Aus den Erfahrungen verschiedener Linksprojekte lernen

Keiner steigt zweimal in denselben Fluss, doch das Rad müssen wir auch nicht jedes Mal neu erfinden. In der Diskussion und v.a. bei konkreten Schritten hin zu einem ernsthaften Linksprojekt, einer Linkspartei, einer neuen ArbeiterInnenpartei, müssen wir d
Sonja Grusch

Dieser Beitrag wurde im Juli 2015 für den Mosaik.blog auf Bestellung geschrieben, aber bisher nicht veröffentlicht. Wir wissen nicht, warum es keine Veröffentlichung gab, möchten aber auf diesem Weg einen Beitrag zur Debatte über eine neue linke Formation leisten.


Lange, für viele zu lange, hat es gedauert, bis eine ernsthafte Debatte über die Notwendigkeit einer neuen linken Kraft, Partei, ArbeiterInnenpartei auch in Österreich auf breiterer Ebene angekommen ist. Die Verzögerung ist einer der Gründe dafür, dass wir hierzulande eine der stärksten rechtsextremen Parteien Europas haben. Doch besser spät als nie. Unsere Verspätung hat aber zumindest den Vorteil, dass wir auf die zahlreichen Erfahrungen mit solchen neuen linken Projekten zurückgreifen können. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wird im Folgenden versucht, einige der zentralen Lehren aus diversen Projekten zusammen zu fassen.

Die Zeichen der Zeit erkennen

Man will es „ordentlich“ machen, das braucht Zeit. Ein verständlicher Anspruch. Doch manchmal lässt uns die objektive Entwicklung diese Zeit einfach nicht. Podemos (Spanien) oder auch die Vereinigte Linke (Slowenien) waren „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Sie stellen ein Angebot nach einer Alternative, welches breit angenommen wird. Der Auslöser für die Gründung der P-SOL (Brasilien) war der Rechtsruck der PT unter Lula. Einige Abgeordnete konnten nicht mehr mit dem rechten Kurs mit und wurden letztlich ausgeschlossen. Doch sie zogen sich nicht enttäuscht zurück, sondern gründeten gemeinsam mit anderen und existierenden linken Organisationen die P-SOL. Diese neuen Formationen waren nicht fertig designed - da gab und gibt es viel zu lernen im vorwärts gehen - aber es gibt zumindest etwas. Doch ein solches Zeitfenster hält sich nicht auf Dauer. Es schließt sich oder wird – noch schlimmer – von der extremen Rechten gefüllt. In Frankreich erfolgte die Gründung der NPA verspätet. 2002 hatten zwei Kandidat_innen der radikalen Linken rund drei Millionen Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen erhalten. In den folgenden Jahren gab es eine Reihe großer Bewegungen gegen Le Pen, gegen Penionskürzungen, gegen die EU-Verfassung und ein neues Jugendarbeitsgesetz. Doch die NPA wurde erst 2007 gegründet, viele Chancen waren verpasst worden und die NPA selbst hob nie wirklich ab.

Die Linken, die die Notwendigkeit einer neuen Formation erkannt haben, haben also auch die Verantwortung, nicht zu lange zu warten.

Soziale Bewegungen und Klassenkämpfe befeuern

2004 fanden in Deutschland Massenproteste gegen Hartz IV statt. Diese waren ein wichtiger Auslöser dafür, dass ein Teil von IG-Metall und SPD-FunktionärInnen, die schon lange unzufrieden mit dem immer rechteren Kurs der SPD waren, mit der SPD brachen. Der Druck aus der ArbeiterInnenklasse war gestiegen und hatte auch sie nach links gedrückt. Dieser Prozess war eine wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Gründung der WASG und später der Linken. Zusätzlich waren durch auch von Anfang an AktivistInnen Teil dieses Projektes dass, trotz aller Kritik die es daran gibt, eines der erfolgreichsten neuen Linksprojekte in Europa darstellt.

Auch in Südafrika waren es die Proteste der Bergleute vor und nach dem Massaker von Marikana 2012, das den ANC endgültig diskreditiere, die zu eine qualitativ neue Entwicklung führten. In der Gewerkschaft NUMSA, einer der stärksten und kämpferischsten Gewerkschaften des Landes spiegelte sich die wachsende Unzufriedenheit mit dem neoliberalen Kurs des ANC und dem Wunsch nach einer neue Partei für ArbeiterInnen wieder. Schon 2013 unterstützte NUMSA den den Wahlkampf des ANC nicht mehr, im April 2015 wurde der Fahrplan für eine neue ArbeiterInnenpartei beschlossen. Ein Prozess der noch am Anfang ist, aber durch seine starke Verbindung mit kämpferischen Schichten der ArbeiterInnenklasse ein hohes politisches Gewicht hat.

Auch in Irland sind die Ansätze für eine solche Partei gelegt. In den letzten Jahren gab es einige Versuche, v.a. durch linke Bündnisse die auch Wahlerfolge hatten, eine solche neue Formation zu schaffen. Doch erst die aktuelle Massenbewegung gegen die Wassergebühren rund um die Anti-Austerity-Alliance gibt einem solchen neuen Projekt die aktive Basis, die über eine reine Re-Gruppierung der Linken hinaus geht.

Die Linken, die die Notwendigkeit einer neuen Formation erkannt haben, haben also auch die Verantwortung, soziale Bewegungen nicht nur zu unterstützen, sondern auch voran zu treiben, dazu gehört auch die Arbeit in Betriebsräten und Gewerkschaften um dort für einen kämpferischen Kurs einzutreten.

Organisationen geben Haltbarkeit

Gerade wenn aber diese sozialen Bewegungen und Klassenkämpfe fehlen bzw. sich verzögern, sind es oft verschiedene linke Organisationen, die durch einen Zusammenschluss versuchen, etwas Neues zu formen. Die Erfahrungen die sie gemacht haben - die Fähigkeit, den langen Atem der politischen Arbeit zu halten und einen Kurs beizubehalten – sie können das Rückgrat einer solchen neuen Partei bilden, ohne welches sie nicht länger stehen wird. Doch ohne Bewegungen, die neuen AktivistInnen, die gewonnen werden um sich aktiv einzubringen bleibt es ein lebloses Skelett. Die Skepsis gegenüber „Parteien“ ist angesichts der Korruption und Abgehobenheit der existierenden etablierten Organisationen (und auch vieler Fehler der Linken) durchaus verständlich. Wenn daraus allerdings der Fetisch der (scheinbaren) Unorganisiertheit wird, die letztlich nichts anderes wird als die Führung einer kleinen demokratisch nicht legitimierten Minderheit, dann ist dass die falsche Antwort. Das Projekte wie die P-SOL und der Linksblock in Portugal seit Jahren existieren liegt auch daran, dass sie zu wesentlichen Teilen aus Organisationen bestehen, die eine lange Tradition der politischen Arbeit haben. Das gibt Beständigkeit. Kann aber auch zur Trägheit führen, wenn es an neuen dynamischen Kräften fehlt die im Zuge der sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen dazu stoßen.

Die Gründung der SSA bzw. SSP in Schottland fand auf der Basis der großen Verankerung dieser sozialistischen Kräfte u.a. durch die Anti-Poll-Tax-Bewegung statt und in den ersten Jahren war das Projekt sehr Erfolgreich bei Wahlen und Aufbau. Während es anfangs einen Kern von marxistischen Kadern gab, die sich für eine klare politische Linie einsetzen, löste sich dieser später auf. Der politische Kurs verwässerte sich und die SSP verlor sich rasch in politischen Skandalen und der weitgehenden Bedeutungslosigkeit.

Die Linken, die die Notwendigkeit einer neuen Formation erkannt haben, haben also auch die Verantwortung, ein solches Projekt für Individuen wie auch für Organisationen offen zu halten und so für ein Rückgrat zu sorgen.

Wahlen sind nur ein Arbeitsfeld

Der Wunsch nach einer Wahlalternative ist groß. Das Antreten bei Wahlen ist daher auch eine der Aufgaben eines solchen Projektes. Die Wahlkämpfe waren und sind eine Arena, um Ideen zu präsentieren und AktivistInnen einzubinden. Gefährlich wird es aber, wenn der Wunsch nach Mandaten zum Hauptfokus wird. Und in weiterer Konsequenz einer solchen Ausrichtung dann aus dem Wunsch „mitzugestalten“ auch Koalitionen mit bürgerlichen Parteien unterschiedlicher Färbung eingegangen werden. So landet dann eine Linke in Deutschland in Sozialabbau betreibenden Koalitionen mit der SPD. Was als schlaue Taktik präsentiert wird, endet in der Praxis in der Aufgabe der eigenen Inhalte und einer weitgehenden Verwässerung des Programms. Wahlen und Mandate sind eine Bühne, nicht mehr und auch nicht weniger. Es ist wichtig sie zu nutzen und sie gleichzeitig nicht über zu bewerten. Mandate ohne starke Organisation und Unterstützung im Rücken können bestenfalls Anträge stellen, aber kaum etwas durchsetzen.

Die Linken, die die Notwendigkeit einer neuen Formation erkannt haben, haben also auch die Verantwortung, Wahlkämpfe zu führen aber sich nicht darin zu verlieren.

Sozialistisches Programm und Perspektive gegen Sachzwänge

Der Kapitalismus ist in der Krise. Und er erzeugt Krisen, politische wie auch wirtschaftliche. Eine an sich banale Erkenntnis, die aber auch Konsequenzen im politischen Handeln haben sollte. Wenn die krisenbedingten Spielräume für Zugeständnisse enger werden, dann wird es auch der Raum für Reformen im ursprünglichen Sinn (also Verbesserungen für die ArbeiterInnenklasse in ihrer ganzen Buntheit und Vielschichtigkeit). Der Versuch, die Kapitalseite mit guten Argumenten oder listenreichem Tricks zu überrumpeln oder überzeugen, scheitert kläglich. RevolutionärInnen sind die besten ReformerInnen, hat Rosa Luxemburg sinngemäß gesagt. Gemeint hat sie damit, dass in eben solchen wirtschaftlichen engen Zeiten jene Verbesserungen nur erreicht werden können, wenn man bereit ist, über die Grenzen der kapitalistischen Logik hinaus zu sehen. Denn es reicht nicht, nur ein linkes Gewissen oder linkeR MahnerIn zu sein, sondern es braucht eine Organisation die konkret den Kampf für eine andere, nicht kapitalistische, eine sozialistische Gesellschaft führt. Genau das hat z.B. die 1991 gegründete PRC, eines der ältesten „neuen“ Linken Projekte nicht gemacht. Nach einem anfänglich klar linken Kurs mit über 100.000 Mitgliedern und fast 9% bei Wahlen unterstützte sie ab 1996 die Regierung von Prodi die für einen „rigorosen Sparkurs“ stand – und verlor in Folge Mitglieder und WählerInnen.

Auch Syriza ist aktuell in einem ähnlichen Dilemma. Da eine systemüberwindende Perspektive und eine Aktivierung der ArbeiterInnenklasse fehlen, können Tsipras & Co. den Erpressungen der Troika wenig entgegen halten. Das ist die Grundlage seiner Kapitulation, die die große Gefahr birgt, dass v.a. die faschistische Goldene Morgenröte davon profitiert und das Konzept einer neuen Linkspartei insgesamt wieder in Frage gestellt wird.

Die Linken, die die Notwendigkeit einer neuen Formation erkannt haben, haben also auch die Verantwortung, für ein sozialistisches Programm und einen konsequenten Kurs zur Umsetzung desselben einzutreten.

Weil jene, die nicht aus der Geschichte lernen, verdammt sind, die Fehler zu wiederholen.