Das grüne Dilemma

Grün gewählt gegen Kurz – und jetzt das?!
Stellungnahme der SLP-Bundesleitung

Die Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen sind in vollem Gange. Wie ernst es Kurz und seiner ÖVP tatsächlich ist, oder ob es sich nur um ein Taktieren mit dem Blick auf andere Optionen handelt (von einer Neuauflage der Koalition mit der FPÖ bis zu einer Experten-Minderheitsregierung der nationalen Einheit) ist die eine Frage. Die andere ist aber: Wie steht es mit den Grünen? Werden die Verhandlungen zur Zerreißprobe? Wie weit ist man bereit zu gehen? Was sind die „roten Linien“ der Grünen? 

Gab es im Wahlkampf noch durchaus scharfe Töne von Seiten der Grünen mit auch berechtigter Kritik an Kurz und seinen Angriffen auf demokratische Rechte, auf Migrant*innen und bezüglich seines de facto Ignorierens der Klimakrise, hat die Grüne Spitze seit Beginn der Sondierungsgespräche auf Kuschelkurs umgeschwenkt. Es wird das Bild gezeichnet, es ginge primär darum, ob man „menschlich“ miteinander könne – zum Inhaltlichen wird eine hohe „Kompromissbereitschaft“ signalisiert. Viele, die die Grünen gewählt haben werden sich zu Recht fragen: Verhilft meine Stimme, die doch gegen diesen Kurzschen Wahnsinn war, nun genau diesem Kurz wieder in den Kanzlersessel?

Innerhalb der Grünen scheint der Schritt wenig kontrovers. Der erweiterte Bundesvorstand (der allerdings gerade einmal 27 Stimmberechtigte hat) stimmte einstimmig für Koalitionsverhandlungen. Auch als Linke geltende wie Birgit Hebein sind dafür und sogar im Verhandlungsteam. Es ist davon auszugehen, dass auch der nach Statut vorgesehene Bundeskongress einem von der Spitze ausverhandelten Deal die Zustimmung geben wird. Die Grünen haben schon vor Jahren ihre Bereitschaft bekundet und gezeigt, in Koalitionen „mit zu gestalten“. Das ist die logische Konsequenz von Kandidaturen und parlamentarischer Arbeit wie sie Parteien wie die Grünen machen. Man kandidiert, um irgendwann stark genug zu sein, um einen Teil des eigenen Programms umzusetzen. So weit, so logisch. 

In der Praxis hat das die Grünen weit von ihren Wurzeln als zumindest in Teilen sehr linke, kämpferische und auf außerparlamentarische Bewegungen setzende Kraft entfernt. Davon ist im Wesentlichen die Erinnerung geblieben. Die tägliche Koalitionsarbeit ist von Pragmatismus und staatstragender „Vernunft“ geprägt. In und um die Grünen wird heftig diskutiert, ob die Grünen in die Regierung gehen sollten, um eine Neuauflage von Türkis-Blau zu verhindern und um Fortschritte im Klimaschutz zu erreichen. Wir gehen davon aus, dass sich viele Grünwähler*innen und Parteimitglieder diese Fragen durchaus ehrlich stellen, abseits von Machtstreben und dem Wunsch, endlich auch an die lukrativen Futtertröge zu gelangen. 

Wenigstens eine Atempause?

Ja, eine Koalition zwischen ÖVP und Grün wäre nicht ganz so schlimm, wie wenn die FPÖ in der Regierung wäre. Die Richtung wäre eine ähnliche, das Tempo allerdings anders (und das ist auch das Problem, das ÖVP und Wirtschaft damit haben). Bei Fragen von Rassismus und Demokratieabbau ist die FPÖ der ÖVP eher davongelaufen, während die Grünen hier eine bremsende Wirkung hätten.  In Bezug auf die Rechte von Frauen und LGBT-Personen könnten die Grünen der ÖVP sogar zu einem „fortschrittlichen“ Image verhelfen, das noch nicht mal was kosten würde. Beim Umbau staatlicher Strukturen und Privatisierung wäre aus linker Sicht auf die Grünen allerdings kein Verlass – sie sind hier wohl noch leichter als die SPÖ (die über die Gewerkschaften an Positionen in z.B. der Sozialversicherung hängt) bereit, Verschlechterungen zuzustimmen. 
Kann eine Koalition mit der ÖVP Maßnahmen für den Klimaschutz erreichen?

Tatsächlich wird keine Koalition, egal in welcher Kombination, Maßnahmen für den Klimaschutz in dem Umfang und Ausmaß erreichen, wie sie dringend nötig wären. Denn dazu braucht es, als einen zentralen Punkt, nicht nur einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in den nächsten Jahren, sondern auch eine internationale Strategie. Beides kann aber eine Regierung, die fest auf dem Boden kapitalistischer Logik und nationalstaatlicher Interessen steht nicht leisten. Zwar finden sich im grünen Umweltprogramm ein paar Forderungen, die in die richtige Richtung deuten (wenn auch nicht weitgehend genug!) – doch ist nichts davon in vollem Umfang umsetzbar, ohne die Profite von Unternehmen zu beschränken. Dieser Kampf ist mit der ÖVP nicht zu führen und auch die Grünen sind dazu in der Praxis nicht bereit. In einem Regierungspaket können sich durchaus ein paar „grüne“ Maßnahmen finden, vermutlich im Wesentlichen Punkte, die entweder nichts bzw. wenig kosten (wie die schrittweise Umstellung des öffentlichen Fuhrparks auf E-Autos) bzw. solche, die gleichzeitig zur Stimulierung der Wirtschaft dienen sollen (Steuererleichterungen bei thermischer Sanierung – also besserer Isolierung von Gebäuden etc., Steuererleichterungen für E-Firmenwagen etc.). Es ist davon auszugehen, dass eine Steuerreform rund um eine CO2-Steuer kommt, deren ökologische Wirksamkeit fraglich ist und bei der der soziale Aspekt unter den Tisch fällt, also die Kosten für Umweltschutzmaßnahmen durch die Allgemeinheit bzw. die Arbeiter*innenklasse gegenfinanziert werden (Mehr zur CO2 Steuer: https://www.slp.at/artikel/k%C3%B6nnen-co2-steuern-das-klima-retten-9785). Wie wird es mit den geplanten OMV-Bohrungen im Weinviertel weitergehen, die ein mehr, kein weniger an fossilen Brennstoffen bedeuten? Mit der 3. Piste, dem Lobau-Tunnel und anderen Großprojekten? Einen harten Kurs der Grünen nimmt man hier nicht gerade wahr….

Wie auch immer ein solcher Deal aussehen kann: Er wird weit, sehr weit, hinter dem zurückbleiben, was ökologisch nötig wäre. Ein Umstieg vom Individualverkehr auf Öffentliche Verkehrsmittel und eine umfassende thermische Sanierung wird ohne ein massives öffentliches Investitionspaket, finanziert aus den Vermögen der Superreichen und den Gewinnen der Kapitalist*innen nicht stattfinden. Und das werden weder ÖVP noch Grüne durchsetzen, das muss die Klimabewegung und v.a. die Gewerkschaftsbewegung schon selbst erkämpfen! Ein Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wird ohne eine Übernahme der großen Konzerne durch die öffentliche Hand, demokratische Planung und Verwaltung durch die Arbeiter*innenklasse nicht funktionieren. D.h. ein türkis-grünes Umweltpaket wäre ein unsoziales Paket mit ein paar kleineren ökologischen Aspekten. Unbrauchbar und letztlich schädlich für Natur und Menschen.

Kann eine Koalition mit der ÖVP eine Neuauflage von türkis-blau verhindern?

Kurz hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass die FPÖ sein liebster Regierungspartner wäre, da mit den Freiheitlichen ein radikalerer Umbau des Sozialstaates möglich wäre als mit SPÖ und Grün bei Beibehaltung des Systems von Postenschacher und Freunderlwirtschaft (wo die Neos Probleme machen könnten). Auch wenn die ÖVP aktuell krampfhaft versucht so zu tun, als ob das Problem an der letzten Regierung die FPÖ bzw. Strache und Kickl gewesen wären – das Problem ist Kurz und sein Kurs!

Ein neuerlicher Regierungseintritt der FPÖ hängt v.a. davon ab, ob sich diese für die Wirtschaft als stabiler Partner präsentieren kann und ob sie bei Wahlen die entsprechende Stärke hat. Und letzteres ist auch das Ergebnis von Enttäuschung über die Regierungspolitik. Eine Schicht von FPÖ-Wähler*innen wählt diese bewusst wegen ihres Rassismus, aber immer noch gibt es einen großen Teil, der sie v.a. aus Enttäuschung über die anderen Parteien wählt. Insbesondere unter Arbeiter*innen, die früher die SPÖ gewählt haben und von dieser wieder und wieder enttäuscht wurden ist ein Teil bei der FPÖ gelandet, weil diese sich nach wie vor als „sozial“ inszeniert – in Kombination mit Rassismus nach dem Motto „mehr für unsere, weniger für die Ausländer“. Die kommende Regierung wird die Wunschliste der Wirtschaft („Wettbewerbsvorteile schaffen im internationalen Wettbewerb“) umsetzen. Und das wird bedeuten, die Lohnstückkosten zu reduzieren. Jeder neunte Job hängt an der Autoindustrie, die geradewegs in die Krise steuert. Nicht nur, dass es hier wenig Interesse an echtem Umweltschutz gibt, auch wird der Druck auf die Beschäftigten, bei den Löhnen nach unten und bei der Arbeitszeit nach oben nachzugeben, steigen. Dazu werden Steuererleichterungen für Unternehmen, finanziert durch weitere Kürzungen bei Gesundheit und Pensionen (zb durch eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters was zur Senkung der Einstiegspensionen führen wird) kommen. Wut darüber ist vorprogrammiert – und berechtigt. Solange sich die FPÖ als einzige „Opposition“ für wütende Arbeiter*innen präsentieren kann, wird also jede künftige Koalition voraussichtlich die FPÖ wieder stärken. Denn diese ist nicht wegen Protesten gestürzt worden, sondern über ihre eigene Unfähigkeit gestolpert. Die einzige Macht, die eine Neuauflage von türkis-blau nicht nur unmittelbar, sondern grundlegend und v.a. eine Neuauflage ihres Regierungsprogramms verhindern kann, ist die organisierte Arbeiter*innenbewegung. Hier wäre der ÖGB gefragt, der allerdings eher hilflos am Rand sitzt und immer noch hofft, dass die SPÖ doch in die Regierung kommt, um so das Schlimmste zu verhindern (bzw. Teile des Gewerkschaftsapparates hier auch auf die Grünen hoffen). Doch schon beim Kampf gegen den 12-Stunden Tag hat sich deutlich gezeigt: Wer auf die SPÖ und die Grünen hofft ist hier schon verloren! Verschlechterungen zurückschlagen und Verbesserungen erreichen – das geht nicht ohne Klassenkampf gegen die künftige Regierung, egal wie sie zusammengesetzt ist! 

Neue Arbeiter*innenpartei statt Türkis-Grün!

Die meisten Grün-Wähler*innen sind – im Gegensatz zur medialen Darstellung – keineswegs Linke, sondern ein meist gebildetes Mittelschicht-Klientel mit liberalen Ansichten – und zwar in gesellschaftspolitischen wie auch wirtschaftlichen Fragen, wenn auch bei letzterem mit einem Hauch von „sozialer Verantwortung“. Daneben gibt es aber auch eine Schicht von v.a. jüngeren Wähler*innen, die die Grünen noch als „anders“ und „linker“ sehen. Sie werden enttäuscht sein – und auf der Suche nach einer echten Alternative. Wie schon in der Vergangenheit kann es hier zu internen Konflikten bei den Grünen, insbesondere mit den Jugendstrukturen, aber in beschränktem Ausmaß auch gewerkschaftlichen Strukturen kommen. Und ähnlich wie bei der SPÖ wird es nötig sein, dass diese Grünen aktiv werden gegen Maßnahmen, die ihre Partei umsetzt. Ähnlich wie bei der SPÖ werden es aber wahrscheinlich gerade diese „Linken“ sein, die dann aus Parteiräson und „um Schlimmeres zu verhindern“ diese nötigen Konflikte nicht eingehen. 

Aber jene dünne Schicht von Aktivist*innen und ein wichtiger Teil der v.a. jugendlichen Wähler*innen, die bereit sind, für ihre grünen, linken, sozialen Themen zu kämpfen sind wichtige Bündnispartner beim Aufbau einer echten politischen Alternative, einer echten neuen linken, sozialistischen Arbeiter*innenpartei.

 

Foto: Manfred Werner - Tsui [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]