Mo 18.09.2017
Am 28. September finden auch in Österreich Aktionen für das Recht auf sichere Abtreibung statt. In Wien organisiert Nicht mit Mir gemeinsam mit Aufbruch eine Aktion: https://www.facebook.com/events/294567117692871/?acontext=%7B%22action_history%22%3A%22[%7B%5C%22surface%5C%22%3A%5C%22page%5C%22%2C%5C%22mechanism%5C%22%3A%5C%22page_upcoming_events_card%5C%22%2C%5C%22extra_data%5C%22%3A[]%7D]%22%2C%22has_source%22%3Atrue%7D
Der 28. September ist der internationale Aktionstag für sichere Abtreibung. Ursprünglich kommt er von der Campaña 28 Septiembre, einer Kampagne, die 1990 in Lateinamerika und der Karibik für die Entkriminalisierung der Abtreibung gestartet wurde. Das Globale Frauennetzwerk für Reproduktive Rechte ( Women’s Global Network for Reproductive Rights) hat im Jahr 2011 den 28. September zum internationalen Aktionstag gemacht und seither gab es jedes Jahr auf der ganzen Welt Aktionen. In den letzten Jahren hat das Thema Abtreibung wieder zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die religiösen Fundamentalisten, die selbsterklärten “pro life” Aktivisten und ihre UnterstützerInnen in den Regierung – sie alle waren immer da, aber es scheint, als ob sie in den letzten Jahren lauter und gefährlicher geworden sind.
Die Fakten: eine gefährliche Situation für Frauen
Jede dritte Frau hat in ihrem Leben eine Abtreibung – es handelt sich also um “eine der häufigsten medizinischen Eingriffe der Welt” erklärt Ruth Coppinger, eine irische Sozialistin und Aktivistin für Frauenrechte. Aber international gibt es nur in einer Minderheit der Staaten einen legalen Zugang zu Abtreibung. 25% aller Frauen leben in Ländern, wo Abtreibung verboten ist und mit Gefängnis oder Schlimmerem bestraft wird. Weitere 40% leben in Staaten, wo Abtreibung verboten ist oder nur in speziellen Fällen erlaubt ist, oder wo der Zugang schwierig ist. Und selbst dort, wo es formal legal ist, ist der Zugang in der Praxis oft schwierig und teuer.
In Österreich hat es die Sozialdemokratische Regierung im Jahr 1975 straffrei gestellt, einen Abbruch zu bekommen. Doch sie hat sich nicht darum gekümmert, dass auch Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Die PrimarärztInnen in Spitälern können entscheiden, ob Abbrüche durchgeführt werden – was in der Praxis bedeutet, dass es kaum Spitäler gibt, die das auch tun. Das betrifft auch Spitäler, die mit Steuergeldern oder Geldern der Krankenversicherung finanziert werden sowie auch Spitäler in Bundesländern, die von der SPÖ regiert werden. Die Realität in Österreich bedeutet, dass Frauen für einen Abbruch weit reisen und viel Geld zahlen müssen.
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO werden jährlich rund 22 Millionen Abtreibungen unter unsicheren Bedingungen durchgeführt, das sind mehr als die Hälfte aller weltweit durchgeführten Abbrüche. 47.000 bis 60.000 Frauen sterben jedes Jahr an unsicheren Abtreibungen – das ist eine Frau alle sieben Minuten! Viele dieser Frauen haben bereits Kinder und diese bleiben dann ohne Mutter und oft auch auch ohne Vater zurück. Schätzungen zufolge haben 8.5 Millionen Frauen dauerhafte gesundheitliche Probleme nach solchen unsicheren Abtreibungen. Es ist eine Tatsache, dass das Verbot von Abtreibungen deren Zahl nicht reduziert, sondern nur dazu führt, dass mehr Frauen dabei verletzt oder getötet werden.
Die tödliche Politik der sogenannten “Pro life” Bewegung
Die Zahlen zeigen auch, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kinder pro Frau und dem Zugang zu Abtreibung gibt. In Ländern mit sehr strikten Anti-Abtreibungsgesetzen wie Malta oder Polen haben Frauen durchschnittlich 1.38 bzw. 1.29 Kinder. Andererseits haben Frauen in Schweden und Norwegen durchschnittlich 1.89 und 1.79 Kinder. Dort ist Abtreibung legal und es gibt eine bessere soziale Situation für Frauen, beispielsweise beim Zugang zu leistbarer Kinderbetreuung. Doch es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen. Je besser die Sexualkunde in Schulen, je einfacher und billiger der Zugang zu Verhütungsmitteln, desto geringer ist die Zahl unerwünschter Schwangerschaften und somit von Abtreibungen. Österreich, eines der europäischen Länder, in denen junge und/oder alte Menschen den vollen Preis für Verhütungsmittel zahlen müssen, hat ExpertInnen zufolge eine der höchsten Schwangerschaftsraten unter Teenagern. Hier zeigt sich der reaktionäre Charakter der so genannten „Lebensschützer“-Organisationen: Die meisten von ihnen sind sowohl gegen Sexualkunde als auch Verhütung. Sie hängen an einem ultra-konservativen Familienbild und sehen die Rolle von Frauen ausschließlich als Geburtsmaschinen für Babies. Sie haben nicht nur Verbindungen zu Kirchen und religiösen Organisationen, sondern auch zu RechtsextremistInnen und FaschistInnen. Regelmäßig spielen sie den Holocaust hinunter und verwenden antisemitische Motive. Sie halten die Geburt von mehr weißen, christlichen Babies für nötig - im Gegensatz zu jenen von Flüchtlingen oder (muslimischen) MigrantInnen. FaschistInnen und Nazis nehmen an den „Lebensschützer“-Demonstrationen nicht nur teil, sie greifen AktivistInnen, die für die Wahlfreiheit eintreten auch körperlich an. In den USA bedrohen radikale Anti-AbtreibungsaktivistInnen nicht nur die MitarbeiterInnen von Kliniken, die Abtreibungen durchführen, sie töten sie auch.
Dabei handelt es sich nicht nur um einige verrückte Individuen. Es geschieht regelmäßig und ist im reaktionären Charakter des Ganzen verwurzelt. Die Wahrheit ist, dass die so genannte „Lebensschützer“-Bewegung, finanziert von Kirchen, Konservativen und reaktionären Organisationen, für unerwünschte Schwangerschaften und den Tod von Frauen, die durch unsichere Abtreibungen sterben, verantwortlich ist. Es handelt sich um MörderInnen.
Warum werden sie stärker?
Wären die Kräfte der „LebensschützerInnen“ nur einige Freaks, die mit Kerzen und Kreuzen herumwandern, könnte man sie ignorieren. Doch sie beeinflussen die tägliche Politik. Durch ihren Einfluss haben die US-VertreterInnen beim UN-Kindergipfel alle Formulierungen abgeblockt, die als Akzeptanz von Abtreibungen durch sehr junge schwangere Mädchen interpretiert werden könnte. 2012 haben sie eine europäische Bürgerinitiative „einer von uns“ angemeldet, die fast zwei Millionen Unterschriften in Europa gesammelt hat. Ihr Ziel war es, die Finanzierung von Familienplanungszentren durch die EU zu stoppen. Der Druck war so groß, dass die EU eine geplante Entscheidung des EU-Parlamentes für ein europäisches Abtreibungsrecht gestoppt hat. Eine solche Entscheidung hätte Millionen von Frauen in Orten wie Polen, wo Abtreibungen faktisch unmöglich sind, oder in Malta, wo Abtreibungen abgelehnt werden, selbst wenn das Leben der Frau gefährdet ist, helfen können.
Um ultra-konservative WählerInnen zufrieden zu stimmen, hat Trump die Finanzierung für internationale Organisationen, die mit Verhütung helfen und es dabei wagen, Abtreibung als eine Möglichkeit zu nennen, gestoppt. Dadurch haben Millionen von Frauen in Afrika und Asien keinen Zugang zu Verhütungsmitteln, medizinischer Hilfe oder Kondomen zur Verhinderung von AIDS. An der Abtreibungsfrage zeigt sich auch, wie der Kapitalismus und seine ideologische Basis – wenn auch manchmal widersprüchlich – eine Barriere für die Entwicklung der Menschheit sind.
1980 wurde die erste Abtreibungspille entwickelt – eine viel einfachere und billigere Abtreibungsmethode für Frauen, insbesondere für jene, die keinen Zugang zu ÄrztInnen und Kliniken haben. Doch deren Akzeptanz und Legalisierung hat in zahlreichen Ländern sehr lange gedauert, selbst in solchen, in denen ärztliche Abtreibungen legal sind. In vielen Ländern ist der Zugang immer noch an einen Arztbesuch geknüpft. Von einem medizinischen Standpunkt aus ist das unnötig. Die Kontrolle über weibliche Körper und der Erhalt der traditionellen Familie sind hier viel stärker als das Profitinteresse der Pharmakonzerne gewichtet. Diese machen allerdings genug Gewinn mit Frauen, welche die Pillen illegal und somit viel teurer erwerben.
Der wachsende Einfluss dieser FundamentalistInnen reflektiert wirtschaftlichen, und in dessen Folge politischen Wandel. Die traditionelle Familie ist für das herrschende kapitalistische System extrem wichtig. Sie stellt nicht nur unbezahlte Arbeitskräfte (meistens von Frauen) zur Verfügung, sondern stabilisiert auch das herrschende, aber immer stärker unter Druck stehende und weltweit von Millionen Menschen hinterfragte System. Die Familie reproduziert den bürgerlichen Staat: Sie soll die nächste Generation von guten, willigen BürgerInnen und ArbeiterInnen produzieren und dient gleichzeitig als Modell der Autorität und Unterdrückung.
Kapitalistische PolitikerInnen sind nicht notwendigerweise alle reaktionär in ihrer Sichtweise auf Frauen oder die Familie. Doch der konservative Backlash kommt ihnen politisch gelegen. Die „Familie“ wird im Wahlkampf, „Frauenmagazinen“ und den Medien propagiert – vielleicht manchmal in einem moderneren Stil, aber grundsätzlich in ihrer traditionellen Form. Die Politik kürzt bei Gesundheit, Pflege und Bildung. Frauen werden aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Zunehmend müssen sie all jene unbezahlten Pflegearbeiten machen, die durch neoliberale Politik gekürzt werden. Indem die so genannten „Lebensschützer“-FundamentalistInnen die Idee der „traditionellen“ Familie stärken, unterstützen sie die neoliberale Politik ideologisch. Das wird durch einen ihrer Slogans unterstrichen: „Die Wirtschaft ist gesünder durch Vater, Mutter, Kinder“.
Weltweiter Widerstand
Der Kampf für Frauenrechte und die ArbeiterInnenbewegung können historisch nicht voneinander getrennt werden. Es stimmt, dass eine bürgerliche Frauenbewegung existiert und diese oft dominant war und ist. Doch die größten Errungenschaften für Frauen gab es in Zeiten von Revolutionen und intensivem Klassenkampf. Die russische Revolution von 1917 gab Frauen nicht nur das Wahlrecht, sondern auch das Recht auf Abtreibung. Außerdem wurden Schritte zur Sozialisierung der Hausarbeit (inklusive der Kinderbetreuung) unternommen. Dass diese Rechte später zurückgedrängt wurden, unterstreicht den reaktionären Charakter des Stalinismus. Die Legalisierung von Abtreibungen in vielen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern als Ergebnis der zweiten feministischen Welle der 1970er Jahre kann nicht von der Bürgerrechtsbewegung und einer internationalen revolutionären Welle getrennt werden. Der Nachkriegsboom brachte Millionen von Frauen in die Erwerbsarbeit und machte sie zu aktiven Teilen der ArbeiterInnenbewegung und der lebendigen Klassenkämpfe jener Jahre.
Heute sehen wir eine neue internationale Welle von Frauenkämpfen gegen Sexismus, Gewalt und für Frauenrechte. Frauen haben für ihre Rechte gekämpft und dadurch ihre Stärke erfahren. Seit einigen Jahren gibt es in Indien Massenproteste gegen Vergewaltigungen, an denen Frauen unterschiedlicher sozialer und ethnischer Hintergründe beteiligt sind. In Lateinamerika gibt es in vielen Ländern den Schlachtruf „nicht eine mehr“ gegen den Mord an Frauen. In Polen und Irland gab es Massenproteste und Kämpfe für Abtreibungsrechte. Der Zeitpunkt dieser neuen Kämpfe ist nicht zufällig. Er geht Hand in Hand mit einer zunehmenden Zurückweisung des Kapitalismus und seines Familienkonzepts sowie einer Zunahme an Klassenkämpfen. Hier handelt es sich nicht um „Randkämpfe“ ohne große Bedeutung. Sie müssen aber mit Klassenkämpfen und antikapitalistischen Bewegungen verknüpft werden. Das Recht der Frauen auf die Kontrolle ihres eigenen Körpers ist Teil des Menschheitskampfes zur Befreiung aller Körper von kapitalistischer Ausbeutung.
Der Kampf der Frauen in Polen gegen die Versuche der Regierung, Abtreibung komplett zu verbieten (obwohl sie ohnehin in den meisten Fällen bereits illegal ist und selbst in den verbleibenden wenigen legalen Fällen kaum zu bekommen ist) war großartig – aber die Bewegung stoppte am Höhepunkt, sie ging nicht in die Offensive, um einen leichteren Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibung zu fordern. Die zehntausenden Frauen und Mädchen, die in der Bewegung aktiv geworden waren, wurden nicht organisiert, sondern gingen nach den Protesten einfach wieder nach Hause. Es gab keine nächsten Schritte, nichts wurde geplant, kein Angebot gemacht, aktiv zu bleiben. Das führte dazu, dass die Regierung einen anderen Angriff auf Frauenrechte durchbrachte – seit Juni 2017 brauchen Frauen in Polen für die Pille danach ein ärztliches Rezept, was die Anwendung in den meisten Fällen de facto unmöglich macht. Das zeigt, wie polnische SozialistInnen auch argumentiert haben, dass der Kampf für Frauenrechte organisiert werden muss. Es braucht demokratische Strukturen, die UnterstützerInnen und AktivistInnen in Diskussionen und die Entscheidung über Forderungen und die nächsten Schritte einbeziehen. Und die Bewegung braucht ein Programm, das den Kampf für die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper mit dem Kampf gegen Kapitalismus verbindet, denn dieser ist ein System, das von der Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen profitiert und darauf aufbaut.
SozialistInnen des CWI sind überall auf der Welt Teil dieses Kampfes – von Chile bis Irland, von Polen bis Indien, von den USA bis Österreich. Eine Reihe von Sektionen und Gruppen des CWI wie z.B. in Irland, Schweden, Belgien, Quebec, Österreich und anderen Ländern werden am und um den 28. September aktiv sein. Wir beteiligen uns und organisieren Kampagnen und Aktivitäten und treten für ein sozialistisches Programm rund um folgende Forderungen ein:
- Freier und kostenloser Zugang zu Verhütung und Abtreibung.
- Ein öffentliches Gesundheitswesen, das in allen Teilen des Landes Zugang zu Abtreibung ohne Hürden ermöglicht.
- Ein öffentliches Bildungswesen, das Aufklärungsunterricht für Kinder und Jugendliche jeden Alters organisiert.
- Ein öffentliches Sozialsystem, das kostenlose, hochwertige Kinderbetreuung zur Verfügung stellt sowie günstiger öffentlicher Wohnraum und ordentliche Jobs für alle Frauen, damit Frauen die Entscheidung über Kinder frei von ökonomischen Zwängen fällen können.
Mehr Informationen zur Situation in Österreich in der Broschüre der SLP: https://www.slp.at/broschueren/volle-selbstbestimmung-f%C3%BCr-frauen-gegen-den-terror-der-abtreibungsgegner-4849