So 13.05.2018
Ausgerechnet Jean Claude Juncker. Der EU-Kommissionspräsident, dessen Kürzungsdiktat Millionen in Armut gestürzt hat, hält die Eröffnungsrede zu den Marx– Feierlichkeiten in Trier. Bereits vor 100 Jahren schrieb Lenin, dass große RevolutionärInnen zu Lebzeiten verfolgt werden, nur um nach ihrem Tod heiliggesprochen zu werden – „wobei man ihre revolutionäre Lehre des Inhalts beraubt“. Die Versuche, Marx heute „totzuumarmen“ zeigen jedoch vor allem eines: dass er noch nicht tot ist.
Marx revolutionierte das Denken seiner Zeit. Er erkannte, dass die Art, wie eine Gesellschaft produziert und sich reproduziert, grundlegend dafür ist, wie diese Gesellschaft aussieht und welche Ideen in ihr aufkommen. Seit der „neolithischen Revolution“ (ein Begriff des marxistischen Archäologen Gordon Childe) in der Eisenzeit produzieren Gesellschaften mehr, als sie unmittelbar zum Überleben brauchen. Das ermöglichte wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt, aber auch die Bildung gesellschaftlicher Klassen. Von nun an ließen die einen die anderen für sich arbeiten. In welcher Form diese Ausbeutung stattfand, hing immer vom Stand und der Art des technischen Wissens ab: „Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“
Vor allem seit der Krise 2008 findet Marx‘ Analyse des Kapitalismus immer mehr Beachtung. In diesem System wird produziert, um zu verkaufen. Das liegt daran, dass die BesitzerInnen der Unternehmen, die KapitalistInnen, Profit machen müssen. Sie konkurrieren untereinander. Wer nicht genug Profit macht, um seine Produktion immer mehr auszuweiten, wird vom Markt gedrängt. Wir, die ArbeiterInnenklasse, müssen unsere Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit den KapitalistInnen verkaufen. In dieser Zeit schaffen wir jedoch mehr, als unsere Arbeitskraft wert ist. Diesen „Mehrwert“ machen die KapitalistInnen zu Profit. Das heißt aber auch: Wir können niemals alles kaufen, was produziert wird. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die KapitalistInnen immer schneller und billiger produzieren. Sie ersetzen deswegen menschliche durch maschinelle Arbeitskraft. Damit untergraben aber die KapitalistInnen die Quelle ihrer Profite. In den einzelnen Waren steckt weniger menschliche Arbeit und deswegen weniger Mehrwert. Sinken die Profitraten, lohnen sich Investitionen nicht mehr. Ob durch Überproduktion, Blasen oder zu geringe Profite ausgelöst – der Kapitalismus muss immer wieder zu zerstörerischen Krisen führen. Für die KapitalistInnen bringen diese Krisen das System und seine Teile wieder in eine Art Gleichgewicht, von der das Ganze wieder von vorne losgehen kann. Für uns bedeuten diese Krisen jedoch Armut, Arbeitslosigkeit und die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen.
Schon im „Manifest der kommunistischen Partei“ beschreiben Marx und Engels, wie die KapitalistInnen auf der Jagd nach Profiten alles zur Ware machen müssen. Heute sehen wir, wie die Profitwirtschaft in unsere intimsten und persönlichsten Beziehungen einsickert. Marx zeigte auch auf, wie dieses System den „Stoffwechsel“ zwischen Mensch und Umwelt zerstört. Er erkannte, dass es im Kapitalismus keinen wirtschaftlichen Fortschritt ohne Zerstörung menschlicher und natürlicher Beziehungen gibt. Die gewaltigen Produktivkräfte, die der Kapitalismus auf seiner Jagd nach Profiten geschaffen hat, sind schon längst zu Destruktivkräften geworden. Dieses System nutzt etwa Drohnentechnologie, nicht um das Leben zu erleichtern, sondern um möglichst gezielt zu töten. Mit dem heutigen Wissen könnte der Mangel abgeschafft und die Klassengesellschaft überwunden werden. Doch dafür muss die herrschende Klasse gestürzt werden.
Marx war nicht nur Beobachter, sondern aktiver Teilnehmer des Klassenkampfes der ArbeiterInnenklasse gegen Kapital und Adel. Schon mit 26 Jahren wurde er auf Befehl des preußischen Staates wegen seiner politischen Aktivität ausgewiesen. Das hinderte ihn nicht, an den revolutionären Ereignissen 1848 teilzunehmen, auch in Wien. Den Rest seines Lebens lebte er als Staatenloser im Exil. Marx war kein Einzelkämpfer – schon in frühen Jahren gewann er lebenslange MitstreiterInnen, ohne die sein Werk undenkbar wäre. Zwei stechen heraus: Seine Frau Jenny Marx, die selbst sozialistische Aktivistin wurde und sein kongenialer Partner Friedrich Engels.
1864 war er Mitbegründer der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“, der ersten internationalen politischen Kampforganisation der ArbeiterInnenklasse. Obwohl sich sein Gesundheitszustand ab den 1860ern zunehmend verschlechterte, beteiligte er sich soweit es ihm möglich war, am Aufbau und an den Debatten der ArbeiterInnenbewegung. Für die politisch „Indifferenten“, die den Klassenkampf nur von der Seite kommentieren, hatte er nur Spott übrig.
Sartre schreibt: „Der Marxismus bleibt die Philosophie unserer Epoche: Er hat sich noch nicht überlebt, weil die Zeitumstände, die ihn hervorgebracht haben, noch nicht überlebt sind“. Digitalisierung, Klimawandel, Wirtschaftskrise und globale Rekord-Ungleichheit geben ihm Recht. Mehr denn je ist es heute wichtig, Marx‘ Ideen kennenzulernen und sich zu organisieren, um „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“