Mo 01.02.2016
In der Türkei herrscht Bürgerkrieg. Auch wenn dieser Fakt noch nicht in der bürgerlichen Medienlandschaft beim Namen genannt wird ist er dennoch traurige Realität. Der türkische Staat geht unter Führung der Erdogan-AKP-Regierung brutalst gegen die kurdische Bevölkerung vor. Mehr als 220 Zivilisten sollen in den Angriffen des türkischen Militärs auf kurdische Städte in den letzten Wochen getötet worden sein. Tausende Soldaten sind im Einsatz, 1.5 Millionen Menschen von Ausgangssperren in zahlreichen kurdischen Bezirken und Städten betroffen und mehr als 300.000 davon auf der Flucht. Der Konflikt zwischen der kurdischen Bevölkerung und dem türkischen Staat scheint auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern, doch der Hintergrund der neuen Eskalation ist nicht nur die sogenannte „Kurdenfrage“.
Erdogans Regime hat in der jüngeren Vergangenheit herbe Niederlagen einfahren müssen: Der Verlust der absoluten Mehrheit im Juli 2015, der Wahlsieg der pro-kurdischen Linkspartei HDP, Bekanntwerden der Verwicklungen in Korruptionsfälle. Dazu kommen immer breitere Schichten, die sich gegen ihn richten, weil die Wirtschaft zu stottern beginnt und immer offensichtlicher wird, dass Erdogans Politik v.a. die Reichen immer reicher macht, für ArbeiterInnen aber wenig übrig hat.
Diese Entwicklung will die AKP-Regierung „korrigieren“. Sie präsentiert sich mit Erdogan an der Spitze als die starke Kraft im Land. Der Friedensprozess und Waffenstillstand mit der kurdischen Miliz PKK wird aufgelöst, mehr als tausend linke AktivistInnen werden landesweit verhaftet. Die Bombenattentate in Suruc und Ankara werden als Vorwand missbraucht, den „Krieg gegen den Terror“ gegen diejenigen zu führen, die Ziel dieser Attentate waren – KurdInnen, SozialistInnen, GewerkschafterInnen. Somit schafft es die AKP, das rechtsextreme Lager hinter sich zu scharen und bei den Neuwahlen im November die absolute Mehrheit zurückzuerobern. Doch die HDP schafft ebenfalls die 10% Hürde erneut, bleibt im Parlament vertreten und ist somit weiterhin ein Dorn im Auge des türkischen Staates.
Was Erdogan in Bewegung gebracht hat, ist nicht einfach so zu stoppen. Der Krieg gegen die KurdInnen muss aus Sicht der Regierung weitergehen, weil er auch ein Ablenkungsmanöver von der zunehmend schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage ist. Während Erdogan mit Panzern in den „eigenen“ Städten aufrollt und russische Flugzeuge in Syrien abschießen lässt, kassiert er von der EU drei Milliarden Euro, um mit Wasserwerfern Flüchtlinge über die syrische Grenze zurückzudrängen und so den Flüchtlingsstrom kappen.
Erdogan versucht die zunehmende soziale Krise, die politischen Konflikte, den wirtschaftlichen Niedergang und die Unzufriedenheit im Westen mit einer Militäroffensive im Osten des Landes zu verdecken. Doch es gibt Widerstand: Friedensmärsche werden gestartet, um Ausgangssperren zu durchbrechen und die Belagerungen von kurdischen Städten zu beenden. Erdogan eskaliert weiter und zahlreiche Friedensdemonstrationen werden auch im Westen von der Polizei angegriffen. Die massive Zunahme von Streiks im Jahr 2015 und der Erfolg der HDP, der auch von vielen türkischen WählerInnen getragen wurde, haben gezeigt, dass ein Schulterschluss zwischen sozialen Kämpfen von türkischen und kurdischen ArbeiterInnen mit dem kurdischen Befreiungskampf möglich ist. Diese Verbindung ist der Schlüssel zum erfolgreichen Widerstand gegen Erdogans Kriegspolitik!