Mo 27.06.2005
Hilfsmaßnahmen für Afrika werden eine der zentralen Forderungen der zigtausenden DemonstrantInnen sein, die am 2, Juli während des G8 Gipfels in Edinburgh erwartet werden. Es wird Forderungen für entscheidende Schritte geben, aber es ist schon im Vorhinein klar, dass diese Hoffnungen von den G8 Führern nicht aufgegriffen werden. Trotz des medialen Fanfaren über den 40 Milliarden US$ Schuldenerlass, dem die G7 Finanzminister zugestimmt haben, ist das real nur eine geringe Erleichterung für die afrikanischen Massen.
Im Vorfeld des G8 Gipfels in Gleneagles waren wiederholte Versuche des britischen Premierministers Tony Blair und seines möglichen Nachfolgers Gordon Brown zu sehen, auf die verschiedenen „Macht Armut zur Geschichte“ - Kampagnen aufzuspringen und sich selbst als Kämpfer gegen globales Elend und Klimaerwärmung zu portraitieren, um gleichzeitig zu versuchen, die Position des britischen Kapitalismus gegenüber seinen Rivalen zu verbessern. Natürlich bezog sich Blairs Armutsbekämpfungskampagne nicht auf seine persönliche Situation. Letztes Jahr gab er 3,6 Millionen Pfund (rund 5,2 Millionen Euro) für den Kauf einer neuen Luxuswohnung in London aus, und bislang hat auch seine Frau die 30.000 Pfund, die sie während des Besuchs ihres Mannes bei George Bush in Washington für eine Rede „verdiente“, noch nicht an Wohltätigkeitsorganisationen gespendet. Trotz des massiven Verlusts an Glaubwürdigkeit, die Blair seit seiner Wiederwahl mit nur 21% der gesamten Wählerstimmen erfährt, verwendet er die Notlage der afrikanischen Massen, um sich selbst nach der Invasion im Irak ein „humanitäres Mäntelchen“ umzuhängen. Nach dem Irakkrieg glauben jedoch Millionen Menschen Blair kein Wort mehr.
Gleichzeitig möchte die britische Regierung (die, in Worten von Gordon Brown sagt, dass es an der Zeit ist, damit aufzuhören, sich für die Eroberung von weiten Teilen Afrikas und Südasiens durch das vergangene britische Empire zu entschuldigen) die Aufmerksamkeit von der Verantwortung des Imperialismus für die Armut von hunderten Millionen Menschen rund um die Welt ablenken. Während diese krasse Scheinheiligkeit vom politischen Establishment zu erwarten ist, gibt es keinerlei Zweifel, dass die afrikanischen Massen einer düsteren, sich verschlechternden Krise gegenüberstehen. Gleichzeitig befürchten auch die G8 Führer Auswirkungen der anhaltenden Krise in Afrika auf ihre eigenen unmittelbaren Interessen auf dem Kontinent, den internationalen Effekt zunehmender Destabilisierung und das weitere Anwachsen von Widerstand im eigenen Land, gegen die Super-Ausbeutung der afrikanischen Massen.
Zu Beginn dieses Jahres veröffentlichte Blairs ‘Kommission für Afrika’, zusammengesetzt aus Leitern des britischen und verschiedener afrikanischer Regierungen, einen Bericht. Dieser argumentierte, man müsse pro-westliche afrikanische Regierungschefs unterstützen, besonders diejenigen, die neoliberale Politik umsetzen. Die Kommission warnte: „Untätigkeit birgt Gefahren. Diejenigen afrikanischen Führer, die sich für Veränderungen einsetzen, haben Reformen begonnen – in der Wirtschaft und der Korruptionsbekämpfung – die politisch schwierig waren. Diese Führer könnten aus dem Amt gejagt werden, wenn ihr Volk keine Verbesserungen sieht.“ Aus diesem Blickwinkel der Verteidigung des Kapitalismus und lokaler Regierungschefs statt der Interessen der Menschen, befürwortet die Kommission Konzessionen von IWF, Weltbank etc. um weitere Aufstände von unten zu verhindern.
Ein Hauptpunkt der Kampagnen rund um das G8 Gipfeltreffen war der riesige Schuldenberg, den Afrika trägt. Offiziell hat Afrika 300 Milliarden US$ Schulden, von denen „... rund 235 Milliarden US$ zwischen 1985 und 1995 entstanden, als Regierungen Strukturanpassungsprogramme umsetzten ... 270 Milliarden US$ der 300 Milliarden US$, die vom sub-Sahara Afrika über die letzten 30 Jahre als Kredit aufgenommen wurden, wurden mittlerweile zurückgezahlt,“ (Kamran Kousari und Richard Kozul-Wright, Mitarbeiter des UNCTAD Programms für Afrika, Guardian 20/12/04). Diese Strukturanpassungsprogramme oder SAPs beinhalteten beinharte, neoliberale Sparpolitik, die den Lebensstandard senkte und gleichzeitig die Schuldenlast erhöhte. Ein nigerianischer Senator, Farouk Lawan sagte vor einiger Zeit: „Es ist unverschämt, dass Nigeria die vergangenen zwei Jahre 3,5 Milliarden US$ an Schuldenrückzahlung geleistet hat, und trotzdem die Schulden um 3,9 Milliarden US$ angestiegen sind – ohne dass dafür neue Kredite genommen wurden. Wir können so nicht weitermachen. Wir müssen diese Schulden zurückweisen.“ (Guardian, 26/04/05)
Während die Schuldenstreichung von den G8 Finanzministern abgelehnt wird, hat man sich auf eine 40 Milliarden US$ ‚Erlass’ geeinigt, der unter neoliberalen Bedingungen aktuell nur 1,2 Milliarden US$ pro Jahr bedeutet, die von den 18 beteiligten Ländern für andere Ausgaben verwendet werden können. Blairs Kommission für Afrika argumentierte jedoch, dass gesamt Afrika pro Jahr zusätzlich 25 Milliarden US$ benötigen würde. Obwohl dieser Deal den USA in der nächsten Dekade bis zu 1,75 Milliarden US$ kosten könnte, ist dieser Betrag verschwindend gering im Vergleich zu den Kosten von Bush und Blairs Irakkrieg. Ende September dieses Jahres wird der Irakkrieg den USA alleine 207,5 Milliarden US$ gekostet haben.
Der Bericht von Blairs Kommission kombiniert ein blindes Vertrauen in den Kapitalismus mit einem beinahe surrealen Blick auf die Welt. Demnach wird geschrieben, dass „im Unterschied zum Reichtum der Vergangenheit, der einer Handvoll privilegierter Individuen und Eliten zukam, wird dieser Reichtum von einer noch nie da gewesenen Menge gewöhnlicher Menschen rund um den Planeten geteilt werden ... Momentan wird dieser Reichtum noch nicht von allen genossen.“ Trotz der kleinen Einschränkung am Ende ist die Realität eine völlig andere. Anfang Juni veröffentlichte die US Investment Bank Meryll Lynch den „World Wealth Report 2005“ (Bericht über den globalen Wohlstand 2005), der aufzeigt, dass heute insgesamt 8,3 Millionen Individuen weltweit 30.800 Milliarden US$ an persönlichen Finanzanlagen besitzen.
Generell ist Blairs Afrika-Bericht mit bedeutungslosen Phrasen wie „Afrika, letztendlich, scheint bestimmt, erlöst zu werden“ gefüllt und vermeidet ernsthafte Kritik der größten imperialistischen Kräfte. Folglich wird zwar die Tatsache kritisiert, dass die imperialistischen Länder täglich mit rund 1 Milliarde Euro die „unnötige Produktion von nicht gebrauchten Nahrungsmitteln fördert“, er schweigt aber über die Tatsache, dass 2004 die weltweiten Militärausgaben die Höhe von 1.000 Milliarden US$ erreichte, also beinahe 3 Milliarden pro Tag. Auf ähnliche Weise wird die Problematik der Sparmaßnahmen in Form von Strukturanpassungsprogrammen (SAP) ausgeklammert bzw. in äußerst milder, indirekter Kritik verpackt, indem der IWF aufgefordert wird „er solle vermeiden, falsch beurteilte Schranken darüber aufzustellen, was Länder imstande sind, auszugeben“ – ein kleiner Klaps auf die Finger!
Obwohl der Report in trockener Statistik schwelgt, zeigt er die dramatische Situation auf, der die absolute Mehrheit der über 650 Millionen Menschen, die südlich der Sahara leben, ausgeliefert sind. Mehr als 100 Millionen AfrikanerInnen sind “chronisch arm“, die Lebenserwartung ist aktuell am sinken, der Durchschnitt liegt bei 46 Jahren. Der Kontinent wurde von wiederholten Kriegen verwüstet, Millionen Menschen wurden getötet. Drei Millionen starben in den 4 Jahren des Bürgerkriegs in der demokratischen Republik Kongo. Die letzten drei Jahrzehnte haben eine ökonomische Stagnation der afrikanischen Länder und einen Zusammenbruch ihres Anteils am Welthandel gezeigt, der von rund 6% 1980 auf 2% 2002 fiel. Die Spitze davon bildet ein riesiger Schuldenberg, über 300 Milliarden US$, den die afrikanischen Massen tragen.
In den westlichen Medien gibt es oft den Versuch, Afrika und die AfrikanerInnen für diese Krise verantwortlich zu machen. Natürlich hat jeder Kontinent und jedes Land seine eigene Geschichte. Europas Geschichte ist eine von Kriegen und Krisen. Es gibt spezifisch afrikanische Elemente in der Krise, so etwa das anhaltende Vermächtnis von Jahrhunderten der Plünderung der Ressourcen des Kontinents, sowohl in Form von Rohstoffen als auch in Form des Sklavenhandels, die Auswirkungen der direkten imperialistischen Herrschaft, die Afrika im 19. und 20. Jahrhundert erlitt sowie der indirekten imperialistischen Kontrolle, die bis heute andauert. Aber die Krise des Kontinents ist auch Resultat von Armut und dem Versuch lokaler Herrscher, sich durch Plünderungen zu bereichern.
Keiner dieser zwei Faktoren ist spezifisch afrikanisch. Korruption ist in der gesamten kapitalistischen Welt weit verbreitet. Ein jüngeres Beispiel ist, wie US Präsidenten regelmäßig die Botschaftsposten und die damit verbundene diplomatische Immunität vergeben, nämlich an ihre finanziellen Sponsoren. Bush hat soeben in Rom seinen neuen Botschafter, einen Bankier bestellt, der einer seiner Uni-Kollegen war und, was noch viel wichtiger ist, einer seiner privaten Wahlkampfspender in der letzten Präsidentenwahl war. In der Tat wurden 20% von Bushs besten Geldbeschaffern aus den Wahlen 2000 und 2004 von diesem mit hohen Posten betraut. Wenn ein afrikanischer Präsident so agiert gibt es Korruptionsvorwürfe. Wenn Bush es macht, wird es als normale US-Praxis akzeptiert.
Die ungezügelte Korruption und Plünderungen der afrikanischen Eliten ist ein Ausdruck dafür, dass die überwältigende Mehrheit keine Hoffnung auf eine stabile Entwicklung in ihrem jeweiligen Land sehen und somit eine „Nimm das Geld und mach dich aus dem Staub“ – Mentalität haben. Dieses beinahe völlige Fehlen von Zuversicht geht bis in die Spitze der Politik. Nigerias derzeitiger Finanzministerin, Ngozi Okonjo-Iweala, wurde in den internationalen Medien für ihre Kürzungsmaßnahmen bei öffentlichen Leistungen und ihre Korruptionsbekämpfung gepriesen, sie wurde jedoch nur unter der Bedingung, ihr Gehalt in US Dollar statt in nigerianischen Naira zu erhalten, Finanzministerin. Jetzt „verdient“ sie die moderate Summe von 247.000 US$ pro Jahr.
Blairs Kommsission zeigte richtigerweise einen der Gründe der afrikanischen Krise auf, der darin liegt, dass Rohstoffe den Hauptexportanteil ausmachen und dass „...Afrika einfach nicht genug Waren für den Handel erzeugt“. Wie zu erwarten erklärt die Kommission nicht die Ursachen dieses Umstandes. Afrika hat riesige Ressourcen an den Fähigkeiten der Menschen, seinen natürlichen Rohstoffen und seiner Landwirtschaft, doch warum werden diese nicht im Interesse der afrikanischen Menschen genutzt? Die grundlegende Antwort darauf ist, dass die Weltwirtschaft lange Zeit von den herrschenden Klassen der reichen Länder und deren Unternehmen dominiert wurde. Gegenwärtig kontrollieren die 500 größten internationalen Konzerne 70% des Welthandels, während die füng größten Banken und Finanzagenturen 60% des globalen Kapitals in den Händen halten. Heute sind nur 300 Multinationale und große Banken für 70% aller ausländischen Direktinvestitionen zuständig.
Diese Vorherrschaft der Monopole verhindert das Wachsen unabhängiger Rivalen sehr effektiv. Überall wo neue Technologien oder Produkte entstehen werden diese sehr schnell von den imperialistischen Mächten dominiert. Ausnahmen zu dieser generellen Regel, wie etwa Südkorea, wurden während des kalten Krieges vom Westen aus strategischen Gründen geholfen. Im einzigartigen Fall von China wurde die ökonomische Basis für das jüngste Wachstum auf dem Fundament der ursprünglichen Fortschritts ermöglicht, der auf einer geplanten, nationalisierten Ökonomie aufbaute, und das trotz der negativen Auswirkungen des maoistischen Stalinismus.
Während die imperialistischen neo-liberalen Forderungen nach „Liberalisierung“ und „Öffnung der afrikanischen Märkte“ abzulehnen sind, sehen SozialistInnen keine Alternative durch Handels- oder Zollbarrieren, um lokale kapitalistische Ökonomien vom imperialistischen Wettbewerb zu schützen. In der Realität wird diese Art kapitalistischer Importkontrolle dazu verwendet, den Preis von Waren hinaufzutreiben und so enorme Möglichkeiten für Korruption und Profitstreben für jene zu ermöglichen, die in der Lage sind, Importlizenzen, Devisenhandel etc. zu manipulieren. Nur durch den Bruch mit dem Kapitalismus und einem Beginn, die Wirtschaft demokratisch zu planen kann es möglich sein, eine Wirtschaft im Interesse der Arbeiterklasse aufzubauen.
Imperialistische Kontrolle und der Drang nach Profiten verzerrt die Entwicklung der gesamten Welt. Sogar die Blair Kommission stellte das partiell fest, als sie schrieb, dass „...die Handelspolitik ... entwickelter Nationen ... sind verdreht und bevorzugen die Reichen ohne an die Armen zu denken“. Das ist eine der Schlüsselfragen die gelöst werden muss, wenn der Lebensstandard global angehoben werden soll. Aber selbstverständlich wollen Blair und Co. das System nicht in Frage stellen. Die Kommission legt ihre gesamte Hoffnung in den Kapitalismus. Sie bemerkt plump, „Ökonomisch wird das Wachstum prinzipiell vom privaten Sektor vorangetrieben, das verlangt eine Regierungspolitik, die ein Klima ermöglicht, in dem gewöhnliche Menschen – seinen es kleine Farmer oder Manager von größeren Firmen – ihre täglichen Aufgaben störungsfrei abwickeln können und spüren, dass es erstrebenswert ist, in ihre eigene Zukunft zu investieren.“
Lässt man die lächerliche Bemerkung beiseite, dass die Situation für „kleine Farmer” mit der Position von Managern „größerer Firmen“ verglichen wird, so hat die Erfahrung gezeigt, dass Kapitalismus Afrika nicht weiter entwickelt, sondern im Gegenteil den Kontinent zurückwirft. Aber selbst wenn am sich die Geschichte des europäischen oder US-Kapitalismus ansieht, wird klar, dass diese nie Beispiele für ununterbrochenen Fortschritt waren, wiederholt traten Krisen und Schocks ein. Daran muss speziell heute erinnert werden, da die Basis des Wachstums der Weltwirtschaft extrem fragil ist und es wachsende Ängste gibt, was die nächste ökonomische Krise bringen wird.
Aber trotz seiner forgesetzten Krise gibt es eine andere Seite von Afrika, nämlich die wiederholten Kämpfe, geführt von der ArbeiterInnenklasse und der Jugend, um Lebensstandards und demokratische Rechte zu verteidigen. Allein in Nigeria wurde die Politik der Obasanjo-Regierung, die Verteuerung der Benzinpreise mit sieben Generalstreiks und Perioden von Massenprotesten seit Juni 2000 bekämpft. Immer wieder wurden repressive Regime gestürzt, jedoch wurde mit Kapitalismus und Imperialismus nicht gebrochen, ein bleibender Wechsel stellte sich nicht ein. Nur wenn die Produktion für Privatprofite beendet wird und Ressourcen öffentliches Eigentum werden und demokratisch kontrolliert werden, wäre es möglich, ihren Einsatz so zu planen, dass er die menschlichen Bedürfnisse abdeckt.
Die Notwendigkeit eines Bruchs mit dem Kapitalismus ist Teil der Alternative, wofür SozialistInnen, wie z.B. das Democratic Socialist Movement (CWI) in Nigeria argumentieren – während sie kämpferische sozialistische Organisationen als Teil einer weltweiten Bewegung aufbauen. Ein sozialistischer Bruch mit dem Kapitalismus in einem afrikanischen Land, speziell in einem regional bedeutendem wie Nigeria und ein Appell an andere Länder, diesem Beispiel zu folgen, könnte der Beginn einer wirklichen Transformation auf unserem Planeten darstellen. Die Globalisierung hat gezeigt, wie individuelle Firmen ihre Produktion rund um die Welt planen können. Man stelle sich vor, was möglich wäre, wenn ein demokratischer Plan alle Ressourcen der Welt nutzen könnte, Menschen ebenso wie Material, um die Bedürfnisse der Menschen zu stillen und gleichzeitig die Umwelt zu schonen.
Die westlichen Medien präsentieren Afrika gewöhnlich als hilfsbedürftigen Kontinent. Zweifellos können SozialistInnen und andere AktivistInnen in Afrika von internationaler Solidarität profitieren. Aber das ist keine Einbahnstrasse. Afrika ist derzeit das schwächste Glied in der Kette des Weltkapitalismus. Wenn die afrikanischen Massen, Arme und Jugendliche beginnen werden, die Ketten des Kapitalismus zu sprengen, dann können sie damit eine globale Veränderung auslösen.