Sa 01.11.2003
Recht ist immer das Recht der Herrschenden. Das Lehenswesen hatte seine rechtlichen Konstruktionen und so hat es auch der Kapitalismus. Dies beginnt mit der Installation des Privateigentums und dem Pfandrecht und hört auf beim Erbrecht - alles das sind rechtliche Grundvoraussetzungen, um Kapital zu akkumulieren und möglichst den eigenen Kindern weiterzuvererben. Der Vollziehung und Sicherung dieser Institutionen dient einerseits die Rechtsprechung, für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung andererseits die Verwaltung.
Alle Menschen sind gleich?
Zentral für die bürgerliche Ideologie ist das Modell des Vertrages. Voraussetzung für sein Zustandekommen ist - laut Lehrbuch - die Übereinstimmung zweier Willenserklärungen. Das bürgerliche Recht geht hierbei davon aus, dass der Wille beider Parteien frei gebildet wird. Vollkommen ausgeblendet wird hierbei die Realität der zwischenmenschlichen Beziehungen - diese sind geprägt von realen Abhängigkeiten: Lohnabhängige haben einen anderen Verhandlungsspielraum für das Zustandekommen ihres Arbeitsvertrages. Konsumenten andere Spielräume für den Kaufvertrag, den sie mit dem REWE-Konzern beim Billa - Einkauf abschließen. Kollektivverträge, Mieterschutz, Konsumentenschutz sind durch die ArbeiterInnenbewegung erkämpft worden, um diese mangelnde Verhandlungsmacht zumindestens zu mildern.
Streik macht Menschen "gleicher"
Die einzige Situation, bei der bei Lohnverhandlungen und im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen das Kräfteverhältnis der "Vertragsparteien" stärker ausgeglichen wird, ist ein Streik. Eine gut gefüllte Streikkasse und gut organisierte, kämpferische Streikende verfügen durchaus über eine viel bessere Verhandlungsposition, als Arbeitnehmer im Normalfall : Das ist der Grund, warum trotz kapitalistischer Krise der Achtstundentag eingeführt wurde und Unternehmer "trotz immer enger werdender wirtschaftlicher Spielräume" dazu gebracht werden konnten, in die Sozialversicherung einzuzahlen.
Gibt es ein Recht auf Streik?
In Zeiten der Sozialpartnerschaft wurde auf das Mittel des Streiks verzichtet. Der ÖGB erklärte gemeinsam mit der Unternehmerseite Streiks als überholt und überflüssig. Auf ein Streikrecht wurde deshalb von beiden Seiten verzichtet - warum etwas regeln, dass es nicht gibt? Die Zeiten haben sich geändert. Überall wird die Krise des Kapitalismus genutzt, um Errungenschaften abzuschaffen. Lang erkämpfte Regelungen werden durch die neoliberale Offensive in allen Bereichen zurückgenommen: Die Zerschlagung des Pensionssystem, die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, das Ende des freien Hochschulzugangs, usw. sind nur einige von zahlreichen Bereichen, in denen "Reformen" für Verschlechterungen für die Menschen gesorgt haben. Um diese Errungenschaften zumindest zu erhalten, wenn nicht sogar neue zu erkämpfen, wäre es immer öfter notwendig, dass wir streiken. Das Recht auf Streik muss (zurück-)erobert werden!
Das neue "Streikrecht" - Interpretationsspielräume
Unternehmer haben bei einem Streik meistens die Medien und damit die öffentliche Meinung auf ihrer Seite. Auch das Justizwesen ist kein Garant dafür, dass die Schwächeren gestärkt werden. Im Gegenteil: Je schärfer der Wind des Klassenkampfes um die Ohren pfeift, desto mehr werden die bewährten "Vertragskonstruktionen" aus der Zwischenkriegszeit wieder angewandt. In Zeiten der Sozialpartnerschaft wurde die Rechtslage hauptsächlich so interpretiert, dass der Staat sich neutral gegenüber den Arbeitskämpfen verhalten muss - eine der wenigen klaren Regelungen im Gesetz, die den Streik berücksichtigt, ist ein Vermittlungsverbot des AMS in vom Arbeitskampf betroffene Gebiete. Eine zustellfreudige Richterin, die mit einer Einstweiligen Verfügung, die sie persönlich überreichte, eine Betriebsversammlung der AUA-Belegschaft illegalisierte, zeigte dass es auch weniger neutral geht: Die Justiz hat Interpretationsspielräume: Jeder Streik, jede Betriebsversammlung während der Arbeitszeit ist betriebsschädigend. Das Wesen des Arbeitskampfes ist, dass er betriebschädigend ist. Sowohl das Arbeitsverfassungsrecht als auch die Schadenersatzkonstruktion bei der Verletzung des Arbeitsvertrages, sehen vor, dass RichterInnen entscheiden, wann Kämpfe am Arbeitsplatz so betriebsschädigend sind, dass sie rechtliche Konsequenzen für die Streikenden nach sich ziehen. Das ist einerseits abhängig vom richterlichen Ermessen und andererseits abhängig vom wirtschaftlichen Schaden, den ein Streik in einer Branche überhaupt verursachen kann. Der Umgang mit Streiks und deren rechtliche Konsequenzen wird davon abhängen, wie der einzelne Richter/die einzelne Richterin dies bewerten. Verlassen wir uns nicht auf sie!