So 23.07.2023
Arbeitskräftemangel als Gefahr...
Die Herrschenden erklären fehlende (Fach-)Arbeitskräfte zu einem der größten Risiken für das Wirtschaftswachstum. “Arbeitskräftemangel” bezieht sich dabei immer auf die Profitlogik im Kapitalismus - wird in einem Sektor kein Profit gemacht, gibt es dort keinen Arbeitskräftemangel, egal wie viel Arbeit unerledigt bleibt.
Eine “Lösung” der Herrschenden ist Migration: Fehlende Facharbeiter*innen sollen durch Menschen aus dem Ausland ersetzt werden. Das widerspricht nur scheinbar dem rassistischen Kurs aller etablierten Parteien. Profitabel ausbeutbare Migrant*innen “dürfen” kommen und arbeiten, grundlegende Rechte werden ihnen weiter vorenthalten. Um zu verhindern, dass Migrant*innen zum Lohndrücken missbraucht werden, muss sich die Gewerkschaft stark machen. Und zwar nicht gegen Migration, sondern für volle und gleiche Rechte für alle, die hier arbeiten. Das verhindert die Spaltung der Beschäftigten und hebt den Lebensstandard aller.
Eine andere “Lösung”: Durch Angriffe auf das Arbeitslosengeld sollen Arbeitslose “motiviert” werden, schlecht bezahlte oder unsichere Jobs zu schlechten Bedingungen anzunehmen. Geradezu zynisch, wenn Nehammer (ÖVP) sagt: “Arbeit muss wieder etwas wert sein”. Geplant ist nicht, Löhne und Gehälter zu erhöhen, sondern die Arbeitslosenbezüge zu kürzen, je länger man arbeitslos ist. Bei Teilzeit will Kocher (Minister für Arbeit, ÖVP) Sozialleistungen kürzen - auch da stolpert die Regierung über eigene Widersprüche: Viele Unternehmen bieten nur Teilzeit an, um zu sparen - obwohl viele Beschäftigte auf Vollzeit wechseln wollen. Und viele Frauen können wegen Betreuungspflichten (Angehörige, Kinder, ...) nur Teilzeit arbeiten.
Die aktuellste “Lösung” der Herrschenden (in Österreich und international) ist es, Menschen einfach länger arbeiten zu lassen: Im Rahmen der Regierungsklausur 2023 ist der einzige Punkt bezüglich “Schwerpunkte Arbeitsmarkt gegen Arbeitskräftemangel” das Anheben des effektiven Pensionsantrittsalters. Die geblockte Altersteilzeit soll verunmöglicht werden und Menschen länger zum Arbeiten gezwungen werden, obwohl viele krank und ausgebrannt sind von ebendieser Arbeit. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir aktuell auch in Frankreich, wo das Pensionsantrittsalter um 5 Jahre erhöht werden soll.
... oder Chance für Verbesserungen!
Die andere Seite: Seit der Corona-Pandemie bezeichnet der Begriff “Great Resignation” (Großes Kündigen) vor allem junge Menschen, die nicht länger in unsicheren und schlecht bezahlten Jobs oder isoliert und entfremdet im Home-Office arbeiten wollen und deshalb kündigen. Es bleiben Stellen offen und Unternehmen müssen “was bieten”, um wieder Leute zu finden.
Sogar die Industriellenvereinigung plädiert für öffentliche Kinderbetreuung, um mehr Arbeitskräfte “freispielen” zu können - zahlen wollen sie das aber nicht und staatliche Gelder sollen für Unternehmenssubventionen und nicht für den “Sozialstaat” verwendet werden.
Ideologisch hat sich das neoliberale Mindset “leben, um zu arbeiten” in ein “arbeiten, um zu leben” gewendet. Arbeit wird als notwendiges Übel gesehen - was es in einer kapitalistischen Gesellschaft auch ist. Der Arbeitskräftemangel, das neue Selbstverständnis plus ein erhöhtes Selbstbewusstsein, weil Corona gezeigt hat, wer wirklich alles am Laufen hält - all das bietet eine riesige Chance für die Arbeiter*innenbewegung und bringt sie in eine bessere Verhandlungsposition.
Das muss die Gewerkschaft für eine Offensive nutzen - für Arbeitszeitverkürzung, für höhere Löhne und mehr Personal und für echte Verbesserungen bei der Aus- und Weiterbildung. Auch garantierte kostenlose Kinderbetreuung für alle Kinder, der Ausbau von Pflegeeinrichtungen und massive Verbesserungen im Bildungswesen sind ein gewerkschaftliches Thema. Eine kämpferische Gewerkschaft kann das und noch viel mehr erreichen.