Fr 29.07.2011
Die Zukunft für Jugendliche sieht düster aus. Auch deshalb sind Jugendliche oft die ersten, die gegen die verheerenden Sparpakete Sturm laufen. Dabei waren doch noch vor kurzem die Medien voller Beschwerden über die „unpolitische Generation“. Statt sich für die Gesellschaft zu engagieren, würden Jugendliche nur feiern und vor dem Computer sitzen. Tilman M. Ruster, ein politischer Jugendlicher, über die gar nicht so unpolitische Jugend.
Die ausgespuckte Generation
Auf Plakaten und Transparenten der Jugendbewegungen in aller Welt ist von der „ausgespuckten Generation“ die Rede. Jugendliche sind von Kürzungen besonders betroffen; immerhin steht die Zukunft auf dem Spiel, „Reserven“ gibt es noch keine. In Spanien z.B. soll trotz 40% Jugendarbeitslosigkeit das Pensionsantrittsalter erhöht werden. In Britannien wurden Studiengebühren von ca. 12.000€ (9000£) im Jahr eingeführt und in Österreich wurde die Familienbeihilfe gekürzt. 60% gehen davon aus, dass es ihnen schlechter als noch ihren Eltern ergehen wird. Schon vor der Krise war die Situation oft prekär: Die Bildungssysteme sind enorm selektiv, wer also von den „falschen“ Eltern geboren wird, hat bereits von Anfang an verloren, weil vieles davon abhängt, ob die Eltern in der Lage sind, eine ordentliche Ausbildung zu finanzieren. In Wien z.B. kostet alleine die Nachhilfe für ein Kind durchschnittlich 911€ im Jahr.Wer es zum Schulabschluss bringt, muss oft jahrelang nach einem Ausbildungsplatz suchen, nur um zuletzt aus der Not irgendwas zu lernen und dort oft nicht ausgebildet, sondern ausgebeutet zu werden. Wer studiert, sieht sich mit überfüllten Hörsälen und extremem Druck konfrontiert. Und dabei bringt eine „gute Ausbildung“ noch nicht einmal etwas. Die Revolutionen in den arabischen Ländern sind von einer Generation wütender Jugendlicher begonnen worden, die zwar eine gute Ausbildung haben, aber trotzdem keine Jobs bekommen. Auch bei uns wartet die „Generation Praktikum“ oft jahrelang auf einen bezahlten Job. Die Zukunftsangst von Jugendlichen ist also völlig berechtigt.
Die gedemütigte Generation
„Los Indignados“ ( Die Empörten) nennen sich die protestierenden Jugendlichen in Spanien. Denn begleitet wurde diese stetige Verschlechterung der Lebensbedingungen europaweit mit Schmähungen gegen die Betroffenen. Jugendliche wären faul, würden nur feiern und vor dem Computer hocken. Sie würden sich zu Hause von den Eltern durchfüttern lassen, statt selber etwas aus ihrem Leben zu machen. Überall schreit es ihnen entgegen: Ihr müsst nur fleißig und brav sein. Wenn Eure Zukunft düster aussieht, dann ist es eure eigene Schuld.
Ein Ablenkungsmanöver: Seit Jahren wird bei der Bildung gespart. Jugendzentren oder Sporteinrichtungen werden eingestampft. Am Arbeitsmarkt hat sich der Druck mit zunehmender Globalisierung vervielfacht. Die Mietpreise steigen ins unendliche und so wird der von vielen ersehnte Auszug von „Zuhause“ unmöglich gemacht.
Die Lehrlinge seien „faul“, „schlecht“, „desinteressiert“ beschwert sich die Wirtschaft. Wie motiviert kann ein Jugendlicher denn sein, wenn zuerst monatelang verzweifelt eine Lehrstelle gesucht wird, auf hunderte Bewerbungen nicht einmal Absagen kommen und man dann in irgendeiner Maßnahme für ein Taschengeld eine Ausbildung machen muss, die einen überhaupt nicht interessiert?! Ein Wirtschaftssystem, das Jugendliche wie Dreck behandelt und ausspuckt, braucht sich nicht wundern, wenn diese dann entsprechend demotiviert sind.
Dazu passen auch Studien, denen zu Folge die Wertvorstellungen der unter 25jährigen immer konservativer werden. SchülerInnen träumen noch von Ungebundenheit und langen Reisen, während AbsolventInnen nur mehr auf einen festen Job, eine eigene Wohnung und eine „gesunde“ Familie hoffen. Zunehmend haben junge Frauen wieder das Ziel, Hausfrau zu werden. Mit konservativ hat dass allerdings wenig zu tun, sondern mit Perspektivlosigkeit. Nach langer und frustrierender Jobsuche mag Hausfrau zumindest eine realistische Perspektive sein.
Wir sind die wütende Generation
Aufgrund von Stress durch Studium und Arbeit leiden 10% der Studierenden unter Burn-Out. Schulstress und Zukunftsangst sind wesentliche Gründe dafür, dass bis zu acht Prozent der Jugendlichen unter Depressionen leiden. Doch Frust, Essstörungen, Drogenmissbrauch, Depressionen und Passivität sind nur eine Reaktion auf unsere Situation. Entgegen aller Behauptungen waren und sind Jugendliche seit Jahren in vielen Bereichen politisch aktiv. Zahlreiche antifaschistische Mobilisierungen, Schulstreiks und Proteste gegen Abschiebungen, SchülerInnenstreiks gegen Arbeitszeitverlängerung und die unibrennt Bewegung, regionale Proteste wie gegen die Verbauung des Seebahnhofs in Gmunden oder die Garage unter der AHS Geblergasse, die Aktionen gegen Atomtransporte und Stuttgart 21 in Deutschland – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Die aktuellen Bewegungen setzen bei einem Frust und einer Wut an, die es seit Jahren gibt. Ein Damm ist gebrochen und die Wut wird nun zu Widerstand.
Generation Aufstand
All das hat mit der Krise vielerorts eine neue Qualität erhalten. Die Tatsache, dass die Regierungen „demokratischer“ Länder so offen und brutal die Interessen der Banken gegen die gewaltige Mehrheit der Bevölkerung verteidigen, also die Profite weniger Reicher schützen, macht viele zornig.
Die Kürzungen sind oft so brutal, dass Jugendliche gar keine andere Alternative haben, als Widerstand zu leisten. Wer schon zuvor am Rande des Abgrundes stand, kann jetzt nicht noch einen Schritt nach hinten gehen.
Die große Wut verbunden mit dem „nichts-zu-verlieren-Gefühl“ verleiht den Bewegungen auch ihren sehr spontanen Charakter. Schon einfache Mobilisierungen über Facebook und ähnliches bringen zehntausende auf die Straße.
Die besondere Lebenssituation Jugendlicher erlaubt vielen eine freiere Zeiteinteilung. Zumal immer mehr schlicht arbeitslos sind. Das gibt den Bewegungen einen riesigen Stamm an AktivistInnen. So konnten die Besetzungen öffentlicher Plätze in Spanien über Wochen aufrecht bleiben. Alle Forderungen oder auch die nächsten Schritte wurden so zunächst in aller Breite und über Stunden hinweg diskutiert.
Wir sind nicht alleine
Zu sehen, wie sich Jugendliche in anderen Ländern wehren, macht Mut. Zu sehen, wie brutal die Polizei gegen sie vorgeht, macht wütend. Und zu sehen, wie die PolitikerInnen völlig ignorieren, was Jugendliche fordern, zeigt, dass wir sie nicht brauchen und nicht wollen.
Es ist kein Zufall, dass Jugendliche ein beliebtes Ziel für Kürzungen sind. Sie haben nur begrenzte Möglichkeiten, sich zu wehren. Die Besetzung öffentlicher Plätze alleine setzt keine Regierung ausreichend unter Druck. Ein Streik von SchülerInnen, Studierenden, Lehrlingen, PraktikantInnen oder einfach Arbeitslosen verursacht keinen ökonomischen Schaden und lässt sich relativ leicht von jeder Regierung aussitzen.
Und irgendwann sind auch die Zeit-Ressourcen und die Energie aufgebraucht: Lernstoff für die Uni muss irgendwann aufgeholt werden, irgendwie wieder Geld verdient werden usw...
Doch wir dürfen niemals vergessen: Es geht nicht nur um Jugendliche. „Die Jugend“ gibt es außerdem nicht. Jugendliche kommen aus allen Klassen. Entsprechend sind auch nicht alle im gleichen Ausmaß von den Kürzungen betroffen. Eine Laura Rudas oder ein Sebastian Kurz verfügen über ein großzügiges Einkommen und haben keine Ahnung, wie es mir und anderen „normalen“ Jugendlichen geht. Sie sind keine „Vertretung“ von Jugendlichen, sondern trotz ihres jugendlichen Alters unsere GegnerInnen!
Es ist also nicht nur eine Frage des Alters, sondern unserer sozialen Herkunft. Nicht nur Jugendliche sind von den Angriffen der Regierungen betroffen – auch PensionistInnen, ArbeitnehmerInnen, Arbeitslose und Arme. Wir haben ähnliche Probleme und denselben Gegner.
Verbünden statt isolieren
Bleibt eine Bewegung auf Jugendliche beschränkt, kann sie ihre Ziele nicht erreichen. Gut sichtbar wird das z.B. an der 68er Bewegung in Deutschland. Eine jahrelange Massenbewegung veränderte, obwohl sie diesen Anspruch hatte, nicht viel mehr als Teile der Fassade der Gesellschaft. Es gelang ihr nicht, eine Brücke zum Rest der Bevölkerung zu schlagen und so eine wirkliche Revolution zu bewirken. In Frankreich hingegen löste der Protest aus Unis und Schulen eine Generalstreik-Bewegung aus. Durch dieses Eingreifen der ArbeiterInnenklasse in die Kämpfe geriet Frankreich an den Rand einer Revolution. Hier waren die Studierenden auf die Gewerkschaften zugegangen und konnten mit ihren Forderungen auch ArbeiterInnen mobilisieren.
In Tunesien und Ägypten haben Jugendliche und ArbeiterInnen gemeinsam gegen die Regimes gekämpft. Nicht nur aus „taktischen“ Überlegungen, sondern weil die Interessen dieselben sind. Bei den Platzbesetzungen in Griechenland und Spanien sitzen Studierende mit ihren arbeitslosen Eltern gemeinsam und diskutieren die nächsten Schritte. Mit den Nachbarschaftskomittees und Aktionsgruppen, die überall entstehen, wird auch die Verbindung zur ArbeiterInnenklasse hergestellt. Denn erst die Angst vor der vereinten Kraft der ArbeiterInnenklasse kann eine Regierung und die hinter ihr stehende herrschende Klasse zum Nachgeben bewegen.
In Österreich hatte UniBrennt zwar Forderungen im Programm, die gezielt neue Schichten ansprechen sollten, dahinter stand aber das spürbare Kalkül, diese nur für die eigenen Ziele einzuspannen. Eine echte Möglichkeit, an der Bewegung teilzuhaben und an der Strategie mitzuwirken bestand nicht.
Das soll die Rolle von Jugendbewegungen nicht klein reden: Geschichte und Gegenwart sind voller Beispiele von Jugendbewegungen, die den Weg für eine Bewegung der ArbeiterInnenklasse bereiteten. So wie in Frankreich 68 oder im Iran 79, wo der Widerstand zum Teil aus den Studierendenheimen heraus organisiert wurde. Die Proteste der Studierenden in Britannien gegen die jüngsten Kürzungen brachen den Damm für weitere Proteste und Streiks aus der Gewerkschaftsbewegung.
Jugendliche sind weniger durch die täglichen Verpflichtungen des Lebens (Kinder, Hypothek...) gebunden und auch weniger frustriert von Erfahrungen aus Niederlagen vergangener Bewegungen. So sind es oft sie, die eine Protest-Bewegung beginnen. Sie helfen dabei, die Angst und die Hemmungen bei vielen ArbeiterInnen abzubauen. Ein Uni-Streik alleine baut zwar kaum Druck auf die Regierung auf, aber er bringt Streik als Kampfmittel wieder auf die Tagesordnung. Besonders die bürokratische Führung der Gewerkschaften, die oft lieber Kämpfe verschleppen würde, braucht diesen und ähnlichen Druck, um in Aktion zu treten.
Eltern wissen meist nur allzu gut wie berechtigt die Proteste ihrer Kinder sind, immerhin kennen sie deren Lage oft sehr genau. Wenn die Regierung dann versucht, die Proteste mit Gewalt und Repression zu ersticken, greifen sie oft selber in die Bewegungen ein. Auch so können sich die Proteste ausweiten.
Ihr werdet euch noch wünschen...
Es ist ermutigend zu sehen, wie Jugendliche in anderen Ländern auf die Barrikaden gehen. Die angeblich „unpolitische Generation“ zeigt, zu was sie fähig ist. Die Medien schweigen das meist tot, die Regierungen versuchen zu diffamieren, als gewalttätig darzustellen, lügen und kriminalisieren die Jugendlichen – ein Zeichen dafür, dass sie Panik haben vor uns – der Generation Aufstand!