Öffentlicher Dienst: Die unbeachtete Kürzungsbombe

Massive Einkommenseinbussen auch für NiedrigverdienerInnen wird verschwiegen
EinE BeschäftigteR im Öffentlichen Dienst (Name der Redaktion bekannt)

Zuerst war noch große Empörung. Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) fasste am 19. Februar 2015 eine Resolution. GÖD-Vorsitzender Neugebauer nahm sogar das Wort „Streik“ in den Mund. Was war geschehen? Die Regierung baute in einer Nacht- und Nebel-Aktion das Besoldungs- (dh Entlohnungs-)system aller Bundesbediensteten um. Dabei bleibt kein Stein auf dem anderen. Anlass ist die vom Europäische Gerichtshof EuGH wiederholt festgestellte Altersdiskriminierung wegen Nicht-Anrechnung von Arbeit und Ausbildung unter 18 Jahren im Besoldungssystem. Eine solche Diskriminierung ist europarechtswidrig, sie wurde – wieder europarechtswidrig – repariert, und nun wird die Reparatur repariert.

Wer nun denkt, diese Reparatur führt zu einer Besserstellung von Menschen, die als Jugendliche unter 18 gearbeitet haben, liegt leider falsch. Regierende, die in der Krise das Kapital schützen und im Öffentlichen Dienst kürzen, sind ja nicht auf den Kopf gefallen. Der EuGH verlangt ja keine Besserstellung von Arbeit und Ausbildung unter 18, sondern nur Diskriminierungsfreiheit. Letztere kann auch erreicht werden, wenn alle gleich schlechter gestellt werden. Einfach nur die Zeiten unter 18 anzurechnen, hätte dem Vernehmen nach zu Milliardennachzahlungen geführt. Von einer „Budgetbombe“ im Ausmaß von 3 Milliarden war die Rede. Wie immer, wenn es um den Öffentlichen Dienst geht, wurden in Medien „unkündbare Hofräte“ als vermeintlich Profitierende genannt, um jede Solidarisierung zu verhindern und den berechtigten Zorn mies bezahlter Beschäftigter von der Regierung ab- und hin zu den öffentlich Bediensteten zu lenken.

Bei der Regierung war Feuer am Dach, eine „budgetneutrale Lösung“ wurde in Rekordtempo gefunden. Und nicht nur das: Klammheimlich und im Eilverfahren entstand eine Gesetzesänderung, die nicht nur „neutral“ ist, sondern gleich auch zu Kürzungen führt. Von einem Tag auf den anderen wurde eigens dafür ein Verfassungsausschuss (am 19.1.2015) im Parlament einberufen, wo der Entwurf beschlossen wurde. Keine Verhandlungen, keine Begutachtung, keine Erläuterungen. Erst am 15.1. um 23.28 h erhielt die Gewerkschaft den Entwurf und fasste am 19.1. die Resolution, in der festgehalten wurde, dass es zu „erheblichen Verlusten“ in der Lebensverdienstsumme von KollegInnen kommt und „Verhandlungen“ gefordert wurden. Doch der Dienstgeber ist in diesem Fall auch Gesetzgeber. Die Regierung hat das Parlament und wohl letztlich auch die Gewerkschaftsführung auf ihrer Seite.

Mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP wurde die „Besoldungsreform“ im Verfassungsausschuss und kurz danach im Nationalrat beschlossen. Die GÖD wird von der ÖVP dominiert und unter den zustimmenden Abgeordneten befinden sich führende GewerkschafterInnen beider Regierungsparteien. Wohl auch deshalb gab es keinerlei gewerkschaftliche Maßnahmen. Damit das nicht ganz so komisch aussieht, fassten die Regierungsabgeordneten einen scheinheiligen Entschließungsantrag, der besagt, dass man sich doch das nochmal anschauen möge und nachbessern möge, wenn es zu Nachteilen für bereits im Dienst stehende KollegInnen kommen sollte. Es wird also geleugnet, dass es mit Sicherheit zu Nachteilen kommt und neu eintretende KollegInnen werden gleich ganz offen vergessen und die Spaltung in „alte“ und „neue“ abgesegnet.

Doch dass es sicher zu Nachteilen kommt, sagt sogar die GÖD, bei der allerdings die Empörung seit der Resolution massiv abgeklungen ist und die sich nun auf Verhandlungen mit der Regierung beschränkt. In diesen Verhandlungen hofft die GÖD auf ein „offenes Ohr“ der Regierung und versucht, die bereits beschlossene und in Kraft getretene Besoldungsreform nachzubessern. Bei dieser Materie durchzublicken, ist wahrlich eine Herausforderung. Das macht es der Regierung leicht, Nachteile für KollegInnen zu leugnen. Die GÖD beschränkt sich darauf, die Nachteile für bereits im Dienst stehende KollegInnen zu argumentieren. Die bereits im Dienst stehenden KollegInnen werden nämlich allesamt in das neue System zwangsübergeleitet (wenn bei Reichen gekürzt werden soll beruft sich die Regierung gerne auf den Vertrauensgrundsatz, der nicht gebrochen werden könne und daher nicht in bestehende Verträge eingegriffen werden könne - für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gilt das offensichtlich nicht. Manche sind offenbar doch gleicher/reicher). Von den Kürzungen bei neu eintretenden KollegInnen ist nicht einmal die Rede, eine solche wird als selbstverständlich hingenommen. Die GÖD beschränkt sich bei der Argumentation auf den Vergleich mit dem derzeitigen Besoldungssystem. Sie ignoriert völlig den Vergleich mit einer Aufhebung der diskriminierenden Bestimmungen im alten System, die zu Nachforderungen geführt hätte.

Worum es geht

Alle zwei Jahre erhöht sich das Grundgehalt, man rückt in die nächste Gehaltsstufe vor. Wann diese Vorrückung erfolgt, richtete sich im alten System nach dem sogenannten „Vorrückungsstichtag“. Bei Eintritt in den Bundesdienst wurde dieser Vorrückungsstichtag bestimmt. Die sogenannten „Vordienstzeiten“ wurden dabei berücksichtigt. Das heißt, der Vorrückungsstichtag wird in die Vergangenheit zurückverlegt, und zwar um die Zeiten, die als Vordienstzeiten angerechnet werden. Angerechnet wurden dabei unter anderem Ausbildungszeiten oder etwa in geringem Ausmaß Dienstzeiten in der Privatwirtschaft. (Bei der vom EuGH beanstandeten Diskriminierung geht es um Berücksichtigung von Vordienstzeiten, die vor dem 18. Geburtstag liegen.) Der so bestimmte Vorrückungsstichtag ist sozusagen der fiktive dienstrechtliche „Geburtstag“, von dem an man in 2-Jahres-Sprüngen vorrückt. Die Bestimmung des Vorrückungsstichtags ist eine Geheimwissenschaft, zu der nicht einmal ein Vortrag in der Verwaltungsakademie angeboten werden konnte, weil keinE ExpertIn gefunden werden konnte, der oder die sich diesen Vortrag zugetraut hätte. Deshalb war dieses System sicherlich nicht das Gelbe vom Ei. Dieses System wurde nun völlig abgeschafft!

Was das neue System für die „Neuen“ bedeutet

Stattdessen beginnen alle bei null. Angerechnet werden nur mehr Dienstzeiten im Öffentlichen Dienst, Präsenz- und Zivildienst bis zu sechs Monaten (obwohl Zivildienst länger dauert). Ausbildungszeiten werden nicht mehr angerechnet (ist laut Regierung in den neuen Gehaltsansätzen eingerechnet - wers glaubt....). Arbeit in der Privatwirtschaft wird nur angerechnet, wenn es sich um „einschlägige Berufstätigkeit“ handelt. Ob das der Fall ist, wird wohl künftig der Dienstgeber bestimmen. Bei Neueintretenden wird also zusätzlich zu Aufnahmestop, Stellenabbau, Ausgliederungen und Präkarisierung massiv gekürzt. Die Gewerkschaft sagt dazu: nichts. Darin besteht die Aufhebung der vom EuGH beanstandeten Diskriminierung. Wo nichts angerechnet wird, kann nichts unter 18 diskriminiert werden. Weiterbildung wird bestraft: Wer parallel zum Job studiert und aufgrund Absolvierung des Studiums in eine höhere Verwendungsgruppe überstellt wird, bekommt die gesamte Zeit des Studiums (die naturgemäß bei Berufstätigkeit meist viel länger ist) abgezogen.

Was das neue System für die „Alten“ bedeutet

Die bestehenden Dienstverhältnisse werden in das neue System übergeleitet. Dabei wird vom derzeitigen Betrag ausgegangen und man kommt in die Gehaltsstufe des neuen Systems, die den nächstniedrigen Betrag aufweist. Der Bezug wird allerdings nicht auf diesen Betrag gekürzt (noch werden griechische Verhältnisse vermieden). Die nächste Vorrückung erfolgt zum gleichen Termin wie gehabt und die übernächste Vorrückung wird vorgezogen, was laut Regierung Nachteile ausgleicht. Mit 1. März erfolgt nach zwei Nulllohnrunden die schon vor einiger Zeit ausverhandelte Erhöhung von 1,77%. Berechnungen der Gewerkschaft haben ergeben, dass es für nahezu alle KollegInnen durch die Überleitung zu Nachteilen kommt. Das heißt, dass fast alle künftig weniger verdienen werden als im alten System. Ausgenommen von der Überleitung sind die höchsten Dienstklassen, Fixbezüge und Sonderverträge, also die allerhöchste BeamtInnenebene und die politische Ebene (SektionschefInnen, KabinettsmitarbeiterInnen etc.).

Die Reaktion von KollegInnen zeigt alle Facetten: Es gibt alles von Wut bis Wurschtigkeit. Einige sind unter solchem Arbeitsdruck, dass sie gar keine anderen Probleme mehr erfassen können. Der Arbeitsdruck belastet ihre gesamte Aufmerksamkeit, so dass für nichts anderes mehr Platz ist. Andere meinen froh sein zu müssen, „überhaupt einen Job zu haben“. Die Komplexität der Materie führt bei den einen zur Meinung, nicht betroffen zu sein, bei anderen zu massiver Verunsicherung. Einige sind wütend, einige frustriert, wieder andere resigniert.

Die Position der GÖD

Die GÖD verhandelt derzeit mit der Regierung und möchte dabei Nachteile für die übergeleiteten KollegInnen wegbekommen. Als Vorbild dient ihr dabei Deutschland, wo die selbe Problematik bestand und das System ebenso gekippt wurde, jedoch laut GÖD ohne Nachteile für bestehende Dienstverhältnisse. Die gewerkschaftliche Argumentation beschränkt sich auf Nachteile in der Lebensverdienstsumme für bereits im Bundesdienst stehende im Vergleich zum Einkommensverlauf, den diese im alten System künftig hätten. Neueintretende und der Vergleich mit Nachzahlungen für nicht angerechnete Zeiten im alten System werden ignoriert. Nach anfänglicher Empörung wurde der Ton schnell versöhnlicher. Es werden Verhandlungen und Nachbesserungen gefordert. Maßnahmen zur Rückenstärkung der VerhandlerInnen werden keine in Aussicht gestellt. Es ist keine Strategie ersichtlich, wie die Nachbesserungen erreicht werden sollen, wenn die Regierung kein „offenes Ohr“ in den Verhandlungen zeigt. Das wahre Ausmaß der Kürzung im Öffentlichen Dienst durch diese Besoldungsreform wird ignoriert.

Die Frage, warum nicht einfach die diskriminierenden Bestimmungen beseitigt wurden, wird nicht gestellt. Aus dieser Frage ergäbe sich nämlich das wahre Ausmaß der Kürzungen. Dieses besteht im Vergleich zu den Nachzahlungen an KollegInnen, denen Zeiten unter 18 nicht angerechnet wurden plus die Einsparungen im neuen System sowohl bei bestehenden Dienstverhältnissen als auch bei Neueintretenden.

Was nötig wäre

Bereits vor dem Parlamentsbeschluss wären gewerkschaftliche Maßnahmen nötig gewesen. In der Öffentlichkeit hätte über die Nachteile informiert werden müssen. Es hätte in der Öffentlichkeit umfangreich über das Ausmaß der „Reform“ informiert und Solidarität eingefordert werden müssen und der Hetze gegen „Beamte“ entgegengetreten werden müssen. Einzig die RichterInnen und StaatsanwältInnen haben Maßnahmen ergriffen. Es ist völlig unverständlich, dass die GÖD nicht öffentlich darüber informiert hat, dass keineswegs nur diese Gruppe betroffen ist und nicht alle KollegInnen organisiert hat. So wurde das Bild von einer ohnehin verhältnismäßig „priviliegierten“ Gruppe in der Öffentlichkeit unterstützt und es verabsäumt, darauf hinzuweisen, dass im Öffentlichen Dienst auch viele Menschen arbeiten, die mies bezahlt werden, es eine große Zahl prekär Beschäftigter gibt und alle unter ständig steigendem Druck arbeiten. Es müssten endlich auch diejenigen gewerkschaftlich organisiert werden, die völlig rechtlos die Knochenarbeit des Öffentlichen Dienstes machen, wie z.B. Studierende, die in freien Dienstverträgen in Servicebüros arbeiten, die es sich nicht einmal leisten können, krank zu sein, weil sie dann ohne Geld dastehen, von denen aber hochqualifizierte fachliche Auskünfte verlangt werden.

Bis jetzt hat die GÖD also die KollegInnen nicht wirklich vertreten, teilweise noch nicht einmal informiert. Auch das verstärkt den Unmut unter KollegInnen. Auch die linken Gewerkschaftsfraktionen haben zu diesem Thema bisher nichts oder kaum etwas gesagt. Damit muss endlich Schluss sein. Wir müssen uns an der Basis selbst organisieren, KollegInnen verschiedenen Alters, mit verschiedenen Verträgen und in verschiedenen Dienststellen gemeinsam - wir verlangen von der GÖD einen bundesweiten Aktionstag des Öffentlichen Dienstes mit einer gemeinsamen, großen Demonstratio als ersten Schritt um diesen Angriff auf alte und neue KollegInnen nicht nur ein bisschen abzumildern (wobei ja sogar das fraglich ist) sondern vollständig zu kippen. Denn wir sind KrankenpflegerInnen, Müllleute, Sekretariatskräfte, LehrerInnen, KulturvermittlerInnen, Reinigungskräfte - und wir können uns diese neue Kürzung einfach nicht leisten!