Mi 24.06.2015
Zwei Tage Streik für mehr Personal am Berliner Uniklinikum
Der Streik für einen Tarifvertrag zur Personalbemessung der Charité Beschäftigten hat eine Bedeutung weit über das Uniklinikum hinaus. Überwältigende Solidarität schlägt den Beschäftigten entgegen, die ihren Streik zwei Tage lang aufbauten und eine Demonstration mit zweitausend TeilnehmerInnen abhielten.
Alle Zurückhaltung fiel von den Beschäftigten ab, als sie am Ende ihrer Demonstration empört leere Spritzen in Richtung Bundesministerium für Gesundheit warfen. Der Bund, das Land und der Vorstand der Charité: sie alle sind mit ihrer Politik für den Pflegenotstand, den fortschreitenden Kostendruck im Gesundheitswesen und den Einsparungen auf dem Rücken des Personals verantwortlich. Was war in den zwei Tagen Streik passiert, mit dem sie dieser Situation ein Ende setzen wollen?
Streikfront steht
Der Arbeitgeber behinderte den Streikbeginn an vielen Fronten. Bett für Bett musste in manchen Häusern erkämpft werden. Doch die Streikleitung reagierte besonnen und zum Wohl der Patienten. Die Bilanz kann sich aber sehen lassen. Bis zu 900 von den insgesamt 3000 Betten wurden am Dienstag bereits bestreikt. 200 Operationen mussten abgesagt werden. Über zwanzig Stationen wurden geschlossen.
Bei den täglichen Diskussionen im Streiklokal und den Streikversammlungen wird immer mehr KollegInnen klar, welche Bedeutung ihr Kampf hat. Wenn ihre Forderungen nach Mindestbesetzung tarifvertraglich festgelegt werden, wäre das bundesweit einmalig. Andere Krankenhäuser könnten nachziehen. Der Druck auf betrieblicher Ebene würde den politischen Druck für eine gesetzliche Personalmindestmessung erhöhen. Auch für andere Berufe wäre ein Beispiel geschaffen, ihre Arbeitsbelastung durch Tarifverträge zu senken. Beim Vortrag des Bündnisses „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ im Streiklokal wurde sogar der Vergleich zu dem 114 tägigen Streik der MetallerInnen in Schleswig Holstein gezogen, die tariflich die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erkämpften, was in den fünfziger Jahren zur gesetzlichen Einführung der Lohnfortzahlung führte.
Allein damit, dass die ver.di Betriebsgruppe für ihre Forderungen streik- und mobilisierungsfähig geworden ist, hat den Kampf an der Charité zum bundesweiten Beispiel gemacht und schreibt Geschichte. „Wir haben einen Notruf der Charité abgesetzt, laut und deutlich“ fasste es Betriebsgruppenvorsitzender Carsten Becker unter Jubel der KollegInnen bei der Demonstration zusammen, „und wir werden so lange streiken, bis wir bessere Arbeitsbedingungen bekommen.“
Streikaktivitäten
Und so steigt auch das Selbstbewusstsein der Streikenden. Mehrmals täglich gehen sie über Stationen, um Beschäftigte und PatientInnen über den Streik zu informieren. Zahlreiche PatientInnen drücken ihre Solidarität aus und schicken Protestpostkarten an den Vorstand. Transparente wurden gemalt und Streiklieder einstudiert. Außerdem wurde begonnen in der Stadt Flugblätter zu verteilen und Plakate zu kleben, um für Solidarität für den Streik zu werben.
Eine Delegation von Beschäftigten des Virchow Klinikums besuchte am Dienstag auch eine Streikversammlung der streikenden Postbeschäftigten. Der Streikversammlung, der von Lohndumping und Ausgründung Betroffenen überbrachten sie die Solidarität und luden sie zu gemeinsamen Aktionen ein. Lautstark hatten die über tausend Streikenden ihre Solidarität wiederum zum Ausdruck gebracht.
Streikdemokratie
Mehrfach am Tag finden Streikversammlungen statt bei denen über den aktuellen Stand und geplante Aktionen informiert wird. Streikende berichten dort über die Lage auf ihren Stationen und können sich selbst einbringen. UnterstützerInnen des Streiks die nicht an der Charité arbeiten können sich mit Vorschlägen einbringen und helfen bei der Umsetzung mit.
Darüber hinaus sollen Stationen Delegierte bestimmen, die als sogenannte TarifberaterInnen mithelfen, Meinungen von ihren Teams zurückzukoppeln und bei möglichen Verhandlungen über den Stand informiert werden. Wenn es dazu kommt, soll währenddessen der Streik fortgesetzt und eine demokratische Entscheidung über Annahme oder Fortsetzung des Streiks ermöglicht werden.
Überwältigende Solidarität
Die Freude darüber, dass der Streik es in Tagesschau und Heute Journal gebracht hatte, war groß. Viele Zeitungen berichteten über den Streik. Das half enorm, ihn bundesweit bekannt zu machen. Aus zahlreichen Krankenhäusern und darüber hinaus gab es unzählige Solidaritätsbekundungen. Auch die Stimmung in der Bevölkerung und unter den PatientInnen ist überaus positiv. Die Tatsache, dass der Streik zur Verbesserung der medizinischen Versorgung führt, bringt ihm noch mehr Unterstützung als bisherige Kämpfe für bessere Bezahlung. Eine nichtrepräsentative Leserumfrage des Berliner Kuriers, dem zu folge zwischen 98 und 99 Prozent den Streik für angemessen halten, stärkte die Zuversicht der Streikenden.
Das drückte sich auch bei der Streikdemonstration am Dienstag aus. Statt der circa 600 Streikenden waren insgesamt zweitausend Menschen im strömenden Regen auf der Straße. VertreterInnen vom Einzelhandel und der Post überbrachten ihre solidarischen Grüße. Medizinstudierende, Vivantes-Beschäftigte und einzelne Ärzte waren auf der Demonstration zu sehen. Die Linksfraktion zeigte sich mit Banner, Fahnen und Plakaten solidarisch. Andere linke Organisationen und GewerkschafterInnen waren vertreten.
Julia Dück vom Bündnis für mehr Krankenhauspersonal erklärte, wie wichtig der Kampf auch für Angehörige und PatientInnen sei, „Nicht wir sind es Herr Einhäupel, die die Patientinnen und Patienten in Geiselhaft nehmen […] Es ist der Normalzustand, der die Patienten gefärdet.“
Lucy Redler warf mit Blick auf die laufenden Tarifauseinandersetzungen die Frage auf, wie man es schaffen könne, gemeinsam zu kämpfen und ob man nicht von anderen Ländern, wo es Generalstreiks gab, lernen könne, hier mindestens im Öffentlichen Dienst, sich mal gemeinsam zur Wehr zu setzen.
Wie geht’s weiter?
Der Arbeitgeber ging nach seiner Niederlage vor dem Arbeitsgericht am letzten Freitag in Berufung. Der Termin ist für diesen Mittwoch angesetzt. Sollte das Landesarbeitsgericht die bisherige Entscheidung kassieren und den Streik für unverhältnismäßig erklären, wäre das ein riesiger Skandal und gegen diese Entscheidung müsste auf allen Ebenen vorgegangen werden. Doch die ver.di Verhandlungsführerin Meike Jäger gab sich auf der Demonstration optimistisch, dass der Arbeitgeber vor Gericht wieder besiegt werden würde, wie schon zuvor. Sie zog außerdem die Verbindung zur gesetzlichen Ebene. Man brauche zwar, ein Gesetz für personelle Mindestbemessung, aber man kann nicht drei Jahre warten, bis so etwas kommt, sondern eine Regelung für die Charité müsse jetzt erkämpft werden.
Der Charité Vorstand kündigte an, vor der Gerichtsentscheidung kein Angebot zu machen und Vorstandsvorsitzender Einhäupel sagte, eine Einigung würde man auf deutlich niedrigerem Niveau als den ver.di Forderungen machen müssen, da ihre Umsetzung 36 Millionen Euro pro Jahr kosten würden. Was für ein Angebot ist zu erwarten? Einerseits sieht sich der Vorstand enormen finanziellen Verlusten, einer streikbereiten Belegschaft und überwältigender Solidarität für den Streik gegenüber. Andererseits fürchtet er die finanziellen Konsequenzen und die Signalwirkung des Streiks. Ob und was für ein Angebot kommen wird, bleibt also abzuwarten und wird in Ruhe von den KollegInnen bewertet werden müssen. Bis dahin sollte der Streik entwickelt und weiterhin kämpferisch fortgesetzt werden.
Wir rufen alle dazu auf, sich mit dem Streik solidarisch zu zeigen. Schickt Solidaritätsbotschaften und Fotos an die ver.di Betriebsgruppe und das Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus Kommt zu Streikaktionen, die täglich von 11 bis 13 Uhr an den Streiklokalen stattfinden. Außerdem wird es im Rahmen einer sogenannten Streikuni zahlreiche Diskussionen und Veranstaltungen geben, an denen man sich beteiligen kann.
Denn wie Stephan Gummert von der ver.di Betriebsgruppe bei der Kundgebung sagte: „Ich möchte nicht mehr in diese Gesichter sehen, die Gesichter der Kaufleute, der Prozessoptimierer, der Stellenabbauer, die mir und uns allen immer wieder erklären, wie wir mit noch weniger Personal und noch mehr Fällen noch mehr Erlöse generieren sollen. Ich möchte in eure und unsere Gesichter blicken, Gesichter die seit gestern lachen, die rufen und schreien und die mit Würde und Wut diesem kranken System trotzen.“