Mi 22.02.2023
In Umfragen vom 23.10 steht die ÖVP gleichauf, teilweise hinter der FPÖ. Bei den Landtagswahlen in Tirol verlor sie fast 1/4 der Stimmen. Seit die Message-Control mit Sebastian Kurz fiel, werden die parteiinternen Widersprüche wieder offen diskutiert. Es häufen sich Aus-, Rück- oder Übertritte. Ein Paukenschlag war der Rücktritt von Sachslehner, der ehemaligen Generalsekretärin. Es war Kritik von Rechts an der Koalition und über den künftigen Kurs der ÖVP. Thomas Schmid trifft mit seinen Aussagen gegen Sebastian Kurz, Sobotka & Co., somit gegen einige der wichtigsten Player, die ÖVP bereits in einer tiefen Krise und vertieft diese weiter.
Diese Krise ist Ausdruck einer generellen Krise des politischen Establishments. Viele bürgerliche Parteien versuchen sich neu aufzustellen, verstärkt auf „traditionelle Werte“, law & order und Rassismus zu setzen. Eine geradlinige „Trumpisierung“ der ÖVP ist aufgrund ihrer trägen Struktur schwierig. Kurz versuchte die Partei zu zentralisieren, um stärker in so eine Richtung zu gehen. Als vermeintlich „jung, neu, unverbraucht“ und damit kurzzeitigen Zugewinnen bei Wahlen hat es Kurz geschafft, die Partei zu vereinen, mit Message-Control hielt er sie auf Spur und hat damit die Widersprüche “vorerst” gelöst. Kurz war eine stärkere Orientierung auf das Großkapital. Sein Programm wurde stark von Spenden der Superreichen „motiviert“ (Stefan Pierer, KTM,~500.000 wünschte sich den 12h Tag, Heidi Horten ~1.000.000, …). Wie stark die Verstrickungen sind, erzählt Schmid, aber es ist wichtig zu betonen, dass Korruption ein zentraler Bestandteil des Kapitalismus ist, und dies nicht die ersten Korruptionsvorfälle in der ÖVP sind.
Das Vermächtnis von Kurz
Nach dem Fall von Kurz ist der Machtkampf um die Parteilinie ausgebrochen. Die Auswüchse zeigen sich z.B. darin, dass im Tiroler Wahlkampf Nehammer nicht gewünscht wurde und die ÖVP als Liste Mattle antrat. Das Auftreten von Listen ist Zeichen der politischen Krise. Denn ein Nebeneffekt des Föderalismus, vor allem in Anbetracht der historischen Krise des Kapitalismus, ist, dass die Landes- und Regionalpolitik den Druck der Bevölkerung heftiger spüren und von der Bundeslinie abweichen. Für die Bundes-ÖVP bedeutet es eine massive Schwächung, wenn sie die Unterstützung aus den Ländern verliert. Konkret wettert die ÖVP in Tirol und Oberösterreich gegen die Russland-Sanktionen und fordert (wie die FPÖ) eine “Evaluierung”. Ein bisschen populistische Anti-EU-Rhetorik (und Anti-Wien-Rhetorik) darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, das sie von EU-Geldern abhängig sind.
Wackelige Führung
Die Bundesführung versucht der Debatte einen Riegel vorzuschieben, aber nicht einmal Nehammers eigene Position ist stabil. Bereits im Sommer gab es Ablösegerüchte. Dass Nehammer mit 100% zum Parteichef gewählt wurde, wirkt inszeniert. Abwegig ist dieses Ergebnis trotzdem nicht, weil es kaum Alternativen zu Nehammer gibt. Der Obmann-Sessel ist im Moment ein Schleudersitz.
Die Serie von Krisen (Wirtschaft, Corona, Energie etc) hat alle Parteien in die Krise gestürzt, so auch die ÖVP. Mit dem Abgang von Kurz sind führende Teile der türkisen Fraktion gegangen worden. Der schwarze Kern der ÖVP wirkt planlos. Martin Kocher, einer der Schwergewichte innerhalb der Koalition, wird als Nachfolger von Nehammer gehandelt. Kocher ist allerdings kein Parteimitglied und verfügt deshalb kaum über Rückhalt aus einem der Bünde der ÖVP. Eine stabile Basis wäre das also auch nicht. Die ÖVP hofft, dass die Regierung sich bis zum Ende hält und es nicht zu vorgezogenen Neuwahlen kommt. So oder so, die Krise der Partei ist nicht vorüber, da sie nur Symptom einer tiefen politischen Krise an sich ist.
Info:
Die ÖVP ist aktuell tief in der Krise. Nach dem Zentralisierungsversuch unter Kurz treten die alten Konflikte zwischen den Bünden (JVP, Arbeiter*innen-, Bauern-, Senioren-, Wirtschafts- und der Frauenbund) und Bund-Land wieder in den Vordergrund. Am stärksten sind der Bauern- und Wirtschaftsbund, aber auch die katholische Kirche hat erheblichen Einfluss (wenn auch nicht offiziell gelistet). Sie alle repräsentieren verschiedene Interessen, die in Kontrast zu einander stehen. Seit jeher lässt sich die Geschichte der ÖVP als Kampf dieser Bünde beschreiben. Der Bauernbund hätte z.B. gerne eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, der Wirtschaftsbund will die Profite der Gastro schützen und stellt sich quer. Aber auch Landesfürst*innen und Regionalpolitiker*innen stellen sich quer, z.B. wenn es um die Russlandsanktionen geht.