Do 19.05.2011
Der ungarische Nationaltanz, der Csárdás, beginnt ruhig und wird dann immer wilder. Ähnlich könnten sich auch die Proteste entwickeln. Vor knapp einem Jahr errang die autoritäre rechts-konservative Fidesz unter Viktor Orbán eine 2/3 Mehrheit. Die neofaschistische Jobbik kam auf rund 17%. Ungarn schien zu einem der rechtesten Länder Europas zu werden. Doch nun häufen sich die Proteste.
Da Ungarn in der ersten Hälfte 2011 den EU-Vorsitz hat, musste sich die EU zumindest gegen die ärgsten Auswüchse des immer autoritäreren Orbán-Regimes äußern, die Wahl fiel auf das Mediengesetz. Dieses bedeutet de facto Zensur und Maulkorb für KritikerInnen – doch es ist nur eine Facette der gefährlichen Fidesz-Regierung. Da ist einmal ihr autoritärer Charakter, der mit der neuen, Ende April beschlossenen Verfassung noch verschärft wird. Ergänzt mit einem christlich-fundamentalistischen Gesellschaftsbild das einen massiven Rückschritt u.a. für Homosexuelle und Frauen (u.a. in der Abtreibungsfrage) bedeutet. Rassismus gegen Roma und auch Antisemitismus sind fixe Bestandteile der Fidesz-Politik und es gibt keine erkennbare Opposition zu den Forderungen und Aktionen der neofaschistischen Jobbik.
IWF nennt Orbáns Kürzungspläne „mutig“
Großes Schweigen herrscht in der EU über den brutalen Sparkurs und die neoliberale Kürzungspolitik der Regierung. Mit Jahresbeginn wurde eine Flat-Tax eingeführt die nur den oberen 20% der EinkommensbezieherInnen nützt. Nun kommen brutale Kürzungen bei Arbeitslosen hinzu. Von den rund 10% Arbeitslosen sind 30% Jugendliche. Nun wird das Arbeitslosengeld statt neun, nur mehr drei Monate ausbezahlt. Die „Krisensteuer“ - eine Sondersteuer für v.a. ausländische Großkonzerne – wird zur Abdeckung von Auslandsschulden verwendet und nicht für z.B. das Bildungs- und Sozialsystem. Auch die Re-Verstaatlichung der privaten Pensionskassen dient nicht zur Sicherung der Pensionen, sondern zum Stopfen von Budgetlöchern. Völlig offen ist, ob die rund 12 Milliarden jemals wieder in den Taschen jener landen werden, die die Beiträge eingezahlt haben. Das Sparbudget der Orbán-Regierung beinhaltet außerdem Streichungen bei den Frühpensionen, Kürzungen im Öffentlichen Dienst und bei den Kommunen sowie das Ziel, die Anzahl der Studierenden zu senken.
Orbán sitzt auf einem Pulverfass
Orbáns Aufstieg kann nicht auf sein Medienimperium reduziert werden oder darauf, dass „die Ungarn halt rechts sind“. Der Schock über die hohe Wahlunterstützung für rechte Parteien überdeckt, dass ein großer Teil der UngarInnen gar nicht mehr wählt. Anfang der 1990er Jahre gab es große Illusionen in den Kapitalismus – diese sind verschwunden. Drei von vier ungarischen Jugendlichen meinen, dass es einen neuen „Systemwechsel“ geben könnte. Sie sind für die Wieder-Verstaatlichung der wichtigsten Unternehmen und fordern, dass jene für die Krise zahlen sollen, die für sie verantwortlich sind.
Die Großdemonstration des Europäischen Gewerkschaftsbundes am 9. April wurde von ungarischen Gewerkschaften genutzt, um gegen die Kürzungen der eigenen Regierung zu protestieren. Es folgte eine Serie von Protesten, Demonstrationen und Streiks. Parteien wie die sozialdemokratische MSZP (selbst Verantwortlich für brutalen Sozialabbau) versuchen die Stimmung zu nutzen. Es gibt Proteste von Roma, Homosexuellen Gruppen sowie Grünen und linken Gruppen.
Aber die stärksten Proteste werden von ArbeiterInnen und Gewerkschaften organisiert. In den letzten 20 Jahren sind die verschiedenen Gewerkschaften v.a. durch Passivität aufgefallen – und der Organisationsgrad ist auf knapp 10% gefallen. Doch nun beginnt die ungarische ArbeiterInnenklasse die Bühne zu betreten. Sie ist nicht länger bereit, Orbáns Angriffe hin zu nehmen. Wenn die Kämpfe gegen die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse mit jenen gegen Rassismus verbunden werden, können sie nicht nur erfolgreich sein, sondern kann daraus auch eine neue wirkliche sozialistische Kraft entstehen, die Fidesz, Jobbik etc. hinwegfegen. Der Csárdás hat gerade erst begonnen...