Do 02.03.2006
Die weltweiten Auseinandersetzungen um die sogenannten “Mohammed-Karikaturen“ lassen die rechte Schlachtparole vom “Kampf der Kulturen“ wieder aufflammen. Wenngleich die etablierte EU-Politik zu “Vernunft und Mäßigung“ aufruft, wird diese Auseinandersetzung einen Vorwand für Verschärfungen rassistischer Gesetze bieten. In Dänemark gewinnt die rechtsextreme Partei DVP in Umfragen 50 % vom letzten Wahlergebnis hinzu. In Ländern wie Iran und Syrien scheinen sich die reaktionären Regimes mittels der Massenproteste zu stabilisieren. Wie sind die Proteste in diesen Ländern bei näherer Betrachtung einzuschätzen, und welche Haltung nehmen wir SozialistInnen zu Meinungsfreiheit und Religion ein?
Gezielte rassistische Provokation
Nähern wir uns dem Auslöser der Tumulte. Anhand der verantwortlichen Zeitung und der Politik der dänischen Regierung lässt sich erkennen, dass hinter den Karikaturen eine gezielte rassistische Provokation steckt. Die dänische Zeitung “Jyllands-Posten“ steht der Partei des Ministerpräsidenten Fogh Rasmussen nahe. Dieser führt seine Minderheitsregierung auf Grundlage der Duldung durch die rechtsextreme DVP. Die Politik Rasmussens umfasst, wie in der EU üblich, Sozialabbau und Rassismus. Seit 2001 verschärfte Rasmussen die Asylgesetze. So dürfen MigrantInnen unter 24 nicht mehr heiraten. “Jyllands-Posten“ ist ein rechtskonservatives Blatt, gestützt auf die protestantischen Mittelschichten. Die Zeitung ist weder Vorkämpferin der Aufklärung noch der Satire. In den 1930er Jahren unterstützte sie den Nazi-Faschismus.
Die Karikaturen haben eine zentrale Botschaft: alle Moslems sind Terroristen. Beispielsweise wird eben der Kopf Mohammeds gezeigt, dessen Turban eine Bombe ist. Ginge es um eine Religionskritik, müsste sich in einer dänischen Zeitung zumindest auch ein rabiater Herr Luther befinden, der einem aufständischen Bauern den Kopf abreißt. Solcherart könnten Aussagen getroffen werden, dass Religion sowohl den Kern kriegerischer Missionierung in sich trägt als auch ein Werkzeug ist, gegebene Ausbeutungsverhältnisse aufrecht zu erhalten. (Genau diese Rolle spielte der Führer der lutherischen Reformation.) Jyllands-Posten will diese Aussagen aber ganz und gar nicht. Das erkennt man auch aus den folgenden Aussagen: Die dänische Politologin Jytte Klausen berichtet: “Drei Jahre zuvor lehnte Jyllands-Posten Jesus-Karikaturen ab. ... Einem Bericht des britischen “Guardian“ zufolge erklärte der verantwortliche Redakteur Jens Kaiser dem Karikaturisten Christoffer Zieler damals: “Ich glaube nicht, dass die Zeichnungen den Lesern von Jyllands-Posten gefallen werden. Ich denke, sie werden für einen Aufschrei sorgen. Darum werde ich sie nicht verwenden.“
Rechte Politiker plötzlich für Meinungsfreiheit?
Die dänische Regierung rechtfertigt nun die Karikaturen mit der “Meinungsfreiheit“. Zu diesem Thema informiert uns Klausen: “Dänemark ist kein Musterland der Meinungsfreiheit. Artikel 140 des Strafgesetzbuches sieht eine Geldstrafe und bis zu vier Monate Haft für die Herabsetzung einer “anerkannten religiösen Gemeinschaft“ vor. Die dänische Rechte ist erst kürzlich zum Prinzip der Meinungsfreiheit umgeschwenkt. Sie hat eine eigene Idee von dessen Nutzung. In den vergangenen zwei Jahren hat die Dänische Volkspartei zweimal die Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen vorgeschlagen. Die Parteimitglieder Jesper Langballe und Soren Krarup sind beide Pastoren in der Lutherischen Landeskirche und haben in Parlamentsreden Muslime als “ein Krebsgeschwür der dänischen Gesellschaft“ bezeichnet.“
Die Politik der gegenwärtigen Regierung zielt in dieselbe Richtung: “Wir sind in den Krieg gegen die gleichmacherische multikulturelle Ideologie gezogen“, prahlte Kulturminister Brian Mikkelsen in einer Parteirede im vergangenen Herbst“. (SPIEGEL online, 10.2.06) Damals waren die Karikaturen bereits veröffentlicht. Der generelle Terror-Verdacht gegen Moslems/Muslima soll den Regierenden erleichtern, Gesetze gegen MigrantInnen zu verschärfen, Polizei-Befugnisse auszuweiten und letztlich die Meinungsfreiheit … einzuschränken.
Beschränkte Meinungsfreiheit
Mittlerweile finden Anfang Februar traditionell Proteste gegen die jährliche NATO-Tagung in München statt. Dieses Jahr wurden DemonstrantInnen verhaftet, da sie es wagten, ein von der Polizei “untersagtes“ Plakat mit sich zu tragen. Es zeigte US-Präsident Bush mit der Bezeichnung Kriegsverbrecher. Das Gerede von der Meinungsfreiheit verkommt aus den Mündern solcher Regierungen wie der dänischen, deutschen oder österreichischen zur Heuchelei.
Gerade die ArbeiterInnen-Bewegung hat gewaltiges geleistet, um demokratische Freiheiten zu erkämpfen. Mehr noch: sie leistet es noch immer, da auch und gerade in den “zivilisierten“ kapitalistischen Ländern viele dieser Grundrechte unter Beschuss stehen. Die Meinungsfreiheit wurde immer gegen die Mächtigen von unten erkämpft, nicht durch die jeweils herrschende Schicht oder deren Hof-BerichterstatterInnen.
Das Heranziehen der “Meinungsfreiheit“ in diesem Fall ist aus einem weiteren Grund fragwürdig: Presse- und Meinungsfreiheit sind in der kapitalistischen Gesellschaft oftmals nur leere Phrasen. Gerade in Österreich herrscht eine mächtige Konzentration im Bereich der Printmedien. Die engen Verbindungen zwischen herrschender Politik, Konzernzentralen und den Spitzen der Medienbranche sind ein offenes Geheimnis. Der direkte Einfluss der ÖVP-FPÖ bzw. BZÖ-Regierung auf die ORF-Berichterstattung war in den letzten Jahren Gegenstand so mancher Proteste von JournalistInnen. Bloß theoretisch das “Recht“ zu haben, etwas zu sagen und zu denken, bedeutet noch nicht, dies auch praktisch tun zu können. Es beginnt damit, dass zur Herausgabe einer Tages-Zeitung enormes Kapital nötig ist. Und in Österreich schaut's noch gut aus. Unglaublich viele Menschen auf diesem Planeten können nicht Lesen und Schreiben. Über eine Milliarde haben pro Tag durchschnittlich weniger als 1 Euro zur Verfügung. Wer von ihnen kann sich auch nur eine Tageszeitung leisten? Solche Überlegungen spielen in den kapitalistischen Medien keine Rolle.
Imperialistische Kriege provozieren Proteste
Der Kern der Empörung betrifft keineswegs nur die Karikaturen. Die Gründe sind handfester. Und es fällt auf, wie wenig in den großen Medien über die eigentlichen Hintegründe der Emotionen in den arabischen bzw. mehrheitlich moslemischen Ländern berichtet wurde: Imperialistische Länder führten 2001 Krieg gegen Afghanistan, 2003 gegen den Irak mit anschließender Besatzung. Das Land steht heute, auch aufgrund der regelmäßigen Luftschläge und Boykott-Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung seit 1991, weiter von Demokratie und Frieden entfernt als jemals zuvor. Hinzu kommt die jahrzehntelange Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Armee, speziell die Siedlungspolitik in der Westbank. Das alles findet unter Duldung der Großmächte statt. Nun droht Bush auch noch gegen Iran. Der Einsatz von Atomwaffen wird von Frankreichs Präsident in Betracht gezogen. All das sind die handfesten Hintergründe für die Explosion der Proteste. Wir verstehen den Unmut über diese Politik sehr gut.
Protestieren nur Fundamentalisten?
Wir haben viele Bilder von Protesten gesehen. Die meisten zeigten brennende Fahnen, demolierte Botschaften und zum Mord aufrufende Anführer. Diese Elemente und ihre bevorzugte Darstellung in den westlichen Medien tragen das ihre dazu bei, Skepsis und Ablehnung unter Menschen verschiedener Herkunft zu schüren. Die Proteste in verschiedenen arabischen, sowie in mehrheitlich moslemischen Ländern und in Iran wurden natürlich von reaktionären Regierungen, bzw. Fundamentalisten beeinflusst. Gerade die Regimes von Syrien und Iran haben offensichtlich Proteste nicht nur geduldet, sondern auch angeheizt. Syrien sah eine Gelegenheit, sich nach dem internationalen Druck in Folge der Ermordung eines wichtigen Politikers im Libanon (wo Syrien die Rolle einer Besatzungsmacht spielt) wieder zu stabilisieren. Doch darin erschöpfen sich die Proteste nicht. Vor allem dort, wo sie sehr wohl Massencharakter angenommen haben, steckt keineswegs hinter jedem Demonstranten ein reaktionärer Fundamentalist! Doch aufgrund der Schwäche der Linken und durch den Einfluss reaktionärer Fundamentalisten und Rassisten, in Ost und West, wächst die Gefahr von Zusammenstössen bis hin zu Pogromen. Im Norden Nigerias nehmen die Übergriffe auf Angehörige der christlichen Minderheit wieder zu. All das geht einher mit den Schwächen der ArbeiterInnenbewegung, eine Alternative anzubieten. Die politischen und religiösen Eliten der jeweiligen Länder wollen jeglichen anti-imperialistischen Protest in ihre Bahnen lenken; am besten in Form einer Gegenüberstellung von Religionen und “Kulturen“.
So wie auch die FPÖVP-Regierung im Jahr 2000 anlässlich der “EU-Sanktionen“ zum “nationalen Schulterschluss“ aufgerufen hat, nutzen reaktionäre Regimes den Karikatur-Konflikt, die “Einheit der Moslems“ gegen äußere Feinde zu beschwören. Da dies auch mit Gewalt geschehen müsse, rechtfertige sich ihre Rolle als politische, geistige oder militärische Führung. Der Mechanismus ist im Westen gleich: wenn die Bedrohung von moslemischen Attentätern ausgeht (und nicht z.B. vom Sozialraub der Regierung), braucht es ... mehr Polizei, strengere Gesetze, weniger demokratische Freiheiten. Alles sei zum “Schutz“ der Bevölkerung, die eine gemeinsame Kultur zu verteidigen habe. Wir SozialistInnen sind in keinem kapitalistischen Land der Welt bereit, dieses verlogene Spiel mitzuspielen.
Im Westen führt die oftmals aggressive Haltung gegen Nicht-Moslems auf Demos zur Zunahme der Spannungen. Diese Stärkung rechter und rassistischer Kräfte auf allen Seiten zeigt die drohende Gefahr. Nur die ArbeiterInnen-Bewegung kann hierzu eine Alternative entwickeln. Dazu ist eine klare Haltung bezüglich Religion und Glauben nötig.
Glaube und Klassenkampf
Jede/r ernsthafte Marxist/in lehnt die Religion ab. Gleichzeitig sind SozialistInnen diejenigen, die entschieden ablehnen, religiöse Vorurteile gegen Menschen eines anderen Glaubens bzw. Nicht-Glaubens einzusetzen. Genauso wie wir gegen Diskriminierung aufgrund einer Religionszugehörigkeit sind, kämpfen wir gegen Unterdrückung auf der Grundlage von Geschlecht, Hautfarbe und sexueller Orientierung. Gerade in diesen Punkten befindet man sich mit den verschiedenen religiösen Hardlinern in offenem Kampf, natürlich auch den islamischen. Gleichzeitig muss die ArbeiterInnen-Bewegung und im speziellen die sozialistische, offen auf religiös geprägte ArbeiterInnen zugehen. Anhand praktischer Auseinandersetzungen kann klar gemacht werden, dass nicht die Bindung an eine Religion über Arm und Reich entscheidet, sondern die soziale Lage; nennen wir es die Klassen-Zugehörigkeit. In jeder Religionsgemeinschaft verlaufen dementsprechend Risse und mitunter breite Klüfte zwischen Millionären und Ausgebeuteten. Die vorhandenen Risse zwischen ArbeiterInnen und Erwerbslosen verschiedener Religionen sowie AtheistInnen können ebenso nur durch Kämpfe gegen Sozialabbau und für bessere Arbeitsbedingungen geschlossen werden. Nur so kann eine Einheit gegen religiöse und rassistische Rattenfänger aufgebaut werden. Rücksicht gegenüber religiösen Vorurteilen einfacher Menschen bei gleichzeitigem unmissverständlichem Kampf gegen die reaktionären Führer, die den wirtschaftlichen und politischen Eliten angehören.
Der Islamische Fundamentalismus hat seine Gegenstücke bei uns. Diese sind um nichts besser oder ungefährlicher: in Österreich sind es vor allem die Angriffe der katholischen Fundamentalisten auf das Frauenrecht, selbst über den Körper und eine Schwangerschaft zu entscheiden. Auch in der hohen Politik sitzen sie: Katholische Fundis wie Andreas Khol (ÖVP) wollten ihren/einen “Gott“ sogar in die Verfassung schreiben.
Die Rolle der Religion in der Geschichte
Die Führer der verschiedenen Religionen und Konfessionen haben sich der Modernisierung und fortschrittlichen Bewegungen meist offen ablehnend gegenüber gestellt. Waren die Kirchenoberhäupter im Mittelalter Profiteure der feudalen Ausbeutung, schafften sie es in den meisten Fällen auch, im Kapitalismus ihren Platz zu finden. Ein Ausdruck dieser Zusammenarbeit sind die berühmten Waffensegnungen der Weltkriege. In diesen Kriegen ging es um die Neuaufteilung der Welt unter die stärksten kapitalistischen Staaten. Das gegenseitige Abschlachten von Katholiken aus verschiedenen Ländern im 1. Weltkrieg führte beim zuständigen Papst nur dazu, seine Stellungnahmen mit der nötigen diplomatischen Feder und “Ausgewogenheit“ zu verfassen. In den verschiedenen revolutionären Umbrüchen stand die überwiegende Mehrheit der Religionsführer immer auf der Seite der blutigen Gegenrevolution.
Das “Komitee für eine ArbeiterInnen-Internationale“, dem die SLP angehört, führte in einer Stellungahme Mitte Februar aus, wie sich die Moderne gegen die christliche Reaktion durchsetzen musste und muss. Dazu zählen Kriege zwischen den christlichen Konfessionen wie der 30-jährige Krieg (1618-1648), die Inquisition, die Hexenjagd, die Abschlachtung der indigenen NordamerikanerInnen sowie der Kolonialismus generell. Keine Religion hat hierbei Anspruch auf Absolution: die fundamentalistischen jüdischen Führer rechtfertigten die gewaltsame Vertreibung der PalästinenserInnen in den 1940er Jahren mit einer geographischen Entscheidung, die angeblich “Gott“ getroffen hätte. Genauso baut der Buddhismus in einem seiner Kernländer auf barbarischen Chauvinismus: Die Pogrome gegen die tamilisch sprechenden Hindus in Sri Lanka wurden und werden von Mönchen und ihrem aufgehetzten Mob angestachelt und durchgeführt. Hindu-Fundis haben ihrerseits im indischen Bundesstaat Gujarat 2002 Massaker an Moslems angerichtet. Keine dieser Gewalttaten brachte für die Bevölkerung eine grundlegende Lösung der sozialen Probleme. Im Gegenteil verschärft jeder religiöse oder ethnische Konflikt die Probleme für nachfolgende Generationen.
Wir nehmen für uns das Recht heraus, an keinen Gott zu glauben und für diese Ansicht offen Werbung zu machen. Genauso muss Meinungsfreiheit und vor allem das Demonstrationsrecht in Österreich und der EU verteidigt werden. Dagegen finden regelmäßig Angriffe von Seiten des Gesetzgebers sowie der Exekutive statt. Es ist die Aufgabe von linken und sozialistischen AktivistInnen im Nahen und Mittleren Osten, eine Alternative zu den reaktionären Fundamentalisten und den undemokratischen Regimes aufzubauen. Das beinhaltet die Versammlungsfreiheit in all den Fällen, wo das Regime Demos nicht wünscht. In Iran war dies in jüngster Vergangenheit der Arbeitskampf der Teheraner Busfahrer, gegen die brutal vorgegangen wurde und wird.
- Wir treten für die vollständige Trennung von Kirche und Staat ein. Das heißt in Österreich vor allem die sofortige und - wo möglich - rückwirkende Kündigung der Verträge mit dem Vatikan. Religion ist Privatsache; daher keine Finanzierung religiöser Inhalte in Schulen durch Steuergelder.
- Angesichts der zunehmenden Schaffung eines Sündenbocks in Form arabischer bzw. moslemischer Menschen sind wir gegen jegliche sogenannten “Anti-Terror-Maßnahmen“ und den Überwachungsstaat. Dadurch wird kein ernsthafter Terrorangriff gestoppt. Für die Rücknahme aller rassistischen Gesetze der letzten Jahre, inklusive der Maßnahmen der SPÖVP-Koalition in den 1990er.
- Gemeinsames Ziel ist eine multiethnische Massenbewegung zur Überwindung des Kapitalismus weltweit.