Fr 13.05.2022
Bundesweit organisierten die Gewerkschaften zum Tag der Pflege am 12.5. in verschiedenen Städten Demonstrationen - ein richtiger und wichtiger Schritt, und die erste Mobilisierung in diesem Bereich seit November letzten Jahres. Bis zu einem gewissen Grad ist es richtig, die plötzliche Veröffentlichung der jahrelang absichtlich verschleppten Pflegereform durch die Regierung mit den gewerkschaftlichen Mobilisierungen in Verbindung zu bringen: Offenbar reagierte die Regierung auf den wachsenden Unmut. Das zeigt, dass es Mobilisierungen und konkrete betriebliche Kämpfe sind, die tatsächliche Verbesserungen erreichen können. Doch diese Verbindung gilt auch in die andere Richtung: halbherzige Mobilisierungen erreichen allerhöchstens halbherzige und letztlich wirkungslose Reformen. Die Pflegereform der Regierung ist gerade mal ein Tropfen auf den heißen Stein - oder “ein Witz in einem Sackerl”, wie eine Kollegin auf der Demo in Wien meinte.
-> Unsere Ausführliche Analyse der Pflegereform könnt ihr hier nachlesen: https://www.slp.at/artikel/pflegereform-ein-tropfen-auf-dem-hei%C3%9Fen-...
Doch das hindert die Führungen der zuständigen Gewerkschaften GPA, vida, Younion und GÖD jedoch nicht, die Pflegereform als ihren Erfolg zu verbuchen.Von nun an wollen sie sich darauf beschränken, sich die Umsetzung der Reform “ganz genau anzuschauen”, und, wenn es nötig sei, “die nächste Demo” zu machen. Und genau hier liegt das Problem, das schon am 12.5. spürbar war: Die Mobilisierungen, insbesondere in Wien, blieben hinter den Erwartungen zurück waren. Es waren zwar viele Kolleg*innen da, die ihre Wut über die aktuellen Zustände mitbrachten - doch viele berichteten auch, als einzige von ihrer Einrichtung/Station etc. gekommen zu sein. Auch hörten wir oft, dass es keine systematische Mobilisierung in Betrieben für die Demo gegeben hat - ein Plakat im Pausenraum ist halt keine Mobilisierung. Das konnten auch all die Lautsprecher auf den Partybussen und all die verteilten Trillerpfeifen nicht übertönen.
Aktionsplan nötig!
Das liegt keineswegs daran, dass die Kolleg*innen mit der Pflegereform zufrieden wären und deswegen keinen Sinn in Mobilisierungen sehen würden. Im Gegenteil: Viele sehen nur keinen Sinn darin, einfach immer wieder zur “nächsten Demo” zu gehen, ohne dass von den Gewerkschaften ein konkreter Aktionsplan vorliegt, der jede Mobilisierung für den nächsten, weiterreichenden Schritt nutzt - bis hin zu bundesweiten Streiks.
Wie ein Schritt innerhalb eines solchen Aktionsplans aussehen könnte, zeigte etwa der Betriebsratsvorsitzende des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Linz. Am 12.5. riefen die Kolleg*innen zur öffentlichen Betriebsversammlung und luden auch aktiv Kolleg*innen anderer Pflegeeinrichtungen dazu ein, sich an dem Protest zu beteiligen. So kam echte Solidarität von unten zustande, anstatt dass wie üblich die Gewerkschaftsbürokrat*innen sich gegenseitig auf Bühnen besuchen und leere Worthülsen austauschen, auf die keine konkrete Solidarität in Form gemeinsamer Kämpfe folgt.
So ein Aktionsplan könnte mit einer Umfrage unter allen Beschäftigten über die wichtigsten Forderungen starten, die dann als nächsten Schritt auf Betriebsrät*innenkonferenzen und Betriebsversammlungen im ganzen Land diskutiert werden. Das Ergebnis dieses Prozesses sollte nicht nur ein klarer Forderungskatalog, sondern auch ein Aktionsplan zur Durchsetzung - von den Kolleg*innen demokratisch erarbeitet sein. Ein Aktionsplan zur Durchsetzung tatsächlicher Verbesserungen wird nicht ohne Streiks auskommen. Durch eskalierende Streiks kombiniert mit öffentlichem Druck und Demonstrationen könnte man die Regierung wahrscheinlich schnell in die Knie zwingen. Zur Organisierung so einer Bewegung und Rückkoppelung an die Stationen, können an allen Stationen Vertrauenspersonen gewählt werden, die wiederum regionale und bundesweite Koordination wählen. Wenn Beschäftigte auf diese Art und Weise tatsächlich ihren Kampf demokratisch gestalten können und eine Perspektive auf einen Erfolg haben, ist man auch eher dazu bereit, seine wertvolle Freizeit zu opfern. Nur eine solche Eskalationsstragie, die mutig und offen in die Betriebe getragen wird, die bereits streikbereiten Kolleg*innen den Rücken stärkt und auf Zweifel oder Ängste anderer Kolleg*innen offen durch Streik-Workshops etc. zugeht, ist in der Lage, die notwendige Mobilisierungskraft aufzubauen, um die ebenso notwendigen Verbesserungen zu erkämpfen.
Eine wichtige kommende Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang sind die Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Gesundheits- und Sozialbereich (Sozialwirtschaft Österreich, SWÖ), ein Bereich indem es viele kämpferische Betriebsräte und aktive Kolleg*innen gibt.
Wir sind streikbereit!
Als Sozialist*innen sehen wir es als unsere Aufgabe, konkrete Vorschläge in Mobilisierungen hineinzutragen, wie weitere Schritte im Kampf für Verbesserungen aussehen können. Am 12.5. wäre es wichtig gewesen, dass Organisationen mit sozialistischem Anspruch wie die KPÖ in Graz nicht nur als Demoblock mitmarschieren, sondern ebenfalls aktiv ihre Ideen für einen Aktionsplan einbringen. Ohne diesen Anspruch geraten linke Organisationen in die Gefahr, als unkritische Zubringer für halbherzige Mobilisierungen der Gewerkschaftsbürokratie wahrgenommen zu werden.
Darum intervenierte die ISA in Linz, Graz und Wien am 12.5. nicht nur mit der Forderung nach Streiks in der Pflege, sondern auch mit Angeboten, wie auf solche Streiks hingearbeitet werden kann. Dass es eine Basis für einen solchen Aktionsplan gibt, zeigten nicht die Reaktionen der Kolleg*innen auf die Petition der Kampagne “#streikbereit”, die ISA-Aktivist*innen mit der Initiative “Sozial, aber nicht blöd” auf den Demos verbreiteten: “Ja, genau, streiken müssen wir! Alle raus aus dem Pflegeheim und unter der Woche eine Kreuzung blockieren - nur so hören die uns!”, meinte etwa eine Wiener Pflegerin. Wir sammelten zahlreiche Unterschriften für konkrete betriebliche Kampfmaßnahmen, auch das Streik-Handbuch der ISA stieß auf großes Interesse.
In Wien organisierten ISA-Aktivist*innen gemeinsam mit “Sozial aber nicht blöd” einen kämpferischen Demoblock, der dem inhaltslosen Lärm seitens der Demo-Organisation Slogans wie “Mehr Personal in Pflege und Spital” und “Heute Demo, Morgen Streik”, entgegenstellte. Insbesondere Pflegeschüler*innen schlossen sich lautstark dem Block an. Für diese jungen Kolleg*innen lag auch die Verbindung des Kampfes für bessere Arbeitsbedingungen mit dem Kampf gegen Sexismus und Frauenunterdrückung auf der Hand - und entsprechend auch die Notwendigkeit eines sozialistischen Feminismus, wie ihn die von der ISA initiierte Plattform ROSA vertritt. Deswegen organisierten ROSA-und ISA-Aktivist*innen in Linz auch gemeinsam mit dem Bündnis “Do It Yourself: Frauentag Linz” am 12.5. auch eine eigene Kundgebung zum Tag der Pflege. Bei dieser drückten nicht nur zahlreiche Passant*innen ihre Unterstützung aus, sondern es ergaben sich auch einige Diskussionen mit Beschäftigte aus der Pflege über die aktuelle Situation.
Der 12.5. zeigte also sowohl das Potential, das in diesem Bereich weitere Kämpfe liegt, aber auch die Zögerlichkeit der Gewerkschaftsführung. Es besteht die reale Gefahr, dass die Kombination aus beschlossener Pflegereform seitens der Regierung und Planlosigkeit seitens der Gewerkschaftsführung eine demobilisierende Wirkung entfaltet. Das darf nicht passieren. Eine Kollegin aus Wien sprach wohl vielen aus der Seele, als sie nach der Demo öffentlich auf Facebook postete:
“Ich bin hier nicht in Partystimmung, ich will Reformen die uns weiterbringen und kein Downgrade das hier bei der nichtssagenden Reform angekündigt worden ist!
Wir brauchen keinen Bonus auf Zeit!
Wir brauchen keine Pflegelehre!
Wir brauchen eine bessere Personalberechnung!
Eine Gehaltserhöhung und keinen Bonus!
Eine Gehaltsanpassung an den Erworbenen Kompetenzen!
Ich bin seit über 20 Jahren Gewerkschaftsmitglied, aber sowas von enttäuscht von dieser.”
Doch anstatt zu resignieren, schloss sie mit der richtigen Forderung:
“Wir müssen sie [die Gewerkschaft] von der Basis an reformieren, damit sie sich endlich ihrer Bestimmung wieder gesinnt!”