsvorsitzenden der Kadettenpartei, einer rechtsliberalen großbürgerlichen Partei, die im Laufe der kommenden Monate immer weiter nach rechts rückte und schließlich zum Sammelpunkt aller antikommunistischen, monarchistischen und sonstigen reaktionären Kräfte wurde. An die Spitze dieser Regierung wurde der Fürst Lwow gestellt, ein hochadliger Verwandter des Zaren. Die Menschewiki hießen diesen rein bürgerlichen Charakter der provisorischen Regierung ausdrücklich gut, denn in ihrer beschränkt mechanistischen Anwendung dessen, was sie unter Marxismus verstanden, musste ein noch feudal und agrarisch geprägtes Land wie Russland erst eine bürgerlich-demokratische Phase durchlaufen, ehe es zum Sozialismus fortschreiten durfte.
Demgegenüber vertrat Trotzki, der im Frühjahr 1917 aus dem Exil nach Russland zurückkehrte und sich wenig später den Bolschewiki anschloss, schon seit dem Vorabend der Revolution von 1905 die Ansicht, dass die Revolution in einem Land wie Russland vom noch kleinen Proletariat angestoßen und dann vom Aufstand der armen BäuerInnen getragen werden müsste, während die russische Bourgeoisie unfähig sei, aus eigener Kraft den Absolutismus auch nur durch eine bürgerlich-liberaldemokratische Ordnung ersetzen zu können. Beide Einschätzungen erwiesen sich dreizehn Jahre später als völlig richtig.
Wer anfangs noch Illusionen darüber hegte, die provisorische Regierung werde einen radikalen Bruch mit dem alten System bewirken, wurde bald eines Besseren belehrt. Außenpolitisch hielten Miljukow und Co am Bündnis mit den Alliierten fest und beharrten darauf, dass Russland bis zum Sieg über die Mittelmächte weiterkämpfen müsse. Als Belohnung sollte eine Ausdehnung des russischen Imperialismus auf dem Balkan und in Vorderasien und besonders die Kontrolle über Bosporus und Dardanellen winken - also etwa dieselben Ziele, für die sechzig Jahre zuvor schon Zar Nikolaus I. im Krimkrieg gekämpft hatte. Dass Russland militärisch nicht mehr in der Lage war, noch lange durchzuhalten und die Armee durch Massendesertion zerfiel, beeindruckte sie dabei nicht. Innenpolitisch wurden weiterhin die wirtschaftlichen Interessen der großen Kapitalisten durchgesetzt, einige zaghafte linke Reformmaßnahmen nach einer Weile wieder zurückgenommen und Bauernaufstände mit Gewalt beantwortet, wenn die armen BäuerInnen anfingen, sich das Ackerland der Adligen auf eigene Faust anzueignen.
Doch die provisorische Regierung herrschte nicht alleine. Wie schon in der Revolution von 1905 bildeten sich in Petersburg und vielen anderen Städten in den einzelnen Betrieben gewählte Arbeiterräte, denen sich bald in den einzelnen Einheiten gewählte Soldatenräte hinzugesellten und die sich auch nach Bildung der provisorischen Regierung nicht auflösten. Diese Arbeiter- und Soldatenräte hatten mindestens genauso großes politisches Gewicht wie die Regierung, und die Waagschale neigte sich immer mehr auf die Seite der Sowjets. Es trat eine Situation ein, die Trotzki als "Doppelmacht" bezeichnete.
In den Sowjets gaben zunächst Menschewiki und Sozialrevolutionäre den Ton an. Die Sozialrevolutionäre waren aus der früheren Bewegung der Narodniki hervorgegangen und trotz ihres kämpferisch klingenden Namens alles andere als Revolutionäre, sondern verhielten sich als zahme reformistische Linksliberale, die mit Alexander Kerenski sogar einen Minister in die provisorische Regierung entsandten, wo er sich als einer der kriegsbegeistertsten Imperialisten erwies. In dieser Lage, als die in den Sowjets dominierenden reformistischen Linken und die bourgeoisen Parteien der provisorischen Regierung ihren Frieden geschlossen hatten, gerieten sogar die Bolschewiki in Verwirrung und konnte Stalin eine Fusion mit den reformistischen Menschewiki vorschlagen, ohne damit Protest auszulösen. Das Blatt wendete sich im April, als Lenin aus dem Exil in der Schweiz nach Russland zurückkehrte und die Partei mit den berühmten Aprilthesen wieder auf Kurs brachte, in denen er das Bündnis mit der provisorischen Regierung verwarf und forderte, die Bolschewiki müssten sich auf eine zweite proletarische Revolution vorbereiten und dann eine dritte Internationale aufbauen, die die russische Revolution in den Startschuss der Weltrevolution verwandeln würde.
Lenins revolutionäre Energie stieß zunächst bei den meisten führenden Bolschewiki auf Befremden, aber die provisorische Regierung kompromittierte sich jeden Tag ein Stück mehr unter ArbeiterInnen und BäuerInnen, sodass immer mehr Menschen nach einer radikalen Alternative suchten und Lenin sich schließlich damit durchsetzen konnte, die Bolschewiki glaubhaft als diese radikale Alternative zu präsentieren. Die wachsende Kluft, die nun zwischen den Bolschewiki und den reformistischen linken Parteien bestand, zeigte sich Anfang Mai, als die Veröffentlichung von Dokumenten, die die imperialistischen Kriegsziele der Regierung offenlegten, einen solchen Proteststurm entfachten, dass man zur Beschwichtigung eine Regierungsumbildung vornehmen musste. In dieser neuen Regierung bildeten vier Kadetten, drei Menschewiki und zwei Sozialrevolutionäre einen Block, waren rein bürgerliche und linksreformistische Parteien brüderlich verbunden, während sich um die jetzt sehr rasch wachsenden Bolschewiki die politisch fortgeschrittensten revolutionären ArbeiterInnen sammelten.
Der Sozialrevolutionär Kerenski wurde in dieser neuen Regierung Kriegsminister und plante sofort eine neue Offensive gegen die immer näherkommenden deutschen Armeen, von der er wusste, dass sie militärisch aussichtslos war, die den Alliierten aber beweisen sollte, dass Russland weiterhin ein zuverlässiger Bündnispartner sei. Die demoralisierten, unterernährten und schlecht ausgerüsteten russischen Soldaten wurden unter hohen Verlusten schnell von den Deutschen zurückgeworfen, und Kerenski fasste den Plan, die Petrograder Garnisonstruppen an die Front zu werfen. Die Popularität der Bolschewiki, die seit Monaten steil anstieg, erreichte einen neuen Höhepunkt unter den Soldaten, als diese Pläne Kerenskis bekannt wurden. Die in Petrograd stationierten Truppen hatten ein besonders ausgeprägtes politisches Bewusstsein, neigten stark den Bolschewiki zu und weigerten sich rundweg, an die Front zu marschieren. Stattdessen begannen Teile der Garnison, unterstützt von Matrosen der Marinebasis Kronstadt, gegen die provisorische Regierung zu revoltieren, und schnell schlossen sich ihnen tausende ArbeiterInnen an, die die Gelegenheit nutzen wollten, die zweite Revolution jetzt gleich durchzuführen.
Die Bolschewiki versuchten, sie davon abzubringen, in der richtigen Einschätzung, dass man zwar leicht die Macht in Petrograd übernehmen könne, die Provinz aber noch nicht reif sei und sich feindlich verhalten würde. Trotzdem stellten sie sich an die Seite der ArbeiterInnen, als deren unkoordinierte Revolte nach einigen Gefechten mit regierungstreuen Einheiten scheiterte. Die Bolschewiki wurden harten Repressionsmaßnahmen unterworfen, Trotzki und viele andere verhaftet, während Lenin in den Untergrund gehen musste, wo er sein Meisterwerk "Staat und Revolution" verfasste.
Kerenski, der nun zum Regierungschef an der Spitze eines verkleinerten Rumpfkabinetts aufstieg, glaubte, mit diesem vorläufigen Sieg über die revolutionäre Linke seine Regierung dauerhaft gesichert zu haben, aber deren Autorität verfiel immer weiter. Auf dem Land tobte mittlerweile ein ausgewachsener Bauernkrieg, den die Regierung selbst mit militärischen Maßnahmen nicht mehr unter Kontrolle bekam. Die ArbeiterInnen in den Städten interessierten sich immer weniger für die Regierung, die ihre Interessen verraten hatte und konzentrierten sich stattdessen auf die Sowjets, in denen sich ein Linksruck abzeichnete.
Und die Bourgeoisie schließlich betrachtete die Juli-Unruhen als weiteren Beleg dafür, dass die schwache Regierung unfähig war, die Ordnung aufrechtzuerhalten und eine härtere Hand hermusste, um das sich radikalisierende Proletariat wirksam im Zaum zu halten. Ideen von einer rechten Militärdiktatur schwirrten durch die Luft, und bald war der richtige Mann gefunden: General Kornilow, von Kerenski gerade erst zum neuen Oberbefehlshaber ernannt und bekannt dafür, mit drakonischen Strafen die Disziplin in der Armee wiederherstellen zu wollen. Adel, Großbürgertum und Reaktionäre jeder Schattierung begrüßten den Gedanken, Kornilow zum Militärdiktator zu machen und ihn die Linke ein für alle mal vernichten zu lassen. Später, während des Bürgerkrieges, skizzierte Kornilow sein Programm folgendermaßen: "Selbst wenn wir halb Russland niederbrennen und das Blut von drei Vierteln der Bevölkerung vergießen müssen, wir werden es tun, wenn es zur Rettung Russlands notwendig sein sollte." Aber Kornilows Putschversuch im August scheiterte kläglich, als die Sowjets die ArbeiterInnen zum Widerstand aufriefen, die daraufhin die Transport- und Kommunikationsmittel der Putschisten lahmlegten und ihre Truppen dazu bewegten, sich scharenweise von Kornilow zu trennen, der bald aufgeben musste.
Noch einmal bekam Kerenski eine Gnadenfrist von einigen Monaten, aber seine Regierung wurde dabei immer schattenhafter. Kaum jemand kümmerte sich noch um die Anordnungen, die immer noch Tag für Tag von seinem Palast ausgingen. Der totale Vertrauensverlust der provisorischen Regierung unter den ArbeiterInnen und ihr scharfer Linksruck zeigten sich, als die Bolschewiki im September bei den Neuwahlen der Petrograder Sowjets zur stärksten Kraft aufstiegen und Trotzki wie schon in der Revolution von 1905 wieder zum Petrograder Sowjet-Vorsitzenden gekürt wurde.
Am Leben erhalten wurde die Regierung Kerenski nur noch durch die Feindschaft des im Juni zusammengetretenen ersten Zentralexekutivkomitees der Sowjets gegenüber den Bolschewiki. Dieses erste Zentralexekutivkomitee war zu einem Zeitpunkt gewählt worden, als noch sehr viele ArbeiterInnen Illusionen in die linksreformistischen Fraktionen hegten und war von den Sozialrevolutionären und Menschewiki dominiert. Aber im Spätsommer spiegelte diese Zusammensetzung nicht mehr die reale Stimmung in den Betrieben wieder, wo die ArbeiterInnen erkannten, dass von diesen Parteien kein grundlegender Wandel zu erwarten war.
Im ganzen Land wandten sich die Menschen in Massen weg von den diskreditierten Sozialrevolutionären und Menschewiki den Bolschewiki zu, die jetzt auch außerhalb der Hauptstädte mit dem Rückhalt der Massen rechnen konnten und sich auf die zweite Phase der Revolution vorbereiteten, wobei sie von der Linksabspaltung der Sozialrevolutionäre unter Maria Spiridonowa unterstützt wurden. Dementsprechend versuchte das Zentralexekutivkomitee Neuwahlen in den Betrieben und Militäreinheiten zu verhindern, die höchstwahrscheinlich zu einer bolschewistischen Mehrheit geführt hätten, und so kam es, dass die Bolschewiki und der Petrograder Sowjet unter ihrer Leitung die zweite Phase der Revolution gegen den Widerstand des Zentralexekutivkomitees vorbereiten mussten.
Trotzki bildete als Vorsitzender des Petrograder Sowjets aus bewaffneten Arbeitern Rote Garden und gründete am 16. Oktober das militärrevolutionäre Komitee des Petrograder Sowjets, das die Stimmung unter den Garnisonstruppen sondierte und fast alle in der Hauptstadt stationierten Truppen dazu brachte, den bevorstehenden Aufstand der Bolschewiki aktiv zu unterstützen oder zumindest mit wohlwollender Neutralität zu billigen. Neun Tage später eröffnete ein Signalschuss des Panzerkreuzers Aurora die Oktoberrevolution, während derer die Bolschewiki innerhalb weniger Stunden die Hauptstadt unter ihre Kontrolle brachten und die Regierung Kerenski verjagten.
Der fast vollkommen unblutige Verlauf der Aktion widerlegt eindrucksvoll die von bürgerlichen AutorInnen wiederholte Behauptung, es habe sich dabei um einen Putsch gehandelt - tatsächlich aber standen ArbeiterInnen und Soldaten so geschlossen auf der Seite der Bolschewiki, dass außer ein paar adligen Offiziersschülern niemand ihrer Machtübernahme Widerstand entgegensetzte. Die Kerenski-Regierung fiel nahezu ohne einen Schuss, nachdem die monatelange wirkungsvolle Agitation der Bolschewiki Gewaltanwendung unnötig gemacht hatte. Am Abend desselben Tages traten auf dem allrussischen Sowjetkongress in Petersburg Vertreter der Arbeiter- und Soldatenräte von 400 russischen Städten zusammen, deren Zusammensetzung den Linksruck im Land widerspiegelte: 390 Bolschewiki, 160 Sozialrevolutionäre und 72 Menschewiki.
Die Machtübernahme der Bolschewiki wurde von der Mehrheit der Delegierten gebilligt und sofort drei fundamentale Beschlüsse angenommen. Der erste beschloss sofortige Waffenstillstandsverhandlungen. Der zweite die Enteignung der Großgrundbesitzer und die Aufteilung ihres Landes unter den armen BäuerInnen. Der dritte proklamierte das Selbstbestimmungsrecht aller Völker des russischen Reiches. Die sozialistische Sowjetrepublik war geboren, der noch ein schwerer, wechselvoller und dramatischer Überlebenskampf bevorstehen sollte - aber das wäre Stoff für ein weiteres Referat.